Es war entschieden. Die Geheimnisse sollten gelüftet werden.
Nur wer damit beginnen sollte war noch nicht geklärt...
„Ladies first", sagte Mikko zögerlich.
Meine Kehle war rau und mein Verstand vernebelt. Ich hatte damit abgeschlossen, wieso musste es jetzt wieder aufkommen?
Mikkos erwartender Blick liess es nicht zu, die Wahrheit länger heraus zu zögern. Mit zittriger Stimme begann ich.
„Weisst du, ich war eines der ersten Kinder in meinem Bekanntenkreis, das bereits lesen konnte. Ich war um die 4 Jahre alt und konnte schon in diese anderen Welten flüchten", druckste ich herum. Als ich bemerkte, dass das hier nichts mehr werden würde, wenn ich nicht sofort anfänge mit der Sprache rauszurücken seuftze ich noch ein letztes Mal. Zur mentalen Vorbereitung, denn das würde schmerzhaft werden.
„Früher war ich oft allein. Sehr oft, häufiger als jetzt. Wenn Kinder alleine sind, dann versuchen sie das zu ändern. Erwachsene finden sich oft einfach mit ihrem Schicksal ab. Meine Methode war es, mir schlichtweg Gesellschaft zu erfinden.
Über die Zeit entwickelte ich eine ganz andere Welt in meinem Kopf, geprägt von den Geschichten, die ich gelesen habe. Ich liebte Fantasy Romane, doch auch Dystopie hatte es mir, vorallem einige Jahre später, sehr angetan.
Das Landschaftsbild in dieser Welt war also äusserst detailliert und natürlich kannte ich die gesamte Umgebung wie meine Westentasche.... Es gab sogar... Tage, wenn es mir mal richtig schlimm ging, da setzte ich mich einfach in die Ecke in meinem Zimmer und machte... "Spaziergänge" in meiner Fantasie.
Und ich kannte die Leute dort mit Namen, wusste die Hintergrundgeschichte von jedem und sie sprachen zu mir. Diese Leute... in meiner Fantasie waren sie die Einzigen, die mit mir redeten. Robin war zu jung, und im Gegensatz zu mir hatte er Freunde. Ich steckte bereits zu sehr in dieser elenden Spirale. Ohne es zu bemerken vermischte ich die reale und imaginäre Welt. Niemand wollte mit einem Mädchen reden, dass immer nur von ihren Feen-Freunden und Prinzen und Trollen und Drachen schwärmt!",
gegen Ende konnte ich die Worte nur noch förmlich ausspucken. Meine Stimme war gespickt von Selbsthass. Irgendetwas glitzerte in meinen Augenwinkeln. Ein letztes Mal setzte ich zum Sprechen an.
„Die Welt die du beschrieben hast ist meine".
Es war still. Elend still. Ich starte nur auf meine Füsse als darauf wartete, dass Mikko mich auslachte oder ähnliches. Doch ich wurde nicht mit einem höhnischen Lachen, sondern mit einem atemlosen: „Ich wusste es... Du bist doch in das Rätsel verwickelt!", konfrontiert. Mikkos Stimme hatte sogar von einem breiten Lachen geschmückt zu sein.
Verwirrt hob ich den Kopf. Und tatsächlich grinste mich dieser von Sekunden zu Sekunden komischer wirkende Junge mit strahlenden Augen an während meine nur grösser wurden. Wie-, Wieso-, Er-,.... Warum schien er so glücklich über etwas das meine gesamte Kindheit zerstört hatte?!
Ich schlug meine Stirn in Falten und Mikko schien zu verstehen, dass sein Elan besser etwas gezügelt werden sollte. Er wand seinen Blick ab zur Seite, wo er so tat, als seien meine Hausaufgaben auf dem Tisch neben ihm äusserst spannend.
Schlussendlich räusperte er sich und fragte: „Es ist jetzt wohl an mir meine Situation zu erklären... oder?"
Ich nickte, dann druckste ein zittriges "Bitte" heraus während ich die letzten Reste meiner Tränen aus den Augen blinzelte.
Mikko sah mich wieder an, dann holte er tief Luft und begann mit den Augen gen Zimmerdecke zu erzählen:
„Ich komme von einem sehr, sehr fernen Land. So fern, dass es wahrscheinlich nicht einmal mehr auf diesem Planeten liegt. Vielleicht nicht einmal in diesem Universum... oder dieser Dimension...".
.... Okay. Das war um ehrlich zu sein was ich erwartet hatte. Trotzdem verschlug mir das ausgesprochen zu hören doch ein wenig den Atem. Der... Ausserirdische (das war jetzt passend, oder nicht?) liess mir aber keine Zeit über irgendetwas lange nachzudenken, er sprach weiter, ohne grosse Pausen.
„Jedenfalls ist das wichtigste Gut unseres Landes das Wissen. Und wir erhalten dieses Wissen, indem wir Bücher lesen. Bücher über alle anderen Länder oder Dimensionen oder was auch immer. Unsere Bücher sind aber nicht wie die euren, die unseren können Portale öffnen, jedenfalls wenn du weisst wie. Da komm ich ins Spiel. Ich bin ein Bibliothekar in Ausbildung, einer von jenen die diese Portale öffnen können. Ein Bibliothekar in unserem Land hat aber noch eine Aufgabe. Nicht nur das Öffnen ist was wir tun müssen, wir gehen auch hindurch. Denn jede Welt, aus jedem Buch, ist in irgendeiner Form in Gefahr. Manche dringender als andere, aber alle sind es. Und wir-, ich meine die ausgebildeten Bibliothekare, müssen diese retten.
All meine Probleme von zuvor waren jetzt vergessen. Viel eher fühlte ich mich schlecht über so eine... vergleichsweise Nichtigkeit sich solche Sorgen gemacht zu haben. Doch am meisten von allem überschwemmt mich die Neugierde.
„Und wieso nicht "wir"? Kannst du das nicht auch?".
Er begann wieder sich am Hinterkopf zu kratzen, definitiv ein Zeichen dafür, dass diese frage ihn nervös machte.
„Ähm... Ja.. also... Eigentlich sollte ich nicht hier sein... Aber ich konnte nicht anders... Mein allererstes Buch das ich je in der Hand hatte war über diese Welt hier. Weisst du, dass du auf der wahrscheinlich interessantesten aller Welten lebst? Und auch auf einer der gefährlichsten. Vor einigen Tagen habe ich herausgefunden, dass bereits über 6 verschiedene Bibliothekare meiner Welt die hiesige retten mussten. So oft wie noch keine andere. Dieser Planet, den sie liebevoll "die Erde" genannt haben, voll mit so herzensguten und so verdorbenen Menschen, war schon so oft in Gefahr... und er ist es wieder".
"Warte, warte! Wir sind in Gefahr? Wieso?!"
Keine Antwort, er machte einfach, als ob niemand ihn unterbrochen hätte, weiter mit seiner Erklärung.
„Als ich hörte das meine Lieblingswelt, über die ich bereits alles mögliche gelesen habe, wieder in Gefahr ist, da habe ich... Naja, ich habe eine sehr spontane und gedankenlose Tat vollbracht. Ich bin direkt durch ein Portal gesprungen um sie selber zu retten... Wir Auszubildende sollten das eigentlich nicht machen tun...".
Die Schuld war offensichtlich in seiner Stimme und Körperhaltung zu erkennen. Mikko tat mir leid, er hatte es nur aus gutem Willen getan und nun bereute er es. Wenn auch logischerweise, seine Entscheidung schien mir sehr dümmlich schnell getroffen. Nichtsdestotrotz konnte ich ihn nicht lange so selbstkritisch sehen, weshalb ich versuchte ihn mit einer anderen Frage abzulenken.
„Also... Wie sind wir in Gefahr?"
Er schien sich wieder zu fangen, denn er setzte zu einer weiteren Erklärung an.
„Dieser Typ den du in der Bibliothek gesehen hattest, erinnerst du dich? Nur Bibliothekare oder Auserwählte Verbündete derer können diese Erscheinungsform erkennen. Denn eigentlich sind diese Leute normale Bewohner des Landes. Doch ihre Herzen sind bereits schwarz, von der oder den Gefahren die es auf diese Welt abgesehen haben. Die Gefahren können alles Mögliche sein, so wie ein Krieg, etwas das sich drastisch verändert, eine Person grossen Einflusses oder mehrere Personen. Vielleicht auch alles gleichzeitig. Je mehr Menschen diese Gestalt annehmen, desto schwerer wird es sie wieder zu ihrer Ursprungsform zurück zu verwandeln. Unglücklicherweise ist es viel zu einfach für diese verdorbenen Gestalten andere mit sich zu ziehen. Bleibst du zu lange in deren Umgebung wirst auch du langsam wie sie. Je schwächer dein Wille, desto schneller".
Langsam aber sicher wurde mir dieser Sturm and Fakten zu viel. Mit langsamen Schritten lief ich in Richtung meines Bürostuhls wo ich mich erschöpft hinein fallen liess.
„Und was musst du jetzt tun?".
„Mein Ziel ist es das Rätsel der letzten Seite des Erde-Buches zu lösen. Damit kann ich ein weiteres Buch hier finden, eines das für euch zwar völlig normal wirkt, für mich aber ein weiteres Portal öffnet. Eines zu einer sogenannten Spiegelwelt. Dort... ähm... Naja, irgendwie werde ich dann dort die Lösung finden können. Der Teil ist irgendwie noch nicht ganz in meiner Ausbildung vorgekommen...".
Gen Ende hin fing er wieder an sich den Hinterkopf zu reiben während er nervös lachte.
„Aber das wird schon!", fuhr er nun aufgeregt und laut hinzu, „Jetzt habe ich ja dich. Du bist meine Auserwählte, du kannst mir helfen, du bist mein Portal!"
Voller Vorfreude griff er mich an den Schultern, die Augen freudig strahlend. In dieser Position verharrten wir bis uns beiden die Bedeutung seiner Worte auffiel. Die Wangen in baby rosa getaucht druckste Mikko herum um sich irgendwie zu retten.
„I-Ich, also, das kam jetzt ein bisschen komisch rüber... Entschuldige, ich wollte nicht... Du verstehst schon, oder?...Jedenfalls, willst du mir helfen? Bitte?"
Das Hirn vernebelt sass ich vor ihm, liess mir all das Gehörte noch einmal durch den Kopf gehen.
Er muss verrückt sein. Ein Schizophreniker, Geisteskranker, jemand mit vortgeschrittener Realitätsflucht, noch schlimmer als ich damals! Das muss es sein, irgendwas stimmt nicht mit ihm und wenn ich mit ihm gänge, dann wäre ich mindestens genau so schlimm. Ich sollte ihn aus dem Haus werfen, das ist die einzig richtige Entscheidung!
„Oke, ich helfe dir".
Warte. WAS?!
Die Worte rutschten mir einfach so über die Lippen, ungewollt und unbewusst. Direkt nachdem dieser simple Satz ausgesprochen war schlich sich ein so breites Lächeln auf Mikkos Gesicht. So enorm erleichtert und glücklich hatte ich schon lange niemanden gesehen. Ich begann zu begreifen, dass er nicht alleine diese schwere Reise, ob nun echt oder eingebildet, antreten wollte, wahrscheinlich hatte er sogar Angst davor gehabt. Und so beschloss ich ihm zu helfen, selbst wenn die Zweifel an der Echtheit seiner Geschichte nicht ganz verschwunden waren.
Ich lächelte ihn ermutigend an, er lächelte ehrlich froh zurück.