Der Flug war etwas kabbelig und so atmete Ben, der ohnehin nicht gerne flog, auf, als sie landeten. Neben unzähligen Formularen, die für alle Einreisenden anfielen, durchliefen sie mehrere Sicherheitskontrollen und beide waren froh, endlich das Flughafengebäude mit ihrem Gepäck verlassen zu dürfen. Auf der Straße und dem Gehweg herrschte lauter Betrieb. Menschen riefen durcheinander und Taxifahrer hupten sich gegenseitig an. Lina regte sich lachend über Ben auf:
„Das ist alles deine Schuld. Das ist nur deine Menge an Gepäck. Wieso brauchst du eigentlich so viel?"
Ben runzelte die Stirn, lächelte aber gleichzeitig:
„Ich glaube kaum, dass es an der Menge des Gepäcks lag. Vielleicht eher an deiner schnippischen Art?"
Lina schlug Ben kräftig gegen die Schulter:
„Schnippisch? Du spinnst wohl?"
Ben nahm seine Partnerin in den Arm und küsste sie zärtlich:
„Aber nur wegen dir."
Lina schmiegte sich an ihn:
„Du spinnst wegen mir? Du bist doch nur wegen mir so normal geworden."
Sie lachten und küssten sich. Diese Szene unterstrich für Ben wieder einmal, warum er diese Frau so abgöttisch liebte.
Das Wetter hier war heiß und schwül. So dass Ben sich bereits nach wenigen Minuten den Schweiß aus dem Nacken wischte. Er sah zu Lina, der es eindeutig nicht besser ging. Von ihrer Stirn lief etwas Glitzerndes an ihrem Gesicht herunter und das, obwohl der kleine Strohhut am meisten auffing. Diese feuchte Hitze waren die Deutschen nicht gewohnt. Zumindest nicht die Norddeutschen. Sie mühten sich mit dem Gepäck ab, bis Ben es in ein Taxi wuchtete. Der Fahrer war zwar ähnlich gesprächig wie Tom am frühen Morgen, fuhr sie aber zügig und ohne wilde Fahrmanöver zu ihrem Hotel. Sie checkten ein und ließen im Zimmer erschöpft ihre Taschen fallen:
„Endlich angekommen."
Befreit von der schweren Last nahm Lina Anlauf und warf sich auf das große Himmelbett. Lachend blieb sie dort einfach einen Augenblick liegen. Ben, bei dem die Klimaanlage Glücksgefühle auslöste, legte sich neben sie und wenige Momente später war das Gepäck vergessen.
„Möchtest du auch was trinken?"
Es war früher Abend und Lina leerte die nächste Wasserkaraffe. Ben, der das Mitzählen aufgegeben hatte, lehnte dankend ab. Ihm reichte die Kühlung der Klimaanlage, um nicht zu überhitzen. Gemeinsam verstauten sie ihre Sachen in den Schränken und beschlossen, einen Spaziergang zu unternehmen. Das Abendessen würden sie, wenn die Hitze etwas nachließ, später am Abend nachholen. Die Gegend war zauberhaft, gepflegt und die Menschen hier waren freundlich. Lina hatte genau das richtige Hotel ausgesucht. Immer wieder zeigte sie ihm hübsche kleine Dinge, wie Blumen, Dekorationen oder andere Besonderheiten. Bens Aufmerksamkeit konzentrierte sich gerade auf eine Bikinischönheit, als er einen Schlag an den Hinterkopf bekam:
„Jetzt reichts mir aber. Du hörst mir überhaupt nicht zu und starrst hier nur diese künstliche Tussi an."
Ben kniff die Lippen zusammen. Er hatte Lina tatsächlich nicht zugehört, aber so künstlich war die Bikinischönheit gar nicht:
„Ok, du hast recht. Tut mir leid."
„Als ob. Zur Strafe lädst du mich zu einem Eis ein. Und wehe du knauserst!"
Lachend betraten sie eine nahe Eisdiele und zähneknirschend zahlte Ben einen Augenblick später für wenige Kugeln so viel Geld, dass sie in Deutschland dafür ganze Eisbecher bekommen hätten. Eis war teuer in den USA. Lina schien etwas besänftigt, hakte sich bei ihrem Freund unter und genoss ihr Eis. Nachdem Ben seine eine Kugel verputzt hatte, befühlte er wieder einmal das kleine Etui in seiner Hosentasche. Seit ihrer Ankunft überlegte er, wie er Lina fragen würde.
In seiner Vorstellung war es immer ein monumentaler Antrag, der alles bisher dagewesene in den Schatten stellen würde. In der Realität würde es vermutlich eher eine bescheidene Frage nach einem Essen werden.
Sie hatten schon öfter über das Heiraten gesprochen und Lina vertrat den Standpunkt, dass sie auf jeden Fall Kinder wollte, was Ben in die Karten spielte. Nur waren diese Pläne bisher nie konkret geworden. Sie waren eher ein spielerisches Thema nach einem Glas Wein, abends auf der Couch oder bei einem Treffen mit Freunden.
Kurz schoss Ben der Gedanke durch den Kopf, dass ja hier die Möglichkeit bestand, zu heiraten. In Las Vegas. War das für Ausländer so einfach machbar?
Er würde Lina damit aber nicht überrumpeln. Diese Entscheidung stand nur ihr zu. Hatte sie ihm doch mehrfach erzählt, dass sie sich eine große Hochzeit mit allen Freunden und der ganzen Familie wünschte.
Lange nach dem Eis und einem weiten Spaziergang beschlossen sie, das Abendessen ausfallen zu lassen. Das Bett war so einladend und der folgende Tag würde anstrengend werden. Lina wollte nicht eine Minute des Urlaubs verschwenden.
Der Tag kam mit einer umfangreichen Mahlzeit im Speisesaal des Hotels in Gang. Die Amerikaner wussten auf jeden Fall, wie man reichhaltig frühstückte. Lina schnaufte noch am Tisch und hielt sich den Bauch. Ihr war offensichtlich übel:
„Wow, ich bin so vollgefressen."
Ben lachte und zeigte mit seiner Kaffeetasse auf sie:
„Selbst schuld, wenn du kein Ende findest."
Auf dem Zimmer wechselten sie die Klamotten für den Tag und trieben dabei ihre Scherze, wie sie es dauernd taten. So hatte Ben Linas Oberteil am Kragen mit einer Büroklammer verschlossen und sie brauchte einige Versuche, bis sie das Hindernis entdeckte. Es wurde wieder warm und kurze Sachen waren in jedem Fall angebracht. Lina, die wie immer auf alles vorbereitet war, hielt Ben die Tube mit Sonnencreme hin:
„Denk daran, dich einzucremen. Ich will hier nicht mit so einem Hummer rumlaufen."
„Hummer?"
Lina betrachtete Ben und grinste:
„Naja, vielleicht auch eher eine kleine Krabbe."
Er schmierte ihr etwas Sonnenmilch auf die Nase:
„Pass bloß auf, du Frechdachs."
Sie verließen das Hotel und verbrachten den Tag in der nahen Stadt, insbesondere in ihren Läden, in denen Lina reichlich Geld ausgab und Ben abwartend in der Sonne saß. Er schmunzelte beim Anblick ihrer Einkaufstaschen:
„Kleider?"
„Alles mögliche! Du glaubst gar nicht, wie günstig die Sachen hier sind."
Da Ben eh als Taschenträger abgestellt werden würde, nahm er Lina die großen Tüten ab und stapfte neben ihr her. Unterwegs tippte sie ihn an und deutete auf einen kleinen Laden:
„Sieh mal, dass ist mir vorhin schon aufgefallen. Die sichern hier gründlich die Fenster. Haben wir irgendwas nicht mitbekommen?"
Ben brummte. Diese Maßnahmen hatte er ebenfalls bemerkt. Eine nervöse Anspannung lag in der Luft und viele Menschen schienen sich auf etwas vorzubereiten. Er sprach den Ladenbesitzer an:
„Entschuldigen Sie."
„Ja?"
„Was ist denn los? Es sieht ja so aus, als wenn sie hier ihr Geschäft sichern."
„Ja, natürlich. Wegen dem Sturm. Ungewöhnlich um diese Zeit, Aber er soll ziemlich heftig werden. Sie sind doch Touristen, oder? Dann sollten sie lieber in ihr Hotel zurückkehren. Die Nacht wird heftig."
Ben und Lina waren geschockt. Ein so schwerer Sturm um diese Jahreszeit? Das war in der Tat eigenartig. Ben dankte dem Ladenbesitzer und sie kehrten zügig in das Hotel zurück. Dort wurden sie am Empfang bereits erwartet. Der Portier sprach sie beim Eintreten an:
„Ah, wunderbar, dass sie wieder hier sind. Es wurde ein kräftiger Sturm angekündigt. Sie sollten den Abend hier verbringen. Wundern sie sich bitte nicht, vor ihren Fenstern werden kräftige Rollläden geschlossen um das Glas zu schützen. Ich wünsche ihnen trotz allem einen angenehmen Abend."
Ben bedankte sich und kehrte mit Lina auf das Zimmer zurück. Ihre erstklassige Laune hatte einen Dämpfer bekommen.
Nach dem Abendessen im hoteleigenen Restaurant wartete das Paar auf ihrem Zimmer auf das, was da kommen würde. Der Wind nahm ständig zu und zerrte an den Rollläden. Immer wieder prallten irgendwelche Gegenstände an das Metall und ließen ein Scheppern ertönen. Der Regen prasselte ebenfalls hörbar dagegen und verlieh, unterstrichen von dem pfeifenden Wind, der Atmosphäre etwas Beängstigendes.
Ben wurde langsam nervös, verbarg dieses Gefühl aber, da Lina sich besorgt an ihn gekuschelt hatte. Die Böen werden heftiger und gelegentlich hörte man eine Autoalarmanlage losgehen. Ein paar Mal rummst es kräftig und nach einem ungewöhnlich lauten Knall flackert die Deckenbeleuchtung. Lina krallte sich in Bens Arm:
„Ben, ich habe Angst."
„Glaube mir, ich auch. Das wird schon. Das ist nicht der erste Sturm, den die hier erleben."
Er versuchte, zuversichtlich zu klingen, vermochte das Zittern in seiner Stimme aber nicht vollständig zu verbannen. Seine Aufgabe war es, der Ruhepol zu sein, den Lina offenbar brauchte.
Von einer Sekunde auf die andere erloschen die Lichter und tauchten das Zimmer in vollkommene Dunkelheit. Durch die geschlossenen Rollläden drang nicht der kleinste Lichtschein ein.
Ben zückte sein Mobiltelefon und schaltete die Taschenlampe ein. Der Strom schien ausgefallen zu sein, da auch die Kontrolllampen an dem Panel neben der Tür aus waren. Er sah auf die Akkuanzeige seines Handys:
„Oh je, mein Handy ist gleich leer. Hälst du es ein paar Augenblicke alleine aus?"
Lina sah ihn mit aufgerissenen Augen an:
„Warum?"
„Die Rezeption war nicht weit. Ich will sehen, ob ich vielleicht eine Taschenlampe oder etwas ähnliches bekommen kann. Mach dir keine Sorgen, ich bin in wenigen Minuten zurück und nehm dich ganz fest in den Arm."
Er sah, dass seine Freundin zitterte, riss sich aber zusammen. Sie nickte nur. Um nicht noch mehr Panik zu verbreiten, schloss Ben ruhig die Zimmertür hinter sich und machte sich auf den Weg zur Rezeption. Er fluchte kräftig, als sein Handy den Geist aufgab und tastete sich vorsichtig weiter. Die Atmosphäre ähnelte einem Horrorfilm und ließ Ben eine Gänsehaut über den Rücken laufen.
Da hörte er nahe Geräusche. Schritte. Ein metallisches Klicken. Einen Atemzug.
„Hallo Ben."