46 - Tief aus dem Inneren

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„Ich könnte dich jetzt fragen, ob du sie noch immer liebst, aber um ehrlich zu sein kenne ich die Antwort bereits", sagte Sahra schließlich mit überraschend ruhiger Stimme. „Aber du weißt, dich liebe ich auch", flüsterte Linda. Sahra schüttelte nur den Kopf.

„Wenn es Gyde gewesen wäre oder Baerbock, Himmel meinetwegen auch Lindner, dann wäre mir das egal gewesen. Die Vorstellung, dass du im Bett von jemand anderem liegst ist merkwürdig, aber Sex, diese ganze körperliche Dimension, die ist mir einfach nicht so wichtig. Darauf kommt es in einer Beziehung nicht an. Vertrauen, Sicherheit, Unterstützung, das ist mir viel wichtiger. Ich könnte also darüber hinwegsehen, wenn es nur darum gegangen wäre, dass du grade Bock hattest und etwas dagegen unternehmen musstest. Aber wir sprechen hier nicht von irgendeinem Seitensprung zur Triebbefriedigung. Wir sprechen hier von Katja Suding, wir sprechen von dir und wir sprechen von Liebe. Und das ist das Problem. Liebe."

Linda war unfähig etwas zu sagen, das war jedoch auch nicht nötig, denn Sahra war noch lange nicht fertig. „Ich habe die ganze Zeit gewusst, dass da noch immer etwas zwischen euch ist, dass du mit ihr noch nicht fertig bist, aber ich habe immer gehofft, dass sich das irgendwann legen würde. Ich dachte immer, wenn du es gar nicht schaffst über sie hinwegzukommen, dann würdest du mir das offen kommunizieren und fairerweise gehen, aber da war ich wohl ein wenig zu naiv."

Sahra lachte kurz auf. Das schlimmste war eigentlich, dass sie diese Entwicklung überhaupt nicht überraschte. Irgendwie hatte sie immer gewusst, dass es so kommen würde. „Wie oft habt ihr euch getroffen?", fragte sie und studierte dabei Lindas leidenden Gesichtsausdruck. Oh wie sie hoffte, dass sie das hier ebenso quälte wie sie. „Noch einmal im November, als ich dir erzählt habe, ich hätte ein Meeting mit einer Kollegin. Aber da ist nichts passiert, nicht mal ein Kuss", gestand Linda ihr wahrheitsgemäß. Sahra winkte ab. „Wie gesagt, das interessiert mich nicht. Das wirkliche Problem ist, dass du mich angelogen hast. Über Monate! Treue hat nicht nur eine körperliche Komponente, sondern auch eine emotionale und entschuldige bitte, aber da hast du auf ganzer Linie versagt."

Wieder wusste Linda nicht was sie sagen sollte. Sahra hatte ja recht. „Warum bist du noch mit mir zusammen, Linda? Ich denke, wir sind an einem Punkt, im Leben und in unserer Beziehung, an dem Liebe kein Universalargument mehr ist", fragte Sahra und sah sie aufmerksam an. „Denn du sagst, du hast Gefühle für mich, aber offensichtlich vertraust du mir nicht, sonst hättest du mir die Treffen mit Katja nicht verheimlicht. Hat diese Beziehung für dich irgendeine Zukunftsperspektive? Oder bist du nur noch bei mir, weil es sich irgendwie gut anfühlt und es besser ist als allein zu sein?"

Linda starrte Sahra an. Sie wusste die Antwort nicht. Gab es darauf überhaupt eine Antwort? Ja, sie liebte Sahra, fühlte sich zu ihr hingezogen. Die Zeit mit ihr war wunderschön und erfüllte sie. Wieso sollte das nicht reichen? Sahra schüttelte traurig lächelnd den Kopf. "Das habe ich mir gedacht", sagte sie und erhob sich. Linda sprang gleichzeitig mit ihr auf.

"Warte", sagte sie, als Sahra sich zur Tür wandte. "Ich habe dir nichts vorgetäuscht, Sahra! Ich liebe dich und ich habe jedes Wort, jeden Kuss in den letzten Monaten ernst gemeint! Ich bin der Überzeugung, dass Liebe reicht. Mehr Gründe brauche ich nicht, um mit dir mein Leben zu verbringen."

Sahra drehte sich wieder zu Linda. Nun doch mit Tränen in den Augen schüttelte sie den Kopf. „Schön, Linda. Aber es geht nicht nur um dich! Es geht auch ein bisschen darum was ICH brauche. Ich brauche jemanden, der hinter mir steht und auf den ich mich verlassen kann. Jemanden, der auf meine Gefühle Rücksicht nimmt und mich nicht behandelt wie die Zweitbesetzung in einem Schultheaterstück!"

Verzweifelt ließ Linda die Schultern hängen. „Dann sag mir was du brauchst!" Sahra wischte sich über das Gesicht und man konnte deutlich sehen, dass sie versuchte sich zurückzuhalten. Dann jedoch, mit einem weiteren Blick auf Linda brachen alle Dämme.

„Ich hätte gebraucht, dass du dich positionierst! Dass du sagst, wen von uns beiden du haben willst und uns nicht hinhältst! Dir mag Liebe reichen, aber ich brauche einfach ein gewisses Maß an Sicherheit! Ich will wissen, ob du wieder zu mir zurück kommst, wenn du dich mit ihr triffst. Ich kann dir gerade gar nicht beschreiben wie sehr ich mich dafür schäme, dich so nah an mich herangelassen zu haben und ich weiß auch, dass das für lange Zeit das letzte Mal gewesen sein wird, dass ich sowas zulassen werde. Weißt du eigentlich wie sich das anfühlt, Linda? Wenn man permanent vor Augen geführt bekommt, dass man mit der Verbindung, die du und Katja haben nicht mithalten kann? Und dabei sieht es jeder noch als selbstverständlich an, dass du und Katja euch viel näher steht als wir beide es tun!" Ein Schluchzen schüttelte Sahra und auch Linda spürte wie die Tränen in ihr hochstiegen. Hilflos ließ sie Sahras Gefühlssturm über sich hinwegziehen.

„Bünger war ein emotionales Wrack, nachdem Katja sie verlassen hat. Hat sie dir das erzählt? Dass Clara komplett am Verzweifeln war, als sie erkannt hat, dass sie Katja niemals glücklich machen kann, weil sie nicht du ist? Wenigstens war Suding so freundlich und hat Clara abgeschossen, als sie gemerkt hat, dass sie dich noch immer will. Aber du... entschuldige Linda, aber wie immer hast du nur an dich gedacht. An deine Karriere, deine Gefühle, deine Bedürfnisse. Hast du zwischendrin mal überlegt wie es mir dabei geht?"

Natürlich hatte sie das! Deswegen hatte sie ja auch so lange nichts gesagt! Oder war es Linda darum gegangen sich selbst zu schützen? Sie hatte dieses Geheimnis der gemeinsamen Nacht mit Katja doch nur deshalb mit sich herum getragen, weil sie Sahra nicht verletzen wollte. „Du hättest mir jederzeit sagen können, wie du die Situation empfindest", flüsterte Linda. „Woher hätte ich das denn wissen sollen?"

Sahra starrte Linda einige Sekunden an, so als ob sie sich verhört hätte. „Du hättest auch einfach mal fragen können! Ich erwarte wirklich nicht viel Linda, ich erwarte nur einen Funken Interesse und Empathie von dir! Etwas, was man von seiner Partnerin ja wohl auch erwarten darf, oder nicht?"

Sahra riss die Küchentür auf und trat hinaus in den Flur, Linda folgte ihr. „Eigentlich bist du diejenige, die wirklich zu bedauern ist Linda, denn du wirst in diesem Leben nicht mehr glücklich werden, wenn du diese Sache mit Suding nicht ein für alle mal klärst. Zur Hölle nochmal, ich kann an diesem Punkt wirklich nicht mehr sagen, wer von euch abhängiger von der anderen ist. Die, die alles in ihrem Leben dir unterordnet und verzweifelt auf dich wartet oder die, die ihre Freundin monatelang anlügt, weil sie den Gedanken daran ihre Ex endgültig gehen zu lassen nicht erträgt. Ihr beide, ihr seid Gift für jeden, der den Fehler macht Gefühle für euch zu entwickeln! Und ich... ich bin es wirklich müde darauf zu warten, dass du dich endlich entscheidest wer von uns beiden die Richtige ist. Und vielleicht will ich es auch gar nicht mehr sein. Vielleicht, bin ich allein besser dran."

Sahra öffnete die Wohnungstür und wollte gerade hinausgehen, als sie von Linda festgehalten wurde. „Bitte geh nicht. Bitte geh nicht so", sagte diese mit tränennassem Gesicht. „Ich ertrage deine Nähe gerade wirklich nicht. Ich muss nachdenken und kann dich dabei echt nicht um mich haben", erwiderte Sahra kalt und riss sich los. Ohne ein weiteres Wort des Abschieds rauschte sie die Treppe hinab und schlug die Haustür hinter sich zu.

Draußen fiel noch immer Schneeregen. Sahra schloss die Augen und spürte wie die Tropfen und Flocken auf ihrem erhitzten Gesicht landeten. Warum passierte ihr das immer und immer wieder? Sie spürte wie eine altvertraute Hoffnungslosigkeit über sie hereinbrach und sich unter ihre Wut mischte. Hätte sie sich doch nur niemals auf diese Frau eingelassen! Wäre sie einfach zurück zu Oskar gegangen oder hätte sich jemand anderen gesucht. Was hätte sie sich alles erspart!

Gleichzeitig machte sich jedoch noch ein anderes Gefühl in ihr breit. Angst. Was tat diese jetzt? Würde sie Katja anrufen? Würde Suding noch heute Nacht auf ihrer Seite des Bettes liegen und Linda im Arm halten? Wären die beiden froh, dass es endlich raus war und sie nun einander gehörten? Oder nahm es Linda doch mehr mit? War sie zu hart zu ihr gewesen? Sahra schob die Gedanken beiseite und setzte sich langsam in Bewegung. Sie musste eine Bahn nach Berlin erwischen.

Oben in der Wohnung war Linda neben der Tür zusammengesunken. Diesmal hatte sie einen Fehler begangen, den man durch nichts mehr wiedergutmachen konnte. Von all ihren Beziehungen war die mit Sahra die glücklichste gewesen. Wie hatte sie das nur zerstören können? Und wofür? Für eine weitere Chance mit Katja? Für einen weiteren Anlauf, dessen Erfolg ihr niemand garantieren konnte? Zusammengekrümmt lag Linda schwer atmend hinter der Tür und dort lag sie auch am nächsten Morgen noch, als ihr Handy klingelte.

Irgendwo in BerlinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt