»Ach bitte desinfizieren sie sich ihre wunderbar musikalischen Hände. Das benutzen des Desinfektionsmittels vor Betreten des Hauses ist obligatorisch«. Sie zeigt auf einen Kasten im Eingang. Brav halte ich meine Hände unter eine Öffnung und reibe anschließend das übel riechende Zeug in meinen Händen. Sie werden es wohl so abgesprochen haben, dass die Reporter nicht merken, dass ich hier selbst noch Patient bin. Extra für diese kleine Rundführung, sollte ich mich stilvoll kleiden, obwohl mein Ziel der letzten Stunden auf bequem lag.

Während die Reporterin ununterbrochen Fragen stellt, spazieren wir einen langen Flur entlang. Erleichtert bemerke ich wenig später, dass mein Stiefvater verschwunden ist. Alle paar Meter hängen Bilder, Fotos oder Zeichnungen von Kindern an der Wand. Stillschweigend mustere ich sie und hoffe, dass mir erst einmal Fragen erspart werden und die Reporterin ihre Konzentration auf Nicole nicht Kidman- Keiser legt, die fasziniert von so viel nur ihr gewidmeter Aufmerksamkeit nur so vor Information sprudelt. Vor dem Raum den wir betreten werden, hängt eine gewaltige goldene Glocke. Fragend schaue ich sie an. »Das ist unsere Sieger Glocke. Alle Kinder die ihre Krankheit besiegt haben, klingeln hier, damit es jeder weiß. Wie bei einem Boxkampf«. Ich bestaune die große alte Glocke aus Messing. Ich finde dieses symbolische betätigen der Glocke sehr bewundernswert. Es macht mich aber zugleich traurig, wie viele kleine Kämpfer tagtäglich hier her laufen oder auch geschoben werden, mit dem einen Ziel, sie irgendwann einmal selbst zu klingeln. Ich spüre wie sich meine Haare auf den Armen aufstellen und sofort läuft mir ein Schauder über den Rücken.

»Ihr Stiefvater erzählte mir, sie würden schon heute mit einigen Kindern reden wollen, dass finde ich Klasse!«, sagt die Reporterin und zeigt ihre gelben Zähne. Mir fällt auf, dass sie bisher nicht einmal selbst aufgenommen wurde, lediglich hinter dem kleinen Mann mit der Kamera steht und von dort aus Fragen über Fragen stellt. Wäre Andrew hier und könnten Blicke töten, wäre er vermutlich gestorben. Ich unterdrücke ein tiefes Seufzen und nicke nur mit einem aufgesetzten Lächeln. Ich überlege einen Moment, wie ich antworte und kratze mich am Kopf. »Ich würde liebend gerne, mit einigen reden«. Mein Stiefvater hätte bei dieser Antwort enttäuscht mit dem Kopf geschüttelt. Aber eigentlich weiß jeder, dass ich nicht gerade der Small Talk Fähigste aus unserer Band bin.

Nicole öffnet die Tür und 5 Kinder schauen mich mit strahlenden Augen an. Ich bekomme eine Gänsehaut. Ein kleines Mädchen, beide Arme in einem Gips, kommt auf mich zu und fragt ob sie mich umarmen darf. Mir wird sofort warm um mein Herz und ich beuge mich zu ihr herunter, sodass sie mich einen Moment umarmen kann.

Unsicher, wie ich jetzt weiter fortfahren soll, hebe ich die Hand und begrüße alle. Mit etwas wackeligen Beinen stehe ich in der Mitte des Raumes. Es werden einige Fotos von mir gemacht.

Zum Glück nimmt Nicole- nicht Kidman, das Zepter in die Hand und erzählt von einigen Schicksalsschlägen der Kinder. Eigentlich mehr zu den Kameras. Im Inneren arbeite ich daran nicht einzuknicken und weiter selbstbewusst in die Menge zu lächeln.

Dann dürfen mich die Kleinen etwas fragen. Es sind ganz niedliche und ungezwungene Fragen. Ob ich morgens lieber Toast esse oder Müsli. Ich setze mich neben einem kleinen Jungen, der sich selber Spidermark nennt. »Meine Mutter macht morgens immer für uns Rührei oder Pancakes. Aber wenn wir spät dran sind, esse ich gerne Müsli«. Mein Puls sinkt, langsam gewöhne ich mich an die Atmosphäre und es fällt mir leicht mit ihnen ein Gespräch zu finden, wo ich mich eigentlich immer sehr schwer tu. Dabei versuche ich nicht, die Kinder genau anzusehen, sondern konzentriere mich genau auf meine durchdachten Antworten. Schmerzlich gesagt, ist es wie wenn man ins Tierheim geht, die treuen Augen schauen dich traurig an. Dein Herz bricht und du willst sie am liebsten alle mit nach Hause nehmen. Nur merkst du dann, dass dein größter Bruder Daniel eine Tierhaarallergie hat. Hier ist es so, dass einige ziemlich schlimme Schicksalsschläge erlitten haben. Der Junge neben mir, Spidermark, hat bei einem Unfall beide Eltern verloren. Er hatte Glück im Unglück. Bewundernd beobachte ich seine Reaktionen und bemerke, wie Erwachsen er sich verhält und versucht nicht zu weinen, als Nicole ihn vor der Kamera auf seine Mutter anspricht.

Etwa eine Stunde lang unterhalten mich die Kleinen. Ein Mädchen, die vermutlich Krebs hat, fängt vor mir an zu singen und meint lachend, wenn wir in einigen Jahren noch eine weibliche Stimme bräuchten, könnten wir uns melden. Ich bekomme eine Gänsehaut von ihrem unschuldigen süßen Gesang, dass ich etwas frage, dass mich selbst überrascht. »Würdest du mit mir singen?«, frage ich das kleine Mädchen und ihre Augen fangen an zu strahlen. Vorsichtig nickt sie und alle um uns herum fangen an wie wild zu klatschen. Nicole bringt uns eine verstimmte Gitarre und nach wenigen Minuten einstellen, beginne ich ein bekanntes Lied von uns zu spielen. Rasch wird es in dem kleinen Zimmer still und alle kleinen Augenpaare sind auf uns beiden gerichtet. Ich muss mich beherrschen nicht sofort emotional zu werden, als das Mädchen nach der Hälfte sich erschöpft wieder hinsetzt und tief durchatmet. Ich schaue zu einer Ärztin, aber sie nickt mir nur aufmunternd zu. Das letzte Eis ist getaut und nun fangen auch die letzten Kinder an zu lachen oder mitzusingen. Zwischendurch erwische ich mich, wie ich grinse. Einmal meine ich, sogar herzhaft gelacht zu haben, als zwei Jungs wild mittanzen. Alle, die sich trauen, neben mich zu stellen, machen mit mir ein Foto. Die Zeit vergeht im Flug. Einige Kinder verlassen den Raum, weil sie erschöpft sind. Nur zwei möchten mir ihre Kunst und Aufenthaltsräume zeigen. Der eine, Phil, ist 13 Jahre und wartet auf Knochenmark, er hat eine seltene Autoimmunkrankheit, so sagt er mir. Die andere ist 16 Jahre und heißt Cleo, sie wollte mir aber nicht verraten, an was sie leidet, beziehungsweise weshalb sie hier ist. Aber dafür lächelt sie mich durchgehend an. Zuerst zeigen sie mir aufgeregt die Aufenthaltsräume, Phil erzählt mir Geschichten die dort schon passiert sind und lädt mich auf eine Partie Billard ein. Zum Leid aller, besonders der Fotografen die uns auf Schritt und Tritt verfolgen, lehne ich mit der Begründung ab, ich hätte es noch nie gespielt. Aber für Phil ist es kein Problem und er lässt sich darauf ein, dass ich ihn irgendwann noch einmal besuche und ich in der Zeit üben werde. »Einige Sachen sind hier sehr obsolet. Aber wir sind sehr beflissen, sobald es uns möglich ist, mehr Sachen zu kaufen, damit die Kinder aus dem desolaten Alltag flüchten können«. Wieder spricht Nicole eher zu den Kameras. Da ich sowieso nicht weiß, was sie mir damit sagen möchte, antworte ich ihr nicht, sondern nicke nur wissend. Als ich aber den letzten Raum betrete, verstehe ich was sie mir damit sagen wollte. Der dunkle stickige Keller ist in einem katastrophalen Zustand. Laut Nicole ist er der Kunstraum und soll die kleinen von ihren Krankheiten und dem eintönigen Krankenhausalltag ablenken. Aber alles was dieser schäbige Raum in mir auslöst, ist ein bedrücktes trauriges Gefühl. Es ähnelt einem gruseligen Keller, nur ohne Spinnen. Es gibt haufenweise Pinsel und Farben, aber alle an- oder ausgetrocknet.

Die Leinwände werden meistens wieder mit weißer Farbe über gemalt und wieder verwendet, weil Neue zu teuer sind. Mit offenem Mund bestaune ich im negativen Sinne, den ganzen Stolz des Krankenhauses. Das kann nicht deren Ernst sein. Schockiert schaue ich mir den Rest des Raumes an und erkenne erst spät, dass wir gar nicht alleine sind. Hinter dem großen mit Müll vollgestopften Metallschrank, sitzt ein schmales Mädchen und lehnt an der kalten Wand. »Liv was tust du denn wieder hier?«, fragt Nicole vorsichtig und versucht das braunhaarige Mädchen unsanft hoch zu zerren. Scheu blickt das Mädchen wieder auf den Boden und springt zur anderen Ecke. Gefühlslos starrt sie mich an. Ich denke sie schockiert mich zu sehen, denn immerhin hängen wir in so gut wie jedem Mädchenzimmer. Ich bin es mittlerweile gewohnt, dass Mädchen bei unserem Anblick nervös oder aufgeregt umkippen, oder gar nicht erst ein Wort herausbekommen. Ich versuche zu lächeln und schaue in ihre traurigen grünen Augen. Wie automatisch tragen mich meine Beine ein Schritt weiter zu ihr und ich lege einen Hand auf ihre Schulter. »Ist alles gut bei dir?«. Plötzlich reißt sie ihre Augen auf und weicht zurück. Schockiert schaue ich ihr hinterher, wie sie schreiend, wie vor Furcht aus dem Zimmer rennt. Baff und ein wenig gekränkt schaue ich noch immer starr zu Tür und lehne mich an die Wand. Der Kameramann schaltet das Gerät einen Moment aus und bespricht sich mit der Reporterin, ob er diese Situation später löschen soll. Ich spüre ein seltsames Gefühl im Bauch und überlege, aus welchem Grund sie sich hierher verzogen hat.

You've reached the end of published parts.

⏰ Last updated: Jan 25, 2017 ⏰

Add this story to your Library to get notified about new parts!

GefühlsdämonWhere stories live. Discover now