Kapitel Zwölf

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Glücklicherweise betraten kurz drauf diverse Menschen das Café und auch wenn ein Großteil bloß Getränke oder Muffins zum Mitnehmen bestellte, lenkte es Marlene zumindest von den beiden Personen ab, die noch immer an dem kleinen Tisch weiter hinten saßen.

Kurz vor neun Uhr verließen Harry und Debbie den Laden und Marlene sah ihnen nicht nach, wirklich nicht. Ein kleines bisschen vielleicht. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, ob sie überhaupt etwas erwartet hatte. Wahrscheinlich nicht. Kopfschüttelnd räumte sie den Tisch der beiden ab, wischte über die Holzfläche und ignorierte den Gedanken, dass dies mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich das letzte Mal gewesen ist, dass sie den Vater ihrer Tochter gesehen hatte. Denn, mal realistisch betrachtet, wie viele dieser Zufälle würde es wohl noch geben? Sie wollte nicht wieder und wieder darüber nachdenken, über Harry und Mia und alles, was zwischen den beiden nicht richtig war und alles, was anders hätte laufen sollen. Irgendwann musste sie damit abschließen.

Sie war gerade dabei, Harrys Stuhl zurecht zu rücken, als ihr eine weitere Serviette auf der Sitzfläche auffiel. Sie wirkte unberührt, glatt und Marlene wollte sie schulterzuckend wegschmeißen, doch dann sah sie etwas schwarzes auf der Rückseite aufblitzen und schaute erstaunt genauer hin.

In runder, gut lesbarer Schrift war darauf geschrieben:

Du hättest mein Autogramm nicht so hasserfüllt zerreißen müssen, Marlene! 

Es war schön dich zu sehen. ;)

Harry

Wie versteinert stand Marlene an Ort und Stelle und blickte ununterbrochen auf die schwarzen Buchstaben, die mit der Zeit begannen vor ihren Augen zu verschwimmen. Was zur Hölle? Was meinte er mit diesen Worten? Und was sollte der blöde, zwinkernde Smiley? Wollte Harry sie verarschen? Er hatte ihr die ganze Zeit über kaum einen Blick gewürdigt, sie immer nur angesehen, als würde er das Leid der Welt auf seinen Schultern tragen. Und jetzt diese Nachricht? Fand er das vielleicht witzig? Stand er mit der blöden Debbie hinter der nächsten Ecke und machte sich lustig über sie?

Erst als sich die Tür des Cafés klingelnd öffnete und Tabea ihr ein fröhliches „Guten Morgen“ zurief, erwachte Marlene aus ihrer Starre und setzte sich wieder in Bewegung. Sie stopfte die Serviette mit Harrys verwirrender Nachricht in die hintere Tasche ihrer Jeans und kehrte zurück zur Front des Ladens, wo Tabea sie sofort in ein Gespräch verwickelte.

Der Rest des Tages verging wie im Flug und Marlene dachte nicht mehr an die Notiz bis sie am Abend zu Hause auf ihrem Sofa saß, Mia friedlich im Zimmer nebenan schlief und sie in ihrem kleinen Kastenfernseher die Nachrichten schaute. Während ein Rückblick auf die Promiskandale und Verdienste des Tages fiel, wurde natürlich, wie so oft in den letzten Jahren, One Direction erwähnt, die am Wochenende einen Preis für was-auch-immer erhalten hatten.

Sie zog die Serviette, mittlerweile zerknittert, aus der Hosentasche und bewunderte sich selbst für einen Augenblick: sie war doch irgendwie gut im Verdrängen.

„Harry Styles, du Bastard“, murmelte sie zu sich selbst und setzte an, auch diese Serviette zu zerreißen und danach die Schnipsel in Flammen aufgehen zu lassen, überlegte es sich im letzten Moment jedoch anders.

Irgendwann in der Zukunft wäre dies die eine Sache, die sie von Harry besitzen würde. Eine Sache, die sie Mia von ihrem Dad geben konnte. Es war nicht viel, nicht einmal besonders ausdrucksstark - nur eine blöde Serviette mit dem Logo des Cafés und siebzehn frechen Worten, geschrieben in Harry Styles‘ feinsäuberlichen Schrift - aber vielleicht würde es Mia irgendetwas bedeuten. Oder Marlene war einfach nur sentimental und überemotional und melancholisch und dachte über idiotische Dinge nach.

here is the deepest secret nobody knows [One Direction / Harry Styles]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt