Sprachlos sah ich den weissen Briefumschlag einfach nur an, auf welchem mein Name stand. Wie lange ich diese Schrift doch nicht mehr zu Gesicht bekam... Wie sehr ich doch glaubte nie mehr irgendetwas von ihnen zu hören... Die Hoffnung darauf verabschiedete sich damals schon sehr bald.
Schwer schluckte ich einmal und schenkte meinen Händen einen kurzen Seitenblick, welcher mir anhand meiner stark zitternden Finger deutlich zeigte, wie nervös ich doch war. Wie sehr mich das Ganze gerade durcheinander brachte. Warum hatte Tae einen Brief von ihnen? Wie kam er dazu? Warum waren sie nicht bei mir? An meiner Seite, wo meine Eltern doch eigentlich hingehörten...
Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen und sah immer noch starr auf den Brief. Dabei rutschte ich, mehrheitlich unbewusst, immer näher zu Taehyung hinüber, welcher vorsichtig seine Hand auf meiner Hüfte ablegte und mich dabei näher an sich zog. Etwas was ich in diesem Moment nur zu gerne annahm. Einfach weil ich mich mit ihm sicherer fühlte...
Um ehrlich zu sein wusste ich mal wieder nicht, wie lange ich einfach nur diesen Brief in meinen Händen anstarrte und überhaupt nichts von meiner Aussenwelt mitbekam. Auch Tae liess mir in diesem Augenblick einfach meine Zeit, da er wahrscheinlich wusste wie verwirrt ich doch war. Ich meine wer würde es mir den schon verübeln?
"W-warum...", schwer schluckte ich noch einmal leer und versuchte irgendwie die vielen Wörter in meinem Kopf zu einem Satz zusammenzusetzten. "W-warum hast... hast du einen Brief von meinen Eltern?" Unverhofft spürte ich wie sich eine Gänsehaut über meinen Körper legte, worauf ich unwohl einen Arm um mich selbst schlang und den Brief fest in meiner anderen hielt.
"Er ist nur von deiner Mutter Kookie... Ich habe sie damals überraschenderweise angetroffen, aber bevor ich dir davon erzähle solltest du den Brief lesen.", erklärte er mir mit seiner ruhigen Stimme, welche sofort eine beruhigende Wirkung auf mich hatte.
Zögerlich sah ich schliesslich doch hoch in sein Gesicht hinauf und kriegte es endlich hin meine Augen von diesem Brief zu lösen. Sofort sah Tae mir sanft lächelnd entgegen, worauf ich mich ihm noch ein wenig näher schmiegte und zögerlich meinen Kopf auf seiner Schulter ablegte. "H-hast du ihn gelesen?", fragte ich ihn leise und spielte mit dem Brief herum. Ich hatte so unglaublich Angst davor, was in diesem stehen würde...
"Ja habe ich...", gab Taehyung entschuldigend zu, worauf seine Hand Platz in meinen Haaren fand. "Ich hatte damals überhaupt keine Ahnung, war verwirrt und hoffte, dass ich durch den Brief eine Antwort erhalten würde." Wieder einmal kam ein erschöpftes Seufzen über meine Lippen, worauf ich meine Augen schloss...
Was meine Mutter bloss von mir wollte? War es etwas Schlimmes? Etwas womit ich nicht rechnete? Oder war es möglicherweise eine Entschuldigung von ihr, in welchem sie alles Mögliche erklärte? Nichts davon klang für mich auch nur irgendwie richtig... Ich war doch einfach nur mal wieder unglaublich verwirrt... Ich verstand nicht, wieso sie mir jetzt noch einen Brief schrieb...
"Les ihn schon... Ich bleibe die ganze Zeit über bei dir, ja?" Schlagartig öffnete ich meine Augen wieder und sah ihn Taes Augen hoch. Beruhigend lächelte er mich wieder an und drückte mich näher an sich, worauf er mir, schneller als ich noch irgendwie reagieren konnte, einen Kuss auf die Stirn drückte. Fast ein wenig sprachlos sah ich ihn wieder an und versuchte mein starkes Herzklopfen irgendwie zu beruhigen.
Nach einem kurzen Moment, in welchem wir uns wieder einmal einfach nur in die Augen sahen, wendete ich meinen Blick unter grossem Unbehagen auf den Brief. Mit zitternden und ausserdem leicht kalten Händen öffnete ich schliesslich den Briefumschlag, was mir nach ein paar Versuchen schlussendlich gelang.
Ohne noch weiter zu zögern zog ich das beschriebene Blatt aus dem Umschlag hinaus und legte ihn schön säuberlich auf meinen Beinen ab. Mit stark klopfendem Herzen und rasantem Puls, was dieses eine Mal nicht an Tae lag, faltete ich das Blatt auseinander, worauf mir sofort die Schrift meiner Mutter ins Auge fiel und etwas anderes was mich mehr als nur verwirrte. Nämlich das Datum, an welchem Tag der Brief geschrieben wurde.
"A-aber da lag ich noch im Koma...", kam es zittrig über meine Lippen, während es in meinem Kopf dampfte. 13. Februar 2019... Fünf Jahre nachdem ich ins Koma fiel und genauso fünf Jahre bevor ich endlich aus dieser Hölle erwachte. "Warum hast du damals einen Brief von ihr bekommen?!", fragte ich ihn fast ein wenig panisch und definitiv mit zu lauter Stimme. Die Panik, welche mich in diesem Moment einnahm, konnte ich überhaupt nicht wirklich beruhigen, aber dafür war ja Taehyung da.
Dieser fuhr mir augenblicklich sanft über meine Wangen und zog mich das Stück, welches ich mich vorhin von ihm entfernte, wieder zurück. "Ich verstehe es nicht...", kam es hauchend über meine Lippen, worauf Tae nur lächelnd den Kopf schüttelte. "Deswegen solltest du auch den Brief lesen du Dummerchen. Deine Mutter erklärt dir in diesem alles was du wissen musst."
Sofort kuschelte ich mich nach seinen Worten instinktiv wieder näher an ihn und seufzte leise. Ich musste da wohl durch... Auch wenn ich es liebend gerne umgangen wäre. Denn ich hatte definitiv kein gutes Bauchgefühl bei dieser Sache. Irgendetwas verhinderte, dass ich mich über den Brief freuen konnte. Nach einem letzten entscheidenden Blick zu Taehyung hinüber, überwand ich mich schliesslich dazu den Brief zu lesen und nur schon die ersten Worte trieben mir Tränen in die Augen...
Hey mein kleiner Hase,
ich hoffe sehr, dass du diesen Brief erhalten wirst und ihn auch durchlesen wirst. Möglicherweise möchtest du auch überhaupt nichts mehr von mir hören, was ich mehr als nur verstehe, aber du solltest einfach wissen, dass du mir unglaublich wichtig bist. Dass ich dich über alles Liebe. Wie eine Mutter ihren Sohn nun mal Lieben kann. Ich wollte einfach nur, dass du das weisst...
Bevor ich dir irgendetwas erkläre, wollte ich mich zuerst von ganzem Herzen bei dir Entschuldigen. Obwohl ich weiss, dass meine Worte nichts mehr gut machen können, hoffe ich trotzdem, dass ich mit ihnen einen Teil deiner Last nehmen kann. Einfach damit du es verstehen kannst. Es tut mir leid und diese vier Wörter kann ich dir nicht mehr als genug sagen, obwohl ich genau weiss, dass sie nichts besser machen.
Wichtig ist mir einfach nur dass du weisst, dass ich dich immer lieben werde, egal auf welches Geschlecht du stehst. Du bist mein Sohn und wirst es auch immer bleiben. Deine Sexualität wird daran nichts ändern. Genau deshalb tut es mir so unglaublich leid, dass ich nichts gegen deinen Vater unternahm. Dass ich ihn nicht irgendwie aufhielt, dir weh zu tun. Dich mit seinen Worten zu verletzten, aber ich war oder besser gesagt bin einfach zu schwach, um dich richtig zu schützen...
Mir spielte deine Sexualität nie eine grosse Rolle. Ich wollte doch einfach nur, dass du glücklich bist. Doch dein Vater war da anderer Meinung. Ich habe es damals versucht... Ich habe versucht mit ihm zu reden, ihn irgendwie umzustimmen, damit ich dich zurückholen könnte, aber keiner meiner Versuche kamen bei ihm an und dafür schäme ich mich umso mehr.
Gerade ich hätte dich doch irgendwie vor diesem Schicksal bewahren können. Ich hätte mich vor deinem Vater deutlicher einsetzen sollen, ihm mehr meine Meinung geigen sollen, aber ich hatte teilweise so unglaubliche Angst vor ihm. Verzeih mir bitte...
Ich wollte dir nachrennen, dich zurückhalten, aber er liess es nicht zu und dies tut mir so unglaublich leid. Ich habe die ganze Zeit das Gefühl nicht das bestmögliche getan zu haben, obwohl ich es wirklich versuchte, deshalb war ich mehr als nur froh als ich hörte, dass du bei deinen Hyungs unterkamst. Ich bin mir mehr als nur sicher, dass diese sechs besser auf dich aufpassen können als ich es je konnte...
Und ab diesem Moment brauchte ich einfach eine kleine Pause, obwohl der Brief noch längstens nicht zu Ende war. Schluchzend nahm ich meine Augen von diesem, für mich extrem emotionalen Brief. Meine Eomma hatte nichts gegen meine Sexualität... Sie liebte mich so wie ich war. Warum konnte dies nicht gleich so zu Beginn verlaufen? Es wäre alles viel einfacher geworden...
Mit roten, verweinten Augen sah ich zu Tae hoch, welcher mich besorgt ansah und mir immer wieder beruhigend durch meine Haare fuhr. Auch in seinen Augen sah man leichte Ansätze von Tränen, worauf ich, ohne zu zögern, auf seinen Schoss kletterte und meine Arme um seinen Hals schlang. Mein Kopf fand seinen Platz in Taes Halsbeuge, welche ich mit meinen Tränen benetzte, während Tae mich einfach nur fest an sich presste und nicht im Geringsten daran dachte mich jetzt auch nur irgendwie loszulassen.
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