Kapitel 6: Im Schatten des Feuers

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Die Nacht war hereingebrochen, und ein bedrückendes Schweigen legte sich über das Dorf Berk. Die letzten Tage waren von einer fast unerträglichen Anspannung geprägt gewesen. Die ständige Bedrohung durch die Drachen und die schwelende Angst hatten die Herzen der Bewohner verhärtet. Zorn und Verachtung kochten über, und die Abneigung gegenüber den geflügelten Kreaturen wuchs ins Unermessliche.

In der Mitte des Dorfes versammelten sich die Bewohner um ein loderndes Feuer. Die Flammen warfen flackernde Schatten auf ihre Gesichter, die finster und grimmig waren. Hicks stand etwas abseits, die Schultern gesenkt, während er den Stimmen lauschte, die lauter und aggressiver wurden.

„Diese Bestien haben uns nichts als Elend gebracht!" rief Rotzbacke, der sich als einer der lautstärksten Anführer des wütenden Mobs hervorgetan hatte. Seine breiten Schultern waren angespannt, und seine Stimme zitterte vor Wut. „Es reicht! Wir müssen sie ausrotten, bevor sie uns alle vernichten!"

Grobian, der Waffenmeister, der an Rotzbackes Seite stand, nickte zustimmend. „Die Drachen müssen vernichtet werden, das ist die einzige Lösung. Sie sind eine Plage, die uns das Leben zur Hölle macht. Jedes Mal, wenn wir versuchen, unsere Ernte einzubringen oder unsere Tiere zu schützen, sind diese Teufel zur Stelle, um alles zu zerstören."

„Und was ist mit den Drachen in der Arena?" fragte eine Stimme aus der Menge. Es war Astrid, die mit verschränkten Armen am Rand des Feuers stand. Ihre Augen funkelten, aber es war nicht nur Zorn, der in ihnen lag. Da war auch eine Spur von Zweifel. „Sind sie nicht auch ein Teil dieser Plage? Warum lassen wir sie nicht frei oder..."

„Frei lassen?" unterbrach sie Rotzbacke scharf. „Und dann was? Sollen sie zurückkommen und noch mehr Zerstörung anrichten? Nein, wir müssen uns um sie kümmern, und zwar jetzt!"

Ein Murmeln der Zustimmung ging durch die Menge, und Hicks spürte, wie sich seine Kehle zuschnürte. Er wusste, dass Rotzbacke die Worte aussprach, die viele in Berk dachten. Aber tief in seinem Inneren wusste er auch, dass diese Lösung nicht die richtige war. Er musste etwas tun, bevor es zu spät war.

„Rotzbacke hat recht," fügte Grobian hinzu und zog sein Schwert, dessen Klinge im Licht der Flammen aufblitzte. „Die Drachen in der Arena sollten nicht verschont werden. Sie sind genauso gefährlich wie die wilden. Wir dürfen ihnen keine Gnade gewähren."

Astrid senkte den Blick, als ob sie in Gedanken versunken wäre. Sie hatte das gleiche Gefühl wie Hicks, eine innere Unruhe, die sie nicht loslassen konnte. Aber im Gegensatz zu Hicks war sie nicht bereit, offen dagegen zu sprechen. Noch nicht.

Hicks trat einen Schritt vor, zögernd, aber entschlossen genug, um die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen. „Vielleicht... vielleicht gibt es einen anderen Weg," begann er, seine Stimme leise, aber fest. „Wir könnten versuchen, die Drachen zu verstehen, anstatt sie einfach nur zu vernichten."

Die Reaktion war unmittelbar und heftig. Gelächter, Spott und wütende Rufe schallten ihm entgegen.

„Verstehen?" rief Rotzbacke spöttisch. „Hicks, das ist nicht der Moment für deine Träumereien. Diese Monster verdienen kein Mitgefühl!"

„Vielleicht sollten wir ihm zuhören," sagte Astrid plötzlich und trat näher an Hicks heran. Ihre Worte brachten die Menge zum Schweigen, zumindest für einen Moment. „Hicks hat in der Vergangenheit oft gezeigt, dass er Dinge anders sieht. Vielleicht sollten wir uns anhören, was er zu sagen hat."

„Es gibt nichts mehr zu sagen!" rief Rotzbacke, seine Stimme bebte vor Zorn. „Diese Drachen sind eine Bedrohung, und wir müssen sie vernichten, bevor sie uns alle vernichten!"

Hicks spürte, wie ihm die Kontrolle entglitt. Er musste handeln, und zwar schnell, bevor die Situation eskalierte. „Ich verstehe, was ihr alle fühlt," sagte er ruhig, „aber wir sollten uns fragen, ob es nicht einen besseren Weg gibt. Die Drachen... sie sind nicht nur wilde Tiere. Vielleicht können wir einen Weg finden, in Frieden mit ihnen zu leben."

Die Menge war nun gespalten. Einige nickten langsam, als ob sie über Hicks' Worte nachdachten, während andere ihre Missbilligung deutlich zeigten. Rotzbacke und Grobian gehörten eindeutig zur zweiten Gruppe.

„Du bist verrückt, Hicks," sagte Rotzbacke, seine Stimme nun gefährlich leise. „Wenn wir jetzt nicht handeln, werden wir es später bereuen."

Hicks sah ihm fest in die Augen, dann blickte er in die Runde. „Ich werde nicht zulassen, dass wir diese Drachen einfach abschlachten. Nicht, solange ich eine andere Möglichkeit sehe."

„Und was wirst du tun?" fragte Grobian herausfordernd. „Wirst du uns aufhalten? Allein?"

Hicks schwieg einen Moment, bevor er die Worte sprach, die er selbst kaum glauben konnte. „Ja, wenn es sein muss."

Die Menge starrte ihn an, als ob er den Verstand verloren hätte. Astrid stand neben ihm, ihre Miene ernst, aber ihre Augen zeigten eine Mischung aus Respekt und Sorge. Sie wusste, dass Hicks das meinte, was er sagte, und das machte die Situation nur noch gefährlicher.

„Hicks, du bist allein," sagte Rotzbacke langsam, als ob er versuchte, ihm die Absurdität seiner Worte klarzumachen. „Du kannst uns nicht alle aufhalten."

„Vielleicht nicht," antwortete Hicks leise, „aber ich werde es trotzdem versuchen."

Es war ein Moment der völligen Stille, bevor die Menge in eine Kakophonie aus Stimmen ausbrach. Die Dorfbewohner waren gespalten, und die Spannung erreichte ihren Höhepunkt. Hicks wusste, dass er nicht länger warten konnte. Die Drachen in der Arena mussten gerettet werden, und zwar sofort.

„Astrid, ich brauche deine Hilfe," sagte Hicks entschlossen, während er sie fest ansah.

Astrid zögerte kurz, bevor sie nickte. „Was hast du vor, Hicks?"

„Ich werde die Drachen aus der Arena befreien," sagte er schlicht. „Und ich brauche jemanden, der mir dabei hilft, sie in Sicherheit zu bringen."

Astrid sah ihn für einen langen Moment an, als ob sie abwägte, was sie tun sollte. Schließlich nickte sie erneut, entschlossener diesmal. „Ich bin bei dir, Hicks."

„Das ist Wahnsinn," murmelte Rotzbacke kopfschüttelnd, aber er trat nicht näher. „Ihr werdet euch damit nur Ärger einhandeln."

„Vielleicht," sagte Hicks ruhig, „aber das Risiko ist es wert."

Gemeinsam machten sich Hicks und Astrid auf den Weg zur Arena, die am Rand des Dorfes lag. Die Nacht war still, nur das Rauschen des Meeres war zu hören, als sie sich dem großen, hölzernen Bauwerk näherten. Das Tor war geschlossen, und die Wachen, die normalerweise dort standen, waren anscheinend von dem Tumult im Dorf abgelenkt worden.

„Hier sind wir," sagte Hicks leise, während sie vor dem Tor standen. „Jetzt gibt es kein Zurück mehr."

Astrid nickte. „Wie sollen wir das Tor öffnen?"

„Ich habe einen Schlüssel," sagte Hicks und zog einen großen, rostigen Schlüssel aus seiner Tasche. „Mein Vater hat ihn mir gegeben, falls ich je einen Drachen für das Training freilassen müsste."

Astrid sah ihn überrascht an. „Dann lass uns das tun."

Mit zittrigen Händen steckte Hicks den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn langsam. Ein leises Klicken ertönte, und das schwere Tor schwang knarrend auf. Vor ihnen lag die Arena, in der mehrere Drachen in Käfigen eingesperrt waren. Ihre Augen funkelten im Dunkeln, und ihre Flügel raschelten unruhig, als sie die Ankunft der beiden Menschen bemerkten.

„Wir müssen sie schnell befreien, bevor jemand uns bemerkt," sagte Astrid und zog ein Messer, bereit, die Fesseln der Drachen zu durchtrennen.

Gemeinsam arbeiteten sie hastig, während das Heulen des Windes und das leise Knurren der Drachen die einzige Geräuschkulisse bildeten. Einer nach dem anderen wurden die Käfige geöffnet, und die Drachen, die anfangs noch zögerlich waren, nutzten die Gelegenheit zur Flucht.

Hicks beobachtete sie mit gemischten Gefühlen. Einerseits war er erleichtert, dass die Drachen entkommen konnten, andererseits wusste er, dass dies nicht das Ende ihrer Probleme war. Die Bewohner von Berk würden diese Befreiung nicht unbeantwortet lassen.

Als der letzte Drache, ein mächtiger Gronckel, in die Nacht davonflog, wusste Hicks, dass dies der Beginn einer neuen Ära war. Eine Ära, in der er möglicherweise gegen sein eigenes Volk kämpfen musste, um das zu schützen, woran er glaubte.

Er hatte den ersten Schritt getan, aber der Weg vor ihm war noch lang und voller Gefahren.

Hicks und der Schatten der FreiheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt