Mit einem Blick auf mein Handy stelle ich fest, dass mein Bus in ca 30 Minuten fährt und schminke mich ein bisschen schneller. Noch stehe ich in Landos viel zu grossem T-Shirt im Badezimmer und habe erst meine Haare fertig gestylet - oder besser gesagt zwei Zöpfe eingeflochten. "Babe, wir müssen in 20 Minuten los, sonst kriegst du den Bus nicht!", erinnert mich Lando. Der Spitzname ist mir neu - gefällt mir aber. Mit vollendetem Makeup eile ich ins Zimmer zurück wo mich Lando - bereits fertig angezogen und mit Cap - angrinst. Zum Glück habe ich mir meine Klamotten gestern Abend rausgesucht und bereitgelegt. Schnell ziehe ich mir mein dunkelrotes Pulloverkleid über den Kopf und ziehe mir die schwarzen Strümpfe an. Zum Glück habe ich mir die Stiefel eingepackt, die ich vor ide Tür stelle. Lando mustert mich von Kopf bis Fuss, "Du siehst toll aus!" Seine Komplimente sind wunderschön aber bringen mich immer in Verlegenheit, "Danke." Während ich meine restlichen Sachen zusammensuche und in meiner Handtasche verstaue beobachtet er mich weiterhin. "Was ist?" Er zuckt mit den Schultern, "Ich kann nicht glauben, dass du freiwillig Bus fährst, obwohl du einen Fahrer haben könntest..." Seufzend stoppe ich meine Tätigkeit und drehe mich zu ihm um. "Lando, ich fahre schon mein ganzes Leben lang mit dem Bus. Ich brauche keinen eigenen Fahrer." Lachend kommt er auf mich zu, "ich habe nicht von einem Fahrer ganz für dich alleine gesprochen - der bin nur ich. Aber ich hätte dir meinen geliehen für heute?" Empört schlage ich ihm auf den Arm bevor ich weiter meine Tasche packe. "Wir können los." Seufzend richtet er sich vom Bett auf, in welches er sich soeben fallen lassen hat. Wir verlassen das Apartment und steigen wieder in den orangen McLaren. Da der Bus nach London in der anderen Ecke von Woking fährt, ist Lando so gütig und fährt mich dahin. Neben der Bustafel stehen bereits einige Leute, starren uns an und machen Fotos. Schnell schaue ich weg, "Fahr weiter und lass mich um die Ecke raus bitte." Er nickt und lenkt in der nächsten Kurve ein. Einige Meter weiter befindet sich ein Parkplatz, welchen er befährt und anhält, "Pass auf dich auf ja? Und ruf mich an sollte etwas sein oder solltest du doch jemanden brauchen der dich abholt." Seine Worte schmeicheln mir sehr, allerdings bin ich guter Dinge den Tag auch ohne ihn zu überstehen. Ich küsse ihn einige Sekunden lang, bevor ich aussteige und in Richtung der Bushaltestelle eile. Gerade noch rechtzeitig erreiche ich die Bustafel, als der Bus schon daherrollt. Beim Einstieg zeige ich mein Ticket und suche mir einen freien Fensterplatz.
In London angekommen, fühlt es sich wie zu Hause an. Freudig spaziere ich durch die Strassen, da ich erst in eineinhalb Stunden mit meiner Gastfamilie verabredet bin, entscheide ich mich dafür mein Lieblingscafé zu besuchen. Ich bestelle mir einen Kaffee und setze mich an meinen alten Stammplatz. Während ich meinen Kaffee schlürfe, scrolle ich durch Instagram. Durch meine steigende Follower-Anfragen gehe ich davon aus, dass Landos Fans nach dem Video von gestern versuchen rauszufinden wer ich bin. Meine langen braunen Haare sind auf meinem Profilbild ebenfalls ersichtlich, jedoch kein eindeutiges Indiz. Auch einige Nachrichtenanfragen habe ich erhalten, entscheide mich aber diesen heute keinerlei Beachtung zu schenken. Gut angekommen? Landos Nachricht bringt mich zum Grinsen. Nie hätte ich gedacht, dass hinter diesem lustigen und chaotischen Typ ein so fürsorglicher Mensch steckt. Ja, sitze in meinem Lieblingsafé. Zusätzlich sende ich ihm ein Selfie von mir und meinem Kaffee als Beweis. Nach etwas mehr als einer Stunde bezahle ich und mache mich wieder auf den Weg.
Meine ehemalige Gastfamilie begrüsst mich mehr als herzlich - wie ich es von ihnen gewohnt bin. Tatsächlich hatte ich damals sehr viel Glück mi meiner Gastfamilie, sie haben mich aufgenommen wie eine eigene Tochter. Grace und Jacob, die Eltern der beiden Kinder Sofia und Theo, überhäufen mich mit Komplimenten wie gut ich aussehen würde und wie sehr sie mich vermissen. Die Kinder sind beide in der Schule und werden erst zum Mittagessen dazukommen, allerdings bin ich sowieso erst um 14 Uhr mit Carla verabredet. Die beiden stellen mir einen Haufen fragen über meine Zeit bei der Formel 1. Mit Freuden beantworte ich diese auch, lasse jedoch das Thema Lando vorerst aus. Mir ist bewusst, dass Jacob ein grosser Formel 1 Fan ist und möchte daher keine Wellen schlagen. "Uns freut es wirklich sehr, dass es dir so gut geht Elena. Jetzt fehlt nur noch der richtige Mann an deiner Seite!" Tatsächlich sind die beiden schlimmer als meine Eltern in Italien was die Verkupplungsversuche angeht. In dem Jahr haben sie mich bestimmt um die 10-15 Mal versucht mit einem Typen zu verkuppeln. Kurz überlege ich ob ich ihnen doch von Lando erzählen soll, die Entscheidung wird mir aber von Jacob abgenommen, der verkündet noch eine Flasche IceTea im Keller zu holen. Kaum bin ich mit Grace alleine, mustert sie mich. "Du strahlst so. Das kann nicht nur von der Arbeit kommen, verschweigst du uns etwas?" Natürlich musste sie mich früher oder später auf dem kalten Fuss erwischen. Ergeben seufze ich mit einem Lächeln, "Na gut, es könnte sein dass es da jemanden gibt." Begeistert hüpft sie auf uns setzt sich nahe neben mich, "Ich wusste es!! Ich will alles über ihn wissen!" Lachend ziehe ich ein Bein an meinen Oberkörper. "Er ist 22 Jahre alt und Engländer und somit auch der Grund warum ich überhaupt hier bin." Jacob tritt wieder ins Wohnzimmer und mustert uns überrascht. "Was habe ich verpasst?" Grace klatscht freudig, "Unsere Elena ist vergebeeeen! Und er ist auch noch Engländer!", singt sie und er setzt sich gespannt. "Kennt ihr euch etwa noch von deiner Zeit hier?" Ich schüttle den Kopf und hadere noch immer mit der Wahrheit. "Nein, wir haben uns bei der Formel 1 getroffen, naja man könnte sagen... er arbeitet dort?" Jacobs Augen werden gross, "Wie toll! Auch bei Ferrari?" Wieder schüttle ich den Kopf, "McLaren." Ein Grinsen macht sich in Jacobs Gesicht breit. Als Engländer ist er natürlich auch McLaren-Fan, was mich noch mehr verunsichert. "Gute Wahl Elena. Welche Tätigkeit hat er bei McLaren?" Zögernd zupfe ich an meiner Socke herum. Nervosität macht sich in mir breit, die Reaktionen auf die Beziehung zwischen mir und Lando waren bisher sehr unterschiedlich. "Ach komm Elena, du musst dich nicht schämen selbst wenn er nur für die Sauberkeit zuständig wäre." Kurz lache ich auf, "Er ist ähm.. Fahrer?" Jacob scheint nicht verstanden zu haben, dass ich von Lando Norris spreche, Grace hingegen hat es sofort verstanden und starrt mich mit offenem Mund und grossen Augen an. "Also ist er Chauffeur?", hakt Jacob nach, bevor Grace ihn böse anschaut. "Jacob! Benutz dein Hirn, sie spricht von Lando Norris!" Verlegen grinse ich und schaue auf den Boden vor mir. Beide scheinen sprachlos zu sein, denn die Stille im Raum hält an. "Das ist wirklich toll Elena, wir freuen uns für dich. Und Jacob wird sich bemühen dich nicht mit Fragen zu ihm zu überfallen", beruhigt mich Grace liebevoll und wirft ihrem Mann einen mahnenden Blick zu. Dankbar nicke ich und lasse mich von ihr in die Arme schliessen. Nach dem Mittagessen mit den Kindern muss ich mich leider schon wieder verabschieden. Jacob hat sich wirklich bemüht mich nicht über Lando auszufragen, kann es aber nicht lassen mir beim Abschied ins Ohr zu flüstern, dass ich ihn nächstes Mal doch mitbringen soll.
Auf dem Weg zu Carla überlege ich was Lando wohl gerade tut. Ich habe kaum was von ihm gehört, allerdings arbeitet er ja auch. Ich sende ihm noch das Bild von mir und meiner Gastfamilie, bevor ich in Carlas Strasse einbiege. Einige Hauseingänge weiter, steige ich die Treppe hoch und Klingle. Mit einem Surren wird die Tür aufgeriegelt und ich trete ein. Carla begrüsst mich im zweiten Stock mit offenen Armen und einem riesigen Strahlen. Ich schliesse sie in die Arme und betrete die Wohnung. Carla wohnt mit ihrem Bruder James hier, welcher gerade nur in Boxershorts in der Küche steht. Tatsächlich gibt es eine Vergangenheit mit mir und James, welche aber schlussendlich zu keiner gemeinsamen Zukunft geführt hat. Aus diesem Grund ist der Anblick von ihm in den Boxershorts nichts neues für mich. Ausserdem wird er nie an den perfekt trainierten Körper von Lando rankommen. Ich begrüsse ihn mit einem knappen 'Hi' bevor ich mich mit Carla aufs Sofa werfe. James verschwindet kurze Zeit später in seinem Zimmer und Carla verdreht genervt die Augen. "Entschuldige, das hat er mit Absicht gemacht und dafür wird er noch was zu hören kriegen." Mein Schulterzucken erntet eine gehobene Augenbraue von ihr. "Mir ist das egal. Ich bin darüber hinweg, schon lange." Sie nickt und wechselt ihre Sitzposition. "Also erzähl! Wie ist es so um die ganze Welt zu reisen... und warum bist du überhaupt hier, das Rennen hier findet erst nächstes Jahr wieder statt?" Lachend schüttle ich den Kopf, "wird das ein Verhör oder was?" Sie zuckt mit den Schultern, "Jetzt spann mich nicht auf die Folter. Ich benutze ebenfalls Google und weiss, dass das letzte Rennen in Mexio war und das nächste in Brasilien stattfindet. Es gibt also keinen ersichtlichen Grund für deinen kurzen Aufenthalt hier." Carla war schon immer jemand der immer alles und jeden genaustens analysiert. Oftmals ist das wirklich sehr unterhaltsam, gerade fühlt es sich aber wie ein unangenehmes Verhör an. "Mein Freund wohnt hier und musste nach Hause. Ich dachte ich begleite ihn um euch zu besuchen." Erstaunt schaut sie mich an, "Warte, du hast einen Freund und erzählst mir das erst jetzt?!" In dieser Sekunde entscheide ich ihr nichts von Lando zu erzählen. "Ja, wir arbeiten zusammen und er musste wegen der Familie nach Hause ein paar Tage." Irgendwie wirkt sie beleidigt. Noch bin ich mir nicht sicher, ob dies daran liegt, dass ich ihr bisher nichts davon erzählt habe oder weil ich weiss, dass sie mich und James gerne als Paar sehen würde damit sie 'eine Schwester' bekommt. "Aha, daher auch das Desinteresse an meinem Bruder." Ich nicke und mache mich auf eine Diskussion bereit. Mit Carla ist das immer so, sobald es nicht ihre eigene Idee ist, ist sie nicht gut. Zu meiner Überraschung seufzt sie nur und wechselt das Thema. Wir sprechen viel über die vergangenen Monate und die Arbeit und Mitarbeiter. Irgendwann steht James wieder im Raum - diesmal angezogen, "Was habt ihr noch vor heute?"Carla und ich schauen uns ratlos an und zucken mit den Schultern. "Harry und ich gehen Indoor-Kart fahren, wollt ihr mitkommen?" Nach einem kurzen Blicktausch nicken wir und springen auf. "Du solltest jetzt ja Profi darin sein, ich habe gehört du arbeitest bei der Formel 1?" Ich lache auf, "Naja, ja aber ich stehe hinter der Social Media Kamera von Ferrari und sitze nicht im Wagen und drehe da mal so eben meine Runden." Er lacht als antwort, "Ich find das wirklich cool! Kannst du uns VIP Tickets fürs Silverstone nächstes Jahr organisieren?" Eigentlich hatte ich nur darauf gewartet, dass mich jemand das fragt. "VIP denke ich nicht, bei normalen Tickets kann ich mal mit Mattia sprechen, vielleicht hat er da eine Möglichkeit." Das war offensichtlich nicht die Antwort die er sich erhofft hat, akzeptiert sie aber.
Wir holen noch Harry - James bester Freund - ein paar Strassen weiter ab und fahren zur Kartbahn die einige Minuten entfernt liegt. Ich würde behaupten, meine Fahrfähigkeiten sind nicht allzu schlecht, tatsächlich war ich mit meinen Cousins und Cousinen in Italien auch schonmal auf einer Kartbahn, allerdings hatte ich damals den Führerschein erst frisch. Wir schnappen uns also ein paar Helme und lassen uns instruieren. Als alle ihre Plätze eingenommen haben, gibt der Bahnleiter das Go zum Start. James und Harry düsen natürlich sofort los, während Carla und ich zwar aufs Gas drücken, uns jedoch zuerst anklimatisieren wollen. Nach einigen Kurven habe ich den Dreh raus und versuche die Jungs einzuholen. James dreht sich und Harry landet in den Reifen nach einer Kollision zwischen den beiden. Die Chance nutze ich und düse an beiden vorbei, die mir eine Sekunde lang nur nachschauen, bevor sie die Verfolgungsjagd starten. Nach einigen Minuten erhalten wir das Zeichen für die letzte Runde. Ich drücke in der Geraden nochmal aufs Gas da James mich schon langsam einholt. Mein Kart fliegt um die Kurven und ich fahre als knappe Siegerin über die Linie und gleich in die Parkgasse. James folgt mir dicht auf dem Versen, hat es aber nicht geschafft mich noch zu überholen. Ich verlasse mein parkiertes Kart und ziehe den Helm aus. Das war gerade Adrenalin pur und ich hatte einen riesen Spass. Für eine kurze Sekunde fühlt es sich an, als wäre ich nie weggewesen. James kommt grinsend auf mich zu und hebt die Hand zum High-five. Ich schlage an und er hält meine Hand fest. Anders als in den Monaten davor, fühlt es sich aber nicht richtig an, denn lando erscheint in meinem Kopf und ich ziehe die Hand schnell weg. Noch bevor er etwas dazu sagen kann, gesellen sich die anderen beiden zu uns. "Wow Elena! Du warst ja bombastisch! Ich wusste nicht dass du so gut Kart fährst!", Harry schaut mich begeistert an. Lachend zucke ich mit den Schultern, "Ich auch nicht, das kannst du mir glauben." Wir setzen uns ins Bistro und ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass es schon kurz nach 16 Uhr ist. "Mist", fluche ich leise. Mein Bus fährt bereits um 16:50 Uhr. James mustert mich fragend, während Carla und Harry in einem Gespräch vertieft sind. "Mein Bus fährt schon in 45 Minuten", antworte ich auf seinen fragenden Blick. Er checkt die Uhrzeit, "Wo must du denn hin, wir können dich auch fahren..." er hält kurz inne, "wohnst du etwa nicht bei deiner Gastfamilie?" Scheisse, jetzt muss ich aufpassen was ich sage. "Nein, ich wohne etwas abseits von London, genauer gesagt eine Stunde entfernt daher muss ich wirklich dringend den Bus erwischen." James lässt nicht locker, "Wieso? Es gibt doch auch Hotels hier in London?" Mein Schulterzucken scheint ihn nicht zu überzeugen. "Ich wohne bei meinem Freund. Er hat dort eine Wohnung." James starrt mich ein paar Sekunden an, "Dein Freund?" Carla scheint nun das Gespräch auch mitverfolgt zu haben und seufzt, "Kommt wir gehen, dann kriegt sie ihren Bus." Im Auto herrscht eine unangenehme Stille. James fährt neben der Bushaltestelle auf einen kleinen Parkplatz. Der Bus geht erst in 10 Minuten, trotzdem wünsche ich mir nur hier raus zu kommen. Alle steigen aus und ich umarme sie der Reihe nach zum Abschied. James mustert mich, "Können wir kurz reden?" Nickend mache ich ein paar Schritte weg vom Fahrzeug. "Seit wann hast du einen Freund?" Seufzend schaue ich auf den Boden, "Seit ein paar Wochen", lüge ich, denn offiziell sind es ja erst ein paar Tage. Er nickt und beisst sich auf die Lippe, "Ging das schon als du noch.. hier warst?" Schnell schüttle ich den Kopf, "Nein James, ich kannte ihn damals noch gar nicht." Beruhigt atmet er aus, "Als ich gehört habe, dass du her kommst dachte ich vielleicht gibt es doch noch eine Chance für uns." Empört schnaube ich, "James du hast mir eine Abfuhr gegeben, weil du keine Fernbeziehung eingehen wolltest. Du hast mich die ganzen Monate über warm gehalten, wolltest keine Beziehung und hast mich am Schluss abserviert! Für uns gäbe es so oder so keine Chance, Freund hin oder her." Wie ein begossener Pudel starrt er auf den Boden und rauft sich die Haare, "Elena es tut mir leid, ich wollte nicht eine sinnlose Beziehung eingehen, die über die Ferne nicht funktioniert hätte. Aber du hast mir in den letzten Wochen so sehr gefehlt, dass ich nun bereit gewesen wäre es zu versuchen." Ich schüttle den Kopf und sehe meinen Bus in der Ferne, "Mein Bus kommt ich muss los." Er nickt und ich umarme ihn kurz bevor ich zur Haltestelle eile und in den Bus einsteige.