Zwischen all den Schiffen, die am Hafen ankerten, war die schwarze Lady nicht zu übersehen. Sie machte ihrem Namen alle Ehre. Schwarze Segel und geschwärztes Holz hatte sie, aber am beeindruckendsten war die Figur am Bug. Eine Lady mit wallendem Haar, die sich gen Horizont streckte. Nicht nur der Mann, der dieses Schmuckstück sein Eigen nannte, sondern auch das Schiff selbst, sorgten vielerorts für bange Gesichter. So war es nicht verwunderlich, dass die meisten Menschen, die gerade am Hafen unterwegs waren, sich von diesem Schiff fernzuhalten versuchten. Umso überraschter war Cole Latemer als er beobachtete, wie sich zwei schmächtige Burschen zielstrebig der schwarzen Lady näherten. Neugierig lief er näher an die Reling und sah, wie der alte Adrian, der gerade am Hafen vor dem Schiff auf einem leeren Weinfass saß und immer mal wieder an seiner Flasche mit Rum nuckelte, die beiden abfing. Cole erkannte in einem von ihnen den jungen Tristan, den er immer wieder bei Nick gesehen hatte. Cole spürte, wie sich sein Puls beschleunigte und er von Unruhe ergriffen wurde. Dieser Tristan erinnerte ihn sonderbarerweise an die junge Magd, die er nicht vergessen konnte. Sophia, die Frau mit den schönen blauen Augen und der entzückenden Stupsnase. Es war nur eine kurze Begegnung zwischen ihnen gewesen und dennoch ist sie nun die Hauptfigur seiner Träume und die Herrscherin seiner Gedanken.
Seid ihre Wege sich getrennt hatten, kam er einfach nicht mehr zur Ruhe. Anfangs hatte er sich noch dagegen gesträubt, sich einzugestehen, dass er ihr verfallen war. Doch inzwischen, konnte er es nicht mehr. Der Drang, sie wiederzusehen war enorm. Er wusste nicht mehr, wie oft er kurz davor gewesen war, zu den Cortens zurückzukehren und sich die Magd zu holen, - ob sie es wollte oder nicht! Einzig seine Pflichten hatten ihn daran gehindert. Seit er diesen Tristan das erste Mal gesehen hatte, verstärkte sich die Sehnsucht nach ihr. Cole konnte sich dies nicht erklären und versuchte sich von diesen Gefühlen abzulenken, in dem er sich wieder auf Adrian und die beiden Burschen konzentrierte. Wie er nun hören konnte, wollten die Burschen auf seinem Schiff anheuern.
"Dann sagt mal, was könnt ihr denn so? Schon mal auf See gewesen?", fragte Adrian und Cole sah, das sein alter Freund nicht zufrieden mit den zwei schmächtigen Burschen war. Das konnte er gut nachvollziehen. Das Leben auf der schwarzen Lady war nichts für Schwächlinge.
"Nein, waren wir noch nicht, aber wir können Kochen", antwortete Tristan und Cole horchte auf. Sebastian, sein jetziger Koch, war eine reine Katastrophe. Früher hatte er das beste Essen gezaubert, das Cole jemals verspeist hatte, doch seit einem Unfall vor wenigen Wochen, konnte Sebastian nichts mehr schmecken. Dies hatte sich leider auch auf den Geschmack seiner Gerichte ausgewirkt. Cole konnte es nicht über sich bringen, den Koch, der ein treuer Freund war, seines Postens zu entheben. Für die Kombüse würden die Burschen gewiss genügen und wenn sie Sebastian halfen, könnte das Essen vielleicht wieder genießbar werden.
"Wisst ihr denn überhaupt, worauf ihr euch da einlasst? Wisst ihr, wer mein Kapitän ist?", fragte Adrian und die Burschen zögerten sichtlich.
"Wir wollen einfach nur weit weg, einfach übers Meer", antwortete Tristan schließlich und Cole wurde das Gefühl nicht los, dass die zwei Burschen auf der Flucht vor etwas waren. Sie wirkten beinahe verzweifelt und ihm entging auch nicht, wie sich beide immer wieder hektisch umsahen. Es war offensichtlich, das die reine Not die beiden auf sein Schiff trieb.
"Die See ist nichts für euch, geht nach Hause", winkte Adrian ab.
"Wir haben kein Zuhause mehr", erwiderte Tristan und irgendetwas in Cole zog sich schmerzlichst zusammen. Dieses Gefühl irritierte ihn und seine Gedanken wanderten schon wieder zu Sophia. Seit er vor wenigen Tagen den Steckbrief der zwei gesuchten Mägde entdeckt hatte, war er pausenlos von Sorge erfüllt. Er wusste, das Sophia unschuldig war und das Verbrechen, für das sie beschuldigt wurde, war eine Lüge. Was war zwischen den Mägden und Lord Cortens geschehen? Er wusste es nicht, aber da viele Söldner eifrig nach den beiden Frauen suchten, waren sie noch nicht gefunden worden. Wenn Cole ehrlich war, beeindruckte ihn dies, denn nicht jeder, auf dessen Kopf solch große Summe ausgeschrieben war, schaffte es, den Jägern so lange zu entkommen. Es war, als wären die beiden Mägde vom Erdboden verschluckt. Das war gut für Sophia, aber schlecht für ihn. Denn wenn er auch nur einen Anhaltspunkt hätte, dann würde er sofort nach ihr suchen.
Mit einem schweren Seufzen lenkte er seine Aufmerksamkeit wieder auf Tristan. Der Bursche war von Adrians Ablehnung nicht begeistert und sah nicht so aus, als wollte er das Feld einfach kampflos räumen. Doch plötzlich schien Tristan etwas zu entdecken, das ihn in Panik versetzte. Cole spähte in jene Richtung, in die der Bursche voller Angst sah und entdeckte dabei einen Mann, der offensichtlich nach etwas suchend, den Hafen entlang schritt. Cole wusste genau, wer dieser Mann war. Rico, ein Söldner, der, wenn er sein Geld nicht gerade mit Auftragsmorden verdiente, flüchtige Jagte, auf die ein Kopfgeld ausgeschrieben war. Alles in Cole spannte sich an als er sich vorstellte, das dieser Bastard auch hinter Sophia her sein könnte. Doch offensichtlich hatte er ein anderes Opfer im Sinn und wenn Cole sah, wie die Burschen auf Rico reagierten, waren sie es. Doch was könnten diese schmächtigen Knaben angestellt haben? Prüfend musterte er Tristan nun ganz genau.
Warum, verdammt nochmal, erinnerte ihn alles an ihm an Sophia? Und dann, so plötzlich, dass es ihn beinahe aus den Schuhen haute, begann Cole zu begreifen. Er erkannte sie, es war auf einmal so klar und deutlich. Die Erkenntnis, dass Tristan seine Sophia war, traf Cole wie ein Fausthieb. Aber natürlich, nun war ihm alles klar. Kein Wunder, das man sie nicht gefunden hatte, sie hatte sich als Junge verkleidet und wenn er sich nicht irrte, war der Bursche neben ihr, die andere gesuchte Magd. Cole war so fassungslos, das er sich an der Reling festhalten musste, da ihm die Beine ganz zittrig wurden. Warum nur hatte er sie nicht gleich erkannt? Nun, wo er es wusste, war es so offensichtlich, dass er sogar beinahe gelacht hätte. Nichts lieber hätte er getan, als zu ihr zu eilen, ihr diese lächerliche Verkleidung vom Leibe zu reißen und sie zu der seinen zu machen. Doch dann erinnerte er sich an Rico und er rief sich in Erinnerung, in welcher verzweifelten Lage sie war. Er konnte sie unmöglich hier lassen! Allerdings war ihm auch klar, das er ihre Tarnung nicht lüften durfte. Vermutlich würde sie ihm nicht trauen und sich gar fürchten. Außerdem war er sich nicht sicher, wie seine Crew darauf reagieren würde, wenn er eine Frau auf sein Schiff holte. Fieberhaft überlegte er, was er tun sollte, denn sie hier ihrem Schicksal zu überlassen kam nicht infrage. Vielleicht sollte er, zumindest für eine gewisse Zeit, sich ihrem Spielchen fügen. Ruckartig löste er sich von der Reling und verließ das Schiff.
"Wir werden sie mitnehmen", sagte er, als er Adrian erreichte. Tristan, nein, seine Sophia sah ihn erleichtert, aber auch deutlich von Unsicherheit erfüllt an.
"Aber Boss, seid ihr euch da sicher? Die werden nichts taugen", rief Adrian sogleich. "Lass das mal mein Problem sein", brummte Cole und Adrian gab seufzend nach. "Gut, dann kommt mal mit, ich zeige euch das Schiff", grummelte Adrian. "Nein, das werde ich übernehmen", sagte Cole und konnte den Blick nicht von seiner Magd nehmen. Sophia versuchte eifrig, einen Blickkontakt mit ihm zu meiden. Sicher war er sich, das sie fürchtete, er könnte sie erkennen. Ha, wenn sie wüsste! In seinen Bart murmelnd, der genauso grau war wie sein Haar, stolzierte Adrian davon. Cole atmete tief ein und aus. Er hatte wirklich mühe sich zu beruhigen."D-D-Danke", stotterte Tristan und sie schien eindeutig überfordert. Cole hätte ihr gerne versichert, das alles gut sei und sie keine Angst haben musste, doch da entdeckte er Rico, der mit strengem Blick immer näher kam. Rasch, bevor er die Burschen entdecken und vielleicht enttarnen könnte, scheuchte Cole die beiden Möchtegern Knaben mit ungewollt rüden Ton auf die schwarze Lady.
War es wirklich klug, hierher gekommen zu sein? Sophia zweifelte daran, als sie mit Isabelle auf dem Deck der schwarzen Lady stand und die vielen hier anwesenden Männer dabei beobachtete, wie sie alles für den baldigen Aufbruch vorbereiteten. Doch einen Rückzieher konnten sie nun nicht mehr machen, denn am Hafen lauerte der Söldner. Die Angst vor ihm und auch vor Lord Cortens war im Moment deutlich größer als vor den hier anwesenden. Tief atmete Sophia ein und aus, sie mussten es hier nur bis zum nächsten Festland durchstehen.
"Reiß dich zusammen Isa, du musst nun stark sein, okay? Solange wir tun, was diese Leute von uns verlangen und unsere Tarnung nicht auffliegt, werden wir bis zum nächsten Festland sicher sein", flüsterte sie der zitternden Isabelle neben sich zu. Alles in Sophia spannte sich an als im nächsten Moment Cole an ihnen vorbei lief. Dieser Mann brachte alles in ihr aus den Fugen und ihr kleines Herz wollte ihm entgegen fliegen. Sie mochte dieses Gefühl nicht und ihr Verstand warnte sie vor ihm. So interessant der Mann auch war, sie musste sich vor ihm hüten, denn noch wusste sie nicht, was an den Gerüchten um ihn wahr war und was nicht. Er könnte, wenn sie Pech hatten, eine noch größere Gefahr als Lord Cortens sein. Dies rief sich Sophia immer wieder in Erinnerung und dennoch schlug ihr Herz schneller als gewohnt als sich Cole zu ihnen wandte. Sein eindringlicher Blick verwirrte sie, genauso, wie das kaum merkliche Lächeln, das seine Lippen zierte.
"Wie sind eure Namen?", fragte er. Sophia wunderte sich, das er dies hinterfragte, denn er hatte Nick sie oft genug mit dem Namen Tristan rufen hören. Dennoch eilte sie sich, seine Frage nicht unbeantwortet zu lassen.
"Ich bin Tristan und das ist ...", sie stockte als sie auf Isabelle zeigte. Bisher hatte sie es nicht nötig gehabt, sich einen Namen für sie auszudenken. Sie geriet in Panik, da ihr auf die schnelle keiner einfallen wollte. Cole schmunzelte leicht und sah sie mit einem sonderbaren Blick an, einen, der sie noch nervöser machte.
"T-Tom, T-Tom", brachte sie rasch stotternd hervor.
"Tom-Tom?", fragte Cole nach und wirkte ziemlich belustigt dabei.
"Nur Tom", sagte sie und wich nervös dem bohrenden Blick von Cole aus. Warum starrte er sie so an, konnte er nicht woanders hingucken? Ihr war klar, wie offensichtlich es war, das sie mit dem Namen gelogen hatte, aber zu ihrem Glück hinterfragte Cole dies nicht weiter. Er nahm die deutliche Lüge einfach so hin. Doch die Art und Weise wie er sie ansah, ließ in ihr das Gefühl aufkommen, das eine für sie noch unsichtbare Falle, bereits zugeschnappt hatte.