6 ◉ Tia ◉ Im selben Boot

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Der verflixte Rapper duftet erschreckend angenehm. Geradezu fantastisch. Bevor ich mir die nächste Blöße gebe und womöglich verzückt schnuppere, laufe ich hektisch weiter, um diesem unfairen Angriff auf meine Geruchsnerven schnellstens zu entfliehen.

Während er meine beiden Koffer holt und neben dem Bett abstellt, sehe ich mich mit großen Augen um.

Das Zimmer ist riesengroß und wunderschön, so wie diese ganze Villa. Auch wenn das Schlossambiente des Flurs gewöhnungsbedürftig ist – dieser Raum hier ist schlicht, hell und modern eingerichtet.

Was denkt er wohl, welche Ansprüche ich habe? Von allen Zimmern, in denen ich schon geschlafen habe, kann keines auch nur annähernd mit diesem mithalten.

Direkt gegenüber der Tür befinden sich zwei breite, doppelflüglige, bodentiefe Sprossenfenster, durch die man auf einen großen Balkon mit gläsernem Geländer gelangt, so dass man einen traumhaften Blick auf die Palmen und den parkähnlichen Garten hat.

Der Boden ist aus hellem Marmor, während die Wände in einem leichten Lavendelton gestrichen sind. Außer zwei gemütlich aussehenden, grauen Polstersesseln und dem riesigen Bett befinden sich nur eine Kommode und zwei Nachttische aus dunklem Holz im Zimmer.

»Hey, alles in Ordnung?«

Ich zucke erschrocken zusammen, als raue Finger meinen Arm berühren. Ganz kurz und leicht, als hätte ein Schmetterlingsflügel mich gestreift. Der Rapper steht direkt neben mir und hebt entschuldigend beide Hände, während er mich mit zusammengezogenen Brauen mustert. »Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken, du warst nur so weggetreten. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, ich sehe gefährlicher aus, als ich bin. Jedenfalls solange man mich nicht unnötig provoziert.«

Während seine Worte allein mich nicht wirklich beruhigen würden, ist es der scherzhafte Unterton bei diesem letzten Satz, der mir die Angst nimmt. Ein warmes Gefühl bildet sich in meinem Bauch. Er kann mich zumindest nicht abgrundtief hassen, wenn er mich so sanft anfasst und seine Stimme amüsiert klingt. Schnell wende ich mich ab, weil mir in diesem Augenblick wieder der seltsam betörende Duft seines Aftershaves in die Nase steigt.

Ich blinzle ein paar Mal und mir wird bewusst, dass ich eine ganze Weile lang regungslos dagestanden habe, während mein Blick an dem King Size Boxspringbett festhing. 

Oh Mann, ich habe mal wieder Löcher in die Luft gestarrt.

»Tut mir leid, ich war in Gedanken«, entschuldige ich mich leise. Ich bin wirklich völlig durch den Wind und vergesse all meine Manieren.

»Schon gut. Einfach eine verdammt blöde Situation. Für uns beide, oder?« Erstaunt über seine offene und ehrliche Bemerkung sehe ich ihm in die stechenden Augen.

»Stimmt. Du bist bestimmt auch nicht begeistert, eine völlig Fremde in deinem Haus einzuquartieren und den Leuten so ein mieses Theater vorzuspielen«, erwidere ich prompt. Spontane Antworten scheinen mir aus nicht nachvollziehbaren Gründen in seiner Gegenwart einfach so über die Lippen zu flutschen. Indem er so unerwartet positiv auf meine laut ausgesprochenen Gedanken reagiert, hat er offenbar mein Unterbewusstsein dazu ermutigt, sie völlig schamlos auszuplaudern. Dabei mag sie es gar nicht, wenn ich plappere.

Das muss wieder aufhören, denn damit handle ich mir nichts als Ärger ein.

Aber ich wollte ihn wissen lassen, dass ich ihn verstehe. Bisher habe ich ausschließlich mich selbst bedauert und mich gefragt, was ich verbrochen habe, um in so eine verzwickte, unangenehme Lage gekommen zu sein. Doch für ihn ist es nicht anders. Wie er über diese Scheinbeziehung denkt, hat er ja schon bei unserem Kennenlernen deutlich zum Ausdruck gebracht. Zum Glück habe ich wenigstens darauf bestanden, ihm eine Miete zu bezahlen, sonst würde ich mich gerade noch wesentlich unwohler fühlen.

»Hey, wir sitzen mehr oder weniger im selben Boot. Wir werden die Zeit schon irgendwie rumkriegen.« Er ringt sich wieder dieses gezwungene Lächeln ab. Das hat er wirklich überhaupt nicht gut drauf. Es sieht verkniffen aus und hat nichts mit dem ehrlichen Lachen zu tun, das er vorher kurz hören ließ. Das kann ja was werden mit unserer vorgespielten Liebe, wenn er ein derart schlechter Schauspieler ist. 

Ich nicke nur, während er mich weiterhin ansieht, als würde er auf eine Antwort warten. Mir fällt allerdings nichts ein, was ich noch sagen könnte. Das sieht der echten Tia schon wieder sehr viel ähnlicher. Zum Glück lässt meine Verwirrung so langsam nach. 

Als von mir nichts mehr kommt, wendet er sich ab und deutet auf zwei Türen links von mir. »Okay, du hast hier ein eigenes Bad und ein Ankleidezimmer. Meine Haushälterin Rosa ist jeden Tag hier. Wenn du möchtest, schicke ich sie dir nachher hoch, damit sie deine Sachen auspackt.«

Energisch schüttle ich den Kopf. »Nein danke. Das mache ich selbst.«

Er hebt seine Brauen und wirkt für einen Moment erstaunt. »Gut, wie du willst. Dann schlage ich vor, wir treffen uns in einer Stunde unten im Wohnzimmer. Ich schätze, wir sollten noch ein paar Details klären, damit wir uns gegenseitig nicht allzu sehr auf die Nerven fallen. Okay für dich?«

Ich nicke. Wieder durchbohrt mich sein erwartungsvoller Blick. Da ich keine Ahnung habe, was ich sonst noch dazu sagen könnte, bleibe ich stumm. Schließlich verlässt er mit einem »Gut, dann wohl bis später« das Zimmer.

Erleichtert darüber, seiner unmittelbaren Nähe für eine Weile entkommen zu sein, lasse ich mich auf das Bett sinken und nehme einen tiefen Atemzug. Die ganzen letzten Tage war ich unglaublich nervös und angespannt. Meine wenige Freizeit habe ich damit verbracht, mir für unser Treffen bildreich die verschiedensten Horrorszenarien auszumalen.

Okay, die meisten davon waren vielleicht etwas übertrieben. Etwa das, in dem er mich bei Wasser und Brot in einem Kellerverlies einsperrte, um mich nicht sehen zu müssen. Oder das, in dem er mir den Hals umgedreht und meine Leiche anschließend in seinem Vorgarten verscharrt hat. Das, in dem er ein paar Einrichtungsgegenstände zertrümmerte, weil ich ihm eine dumme Antwort gegeben habe, kam mir allerdings ziemlich realistisch vor.

Dass er nun doch umgänglicher zu sein scheint, als ich befürchtet habe, lässt mir so einige große Felsbrocken vom Herzen purzeln, die mich seit unserem ersten Treffen fast erdrückt hätten. Wenn ich ihm wie geplant einfach konsequent aus dem Weg gehe, wird meine Zeit hier vielleicht sogar einigermaßen erträglich.

Verflixter Rapper!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt