»Ihr seht beide so toll aus.«
Ela lächelte Isi und Umut glücklich an. Isi versuchte zu lächeln. Heute wurden die neuen Klassenfotos geschossen. Isi hatte sich einen Rollkragenpullover angezogen und trug heute ihre lila Ohrringe. Sie hatte sich einen Lippenstift seiner Mum geborgt; seine Mutter hatte eine Farbe, die Isi besonders hübsch fand.
Schnell umarmten Isi und Umut ihre Mutter zum Abschied, dann gingen sie durch die Haustür. Die zwei mussten laufen, weil ihr Vater heute früher aus dem Haus musste. Mittwoch müssen sie immer laufen. Aber es war okay.
Was auch so langsam okay wurde, war die Schule. Isi gewöhnte sich so langsam daran. Es war nicht mehr ganz so schlimm, wie am Anfang. Okay, Sport war immer noch schlimm. Isi hasste Mannschaftsspiele. Welcher Depp hatte sich das bloß ausgedacht? Aber gab es etwas schlimmeres, als Sport? Ja. Den Schulhof. Isi mag es nicht, dass der Schulhof in den Pausen immer so voll ist und dass sich dort 90% der Schüler aufhaltete. Da kriegt they manchmal ein bisschen Panik. Es ist nicht so, als würde irgendjemand etwas gemeines sagen. Niemand lacht oder sonstiges. Die Leute starren nur. Dann gucken sie weg. Und dann glotzen sie wieder zurück. Aber er konnte es den Leuten nicht verübeln. Würden Zentauren plötzlich eines Tages in der Schule aufkreuzen, dann würde Isi wahrscheinlich auch starrren. Zentauren fand Isi besonders cool. Sie waren eines der Fabelwesen aus Harry Potter, die Isi am liebsten mochte.
Mittlerweile wusste Isi, wo Constantin und seine Freunde sich aufhalteten. Die waren oft bei den Tischtennisplatten. Also mied Isi diesen Platz. Er versteckte sich meistens in irgendeiner Ecke. They war lieber im Hintergrund. They beobachtete, anstatt sich in den Vordergrund zu stellen.
»Isi?« Isi hob den Blick und sah seinen Bruder fragend an. »Evet?« »Ich hab mich bei der Theater-AG eingeschrieben.«, erzählte Umut und gähnte halbherzig auf. Isi grinste. »Wie cool! Warst du schon mal da?« Umut lächelte leicht, aber schüttelte den Kopf. »Nee, das erste Treffen findet erst heute statt. In der ersten Pause. Danach sind sie immer am Freitag nach der sechsten Stunde.« »Bu güzel. Freust du dich schon?«, fragte Isi. Er wusste, dass Umut Theater liebte. Früher hatten sie zusammen mit Timur einige Szenen aus Star Wars oder Harry Potter nachgespielt. Umut nickte. »Ja, voll.«, antwortete er freudig. Er sah Isi fragend an. »Möchtest du vielleicht vorbeikommen und mir zuschauen?« Isi seufzte enttäuscht. »Gerçekten çok isterim, aber ich wollte heute in der Pause lernen. Ich hab in Physik 'nen Test. Öğretmenim konuyu anlayıp anlamadığımızı görmek istiyor.« »Oh.« Umut senkte den Blick. Isi betrachtete ihren Bruder mitfühlend. »Hey, guck mich an«, sagte er und blieb am Straßenrand stehen. Umut blieb stehen. Isi legte ihrem Bruder ihre Hand auf die Schulter. »Sei bitte nicht traurig. TAMAM? Ich bin in der Oberstufe. Şimdi daha çok şey öğrenmem gerek.« Umut nickte stumm. Er konnte es verstehen, aber er guckte immer noch traurig. Isi fing an zu grübeln. They wollte Umut aufheitern. »Wie wär's damit: Am Samstag schauen wir wieder Star Wars. Hm? Was hälst du davon?« Jetzt lächelte Umut ein bisschen. »Mit Popcorn und Eis?«, wollte er wissen. Isi grinste und nickte zur Bestätigung. »Mit Popcorn und Eis.« »Okay, abgemacht.« Jetzt wurde Umuts Lächeln breiter.
-
Wie jeden Morgen saßen Sascha, Constantin, Lou, Nick, Luis, Theo und Finn auf eine der Tischtennisplatten. Es war heute ein bisschen bewölkt, aber die Sonne kam zwischendurch zum Vorschein.
»Seht mal wer da kommt.«
Sascha hob nicht den Kopf, als er Stimme von Theo wahrnehmen konnte. Er versuchte immer noch Physik zu verstehen. Er war nicht der einzige, der Probleme hatte. Auch Lou, Constantin, Luis und Theo hatten Schwierigkeiten damit. Nick war der einzige, der es irgendwie kapierte, aber er war super schlecht darin, Dinge zu erklären.
»Streber im Anmarsch.«, kommentierte Constantin und legte seinen Füller zur Seite.
Jetzt hob Sascha doch den Kopf. Als er Isi erblicken konnte, konnte er nicht anders, als zu starren. Isi sah gut aus. They trug eine Maske, aber they schien zu lächeln. Sie war mit ihrem Bruder Umut unterwegs.
»Ey, Isi!«, riefen Nick und Lou und pfiffen in seine Richtung.
Sascha rief nichts in Isis Richtung. Mal guckte er seine Freunde an, dann guckte er in Isis Richtung. Isi sah zu ihnen rüber und sah jetzt ein wenig nervös und angespannt aus. They beschleunigte sich und machte sich auf den Weg ins Schulgebäude.
»Ich wette, der freut sich richtig auf den Test heute.«, sagte Constantin und trank aus seiner Wasserflasche. Sascha rollte mit den Augen. »Könnt ihr them nicht einfach mal in Ruhe lassen?«, murmelte er und markierte sich einige Sätze aus dem Text, den sie letzte Woche von Herr Friedel bekommen haben. Constantin schnaubte durch die Nase. »Das ist doch nur Spaß, chill mal.« Wieder rollte Sascha mit den Augen. »Ich mein's ernst, Constantin«, erwiderte er, »statt dich um Isi zu kümmern, solltest du dich eher darum kümmern, dass du den Test nicht verhaust.« »Seit wann bist du so'n Streber, alter?«, wollte Finn wissen. »Bin ich nicht.«, widersprach Sascha trocken. »Mir ist das Abi wichtig.« Luis und Nick stöhnten genervt auf. »Halt die Klappe.« Sascha konnte fühlen, wie sein Körper sich anspannte. »Halt du doch die Klappe.« Lou stöhnte genervt auf. Sie hasste es, wenn Luis und Sascha so herumdiskutierten. »Haltet einfach beide die Klappe.« Sascha seufzte genervt. Er öffnete seinen Rucksack und verstaute seinen Kugelschreiber und seinen Collegeblock. Dann erhob er sich von der Tischtennisplatte und zog sich die Maske über. »Ich muss los.« »Aber der Unterricht beginnt doch erst in fünf Minuten!« Sascha reagierte nicht. Er ignorierte Constantins Ruf und trottete rüber zur Tür.
Sascha war bei seinem Spind angekommen. Er hatte gestern vergessen seine Englischsachen wegzupacken und sein Mathebuch zu holen. Als er die Stimme von Ava, Yara und Kieu My wahrnehmen konnte, drehte er sich um und warf sich seine Schultasche um die Schultern. »Hi, na?« Die Mädchen blieben stehen. Ava hatte den Blick gesenkt. Kieu My und Yara nahmen ihre Masken ab. »Hi.«, erwiderte Yara. »Kannst du Physik?« Sascha kratzte sich am Hinterkopf und zuckte mit den Schultern. »Äh .. hoffentlich.« »Hast du nicht gelernt?«, fragte Kieu My. »Doch, schon, ich hab's jedenfalls versucht.«, antwortete Sascha. Kieu My nickte verstehend. Ihr Handy vibrierte, und auf ihrem Gesicht erschien ein Lächeln. »Mädels, ich muss los. Fatou und ich wollten uns noch kurz sehen.« Sie umarmte schnell ihre Freundinnen, dann war sie verschwunden. Yara blickte Ava fragend an. »Willst du mitkommen? Ich wollte eben zu Nora und Josh.« »Nein, alles gut. Ich muss noch was aus dem Spind holen.«, sagte Ava. Sie schenkte Yara ein kleines Lächeln. »Dann bis gleich.« Saschas Körper spannte sich vor Nervosität an. »Ja, bis gleich.«
Dann war Yara weg. Ava ging zu ihrem Schließfach. Sascha guckte dem Mädchen unsicher hinterher. Er setzte sich in Bewegung und lehnte sich gegen die Schließfächer. »Ava, komm schon«, murmelte Sascha. Ava rollte mit ihren Augen. »Was?« »Du kannst mich nicht die ganze Zeit ignorieren.«, sagte Sascha. »Bist du immer noch sauer?« Ava schloss ihr Schließfach und sah Sascha genervt an. »Bin ich nicht. Was erwartest du von mir?«, hakte sie nach. »Dachtest du ehrlich, das jetzt wieder alles gut ist?« Sascha schluckte schwer. »Ich hab mich entschuldigt-« »Und trotzdem hängst du noch mit Constantin und seinen Freunden ab.«, unterbrach Ava. »Ava, du verstehst das nicht. Es ist kompliziert, okay?« »Ist es nicht.«, antwortete Ava simpel. »Ich muss los.« Ohne ein weiteres Wort zu sagen ging sie an Sascha vorbei.
Sascha lehnte sich mit seinem Kopf gegen die Schließfächer. Er schloss die Augen und seufzte deprimiert auf. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Spinde und rutschte auf den Boden hinunter.
-
»Ein Beispiel dafür ist der Knallertest, dass die Quantenphysik eine nichtlokale Theorie ist, denn man bestimmt mithilfe eines Photons die Eigenschaft „Knaller", ohne dass das Photon mit dem Knaller in Berührung kommt.«
Sascha hörte Herr Friedel nur zum Teil zu. Sein Kopf rauchte schon wieder. Eines stand fest - er war froh darüber, dass er dieses ganze Zeug nie wieder brauchen würde.
»Wovon sprechen wir hier?«, wollte Herr Friedel wissen.
Isis Hand war (das wunderte niemanden mehr) als Erste oben. »Von „berührungsfreier Quantenmessung".«, erklärte Isi sachlich.
»Sehr gut, Isi.«
Sascha schielte heimlich rüber zu Isi. Diese Stunde saßen sie wieder nebeneinander. Es gab keinen festen Sitzplan. Die Schüler setzten sich immer da hin, wo sie wollten, solange sie vernünftig mitarbeiteten.
Herr Friedel räusperte sich und guckte Sascha an. »Sascha, hast du das verstanden? Irgendwelche Fragen?« Der Blonde schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Okay. Hefte weg. Wir schreiben jetzt den Test. Handys nach vorne bitte.«
Die Schüler stöhnten genervt auf. Nach und nach lagen alle Handys der Schüler vorne auf dem Tisch.
Es war mucksmäuschenstill. Alles, was man hören konnte, war das Ticken der Wanduhr, den Wind von Draußen und das Geräusch der Stifte. Isi war schnell fertig. They kontrollierte seine Antworten noch einmal genau, um sicherzugehen, dass sich nirgendwo Fehler eingeschlichen hatten.
Als sie zu Sascha schaute, konnte they an seinem Gesichtsausdruch sehen, dass er verzweifelte auf der Rückseite. Er hatte offensichtlich Schwierigkeiten. Isi biss sich auf die Zunge. Er konnte zu Herr Friedel. Herr Friedel korrigierte gerade die Klausuren einer anderen Klasse.
Dann guckte Isi wieder zu Sascha. Vorsichtig und leise trat Isi mit ihrem Fuß gegen den Fuß von Sascha. Der Junge zuckte ganz kurz zusammen und Isi schickte ihm einen warnenden Blick. Sie deutete dann mit ihrem Blick auf ihr Blatt an; Isi legte ihre Tests immer auf die Rückseite, sobald sie fertig war. Vorsichtig schob Isi their Blatt in Saschas Richtung. Der Junge fing an zu kapieren, was Isi gerade versuchte. Sascha schielte rüber zu Herr Friedel, um sicherzugehen. Isis Herz pochte vor Aufregung.
Und dann fing Sascha an zu schreiben. Er schielte immer nur auf Isis Blatt und versuchte so viel aufzuschreiben, wie er nur konnte. Seine Hand schwitze und zitterte ein bisschen.
Als er fertig war, brachte Isi ihr Blatt zuerst an den Pult von Herr Friedel. Dann nach einigen Minuten gab Sascha seinen Zettel auch ab.
Als Sascha sich wieder auf seinen Platz gesetzt hatte, schenkte er Isi ein ehrliches Lächeln.
Dann musste Isi auch lächeln.
-
Als Sascha die Schulcafeteria betrat, konnte er als Erstes Isi entdecken. They saß am Fenster und guckte auf ihr Handy. Zwischendurch trank sie von ihrer Capri Sonne (Kirsche). Neben der Capri Sonne war seine Brotbox aus Glas. Dort waren zwei Brötchen eingepackt in Frischhaltefolie.
»Hey, Sascha!«
Es war Lou, die nach Sascha gerufen hatte. Constantin, Lou, Finn, Luis, Nick und Theo saßen weiter entfernt von Isi. »Kommst du?«, rief Constantin fragend.
Sascha machte jedoch keine Anstalten, sich zu der Gruppe zu setzen. Er ging an ihrem Tisch vorbei und ging zu Isi hinüber. Sein Herz klopfte vor Aufregung.
»Hey«, sagte Sascha schüchtern, seine Wangen glühten vor Nervosität. Isi hob den Blick und sah Sascha überrascht an. »Danke für deine Hilfe.«, sagte Sascha ehrlich. Isi lächelte ein wenig. »Kein Ding.« »Ich hab noch Fehler eingebaut, damit der Friedel nix merkt.« »Die können nicht mehr tun, als mich rausschmeißen.«, meinte Isi und zuckte mit den Schultern.
Sascha grinste leicht und setzte sich Isi gegenüber. Er zog sich seine OP-Maske ab und legte sie auf den Tisch. Dann legte er seinen Rucksack neben sich. »Du stehst nicht so auf Schule, hm?« »Ich find's toll.«, sagte Isi sarkastisch. Die zwei grinsten.
»Ich wollte als Kind eigentlich aufs Heinrich-Hertz* gehen. Die Schule soll echt gut sein.«, erzählte Sascha. Isi runzelte die Stirn. »Weshalb bist du dann hier?« Sascha seufzte und öffnete seine Schultasche. Er holte eine Brötchentüte und eine kleine Frischhaltedose (gefüllt mit Erdbeeren) hervor. »Mein Durchschnitt war nicht der Beste damals.«, gab er zu. »Ich hatte schon als Kind Schwierigkeiten in Naturwissenschaft gehabt.«
Isi biss sich auf die Unterlippe. Statt großartig nachzudenken, hörte sie auf ihr Bauchgefühl. »Wenn du willst, kann ich dir bei Physik helfen. Komm einfach nach dem Unterricht mit zu mir nach Hause.« Sascha musterte them überrascht. Isis Wangen schimmerten rot. »Also- nur wenn du Lust hast.«, erwiderte Isi und kratzte sich am Hinterkopf. Their Herzschlag pochte vor Aufregung total schnell.
Sascha sah nicht abgeneigt aus. Er lächelte wieder so aufrichtig. »Klar.« Isi erwiderte das Lächeln. Sie verspürte Erleichterung.
Aber dann kam Isis Hungergefühl hoch. Er guckte seine Brötchen an.
»Was ist los?«, fragte Sascha verwirrt. »Ich esse nicht gern vor fremden Leuten.«, erklärte Isi. »Wenn ich esse, kaue ich wie eine prähistorische Sumpfschildkröte.« Sascha grinste ungläubig. »Du auch?« Er holte sein Brötchen aus der Tüte und fing an, übertrieben zu kauen. Er gab laute Schmatzgeräusche von sich. Isi lachte leise. »Siehst du?«, sagte Sascha mit vollem Mund. »Du machst das völlig falsch!«, sagte Isi lachend. Und dann holte they sein erstes Brötchen aus der Frischhaltedose und fing ebenfalls damit an, übertrieben laut zu kauen, als er ein Stück von seinem Brötchen abbiss. Sie wurden von einigen anderen Schülern angeglotzt, aber das war ihnen gerade wirklich egal. Es interessierte Sascha nicht, dass Constantin gerade völlig verdutzt Isi und ihn anglotzte.
Sascha musste herzlich lachen. »Das ist bei dir noch schlimmer, als bei mir.«
Er öffnete seine kleine Dose mit den Erdbeeren und schob sie in die Mitte. »Magst du welche?«
Sascha lächelte warm und Isi nickte glücklich. Sie konnte nicht anders, als zu lächeln und griff nach der ersten Erdbeere.
Zum ersten Mal nach sehr langer Zeit hatte Isi wirklich das gute Gefühl, dass es dieses Mal anders sein würde.
*Das Heinrich-Hertz ist eine Schule in Berlin.
Ahhh ich bin so happy!! Auf diesen Moment habe ich schon hingefiebert.