[Kai Havertz] Wer zuerst fällt

Kapitel 11

„Wird er schon nicht", sage ich, bin mir aber nicht sicher, ob ich es auch so meine. Wo ist der überhaupt?

„Wo ist der denn?", fragt auch Romina. Ich zucke mit den Schultern. Soll ich ihr sagen, dass da eben eine Dunkelhaarige ziemlich interessiert an ihm war? Immerhin hat auch er heute ein großartiges Spiel absolviert, wenn nicht die ganzen neunzig Minuten lang.

„Egal", sage ich, nehme noch einen Schluck Bier und gehe dann mit meinem ganzen gesammelten Mut den letzten Schritt auf Romina zu. Sie geht nicht zurück, das ist ein gutes Zeichen. Sie lächelt noch immer verlegen und ihre Grübchen bringen mich noch um den Verstand. Ihr Geruch nach Ananas und Kokos ist unvergleichlich.

„Du bist so-", stocke ich, weil mir einfach keine passende Beschreibung für sie einfällt. Fragend zieht sie ihre Augenbrauen nach oben.

„So was?", fragt sie. Aber ihr schiefes Grinsen verrät mir, dass sie ganz genau weiß, was ich meine.

„So... Du", sage ich. Mit der einen Hand halte noch immer das Bier, doch mit meiner anderen streiche ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. Ihre Haut zu berühren, lässt meinen ganzen Körper unter Strom stehen.

„Kai", sagt sie. Sie will mahnend klingen, doch meine Ohren hören nur meinen Namen, der aus ihrem Mund mit ihrer wunderschönen Stimme anders klingt, als sonst jemals zuvor. Ihre Augen fesseln mich noch immer, ihr Ausdruck wird verlegener. Sie lächelt mich wieder an. Scheiße, dieses Lächeln.

Dann beuge ich mich zu ihr herab und als ich ihre Lippen mit meinen berühre, ist sie es, die den Kuss sofort erwidert, ihren Arm um mich legt und mich näher an sich zieht. Meine Atmung setzt aus, mein Gehirn setzt aus, alles setzt bei mir aus. Noch nie in meinem Leben hat etwas so viel in mir ausgelöst, wie dieser Augenblick. Nicht mal Fußball.

„Ey!" Romina stößt mich von sich weg, gleichzeitig lasse ich von ihr ab.
Wir haben Kilians laute Stimme beide gehört. Er kommt gerade durch eine Traube an Feiernden auf uns zu, von seiner Dunkelhaarigen ist nichts zu sehen.

„Alter", Kilian zeigt auf Romina und mich, „habt ihr gerade rumgemacht?"
Romina boxt ihrem Bruder gegen die Schulter.
Wie gerne würde ich meinem besten Freund die Wahrheit sagen. Aber er ist mein bester Freund, er ist mein Partner auf dem Feld. Ohne ihn wäre ich jetzt nicht hier, hätte nicht diese Statistik, hätte nicht diesen Erfolg.
Romina und Kilian werfen sich einen gegenseitig wütenden Blick zu, bis Kilian nun mir in die Augen sieht. Seine türkise Iris sieht sogar im dunklen Clublicht bedrohlich aus.

„Nein, man, würde ich niemals tun", sage ich und hebe abwehrend meine Hände.
Kilian nickt mir anerkennend zu, was mich für einen Augenblick wirklich erleichtert. Doch erst als ich in Rominas weit aufgerissene Augen sehe, die mit einem Mal so viel Hass ausstrahlen, merke ich, was ich da grade für eine Scheiße geredet habe. 
Noch bevor ich reagieren kann, kippt sie mir ihrem Cocktail vor die Füße. Auf der Stelle dreht sich auf ihren Chucks um und stolziert zurück zu Leona, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen. Kilian starrt ihr genauso hinterher, wie ich es tue. Nur versteht er die Situation nicht.

Verdammte Scheiße, was hab ich getan? 

Romina steht mit ihrem Rücken zu mir. Ich starre schon die ganze Zeit auf meine Nummer, welche ihr eindeutig weniger bedeutet, als ich gedacht hätte. Sie hat mich schon seit Ende des Spiels nicht mehr angesehen. Wieso nicht?
Niclas sitzt entspannt neben mir auf dem Sofa, hat die Füße auf dem Tisch vor sich liegen. Er trinkt ein alkoholfreies Radler. Ich nicht, ich trinke echtes Bier, obwohl ich das nicht tun soll. Aber mich hat das Bedürfnis nach Alkohol übermannt und ich hoffe, dass mein Trainer das einfach nicht bemerkt.

„Heute war doch gut", sagt Niclas. Er versucht immer noch mich aufzuheitern. Ich habe wirklich Bock auf diese EM, selbst wenn ich das nicht ausstrahle. Das Turnier ist im Moment tatsächlich das einzige, was mich aufrecht hält. Ich nippe schulterzuckend an meinem Bier.
Nun kommt auch Joshua auf uns zu, auch er trägt sein pinkes Trikot noch. Irgendwie stehen uns die Auswärtstrikots ganz gut, ich mag sie.