45 - Die Farbe des Schmerzes

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Als unsere Augen sich trafen, bohrte sich ein Pfeil schmerzhaft durch mein gebrochenes Herz. Die Spuren der Gewalt, zugefügt von Oliver, zeichneten sich noch ganz deutlich in seinem Gesicht ab. Unter seinen Augen lagen dunkle Schleier. Seine Haut war ganz rot von der nächtlichen Kälte. Noch nie zuvor hatte ich ihn in einer so schlechten Verfassung gesehen. Selbst gestern nicht, als er so verzweifelt auf dem Boden gelegen und von Kummer gezeichnet meinen Namen gerufen hatte.

Er hatte seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Kurz nachdem er sich schnell durchs Gesicht gefahren war, stand er abrupt auf, um mich anzusprechen. Doch ich verweigerte dieses Gespräch. Ich wollte ihn weder sehen noch hören noch fühlen noch irgendetwas, was mich an ihn und die Zeit erinnerte, in der er mich zum glücklichsten Menschen der Welt gemacht und mich dann fallen gelassen hatte.

"Jenny, ich-. Es tut mir so, so, so unendlich leid. Ich bin ein Idiot, ein riesen großes Arschloch. Ich wollte wirklich mit dir darüber reden, wirklich. Bitte glaub' mir!"

Ich schenkte ihm keine Zeit. - Nicht mehr. Als meine Schritte das Weite suchten, ohne sich umzudrehen, versuchte Luke noch hinter mir herzurennen.

"Bitte, halt an! Bitte, lass uns darüber reden, was passiert ist! Lass mich wissen, was ich tun kann, damit es dir besser geht. Schlag' mich, trete mich, schrei' mich an, sodass es die ganze Welt hört! Doch bitte, zeig' mir irgendeine Reaktion. Irgendwas, damit ich weiß, woran ich bin."

Stärker als sonst schlug ich das Board auf die Straße und stellte mich drauf. Einen Moment lang hielt ich inne. Hörte Lukes Atmung hinter mir. Hörte, wie er innerlich litt und ihm die Luft in der Kehle zugeschnürt wurde. Aber mein Schmerz war größer. Ich hatte rein gar nichts von seinem Spiel mit Oliver gewusst. Mit seinem Erzfeind Oliver. Alle beide waren für mich gestorben.

Mir stiegen die Tränen in die Augen. Ich unterdrückte sie, obwohl sie das erste Zeichen an diesem Morgen dafür waren, dass noch ein Fünkchen Leben in mir steckte. Doch auf diesen Teil hätte ich auch gut verzichten können.

"Das ist alles ein riesen großes Missverständnis. Ich hab' mich von Oliver und der Clique provozieren lassen und bin die Wette mit ihnen eingegangen. Ich wollte wirklich nicht, dass du verletzt wirst, ganz besonders nicht von Oliver." - Er schluckte kurz, um neue Kraft zu schöpfen. - "Oliver und ich haben nur diese Auseinandersetzung gehabt, weil ich ihn darum gebeten habe, die Wette fallen zu lassen. Ich wollte mit dir glücklich werden. Ich kannte dich beim Eingehen der Wette doch noch gar nicht und vorgestern wollte ich mit dir darüber sprechen, aber du warst so glücklich, dass ich die Stimmung nicht kaputt machen wollte."

"Das hast du jetzt aber."

Ich fuhr los und ließ meine glückliche Zeit aus der letzten Woche hinter mir.

***

Als ich endlich in der Stadtbücherei ankam, rollten mir wieder die Tränen übers Gesicht. Mir fehlte seine Stimme, seine Nähe und sein Geruch so sehr. Uns trennten erst zwei Tage voneinander, doch die Stunden fühlten sich wie Jahre an.

Dann wurde mir wieder bewusst, wie sehr er mir wehgetan hatte und wie naiv ich doch gewesen war. Noch konnte ich ihm nicht verzeihen. Sein Entschuldigungsversuch hatte es vielleicht geschafft, mir Gedanken um seine Unschuld zu machen, aber es reichte nicht aus.

Leise schlich ich in die Astronomie-Abteilung, um Marylin zu überraschen. Sie saß, wie bereits erwartet, am selben Tisch wie beim letzten Mal und las ein Buch mit einem braunen Cover, das noch größer war, als das letzte.

Vorsichtig setzte ich mich auch an den Tisch und wartete darauf, dass sie den Finger auf einer Stelle ablegen und hochschauen würde.

Keine zwei Sekunden später war es dann geschehen. Sie schaute hoch und ich erschrak innerlich.

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