Wir packten unsere Sachen zusammen und wollten gerade in die Pause verschwinden, da rief Mrs Rumsey mich zurück. "Ms Gilligan? Kann ich nochmal mit Ihnen reden?" Ihr Ausdruck war unergründlich.
   Entschuldigend sah ich Dean an, der verständnisvoll nickte und wie alle anderen aus dem Raum verschwand, während ich mich widerwillig umdrehte und zum Lehrerpult ging.
  "Ja, Mrs Rumsey?"
   "Ms Gilligan, Sie machen mich verrückt", fing sie an und seufzte tief. "Was ist nur los mit Ihnen? Sie sind so oft abwesend, dass ich mich fragen muss, ob sie nachts überhaupt schlafen."
   "Es geht mir gut, wirklich. Sie brauchen sich da nicht um mich zu sorgen", versuchte ich sie zu beruhigen.
   "Ihr Verhalten und die Augenringe sagen mir aber etwas anderes." Sie beugte sich vor, stützte sich auf dem Pult ab und legte einen Gesichtsausdruck auf, der tatsächlich besorgt wirkte. "Wenn Sie Probleme haben, dann sollten Sie darüber reden..."
   "Aber ich habe keine Probleme", fiel ich ihr ins Wort.
   "Es gibt Pädagogen, Vertrauenslehrer, auch jeder andere Lehrer hört Ihnen zu, wenn Sie etwas zu sagen haben."
   "Und wenn ich nichts zu sagen habe?", erwiderte ich etwas zu schroff, was mir sofort ein schlechtes Gewissen lieferte. "Entschuldigung, ich weiß, dass Sie mir nur helfen wollen. Ich habe nur keine Probleme, ich konnte nur schlecht schlafen in der letzten Zeit, mehr nicht."
   "Na gut, dann will ich Sie mal in Ruhe lassen. Wissen Sie denn, wieso Sie so schlecht schlafen können?"
   Ich überlegte kurz. Seit einigen Wochen hatte ich mehr Albträume als sonst, aber die sind generell keine Seltenheit. Mittlerweile bin ich daran gewöhnt nachts schweißgebadet aufzuwachen. Deshalb konnte es daran nicht liegen, abgesehen davon, dass ich das dem Teufel nicht erzählt hätte. Nur woran lag es dann?
   "Die Klausurenphase steht bald an, und ich muss noch viel lernen. Das ist ziemlich stressig", antwortete ich stattdessen. Daran wird es liegen.
   "Ja, das klingt logisch. Ich denke, dass Sie sich da zu viele Gedanken machen. Sie schaffen das schon." So aufmunternde Worte kannte ich gar nicht von ihr. Jetzt hatte sie ihre Antwort und konnte ihren Rat loswerden. Und ich bin sie los. "Gut, dann entlasse ich Sie in die Pause."
   Schnellen Schrittes lief ich aus dem Raum und schloss die Tür, bevor Mrs Rumsey doch noch weiter mit mir reden wollte.

   Ich atmete tief durch und machte mich auf den Weg zum Spind, um meine Bücher dort zu verstauen und Dean zu sehen. Mit ausgefahrenen Ellenbogen und ausgefeilten Ausweichkünsten schlängelte ich mich durch den Gang.
   "Da bist du ja", begrüßte Dean mich. "Was wollte der Teufel denn von dir?"
   "Sie wollte wissen, warum ich so müde bin", sagte ich und rollte mit den Augen.
   "Nun ja, also Gedanken darüber habe ich mir auch gemacht..."
   Dean erntete dafür einen Faustschlag auf den Oberarm. "Es geht mir gut, ich schlafe nur schlecht, Ende. Da brauchst du auch gar nicht so zu gucken." Er zog misstrauisch eine Augenbraue in die Höhe.
   "Aber...", versuchte er es erneut.
   "Nein, nichts 'aber'. Es geht mir super. Vielleicht gab es den ein oder anderen Albtraum mehr in letzter Zeit, doch es sind ja schließlich nur Träume. Was sollen die mir schon anhaben?", unterbrach ich ihn sofort.
   "Da muss ich mich wohl geschlagen geben."
   "Besser so." Breit grinsten wir uns an.
   "Hast du Lust auf schlechtes Essen aus der Cafeteria?"
   "Warum nicht", antwortete ich nach einem Moment Bedenkzeit. Somit machten wir uns auf den Weg.
   Doch kaum bogen wir um die Ecke, schon stand das nächste Problem vor uns.
   "Kannst du nicht aufpassen?", meckerte Michael mich an. Seine aufgepumpten Arme zeichneten sich unter der Sweatjacke unserer Footballmannschaft ab. Er war zwar unser Quarterback, ein ziemlich guter sogar, aber er fand sich trotzdem etwas zu toll.
   "Das könnte ich dich auch fragen", entgegnete ich nüchtern und verschränkte die Arme vor der Brust. Sowas ließ ich mir nicht gefallen.
   "Geh aus dem Weg", befahl er mir, aber ich blieb stur stehen und starrte ihn mit ernster Miene an.
   "Denkst du wirklich, ich mache dir Platz?"
   "Das solltest du vielleicht." Letztendlich gab er auf und drängelte sich mit seinen Freunden zwischen mir und Dean durch, gab mir einen Schlag mit seiner Schulter.
   Ich schaute ihm böse hinterher, aber Dean zog mich am Arm weiter. "Er ist es nicht wert. Wäre sein Ego nur halb so groß, dann würden doppelt so viele Leute durch den Gang passen." Schon hatte er es wieder geschafft, meine Stimmung zu heben. Andererseits hielt er sich, wie ich eigentlich auch, lieber aus Problemen heraus. Nur bei Michael konnte ich manchmal nicht die Fassung bewahren.
  "Du hast Recht", gestand ich. "Lass uns los, sonst ist das gute Essen weg, bevor wir in der Cafeteria ankommen."

   Nachdem wir die halbe Schule durchquert hatten und drei Mal fast umgerannt wurden, standen wir endlich vor der Cafeteria. Schlecht war das Essen generell zwar nicht, aber die große Halle war kein Ort, an dem wir uns gerne lange aufhielten. Die Cafeteria war riesig, gefühlt hätte man dort einen ganzen Fußballplatz hineinlegen können, aber so groß wie sie war, so heruntergekommen sah sie aus. Ihre Wände bestanden aus nacktem grauen Beton, auf dem sich schon einige Generationen  von Schülern verewigt hatten, es war immer unheimlich laut und morgens, wenn noch nicht gekocht wurde, roch es modrig und nach altem Schweiß. Eine Bilderbuch-Schulcafeteria für eine Bilderbuch-Schule.
   Wir schnappten uns ein Tablett und stellten uns in die Schlange, um uns Bolognese und etwas Salat abzuholen. Dean leitete uns an einen freien Tisch relativ weit hinten in der Halle. Dort hatten wir unsere Ruhe.
   "Hast du schon Pläne für das Wochenende?", fragte er mich unvermittelt, als wir die ersten Bissen gegessen hatten.
   "Nein, eigentlich noch nichts", antwortete ich wahrheitsgemäß. "Obwohl, schlafen wäre vielleicht eine gute Idee."
   "Klingt gut", sagte er und lachte. "Wie wäre es, wenn wir das Projekt endlich mal fertigstellen?"
   "Welches Projekt?", erwiderte ich irritiert, doch schon einen Augenblick später fiel es mir wieder ein. "Das Projekt!"
   "Ist schon gut, wir haben noch genug Zeit dafür, aber dann bräuchten wir uns keine Gedanken mehr darüber machen. Ich verspreche dir, dass du auch noch genug Zeit zum Schlafen haben wirst."
   "Du hast Recht. Und wie willst du das machen?" Fragend blickte ich ihn an.
   "Die Ausarbeitung ist so gut wie fertig, der Rest wird sich ergeben. Es soll am Wochenende gutes Wetter werden, da habe ich keine Bedenken. Wie wäre es, wenn du bei mir übernachtest und wir dann alles abarbeiten?"
   "Klingt gut", stimmte ich lächelnd zu. "Aber können wir das nicht an einem einzigen Nachmittag machen?"
   "Ich denke nicht." Dean grinste schelmisch.
   "Was hast du vor?" Misstrauisch zog ich eine Augenbraue in die Höhe.
   "Wirst du schon sehen."

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