Ich wende mich ab und gehe den Gang entlang zurück zu einem Saal, in dem eine weitere Show stattfindet. Und so sehe ich mir noch zwei weitere Shows an und überdenke meinen Berufswunsch, bis der Tag auf der Fashionweek sich langsam dem Ende zuneigt und ich beschließe zurück zum Hotel zu fahren. Von dem ganzen Laufen und Stehen bin ich müde.
Als ich das Gebäude verlasse, sehe ich noch einmal zurück, als wäre es das letzte Mal in meinem Leben, dass ich es sehe. Dabei werde ich ja schon morgen zurückkehren und einen weiteren Tag auf der Fashionweek in Stockholm verbringen und auch den Tag darauf. Trotzdem ist es so groß und atemberaubend, dass es einen letzten Blick verdient hat. Noch immer kann ich kaum glauben, dass ich wirklich hier bin. Ich wünschte Kate könnte das alles sehen. Schließlich drehe ich mich um und gehe die Stufen hinunter.
"Hey, warte mal!", ruft mir jemand hinterher. Schlagartig bleibe ich stehen und drehe mich zu der Person um.
Tatsächlich ist es Sam Miles, der gerade mit seinem breiten Grinsen auf mich zuläuft. Nervös spiele ich mit meinen Händen. Was will er bloß von mir? Er trifft doch am Tag so viele Menschen, da kann er sich nicht an mich erinnern. Habe ich etwas falsch gemacht oder so? Oder etwas verloren? Tausend Gedanken rasen mir durch den Kopf.
"Chloé, richtig?"
Ich nicke leicht. Tatsächlich erinnert er sich noch an mich und sogar an meinen Namen. Er tritt noch dichter an mich heran, sodass wir für meinen Geschmack schon zu dicht aneinander stehen. Dann fällt mir das Tattoo an seiner Hand auf, welches mir unbekannt ist. Doch bevor ich danach fragen kann, hat er schon zum Reden angesetzt.
"Ich würde dich gerne besser kennenlernen, Chloé."
Mir stockt der Atem und ich weiß nicht wie ich reagieren soll. Sam Miles, mein großes Vorbild steht hier vor mir, auf der Fashionweek in Stockholm, mit einem neuem Tattoo welches ich wahrscheinlich als aller erste gesehen habe, und will mich besser kennenlernen? Wirklich? Bin ich im falschen Film?
"Natürlich nur wenn du auch willst.", ergänzt er, als ich nicht antworte, und lächelt mich weiter an.
Na los, sag etwas.
"Ich.. Ja natürlich. Das wäre toll.", stammel ich vor mich hin und versuche einen klaren Gedanken zu fassen, aber das ist mir nicht möglich.
"Bist du morgen auch hier? Wir könnten uns hier treffen und dann zeige ich dir meinen Lieblingsplatz in Stockholm."
"Klar, gerne. Dann.. Bis morgen?"
Sam sagt mir noch die Uhrzeit und winkt mir zum Abschied kurz zu. Mit zittrigen Beinen steige ich in ein Taxi ein. Habe ich wirklich eine Verabredung mit Sam Miles? Ist das schon ein Date?
*
Am nächsten Morgen ziehe ich mir einen schwarzen Rock und eine Bluse an und schminke mich auf die selbe Weise wie am Tag zuvor. In Stockholm ist es recht warm, weshalb ich mir keine Jacke mitnehmen muss und in meine Vans schlüpfe. Wenn Kate wüsste, dass ich die mithabe, würde sie ausrasten, weil das ja absolut nicht zum Anlass passen würde. Bevor ich das Hotelzimmer verlasse, schicke ich Kate noch schnell das Foto mit Sam. Ich habe nicht genug Zeit, um ihr von der Verabredung zu erzählen, aber das kann ich auch später tun. Dann kann ich direkt alles berichten.
Wenig später stehe ich erneut vor dem schönen Gebäude in der Sonne und warte auf meine Verabredung. Meine Haut wird angenehm gewärmt, während ich warte. Sam erscheint dann auch mit einer schwarzen Sonnenbrille und zwei Starbucksbechern in der Hand. Grinsend überreicht er mir einen und begrüßt mich mit einer Umarmung. Ich verspüre ein leichtes Kribbeln im Bauch. Am liebsten würde ich ihn nicht mehr los lassen.
Ist das noch das typische Fangirl-Verhalten oder schon eine richtige Schwärmerei?
"Also, kann's losgehen?", fragt er und legt eine Hand um meine Hüfte um mich mit sich zu führen.
Ich nicke und laufe still neben ihm her. Ich hoffe man merkt mir meine Nervosität nicht an. Es ist meine erste richtige Verabredung überhaupt und dann auch noch mit Sam Miles. Sam führt mich durch einige schöne Straßen Stockholms und diese Stadt beginnt mich immer mehr zu faszinieren. Währenddessen unterhalten wir uns so, als würden wir uns schon ewig kennen. Als ich meinen Kaffee ausgetrunken habe, gehen wir auf einen kleinen Wald zu, in dem es relativ frisch ist. Ich schlinge meine Arme um meinen Oberkörper.
"Ist dir kalt?", fragt Sam plötzlich und zieht mich etwas näher zu sich.
"Nein.", lüge ich.
Ich möchte nicht, dass Sam sich Sorgen macht oder mir gar seine Jacke anbietet, denn dann würde er schließlich frieren. Seine Körperwärme genügt mir völlig und zu meinem Glück kann ich einigermaßen lügen, sodass er mir meine Lüge ohne weiteres abkauft und wir dicht nebeneinander weiter in den Wald gehen. Ich schaue mich besorgt um. Den Weg würde ich alleine nicht wieder finden. Der Boden knackt unter unseren Füßen, während wir schweigend darüber laufen.
Irgendwann erreichen wir eine Lichtung. Das Gras steht hoch und viele Wildblumen, die durch die Sonne in ein orangenes Licht getaucht sind wachsen hier. Völlig fasziniert löse ich mich von Sams Arm und gehe weiter auf die Lichtung zu.
Die Lichtung sieht traumhaft schön aus. Genauso, wie man es sich vorstellt wenn man an einen Märchenwald denkt, in dem man Einhörnern begneget und allein das unecht perfekt wirkende Licht der Sonne gibt einem das Gefühl, dass hinter dem nächsten Baum ein Einhorn wartet.
"Es ist wunderschön, oder?", fragt Sam, der sich mittlerweile dicht hinter mich gestellt hat, und legt seine Arme um mich. Seine Hände verschränkt er vor meinem Bauch. Ich genieße seine Nähe, auch wenn ein Teil von mir beunruhigt ist, weil alles so schnell geht.
"Ja. Ja, das ist es wirklich.", antworte ich und drehe mich zu ihm um.
"Danke, dass du mir das gezeigt hast.", sage ich leise und lächle ihn an.
Seine dunkelbraunen Augen wirken irgendwie merkwürdig gefährlich, ganz unpassend zu seinem strahlenden Lächeln. Immernoch liegen seine Hände an meiner Hüfte und als ich realisiere, wie nahe ich meinem Idol gerade bin, mache ich schnell einen vorsichtigen Schritt zurück und drehe mich um, um mir die Lichtung erneut ansehen zu können.
Dies könnte die perfekte Fanfiction sein. Ein Buch über Sam und mich, die sich blitzschnell ineinander verlieben und für immer glücklich sind. Aber das wäre viel zu einfach und ich weiß, dass ich Sam nicht an mich heranlassen sollte. Schon seine Augen, die so böse wirkten, hätten mich zurückschrecken lassen müssen, aber sein strahlendes Lächeln gleicht das alles irgendwie wieder aus. Ich sehne mich nach seiner Nähe.
"Du hast überhaupt nichts über dein neues Tattoo erzählt.", stelle ich, mit dem Rücken zu ihm gedreht, fest.
"Ja, ich hatte noch keine Zeit.", antwortet er und kratzt sich nachdenklich am Kopf.
"Hat es eine Bedeutung?"
"Nein.", antwortet er und dreht mich vorsichtig wieder zu ihm um. Ich werde stutzig.
"Hattest du nicht mal in einem Video gesagt, dass du nur Tattoos mit Bedeutungen haben möchtest?", frage ich misstrauisch und sehe ihm in die Augen.
"Ja.. Ich habe mich anders entschieden, weil.. Mir hat das Motiv halt gefallen."
"Oh, okay."
Eigentlich ja nichts Ungewöhnliches. Aber irgendwie bin ich beunruhigt und fühle mich nicht mehr so sicher, wie zuvor. Mein Gefühl sagt mir, dass irgendetwas hier nicht stimmt. Aber wieso sollte etwas nicht stimmen? Das ist einfach wieder nur typisch ich. Immer habe ich vor allem Angst.
"Hast du vielleicht Lust mit in mein Hotel zu kommen? Wir könnten uns einen Film ansehen oder so. Ich mag deine Gesellschaft."
Sollte ich? Ich meine mir kann ja eigentlich nichts passieren. Sam würde sein Image ruinieren, wenn er irgendwas Falsches tun würde. Außerdem hatte ich meine Gedanken zu solchen Thema ja eh abgeschaltet, also sollte ich vielleicht einfach mutig sein und einwilligen. Ich will nicht mehr ängstlich sein.
"Ja. Wieso nicht."
Erneut ein großer Fehler. Und wäre ich einfach ins mein Hotel gegangen, hätte ich nachgedacht.. Dann wäre ich nie in diese verdammte Lage gekommen und könnte jetzt ein unbeschwertes Leben leben, ohne Probleme. Ohne Angszustände. Aber ich habe diesen Fehler begangen und ich muss zu ihm stehen. Ich habe der faschen Person vertraut.