„Das ist Dru." Verkündet Danny, während er mit einem warmen Lächeln auf den kleinen Drachen niederblickt. „Sie ist gestern geschlüpft." Stolz schwingt in seiner Stimme mit, während er mit einer Hand vorsichtig über den schuppigen Schädel streicht.
„Dru." Wiederhole ich ungläubig. Isabell neben mir kichert bloß. „Dinge passieren, die können gar nicht passieren. Es ist verrückt."
„Wie konnte das passieren?" Fordere ich zu wissen und blicke hilfesuchend zu Tante Faye rüber. Doch die zuckt auch bloß mit den Schultern. „Mich brauchst du nicht zu fragen, ich habe weniger Ahnung als du, Katherine."
Mich wundert es etwas, dass Isabell einfach weiter mit ihren Fingern über meine Arme gleitet, als hätte Danny uns nicht eben ein frischgeschlüpftes Drachenbaby unter die Nase gehalten. Aber um mich über meine Cousine zu wundern, habe ich später noch genug Zeit. Jetzt muss ich mich auf das konzentrieren... Was auch immer das hier genau ist.
Der kleine Drache schmiegt vertrauensvoll sein Köpfchen gegen die Brust meines Bruders, der ihm über den Rücken streichelt. „Dieses... Ding, es ist gestern geschlüpft?" Frage ich. Empört sieht Danny mich an. „Es ist kein Ding, Kathy", Berichtigt er mich scharf. „Das ist Dru, sie ist ein Drache."
Ich verkneife mir einen kritischen Kommentar, wofür ich mir auf die Zunge beißen muss, und wiederhole mich, dieses mal mit der richtigen Formulierung. „Dru ist gestern geschlüpft?"
„Ja", bestätigt mein kleiner Bruder. „Gestern. Keine Ahnung wie, ich war mit Logan und den anderen unterwegs und als ich wieder kam, war das Ei kaputt. Erst hab ich gedacht, Caroline hätte es runter geschmissen, aber sie hat vehement darauf bestanden, dass sie nicht in meinem Zimmer war. Also bin ich zurück gegangen und da saß sie einfach auf meinem Bett."
Isabell legt ihre zarte Hand auf meiner Schulter ab. „Sollten wir Steve darüber informieren? Es war sein Drachenei."
Ich stimme ihr mit einem Nicken zu. „Sollten wir. Ich werde ihn anrufen."
„Wieso?" Nervös drückt Danny den Drachen enger an seine Brust, wodurch dieser erwacht. Die dünnen, schuppigen Lider, die die Augen bedecken, heben sich und die kleine Kreatur blickt aus aufmerksamen, Bernsteinfarbenen Augen umher. Die Pupillen erinnern mich an die von Katzen, schmal und hoch geschnitten. „Sie ist hier geschlüpft. Sie sollte hier bleiben dürfen, Kathy!" „Es ist immer noch Steves Drache", erkläre ich, während ich aufstehe und die Verbände, die auf meinen Beinen abgelegt wurden, auf einem der Beistelltische lagere. „Steve hat es gekauft, es ist sein Recht dieses... Geschöpf, wieder in seinen Besitzt zu nehmen." „Man kann doch kein Lebewesen besitzen!" Protestiert Danny nahezu empört. Unberührt hebe ich eine Augenbraue. „Würdest du das gleiche über einen Hund sagen?" „Sie ist aber kein Hund", beharrt er, während er sich bemüht, Dru im Arm zu behalten, denn diese versucht sich aus seinem Griff zu winden.
„Man sagt, ein Drache schlüpft nur dort, wo er es für richtig hält." Wirft Mister Bauclerk ein, der immer noch an der Wand steht und uns milde anlächelt. „Anscheinend hielt er es hier, und nicht bei Master Steve für richtig."
Ich hole tief Luft und wende mich deutlich ernster dem alten Mann zu. „Das ändert nichts daran, dass das Ei, und damit auch der Inhalt, Steves Eigentum ist. Er hat dafür bezahlt, oder etwa nicht?" „Das wollen wir doch hoffen, nicht, Miss Moonrose?" Er lächelt. Steht einfach da und lächelt und erinnert mich auf eine eigenartige Art und Weise an O'Byrne. Auch er hat ständig gelächelt. Nur das es bei Bauclerk noch gruseliger ist. Ich erwidere nichts, ziehe nur das Handy aus meiner Hosentasche und schüttle den Kopf. „Was auch immer Sie mir sagen wollen, ich werde jetzt Steve anrufen. Wir können keinen Drachen hier drin halten, schon gar nicht, weil er illegal ausgebrütet wurde. Wir alle haben doch gehört, dass es verboten ist, Drachen außerhalb der Reservate auszubrüten."
„Aber-"
„Daniel, Bitte", unterbricht Faye ihn sogleich, sobald mein Bruder wieder versuchen will, zu protestieren. „Deine Schwester hat recht. Wir können Dru nicht hier behalten. Schon gar nicht wegen Caroline."
Ein triumphierendes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, während ich Steves Nummer aus meinen Kontakten heraus suche. Wenigstens eine Person in diesem Haushalt hat noch den Verstand behalten. Auch wenn ich nicht gedacht hätte, dass das ausgerechnet Faye sein würde.
Als das vertraute Geräusch an meinem Ohr ertönt, welches anzeigt, dass es am anderen Ende der Leitung klingelt, lehne ich mich gegen die Kante des Sofas, auf dem Isabell sitzt und warte ab. Währenddessen betrachtet meine Cousine fasziniert den kleinen Drachen. Vorsichtig streckt sie die Hand aus und hält sie Dru zum schnuppern hin. Als wäre sie ein Hund.
„Katherine!" Wird von Steve der Anruf entgegen genommen. Mir fällt auf, dass er die gleiche Angewohnheit hat wie Cherry. Nämlich so laut ins Telefon zu sprechen, dass man dieses theoretisch gar nicht mehr braucht, weil man sie auch so hört. „Gott, ich wollte dich gerade anrufen, aber ich weiß nicht wie dieses Teufelsding funktioniert, du weißt schon, moderne Technik!"
Ich kichere und tue diese Tirade mit seinem Hass auf die modernen Geräte ab. „Freut mich auch von dir zu hören, Steve. Hör zu-" „Nein, du musst mir zuhören!" Schneidet Steve mir das Wort ab. Ich runzle die Stirn. Seit wann ist mein Lieblingshexer denn so stürmisch? Ist etwa etwas mit Elijah los? Auch wenn ich mich mit ihm gestritten habe, und das ist noch untertrieben, so ist er doch mein Partner. Natürlich mache ich mir zu einem gewissen Grad Sorgen um ihn. „Steve, was-" „Es geht um Heute." Fällt er mir sogleich wieder ins Wort.
„Um heute?" Die Verwirrung muss mir deutlich ins Gesicht geschrieben sein, denn alle im Raum, einschließlich Mister Bauclerk sehen mich beunruhigt an. „Steven, ich verstehe nicht. Wir haben hier ein Drachenb-" „Vergiss den Drachen, oder was auch immer!" Fordert er energisch und ich kann seine lauten Schritte auf dem alten Fußboden von Elijahs Haus hören. So langsam mache ich mir wirklich Sorgen. Steve hat so hart versucht, dass Drachenei auszubrüten und jetzt will er keinen Neuigkeiten darüber wissen? Das entspricht nicht ihm. Nicht dem Steve, den ich kenne. Ich tausche einen Blick mit Faye, die ihre Augenbrauen zusammengezogen hat und fast schon so sehr an der Kante des Sofas sitzt, dass ich Angst habe, sie rutscht gleich herunter.
„Hör mir zu", fordert Steve noch einmal, dann fängt er endlich an zu erklären. „Als du bei Morgana warst, da hat sie gesagt, dass sie deiner Zeitspur gefolgt ist, oder?" „Ja, aber was-" „Und sie hat gesagt, bevor sie dich gefunden hat, ist sie auf zwei andere gestoßen, nicht wahr?" „Ähm, klar, hab ich doch so erzählt." Stammle ich, fahre mir durch meine Haare und gehe in Gedanken an den Moment zurück, an dem ich Victorie, Cherry und Steve Detail für Detail von Morgana und mir erzählt habe. Das wollte Steve so, er musste jede Einzelheit wissen.
„Okay, dann musst du mir jetzt ganz genau zuhören." Seufzt Steve, im Hintergrund höre ich eine Teekanne pfeifen. Es ist ein lautes, penetrantes Geräusch und es tut mir im Ohr weh. „Sie ist deiner Zeitspur gefolgt. Die Zeitspur, also die Spur, die jeder Zeitreisende hinterlässt, wenn er reist. Sie ist schwer zu verfolgen und man kann nur der Spur von lebenden Reisenden folgen." Er macht eine bedeutungsvolle Pause. „Verstehst du das? Man kann nur der Spur von Lebenden folgen."
„Ich verstehe", Murmle ich und sehe mittlerweile ziemlich aus der Ruhe gebracht hinüber zu Isabell. Die hat ebenfalls ihr Handy gezückt und tippt eine Nachricht an Victorie, wie ich auf ihrem Bildschirm erkennen kann.
„Und Morgana hat gesagt, sie sei auf zwei andere Moonroses gestoßen als sie den Zeitspuren gefolgt ist." „Ja", stimme ich erneut zu und plötzlich jagt ein Schauer über meinen Rücken. Mir wird, als wäre es plötzlich ganz kalt im Raum. „Ja, hat sie gesagt."
„Und was bedeutet das?" Schubst er mich quasi schon in die richtige Richtung. Ich löse mich von dem Sofa und beginne langsam auf und ab zu tigern. „Ich weiß nicht, was du hören willst, Steve."
„Katherine", mahnt mich der Hexer. „Was für Zeitreisende Verwandte hast du? Die am Leben sind."
Ich lege den Kopf in den Nacken und starre gegen die Decke. „Isabell, Grandpa-" „Der tot ist." „Und", meine Stimme bricht weg, als ich realisiere, worauf er hinauf will. „Und Mom." „Genau." Am anderen Ende der Leitung holt er tief Luft und ich mache mich innerlich darauf gefasst, den nächsten Schlag in mein Leben einzustecken. Die letzten Stunden alleine haben mein ganzes Leben aus der Bahn geworfen und ich bin mir nicht sicher, ob ich noch eine drastische Änderung verkraften kann. „Ich denke, Morgana weiß, wo sich deine Mutter aufhält."