Tatsächlich waren das „meine neuen Freunde" Er hatte mich natürlich nur als Vorwand benutzt um sich von der Party loszueisen können und sich mit seinen Freunden zu treffen. Als ich das anmerkte, breitete er grinsend die Arme aus und verkündete: „Meine Freunde sind auch deine Freunde!" Die hatten das natürlich gehört und lachten mit.

Vor mir im Sand sassen zwei Jungen und ein blondes Mädchen. So richtig barbiemässig sah die aber nicht aus. Sie hatte wilde Locken und war sehr...üppig. Die zwei anderen sahen aus wie Zwillinge. Sie hatten beide dunkelbraune Haare und hatten ähnliche Züge. „Viola, darf ich dir deine neuen Freunde hier vorstellen? Die blonde Schönheit ist Cordelia und ein wahrer Schatz" Das Mädchen errötete beschämt und die zwei Jungen grölten. „Die zwei Blödmänner sind Marco und Giuliano", fuhr er grinsend fort. Einer der zwei rappelte sich auf und reichte mir die Hand. Ich wollte sie schütteln, doch er nahm sie drückte mir einen Kuss auf die Hand. „Meine Dame, lasst mich mit eurer Bekanntschaft beehren", erklärte er sich ernst und sah mir tief in die Augen. Verwirrt glotzte ich ihn an. Der Moment der Ernsthaftigkeit war verflogen und er lag gackernd auf dem Boden. Der andere erhob sich stattdessen und kopfschüttelnd: „Das war Marco, unser Spassvogel. Du solltest ihn nicht zu ernst nehmen." „Und du bist Giuliano, sein Bruder", schlussfolgerte ich. Gabriele, der sich zu Cordelia gesellt hatte, verschluckte sich fast an seinem Bier. „Der erste Teil stimmt. Aber wir sind nicht verwandt", rief Marco mir vom Boden her zu. „Viola kann noch kaum Italienisch, überfordert sie nicht zu sehr", warf Gabriele dazwischen. Ich wollte gerade widersprechen als er mich eindringlich ansah. Das war meine Chance die Sprache noch einmal richtig zu lernen. So musste ich nicht so tun, als könnte ich gut reden. Raffinertes Kerlchen. Aufmunternd sah mich Cordelia an und die zwei nicht-Zwillinge musterten mich. Ich fühlte mich etwas unwohl in meiner Haut, doch Gabriele lenkte sie zum Glück schnell ab. Er kickte Marco einen Ball an den Kopf, der immer noch herumlag und rannte lachend weg. Denn der Getroffenen rappelte sich entrüstet auf um es ihm zurückzuzahlen.

Abwartend stand er in der Dunkelheit. Seine Silhouette kaum zu erkennen. Marco nahm den Ball in die Hände und versuchte ihn zu treffen. „He! Das zählt nicht! Das ist Hands!", rief Gabriele und parierte das Geschoss mit den Füssen ab.

„So ist das immer", seufzte Cordelia unvermittelt. Giuliano gesellte sich zu den Jungs und bildete mit ihnen ein Dreieck. „Am Ende spielen sie immer Ball. Fussball, Volleyball... Wenn sie könnten würden sie hier noch auf dem Sand Basketball spielen!"

Ich lachte verhalten und sah verträumt aufs Meer. Mehr brauchte ich momentan nicht, so nett Cordelia auch war. Ich hörte das Rauschen der Wellen und war beseelt von glücklichen Erinnerungen.

Gabriele und seine Bande waren ganz in Ordnung. Ich konnte mit ihnen gut lachen, vor allem, wenn Marco wieder völlig danebenschoss.

Cordelia erwies sich als tatsächlicher Schatz, denn sie war wie selbstverständlich neben mich gerückt und hatte sich angenehm langsam mit mir über alle möglichen Themen unterhalten. Aus Giulianos Kühltruhe hatte ich mir einen Eistee geholt und lauschte ihrer Stimme. Cordelia war keineswegs den Jungs unterlegen, sie schien sogar eine Anführer Position in der Clique innezuhaben. Sie rief immer mal wieder spöttische Sprüche, die die Jungs mit einem Lachen oder einem Spruch ihrerseits quittierten.

Auch bemerkte ich die bewundernden Blicke von Giuliano auf sie, wenn sie den Blick abgewandt hatte.

Verträumt sah ich aufs Meer hinaus. Wann würde ich mich verlieben und einen Freund haben? Wann werde ich zum ersten Mal geküsst? Wann würde mir mein Traumprinz begegnen? Das dunkle Meer hatte keine Antwort parat, so sah ich einfach in die endlosen Weiten des Wassers. Ich verfolgte den charakteristischen Bogen der Bucht von Trapani und versuchte „meinen" Teil vom Strand auszumachen, aber in der Dunkelheit schien mir alles gleich. Es konnte auch sein, dass wir an einem völlig anderen Strand waren. So genau hatte ich das auf dem Bike nicht mitbekommen. Ich war zu beschäftigt gewesen mich angsterfüllt an Gabriele zu klammern und gleichzeitig vor Freude fast zu explodieren. Als ich so die Gegend musterte, bemerkte ich den Schein einer Taschenlampe an einem verlassenen Gebäude, unter dem nur ein steiler Abhang mit Steinen ins Meer ging, herumtanzen. Sicher zwei Personen machten sich an dem Gatter oder so dort zu schaffen. Kurz darauf kam ein Lieferwagen dort angefahren und lud irgendwas ab. Die zwei Gestalten schleiften die Fracht zum Abhang, einer kleinen Klippe eigentlich, zum Meer. Interessiert beobachtete ich sie. Das Gebäude war recht klobig und hatte zur Seite zum Abhang gewandt auch eine Öffnung, durch die diese Typen, die zuvor angelieferte Fracht, ins Meer warfen. Ungläubig betrachtete ich sie, wie sie einfach immer mehr Kisten und Säcke hinauswarfen. Ich machte Gabriele verwirrt auf Deutsch darauf aufmerksam. Er starrte mit zusammengekniffenen Augen zu der Stelle mit der ich mit meinem Finger zeigte. „Ich kann nichts erkennen" Die anderen sahen uns neugierig an, weil sie ja kein Wort Deutsch verstanden. „Was hat sie gesagt? Was will sie dir zeigen? «, fragte Cordelia ihn. „Sie sagt, dort werfen Leute ihren Müll ins Meer" „Was? Ich seh' nichts", mischte sich Giuliano auch noch ein. „Wahrscheinlich bildet sie sich das nur ein. Von dem was man über die Mafia sagt, sieht sie die bestimmt hinter jeder Ecke", witzelte Marco. Aufgebracht sah ich sie an. „Aber sie werfen dort wirklich was ins Meer!" „Wie willst du das in dieser Dunkelheit erkennen?", erwiderte Marco. „Denkst du die Mafia, falls sie es tatsächlich wäre, dass an einem Ort tun würde, wo sie ja jeder sehen könnte?", bekräftigte Giuliano ihn. Eingeschnappt drehte ich mich wieder dem Feuer zu und starrte ausschliesslich dort hin, auch wenn es sich in meine Netzhäute einbrannte. „Seid nicht so gemein zu ihr. Ich habe ihr versprochen, dass sie hier neue Freunde kennenlernen wird. Nur weil sie etwas Verdächtiges gesehen hat, müsst ihr sie deswegen nicht gleich aufziehen! Sie hat ja nie gesagt, dass es die Mafia ist. Kann schon sein, dass ein paar Leute ihren Müll einfach ins Meer schmeissen", verteidigte mich Gabriele, doch ich verlor kein Wort mehr darüber und blieb den Rest der Nacht einsilbig gegenüber den Zwillingen.

Irgendwann, meiner Schätzung nach fünf Uhr morgens, brachte Gabriele mich mit seinem Bike zur Wohnung meiner Nonni. Er winkte mir noch und dann ratterte er davon.

Ratlos stand ich vor der verschlossenen Tür. Ich wollte meine Nonni ja nicht aus dem Bett klingeln und ich bezweifelte, dass noch jemand oder schon wach war. Es war ja schliesslich noch dunkel. Müde lehnte ich mich an die Tür und stolperte überrascht ins Treppenhaus. Sie hatten mir die Tür aufgelassen. Dankbar lief ich die Stufen in den fünften Stock und schlich, durch die ebenfalls angelehnte, Wohnungstür.

Wie am Tag meiner Ankunft sparte ich mir eine aufwendige Abendtoilette und liess mich wenig später ins alte Gästebett fallen. Gedanken über die illegalen Müllentsorger hatte ich mir keine mehr gemacht.

Ein Sommer in der HeimatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt