"There is some good in this world, and it's worth fighting for." — J.R.R. Tolkien
Ich setzte mein Vorhaben gleich am nächsten Tag in die Tat um. Ich musste mal wieder wie fast jeden Tag mit Kellin trainieren und während ich meine üblichen Runden joggte, überlegte ich, wie ich dieses Gespräch anfangen könnte. Reed wäre den ganzen Tag mal wieder beschäftigt und würde uns nicht in die Quere kommen können. Würde Kellin denn einfach hinter dem Rücken seines Bruders so handeln? Würde er Reed so hintergehen und mit mir eine recht waghalsige Mission durchziehen, wissend, dass Reed das nicht gefallen würde? Ich hoffte es mal. Die Wentworth-Brüder waren sich nicht unbedingt nahe genug, dass sie viel Wert auf so etwas legen könnten. Jeder von ihnen machte ein wenig das, was er wollte. Sie würden sich vermutlich nie ernsthaft in Gefahr begeben, solange sie es nicht unbedingt müssten, aber ich konnte mir vorstellen, dass Kellin vielleicht auch gar keine Lust hätte, mit mir Zeit zu verbringen und auf so eine Mission zu gehen. Wir standen uns nicht gerade nahe. Kellin behandelte mich die meiste Zeit wie eine nervige Plage und seit Malia fort war, waren seine Launen kaum auszuhalten. Seine Leute machten alle einen großen Bogen um ihn. Nur Paul ließ sich noch wirklich an seiner Seite blicken, doch selbst dieser achtete mehr darauf, was er sagte.
Naja, ich müsste es wenigstens versuchen. Er wäre meine letzte Chance.
„Zehn Minuten hast du noch", sagte Kellin, als ich auf ihn zulief, anstatt weiter durch den Garten zu joggen.
„Ich weiß, ich wollte nur mit dir über etwas reden, bevor ich gleich zu sehr außer Atem sein werde."
„Über was?" Fragend zog er seine Brauen in die Höhe und ich atmete tief durch. Ich würde das schon schaffen. Schlimmstenfalls sagt er nein, fertig.
„Ich habe darüber nachgedacht, wie man mehr Infos über Rowan kriegen könnte und da bin ich auf Helena Aasen gekommen."
Kaum erwähnte ich die Frau, zuckte Kellin zusammen und wirkte kurz ziemlich verdattert. Immerhin wusste er also genau, wen ich meinte. Was wohl seine vergangenen Erfahrungen mit ihr waren?
„Wie kommst du auf Helena Aasen?"
„Als Reed und ich sie in der Vergangenheit aufsuchten, schien sie mehr über ihn zu wissen, Dinge, die in der Zukunft lagen. Ich glaube ja, sie könnte eine Hilfe sein."
„Helena ist eine Hexe", schnaubte Kellin, der sich wieder fing, gleichgültig wirkte.
„Eben! Wie viele Hexen kennst du? Die Frau scheint ja ziemlich böse und verrückt gewesen zu sein, sie wusste also eindeutig mehr zu dieser Angelegenheit, wir könnten uns das zu Nutzen machen."
„Und was sagt mein verehrter Bruder dazu?"
„Der will mich nicht in ihrer Nähe sehen."
„Na also, was willst du dann von mir?", fragte er und ich sah ihn bettelnd an. Der Blick funktionierte oft bei meinen Brüdern, sicher würde er es nicht bei jemanden wie ihm, aber ich hoffte ihn vielleicht weich zu kriegen mit meiner Ähnlichkeit zu Malia. Er musste nur an sie denken und wie elendig es ihr gerade ging. Es war ein fieser Trick, denn sicher dachte er auch so oft genug daran, wie schlecht es ihr im Moment gehen musste, aber ich versuchte das alles auch nur, um ihr zu helfen. Sie litt meinetwegen und ich hasste es. Ich hasste alles an dieser Lage und wenn ich mich in die Nähe von dieser Hexe begeben müsste, um etwas zu bewirken, dann würde ich es!
„Ich glaube, sie könnte helfen. Sie hat mich mit Malia verwechselt, sie weiß also, wer Malia war und das, obwohl sie sie unmöglich kennen konnte. Sie wusste Dinge über Malias Zukunft. Das muss was bedeuten."
„In welchem Jahr habt ihr sie aufgesucht?", fragte Kellin, der mein Gesicht musterte, verbittert wirkte. Also funktionierte mein Vorhaben. Sehr gut.
„1838."
„Verstehe", murmelte er. „Sie zu suchen ist gefährlich, Alice. Man kann ihr nicht trauen und sie verabscheut Reed und Hayden."
„Und dich auch?" Hoffnungsvoll sah ich ihn an und er lächelte schwach.
„Ich habe keine Ahnung, was sie für mich empfindet. Freunde werden wir sicher nicht werden. Sie hasst meine ganze Familie. Jeder, der den Namen Wentworth trägt, ist ein Feind."
„Es ist die einzige heiße Spur, die ich habe. Weiß sie, wie man Rowan stoppt, könnte alles enden. Dann könnten wir Malia retten und den Krieg beenden."
Für einen Moment schloss er die Augen und als er sie öffnete, wusste ich, dass ich gewonnen hatte. In seinen Augen lag das erste Mal, seit Malia fort war, etwas, das wie Kampfgeist aussah. Da war der Kellin, den ich damals das erste Mal kennen gelernt hatte, ein Kellin, der nicht aufgeben würde, der bis zum bitteren Ende kämpft für das, was er will. Er würde für Malia kämpfen und sich dafür in Gefahr begeben, mich in die Gefahr bringen und seinen Bruder obendrein hintergehen.
„Dann lass uns ins Quartier fahren."
Aus dem Haus zu kommen war einfach, wenn so viel Trubel herrschte. Sicher hätten wir es ganz unbemerkt geschafft diesen Plan durchzuziehen, es gab nur einen winzigen Haken an unserem Vorhaben. Das passende Datum.
Kellin bestand darauf, dass wir uns einen Tag suchten, an dem wir sichergehen konnten, auf niemand anderen als Helena im Haus zu stoßen. Unter gar keinen Umständen sollten wir noch einmal Grace begegnen oder gar Reed. Er wollte auch ein Jahr nehmen, nach meiner ersten Begegnung mit ihr, so wie ich es selbst auch für am schlausten hielt. Da Kellin und ich beide nicht wussten, wann Grace wie daheim gewesen war und Elin das Tagebuch irgendwo in ihrem Zimmer gelassen hatte und es vermutlich recht aufwendig gewesen wäre dieses jetzt zu holen und nach Informationen zu durchsuchen, blieb nur einer übrig, der es abgesehen von Reed vielleicht wissen konnte.
Hayden.
„Ich verstehe es also richtig, dass ihr die verrückte Hexe erneut aufsuchen wollt? Und das ohne, dass Reed es weiß?", fragte er mich über den Lautsprecher in Kellins Wagen, während wir auf den Weg zum Quartier waren.
„Spiel dich nicht als Anstandsmädchen auf, Hayden, und sag uns, was du weißt", brummte Kellin. „Du hast sie 1855 das erste Mal getroffen, nicht wahr?"
„Ja, am 3. September 1855... oder vermutlich eher der Tag davor, wenn man es genau nimmt."
„Gut, weißt du noch, ob an dem Tag irgendwer bei ihr im Haus gewesen sein könnte?"
„Ihr Bruder ging wie sie auch an dem Tag in die Schule. Es war der erste Schultag für sie. Ihr Vater war auf Reisen. Das Haus müsste bis auf Helena verlassen gewesen sein. Ich kann es aber nicht garantieren. Ich kannte sie nicht gut genug, um zu wissen, ob nicht irgendwer doch da gewesen sein könnte."
„Gut, mehr brauchen wir nicht wissen." Kellin legte auf, bevor Hayden noch irgendwas sagen konnte.
„Also werden sie alle im Dorf sein?"
„Ja, aber solange wir nicht direkt im Quartier springen, sondern mehr in der Nähe des Hauses, sollten wir nicht gesehen werden."
Für mich klang die ganze Sache aufregend. Mit Kellin bewusst in die Vergangenheit zu reisen war eigenartig und so war es schon schwierig genug mit ihm zu unserem Ziel zu kommen. Da er einem Treffen mit Warren und den anderen auswich und auch ungern von sonst irgendwem bemerkt werden wollte, sprangen wir zuerst ins Jahr 2000 zurück, von wo aus wir uns Umhänge zur Tarnung besorgten und unbemerkt bis zu dem Haus liefen, in dem damals Helena Aasen lebte und das selbst zu unserer Zeit noch im Dorf stand.
„Kann ich dich was fragen?" Schweigend liefen wir nebeneinander durch den Wald. Wir hatten uns nicht viel zu sagen, aber diese ganze Mission vor Augen und so oft an Rowan zu denken oder daran, was wir hier planten, es ließ mich daran denken, wie ich selbst erst vor wenigen Wochen als Opfer bei Rowan war und wie ich gerettet wurde.
„Was gibt's?"
„Als ich bei Rowan war, wurde ich von den Wanderern gerettet. Was genau hat es mit ihnen auf sich?" Ich war nach meiner Rettung so durch den Wind gewesen von allem, was geschehen war, dass ich die Wanderer ein wenig aus meinem Kopf verdrängt hatte. Eine Weile hatte ich geglaubt, sie mir nur eingebildet zu haben, so wie viele Dinge, die in Rowans Anwesen geschehen sind. Mittlerweile hatte ich meine Gedanken aus dieser Zeit besser ordnen können und ich war mir ziemlich sicher, dass ich wirklich von ihnen gerettet wurde.
„Die Wanderer sind eine Gruppe Verrückter, wenn du mich fragst. Sie existieren seit tausenden von Jahren, arbeiten für irgendeine mächtige Gottheit oder Macht oder was auch immer und sind der Meinung für das Gleichgewicht der Welt große Opfer bringen zu müssen."
Irritiert sah ich ihn von der Seite an, weswegen er seufzte. „Sie sind als einzige noch in der Lage, durch die Welten zu reisen. Während alle anderen darin blockiert wurden, geht ihre Macht etwas anders. Ähnlich wie bei den Reitern. Sie ziehen genauso wie Reiter ihre Macht aus der Unterwelt, deswegen könnten sie theoretisch Dämonen und Mächte aus dieser auf die Erde holen, was nur enorm viel an Kraft verlangt. Ich bezweifle, dass abgesehen von Rowan vielleicht irgendwer noch die Kraft dazu besitzt. Wir Wächter ziehen unsere Kraft von der göttlichen Welt, aus der wir etwas stärker abgetrennt wurden vor langer, langer Zeit, deswegen haben sie Kräfte, die gefährlich sind."
„Aber sie bedrohen uns nicht. Sie haben mir geholfen."
„Sie haben geholfen, weil sie verhindern mussten, dass Rowan deine Kraft kriegt. Sie können sicher noch ein Problem werden, jetzt wo sie von dir wissen, aber fürs erste lassen sie uns in Frieden und das ist die Hauptsache."
„Wieso? Was genau wollen diese Wanderer nun wieder von mir? Wieso ist jeder so scharf auf meine Kraft?"
„Du kennst die Antwort dazu."
Ich seufzte genervt. „Schon wieder etwas, das ich nicht wissen soll?"
„Du hast es erfasst."
„Das ist ätzend."
Er lächelte vergnügt von meinen Worten. „Ach was. An dieser Lage gibt es rein gar nichts, das nicht ätzend ist. Unsere Probleme könnten gelöst werden, wenn es nicht so verdammt schwer wäre, einen Pakt mit Mächten der Unterwelt zu schließen."
„Ist das eure Lösung für alles? Einen Deal mit Dämonen oder Hades eingehen?", fragte ich, fand das waren eher gefährliche Vorgehensweisen.
„Hades können wir vergessen. Es gibt keinen Weg, an ihn heranzukommen. Ohne Daisy ist es unmöglich."
„Aber es gibt noch andere Götter in der Unterwelt, oder nicht? Was ist aus den anderen Thronanwärtern geworden? Hat Hades jeden umgebracht, der ihm im Wege stand den Thron zu beanspruchen?"
„Wir können es nicht genau sagen. Es gibt sicher noch welche, aber wie viel Macht diese haben ist schwer zu sagen. Und wir können auch nicht so leicht an diese heran. Man müsste sie auch nur heraufbeschwören, was wiederum unmöglich ist. Reed hat also ganz umsonst Kalma hierhergebracht."
„Wen hat Reed hergebracht?", fragte ich irritiert und Kellin verzog das Gesicht, offenbar hatte er mir etwas verraten, was er nicht verraten wollte.
„Vergiss es einfach wieder."
„Nein, ich will es wissen! Na los, es kann unmöglich alles so gefährlich für mich sein. Bitte Kellin, bitte. Oder ich nerve dich den ganzen restlichen Weg und-"
„Na gut, na gut. Sei endlich still. Verflucht, du bist wie ein nerviges Kind", grummelte er genervt und ich lächelte zufrieden. Ich hatte zwei große Brüder ich wusste, wie man Leute nervt.
„Kalma müsstest du kennen. In deinem kleinen Aufenthalt in der Irrenanstalt war sie deine Zimmergenossin."
„Andrea?", fragte ich überrascht, hatte damit nun wirklich nicht gerechnet. Ich hatte meinen Aufenthalt in der Irrenanstalt gut verdrängt. Bei allem, was sonst so geschah, war das eigentlich ein netter Erholungsurlaub gewesen.
„Andrea ist ihre menschliche Tarnung. Als Reed dich gefunden hat, hat er sie durch puren Zufall entdeckt. Sie ist die Tochter einer Thronanwärterin, die sich seit einer sehr, sehr langen Zeit auf der Erde vor Hades versteckt. Sie ist so lange auf der Flucht, so lange versteckt vor dem, was sie wirklich ist, dass sie teilweise vergessen hat, wer sie eigentlich ist."
„Sie hat gewusst, dass ich eine Wächterin bin", sagte ich, da mir wieder einfiel, was für merkwürdige Dinge sie gesagt hatte. „Wieso hat Reed sie mitgenommen?"
„Er glaubt mit ihrer Mutter einen neuen Deal schließen zu können. Diese ist angeblich noch in der Unterwelt, sie versteckt sich dort, irgendwo in einer der äußersten Ringe, versteckt von Hades. Sie könnte uns nicht so stark helfen wie Hades selbst, aber es wäre ein Anfang. Das Problem ist nur, man kommt nicht in die Unterwelt. Das ist keineswegs leicht."
„Und was genau hat Reed nun mit ihr vor?" Und wo genau versteckt er sie überhaupt? Wieso hat mir nie irgendwer was dazu gesagt?
„Ich glaube, das weiß er selbst nicht so ganz. Er hofft wohl immer noch auf ein Wunder... das hoffen wir wohl alle." Er lachte trocken und ich verzog das Gesicht, ließ mich davon ablenken, dass wir nun die vertraute Nachbarschaft erreichten, in dem das Haus von Graces Familie stand.
„Wer lebt in dem Haus mittlerweile... also in unserer Zeit?", fragte ich Kellin, als wir vor der Hecke hielten, die einem die Sicht zu dem Haus nahm.
„Der Vater von Grace und seine zweite Frau. Sie sind nur eigentlich nie hier. Seit Grace tot ist, ertragen sie es nicht länger hier zu sein als unbedingt notwendig. Meist kommen sie für Besprechungen des Inneren Kreises."
„Ihr Vater?" War ihr Vater nicht ein Reiter gewesen?
„Stiefvater, wenn man es ganz genau nimmt, aber er hat sie großgezogen und geliebt als wäre sie sein Fleisch und Blut. Demetri Aasen. Er stammt aus der Linie der Zeit, so wie seine zweite Frau. Er ist ein guter Mann."
„Und doch war er zuvor mit einer Frau wie Helena zusammen und er hat nichts getan, wenn sie Grace gequält hat."
„Er wusste es nicht. Als er es herausgefunden hat, hat er sich sofort von ihr getrennt und Grace dennoch bei sich behalten wie sein eigenes Kind. Der Tod von ihr hat ihn sehr mitgenommen."
„Aber-"
„Wollen wir jetzt dieses Gespräch führen oder nicht?"
Ich nickte, kam ihm wieder näher, wo wir ins passende Jahr reisten, der 3. September 1855. Es war warm hier außen und die Sonne schien schwach durch das dichte Blätterdach hindurch. Ohne abzuwarten, zog Kellin mich in den Vorgarten des Hauses, wo er bereits an der Türe klopfte. Es sah hier fast genauso aus wie vor knapp 20 Jahren, als ich das letzte Mal hier gewesen bin.
Es vergingen nur wenige Sekunden, da öffnete Helena uns bereits die Türe und sie sah leicht erschrocken von Kellin zu mir und zurück.
„Ihr beiden."
„Sie erinnern sich, wie gut", sagte Kellin vergnügt, als ob beide alte Bekannte wären und schob sie einfach zur Seite, um einzutreten. Verdattert wie sie war, ließ sie uns gewähren und ich bemühte mich, Kellins Seite nicht zu verlassen.
„Wir haben Fragen und Sie werden diese beantworten."
„Ich verstehe nicht... du bist die Partnerin von Reed. Wieso ist er nun hier? Wo ist dein Bruder?"
„Spielt gerade keine Rolle", sagte ich schnippisch, erinnerte mich daran, wie sie Reed letztes Mal umbringen wollte, wie sie mich dabei aus Versehen abgestochen hatte. Von mir würde diese Frau keine Freundlichkeit zu spüren kriegen. Sie war ein Monster.
„Wenn wir reden wollen, müsst ihr kurz warten", sagte Helena und holte aus einem kleinen Raum unter der Treppe einen Haufen an Tüchern hervor. Ehe ich kapierte, was sie vorhatte, fing sie an, alle Bilder im Flur vor uns zu verdecken. Ich hatte diese gar nicht richtig sehen können, da waren sie schon verdeckt. Dasselbe tat sie wohl auch mit allen Porträts im Salon, da sie dorthin als nächstes schritt.
„Was tut sie da?", fragte ich irritiert, während Kellin das Geschehen aufmerksam beobachtet hatte und überhaupt nicht so wirkte, als würde er es skurril finden, dabei war es das eindeutig.
„Dinge verbergen", murmelte er lediglich, da kam sie bereits zurück.
„Es sollte sicher sein", sagte sie und sah mich einen Moment an, wo ich zögernd zu Kellin blickte, der bereits auf die Frau und somit den Salon zulief. Das würde alles ja so schräg mal wieder werden.
Wir setzten uns im Salon auf ein Sofa. Es war nicht mehr dasselbe wie beim letzten Besuch, dennoch erinnerte mich all das zu sehr an damals.
„Den Tee können wir uns denke ich sparen", sagte ich und Helena lächelte mich an.
„Ich bin erleichtert zu sehen, dass du wohlauf bist. Ich habe mir sehr große Sorgen nach unserer letzten Begegnung gemacht", sagte sie, ehe sie zu Kellin sah. „Die Narben hingegen sind neu."
„Ein kleines Accessoire von dem Mann der vielen Namen", sagte Kellin und lächelte knapp dabei.
Ich sah ihn entsetzt von dieser Offenbarung an. Das war Rowans Werk? Rowan hatte ihn so entstellt?
„Er hat dir das angetan?"
„Nicht direkt, aber auf seinen Befehl hin." Er sagte es, als wollte er nicht weiter darüber reden, weswegen ich schwieg. Wäre mir so etwas geschehen, würde ich auch nicht darüber reden wollen. Ich wollte ja so nicht einmal über meine sehr kurze Zeit bei diesem Monster reden müssen. Trotzdem war das eine schockierende Offenbarung. Rowan war noch grausamer als ich es je begreifen könnte.
„Seid ihr deswegen hier?", fragte Helena und wirkte gleich unruhiger. „Was hat er euch erzählt?"
„Gar nichts, ich bin hier wegen dem, was Sie letztes Mal erwähnt haben. Sie waren diejenige, die ihm von Malia erzählt hat und wie er sie finden kann", sagte ich und Kellin sah mich fassungslos an. Das hatte ich wohl bisher vergessen zu erwähnen. Upsi.
„Was hat sie?"
„Reed hat sie darüber ausgefragt. Sie hat ihm offenbar geholfen, Malia zu finden." Das zu sagen war wohl eventuell ein Fehler gewesen.
Wütend erhob Kellin sich und Helena wirkte eingeschüchtert, auch wenn ich mir sicher war, dass sie sich sicherlich wehren könnte.
„Ich musste es tun! Sie war die einzige Person, die er wirklich haben wollte. Nur so habe ich ihn von meiner Grace ablenken können", sagte sie erklärend. „Es war kurz nachdem du und Malia mich besucht habt, da hat er sie gefunden. Ich wusste, dass er Malia will, also habe ich ihm geholfen, sie zu finden, wofür er meine Grace in Ruhe gelassen hat. Sie war nur ein kleines Kind damals, wehrlos und genau das, was er gebraucht hätte, um uns alle zu verdammen." Kellin und Malia hatten sie aufgesucht? Wann und zu welchem Sinn und Zweck? Ich konnte nichts davon fragen, da jedes Wort Helenas Kellin noch wütender machte.
Er brodelte. Würde er ihr nun sagen, dass dieser Deal zwecklos gewesen ist, dass Rowan viele Jahre später Grace erneut aufsuchen würde und ihren Verstand zerstören würde? So etwas preiszugeben könnte gefährlich sein. Die Vergangenheit war zerbrechlich. Manche Dinge konnte man nicht verändern und andere schon. Ich verstand nicht, nach welchem Prinzip was möglich war, sicher verstanden Zeitwächter es besser, aber alles würden sie unmöglich vorhersehen können.
„Wegen deinem Hinweis ist Malias ganzes Leben ruiniert worden!", brüllte Kellin sie an, schmiss dabei den Kaffeetisch um, der zwischen uns stand, und ich zuckte verschreckt zusammen, machte mich klein auf meinem Platz. So sah er wirklich aus wie der Mafiaboss, der Menschen töten konnte. Er sah aus, als ob er dabei wäre, Helena Aasens Leben hier und jetzt zu beenden, was schlecht wäre. Er wollte nach seiner Waffe greifen, die er nur im Auto zurückgelassen hatte. Gott sei Dank.
„Aber wieso will er sie denn überhaupt haben und woher wusstest du es?", fragte ich, versuchte auf das Wesentliche zu lenken.
„Weil er an sie gebunden ist", sagte sie, dankbar für die kleine Hilfe. „So wie Wächter mit ihren Seelenpartnern wurde er an das Mädchen gebunden. Es ist eine komplizierte Geschichte."
„Wir haben Zeit", sagte ich schnippisch und sie sah von den Ruinen des Tisches zu Kellin und zurück zu mir.
„Na gut, na gut. Jeder Gott der Unterwelt, jeder Thronanwärter hat einer der großen Linien der Reiter erschaffen. So viel solltet ihr ja wissen. Der Mann der vielen Namen ist der oberste Reiter der Linie der Pest, erschaffen von der nordischen Göttin Hel. Er dient ihr und er dient ihrer Herrschaft und sie an die Macht zu bringen. So soll er auf Erden wie andere Reiter auch für Chaos sorgen. Dieser Wettkampf um den Thron der Unterwelt ist chaotisch und blutig und die Intrigen ziehen sich bis hier auf unsere Welt der Sterblichen. Damals, vor langer Zeit waren die Übergänge zwischen den Welten noch vorhanden. Reiter konnten problemlos in die Unterwelt reisen und in andere Welten. Der Mann der vielen Namen zog los, um seiner Herrscherin zu dienen und dabei fand er eine Göttin so rein, so schön und so mächtig, dass er sie mit sich nahm und in seinem Reich einsperrte. Er konnte sie nicht lieben, da er ohne Herz erschaffen wurde, aber konnte ihr Zuneigung geben und er nahm sich dafür von ihr alles, was er begehrte. Er war der erste Seelensammler und ihre Seele war die mächtigste und wertvollste Seele, die er je finden konnte. Zu dem Zeitpunkt forderte der Krieg um den Thron die größten Tribute und ihm wurde sein Mädchen als größte Schwachstelle geraubt und getötet. Er hatte schon immer Angst gehabt, dass man sie ihm nehmen könnte, also hatte er dafür gesorgt, dass bei ihrem Tod, ihre Seele wiedergeboren wird. Er war nicht stark genug, um dafür zu sorgen, dass sie wieder göttlich werden kann, also sorgte er dafür, dass sie eine Wächterin werden würde, nur war er auch nicht mächtig genug, beeinflussen zu können, wann und wo sie wiedergeboren wird. Er besaß nur seinen Kompass, der ihm irgendwann zur richtigen Zeit helfen könnte. Also musste er warten, hunderte von hunderten von Jahren. Er suchte und wartete und ich habe ihm geholfen, sie zu finden."
„Das ist verrückt", schnaubte Kellin, unbeeindruckt von der Geschichte, die für mich skurril klang. Sollte das bedeuten, Malia wäre nur eine wiedergeborene Göttin? Das klang unmöglich. Wie sollte das gehen?
„Dein Bruder glaubte daran."
„Würde er es glauben, hätte er was gesagt."
„Nicht, wenn er wüsste, dass er es Malia nicht sagen darf. Du weißt ja, wie es ist, wenn man versucht, einen an ein altes Leben zu erinnern, man verliert den Verstand. Die Person muss selbst bereit sein, es auf eigenen Weg herausfinden. Wüsstest du es und sagst es ihr, bevor sie bereit ist, könnte es sie zerstören."
Diese Worte verpassten mir eine Gänsehaut. Nicht, weil sie so schaurig waren, sondern weil es genau das war, was Rowan ständig sagte und was Reed versuchte mir weiszumachen, was vor mir verborgen wurde. Würde ich etwas erfahren, verliere ich den Verstand. War es genauso absurd wie bei Malia? Erinnerte ich mich nicht an ein vergangenes Leben? Das war krank. An welches denn? Wer sollte ich mal gewesen sein? Als erstes kamen mir Grace und Malia in den Sinn, weil mir so oft jeder gesagt hatte, wie sehr ich sie an die beiden Mädchen erinnerte. Aber ich wusste so einiges über Grace und hatte nicht den Verstand verloren. Verflucht ich stand in ihrem alten Haus und mein Kopf war noch ganz normal, und Malia lebte ja eindeutig noch immer. Vielleicht interpretierte ich die Sache auch ganz falsch.
„Das kann nicht wahr sein", sagte Kellin schockiert, wirkte jedoch nachdenklich, als würde er tatsächlich darüber nachdenken.
„Ich bin eine Hexe. Wir Hexen beten die Götter der Unterwelt an und sind sehr vertraut mit ihren Geschichten und Legenden. Wenn ich euch sage, dass Malia diese Göttin von einst ist, dann ist sie es auch und sie ist die einzige Person, die ihn dorthin zurückbringen kann, wo er herkommt. Sie ist die einzige Person, die ihn stoppen kann, wenn ihr das wirklich wagen wollt."
„Und wie?", fragte ich neugierig, wollte wissen, was dafür nötig war, was geopfert werden muss. Aber die Antwort war nicht das, was ich mir erhoffte.
„Sie muss mit ihm sterben."
Wörter: 3861
Aloha :) Na, eure Meinung zu dem Ende? Was denkt ihr, was es mit Malia auf sich hat? Kann man Helenas Worten wirklich trauen? Sonntag geht es weiter xx