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»Weshalb? Was wollt Ihr tun?«, fordert der junge Fürst mich heraus. Herzogin Sharai spielt lächelnd mit einer einzelnen Haarsträhne.
»Ich weiß nicht so recht... Denn, mal rein theoretisch betrachtet, könnte ich alles tun. Ich bin die Königin«, zwinkere ich ihm zu. Man kann seine Wut so deutlich sehen wie ein Fußabdruck im frischen Schnee.
»Doch das seid Ihr unrechtmäßig! Damit könnt Ihr nicht durchkommen!«
Trotz meiner Warnung wirbelt er herum und flüchtet. Ich winke Herzogin Sharai zu mir und folge ihm mit raschen, festen Schritten. Aus dem Augenwinkel bemerke ich die junge Fürstin hinterhereilen, ihr Name müsste Seiya Sorotaska sein, sollte ich mich nicht täuschen.
Kai Zeron Raith erreicht eines der Treppenhäuser und ich muss lächeln. Keine Chance mehr, Herzchen. Denn ab hier kann ich es leicht wie einen Unfall aussehen lassen.
Ein leichter Wink meiner linken Hand genügt und der Boden unter des Fürsten schnellen Füßen gefriert, wird glatt. Es geschieht, was geschehen muss: Der junge Mann fällt. Seine Schwester macht einen Schritt auf ihn zu, Herzogin Sharai jedoch ergreift sie am Handgelenk.
Doch ich kann Kai Zeron Raith nicht einfach stürzen lassen, nicht?
Ich vollführe eine Aufwärtsbewegung, ebenfalls mit der linken Hand, und ein Eiszapfen sprießt aus dem Boden am Treppenende. Er reflektiert das Licht und blendet für einen kurzen Augenblick.
Dann ertönt ein grässliches, knirschendes Geräusch, als der sandfarbene Kopf des jungen Fürsten auf das gefrorene Gebilde trifft. Der Schrei, den er zuvor von sich gegeben hat, verstummt prompt.
Eine Weile herrscht angespannte, fassungslose Stille, doch rasch wird diese von Herzogin Sharais liebenswertem, amüsierten Kichern durchbrochen, Seiya Sorotaska starrt schweigend die Leiche ihres Bruders an, die Augen geweitet von Entsetzen.
Sie dreht sich langsam und wissend zu mir. Das Mädchen scheint nicht dumm - Sie hat wohl bemerkt, dass meine Bewegungen und das Erscheinen des Eises kein Zufall war. Sie öffnet den Mund leicht, schließt ihn wieder, öffnet ihn.
»K- Königin... Me- Mein Bruder...«
»Euer Bruder?«, lächele ich. Einige Sekunden bleibt Seiya Sorotaska regungslos, bevor sie sich vor mir auf die Knie wirft. Herzogin Sharai grinst und kichert erneut.
»Bitte zeigt Gnade bei mir, wir wollten Euch nur erneut persönlich gratulieren und unser Beileid für den Unfall Eures Bruders aussprechen, wir hatten nicht damit gerechnet, dass Ihr mit Herzogin Sharai sprechen würdet! Wir wollten euch nicht belausche! Ich habe Euch schon immer bewundert, Ihr seid mein Vorbild, bitte verschont mich!«, rattert die junge Fürstin herunter.
Natürlich weiß ich das - Seiya Sorotaskas Blick auf der Krönung sind mir nicht entgangen. Ich beuge mich leicht zu ihr und hebe ihren gesenkten Kopf mit meinem Zeigefinger.
»Das werde ich... Solange Ihr mir treu ergeben seid. Und Tarumburg wird fortan tun, wie ich es wünsche.«
»Ja, ja, natürlich! Habt Dank!«
Ich neige den Kopf lächelnd.
»Erhebt Euch.«
Sofort steht Seiya Sorotaska auf. Ich wende mich von ihr ab, tausche einen kurzen Blick mit Herzogin Sharai aus, den sie wissend erwidert, und schnipse. Das Eis, das zuvor die Treppen glatt machte, und der Zapfen, der Kai Zeron Raith das Leben kostete, verschwinden.
Nun folgt der erfreuende Teil der Inszenierung... Obwohl - Der Unfall an sich ist bereits recht unterhaltend.
»Zeigt mir, ob Ihr immer noch so gut seid, Herzogin«, wispere ich ihr zu, als ich an ihr vorbeischreite und gespielt bestürzt die Stufen hinunterstürme.
Ich beuge mich zu dem jungen Fürsten hinab. Wie dickflüssige Erdbeersoße auf den süßen, teuren Kuchen, die an Festen stets serviert werden, breitet sich eine Lache aus Lebenselixier unter ihm aus.
»Fürst! Nein!«
Ich knie mich neben ihn, rüttele an seiner Schulter. Tränen laufen meine Wangen hinab, mein reinweißes Kleid nimmt gierig das Blut auf. Aus dem Augenwinkel nehme ich zwei Diener wahr, die - von meinem Schrei angelockt - heraneilen.
»Was ist geschehen?«, ruft Herzogin Sharai geschockt aus und rauscht zu mir, Seiya Sorotaska folgt ihr mit schnellen Schritten. Auch sie hat eine betroffene Maske aufgesetzt - Nicht schlecht.
»Ich weiß es nicht!«, bringe ich heraus und setze sogar ein Schluchzen hinzu.
»Bruder!«
Seiya Sorotaska bricht neben dem Körper mit den verdrehten Armen zusammen und beginnt zu weinen.
»Bei den Drachen...«, wispert einer der kreidebleichen Diener.
»Tut doch etwas! Holt doch irgendwen! Seine Eltern!«, kreischt Herzogin Sharai verzweifelt die Angestellten an und sofort hört man die Schritte einer der beiden.
Vorsichtig drehe ich den leblosen Körper um. Ein Loch, aus dem das Lebenselixier fließt wie aus einem undichten Wasserschlauch prankt mitten auf seiner Stirn.
Knochensplitter werden mitgespült, auch über die glasigen, ehmals dunklen, nun roten Augen, die einen Ort fokussieren, der nicht in dieser Welt ist. Der Mund ist aufgerissen zu einem Schrei, der nie erklingen wird.
Und überall klebt Blut.
»Oh, Drachen...«, schluchzt Seiya Sorotaska und umarmt ihren Bruder. Zitternd zieht sie den leblosen Körper an sich. Ich erhebe mich, gehe einen Schritt zurück, streiche mein mittlerweile rotes Kleid glatt, lasse ihr den Moment. Denn das ist nicht gespielt.
Ich werde wohl nie meinen Bruder wertschätzen können wie die junge Fürstin es getan hat.
»Darf ich eintreten?«
Rasch lege ich den Entwurf eines Beileidsschreibens an die Fürsten von Tarumburg über die Karte der Reiche, bevor ich antworte.
»Ja, tretet ein.«
Die Tür zu meinem Arbeitszimmer schwingt auf und mein Bruder fährt seinen Rollstuhl hinein. Er blickt sich in dem Raum mit den hohen, gefüllten Bücherregalen um, bevor sein Blick zu mir am Schreibtisch in der Mitte des Raumes schweift.
»Wie geht es Euch?«
Verblüfft sehe ich ihm in die hellgrünen Augen, deren Farbe er von Mutter geerbt hat. Weshalb schert er sich um mein Wohlbefinden? Mein Bruder scheint meine Verwirrung zu merken. Notiz an mich: Nicht einmal Irritation durchwirken lassen.
»Ich meine, wegen Fürst Kai Zeron Raith... Du warst... Ihr wart«, verbessert er sich nach einem scharfen Blick meinerseits, »Ebenfalls anwesend.«
Ich seufze dramatisch.
»Es war... Es war sehr unangenehm. Entschuldigt, ich kann die richtigen Worte nicht finden«, erwidere ich und werde leiser gegen Ende.
»Oh, ja, natürlich. Ich habe mir nur Sorgen um Euch gemacht. Ihr seid nun Königin, das ist sicher nicht leicht... Aber Ihr seid meine Schwester.«
Verlegen fährt sich der Prinz der Eiskristalle durch die weißen, kurzen Haare.
Eine Weile schweigen wir uns an. Er kümmert sich um mich? Wer's glaubt, sei ein Drache.
Er ist es doch gewesen, der immer meinte, er wäre König allein. Er ist es gewesen, der immer meinte, er wäre beliebter als ich. Er ist es gewesen, den alle stets für intelligent, weise und vorrausschauend gehalten haben. Eben für den perfekten Thronfolger.
Und ich?
Nun... Ich bin immer nur die zweitgeborene Prinzessin gewesen. Hübsch, doch verwöhnt. Klug, doch arrogant. Begabt, doch untrainiert.
Alles dreiste Lügen, die sie sich erzählt haben, alles falsche Gedanken. Ich bin so viel besser als das, so viel besser als mein Bruder.
»Mag sein.«
Meine Stimme ist kalt wie Eis.
»Doch ich werde wohl oder übel zurechtkommen. Bitte geht nun, ich habe noch zu tun.«
Die Luft zwischen uns scheint vor Kälte zu klirren.
Verletzt lässt der Eiskristallprinz seine Hand auf das Rad des Rollstuhls sinken. Er nickt knapp, bevor er sich umdreht. Kurz vor der Tür halte ich ihn auf, er wendet sich um.
»Prinz der Eiskristalle, einen Moment noch.«
»Ja?«
Ich lehne mich zurück. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
»Eure Eltern und Ihr werdet in wenigen Tagen nach Ais umziehen.«
»Was?! Weshalb?!«, fragt er entsetzt.
»Bereitet bitte Euer Gepäck vor. Auf Wiedersehen.«
Mein Bruder starrt mich fassungslos an.
»Ihr dürft nun gehen«, meine ich mit Nachdruck und kneife die Augen zusammen. Schweigend wendet er sich ab, verlässt das Arbeitszimmer und schließt die Tür.
Seufzend stütze ich meinen Kopf auf meine Hände, die Handflächen auf den Augen. Ist das richtig? Und wie oft habe ich mich das gefragt?
Ich erhebe mich und schreite zum Fenster. Sanft streiche ich den kostbaren Vorhang beiseite und fahre mit meinen Fingern über das kalte Glas.
Draußen schneit es leicht. Zwischen dem feinen Flockenfall ragen die Spitzen Nyma Taësis auf. Nicht umsonst ist diese als die gläserne Stadt bekannt. Denn sie ist so filigran, so hervorragend architektonisch und so wunderschön gebaut wie Glas.
Und genauso fragil.
Ein kleiner Stups an der richtigen Stelle und alles würde in scharfe, schneidende Scherben und Splitter zerbrechen - Dank der viel zu nachlässigen Herrschaft meiner Eltern. Doch nicht unter meiner Regentschaft.
Ich werde diese Stadt, dieses Reich, ja eigentlich diese Reiche, in ein so festes Gebilde verwandeln, dass nicht einmal der stärkste Schneesturm einen Riss verursachen könnte.
Die dunklen Silhouetten einiger Stadtbewohner bewegen sich unter mir.
Für dieses Volk, das schwöre ich. Ich tue es für das Wohl meines Volkes.
Nun, möglicherweise enthalten meine Taten auch ein klein wenig Rachegedanken. Das Lächeln in meinem Gesicht erscheint ohne meinen aktiven Einfluss.
»Und hier die Schlüssel«, meint Jade und legt eben diese auf den Tresen.
»Habt's Dank, verehrte Herrschaft'n!«, erwidert der Wirt, nimmt die Schlüssel entgegen und ordnet sie in einer Schublade ein.
»Wir haben zu danken. Auf Wiedersehen!«, verabschiede ich mich und auch die anderen tun es lächelnd. Es tat wirklich gut, mal mit Leuten sprechen zu können, bei denen man nicht zwingend auf seine Redensart achten muss.
»Na, na, na! Wartet an Moment, bidde! Isamu hat's an bissle Essen far eich vorbreitet!«, hält er uns auf.
»Wie nett!«, freut sich Lio. Genau in dem Moment sprintet Isamu aus der Tür und springt über den Tresen.
»Wie oft hab' ich dir eig'tlich gesocht, dass du net da drüber springa sollst, huh?«, tadelt der Wirt.
»Sehr oft, ich weiß es ja a'.«
Isamu zuckt mit den Schultern und hält uns zwei Beutel hin.
»Hier habt's ihr etwas Brödl und Obst. Würd' mich freuan, wenn ma uns wiederseh'n«, grinst er frech und zwinkert Lurai, Runa und mir zu, »Besond's über eich Mädls würd' ich mick freuen.«
Schmunzelnd nehmen Runa und ich ihm die Beutel ab und verstauen sie in den Rucksäcken. Dem Wirt scheint die Bemerkung Isamus sehr peinlich, er kratzt sich verlegen am Hinterkopf.
»Wir werden sehen, Isamu«, meine ich und schenke ihm ein Lächeln, »Vielleicht kommen wir wieder.«
Der Junge kichert und wird etwas rot, dann vollführt er wieder einen akrobatischen Sprung über den Tresen und verschwindet im Hinterzimmer.
»Nun denn. Auf Wiedersehen!«, meint Jade. Der Wirt verabschiedet sich und ihm zuwinkend verlassen wir das tolle Gasthaus. Unsere Pferde stehen bereits draußen, ein weiteres hat sich dazugesellt, vermutlich von Lio.
Ich hoffe sehr, dass das Wiedersehen wahr werden kann.
Anmerkung der Autorin:
Und? Eure Meinung zum neuen Klappentext, dem Kapitel - und der Prinzessin? ;)
Es gibt übrigens eine (mehr oder weniger) große Neuigkeit. Das Militärsystem ist überarbeitet worden! Danke an den Dude, der das eigentlich im Alleingang gemacht hat. An die Leute mit Charakteren im militärischen Bereich: Lest es euch im Kapitel 'Inspiration und Vergebenes' durch.
Und Stardragon0001: Netsu als Soldat lässt sich leider nur sehr schwer einbringen. Vielleicht magst du ihn auf einen anderen Posten oder gar in einen anderen Beruf stecken...?
Ich hoffe, Kais Tod ist so in Ordnung für dich, music_dreamgirl... Du kannst gerne einen weiteren Charakter anmelden, der wird auch länger überleben xD