Schicksalhafte Begegnung

By Floriflorere

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Das Schicksal meint es nicht immer gut mit einem und für den ein oder anderen hat es sogar mehr Negatives par... More

Weck mich bitte auf aus diesem Albtraum
Emotionale Werte
Alte Wunden
Nicht ganz so besinnliche Weihnachtszeit
Alte und neue Traditionen
Frühstück und sympatische Gespräche
Ein richtiges Date
Nur das Eine
Guter Rat ist nicht immer teuer
Such dir was anderes
Herzflattern
Kulturbanause
Eine schlechte Idee
Ein besonderer Abend
Miese Partystimmung
Vertrauen
Lichtblicke
Aus hartem Holz geschnitzt
Neubeginn
Erfolgreicher Start
Problemkind
Er ist wieder da
Nächtliche Wut
Gewissendbisse
Doppelschicht und Verfolgungsjagd
Fassunglosigkeit
Sinnlose Gewalt
Zu viel Rücksichtsnahme
Stunk auf der Wache
Vergangheitsbewältigung
Sprung ins Ungewisse
Der Grund
Retter in der Not
Sturmschaden
Beschützter und große Stütze
Täter-Opfer-Umkehr
Ach Herzilein
Angriff in der Nacht
Blutige Angelegenheit
Bohrende Kopfschmerzen
Vorwürfe
An deiner Seite
Hilflos im Dunkeln
Vergessene Jahre
Kleine Schritte vorwärts
Arbeitsfamilie
Ein beschwerlicher Weg
Zukunftsängste
Unter Druck
In der Ruhe liegt die Kraft
Liegt es in den Genen?
Positive Entwicklung
Wunder muss man feiern

Jahreswende

311 22 11
By Floriflorere

Die Tage zwischen Weihnachten und Sylvester waren für Henning recht ruhig. Er beendete seine Arbeit am Jahresbericht und sendete die Unterlagen an seinen Chef. Anschließend plante er die ersten Januarwochen durch, da hier schon die meisten Anfragen vor den Feiertagen eingegangen waren.
Das Neujahrsfest der Polizeiwache Mühlheim, das am zweiten Januar sein würde, musste er absagen. Ein wichtiges Gespräch mit einem Kunden war für den Tag geplant und Henning musste dafür noch einiges vorbereiten. Klaus nahm ihn die Absage nicht übel und bat stattdessen das er doch unbedingt mal wieder bei ihm uns seiner Frau zuhause vorbei kommen sollte. Henning versprach sich bei Klaus zu melden sobald er wieder etwas mehr Luft auf der Arbeit hatte.

Den Sylvesterabend würden sie einige Mitarbeiter in Einsatz haben, weshalb nur die wenigstens frei bekommen hatten. Vier Diskotheken hatten sie angefragt und Henning teilte neben den eher jungen und unerfahrenen Mitarbeitern, immer auch mindestens einen erfahrenen Kollegen ein.
Er selber würde mit Bastian und Korvo den Auftrag der Stadt erfüllen, der sie für die Begleitung von drei RTW-Crews der Wache Süd bestellte. Henning musste zugeben das er wegen diesem Auftrag ziemlich aufgeregt war. Nicht weil er wegen der vermutlich recht hohen Gefahrenlage besonders schwierig für sie werden würde. Nein, eigentlich war er nur aufgeregt weil er hoffte das auch Marion an Sylvester Dienst haben würde. Die Vorstellung eine ganze Nacht mit der sympathischen Frau zusammen arbeiten zu können, ließ seine Eingeweide kribbeln. Er schallte sich selbst einen Narr, weil er sich wegen einer ihm doch eigentlich noch absolut fremden Frau, anstellte wie ein junger Teenager bei seiner ersten Schwärmerei. Aber er kam nicht umhin zugeben zu müssen, dass Marion ihm seit der ersten Begegnung nicht mehr aus dem Kopf ging.
Das sie sich nun bereits zwei weitere Male getroffen hatten, schien fast wie Schicksal und hatte sein Gefühlswelt nur noch mehr durcheinander gebracht. Ob er einfach versuchte die Einsamkeit, die durch die Trennung von Svenja nun wieder Teil seines Lebens war, durch diese Schwärmerei zu lindern? Wenn dies so war, wäre es Marion gegenüber doch ganz klar unfair wenn er weiterhin versuchte sie kennenzulernen.
Um so länger Henning dadrüber nachdachte und dabei die ganze Zeit auf seinen Computerbildschirm starrte, umso mehr wurde ihm klar das dies ganz klar nicht der Fall war. Er war schon länger wieder sehr einsam gewesen, obwohl er eigentlich noch eine Beziehung mit Svenja geführt hatte. Diese Beziehung war einfach derart kalt gewesen, das er selbst wenn er neben Svenja auf der Couch gesetzt hatte irgendwie einsam gewesen war. Somit war es ganz sicher nicht die plötzliche Einsamkeit, die ihm das Gefühl gab sich zu Marion hingezogen zu fühlen.
Er kam zu dem Schluss, das es einfach an Marion selbst liegen musste. Diese Frau war etwas besonderes und Henning hatte das direkt erkannt. Deshalb ging sie ihm nun nicht mehr aus dem Kopf.
Sein Blick klärte sich wieder und er merkte das er den Einsatzplan für die letzte Januarwoche noch nicht abgespeichert hatte. Nachdem er das Dokument auf dem Firmenserver gesichert und für die Kollegen hochgeladen hatte, fuhr er den Computer herunter und verließ sein Büro. Es war bereits kurz nach Mitternacht, mal wieder hatte er einfach viel zu lange gearbeitet. Zum Glück war sonst niemand in der Verwaltung gewesen und somit konnte auch niemand bemerken wie lange er da gewesen war.
Da er seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte, knurrte sein Magen laut als er die große Gebäudetür zuschloss. Er sah sich um und suchte sich einen Imbiss der noch auf hatte. Eine kleine Pizzeria an der Straßenecke hatte noch geöffnet und Henning aß eine für seinen Geschmack etwas zu fettige Pizza, bevor er sich auf den Heimweg machte.
Zuhause trank er noch ein Bier und sah ein wenig Fernsehen, bevor er zu Bett ging.
Am nächsten Tag stand er gegen zehn Uhr auf und trank einen Proteinshake zum Frühstück, bevor er sich auf den Weg zu seinem Fitnessstudios machte. Der Besitzer des Studios begrüßte ihn freundschaftlich als Henning eintrat und sie unterhielten sich kurz. Anschließend zog er sich um und begann mit einem leichten Aufwärmtraining auf dem Stepper.
Nach fünfzehn Minuten wechselte er zu seinem Trainingsplan welcher aus einer Mischung aus Gerätetraining und Gewichten bestand. Nach etwas mehr als einer Stunde brannten seine Muskeln, aber er war glücklich schließlich fühlte es sich gut an den Körper mal wieder zu verausgaben.
Er saß noch eine halbe Stunde mit einigen Bekannten und zwei seiner Freunde aus dem Fitnessstudio an der Bar und trank einen Kaffee, dann ging er duschen und zog sich um.
Alle wünschten ihm noch einen guten Rutsch und sie verabschiedeten sich bis zum nächsten Jahr, das ja schon am nächsten Morgen anfangen würde. Zuhause machte Henning sich zwei Brötchen und einen Obstteller zum Frühstück zurecht. Mittags legte er sich noch einmal für zwei Stunden hin und aß danach etwas, bevor er am frühen Abend ins Büro fuhr um sich mit seinen beiden Kollegen zu treffen. Korvo wartete bereits vor dem Gebäude auf ihn, der aus einem der osteuropäischen Länder stammende Mann war in der Regel überpünktlich da. Henning begrüßte ihn und schloss auf, Bastian würde sicher wieder einige Minuten nach der vereinbarten Uhrzeit auftauchen. Daher entschieden sie schonmal das Equipment raus zu suchen und sich umzuziehen. Henning hatte bereits lange Wollunterwäsche an, dazu eine schwarze Cargohose mit mehreren Taschen und einen dicken Wollpullover aus Schafwolle. Es würde sicher kalt werden und die Wolle verhinderte das man schwitze, falls im Einsatz eine Zeit lang eher im inneren von Gebäuden gearbeitet werden würde.
Henning holte für alle drei eine Stichfeste Weste heraus und dazu eine neongelbe Weste auf der groß „Sicherheitsdienst" zu lesen war. Schließlich wollte die Stadtverwaltung das Henning und seine Jungs gut zu erkennen waren. Die Westen bestanden nicht aus dem dünnen Stoff wie man ihn von Warnwesten kannte, es waren gut verarbeitete feste Westen, mit einigen Taschen in die man noch Equipment packen konnte. Henning hatte die Ausrüstung damals persönlich ausgesucht, da es ihm wichtig war das er und seine Jungs immer die notwendige Qualität der Ausrüstung parat hatten.
Als Korvo und er schon fertig waren mit umziehen, tauchte auch Bastian auf und Henning gab ihm nach einer Begrüßung seine Ausrüstung. Als alle umgezogen waren, verteilte er noch Pfefferspraydosen und ein Diensthandy mit Notmeldeknopf, der sie sofort mit der Feuerwehrleitstelle verband. Waffen durften sie außer das Pfefferspray leider keine mitnehmen, was bei dem heutigen Einsatz für Henning eher für ein schlechtes Gefühl sorgte. Schließlich hatte er mitbekommen wie die Silvesternächte in den letzten Jahren immer weiter eskaliert waren.
Kurz erklärte er Korvo und Bastian wodrauf es beim heutigen Einsatz ankam und worauf sie besonders achten mussten, dann fuhren sie zusammen in Henning Auto zur Wache Süd.
Entgegen seines Zeitplans kamen sie einige Minuten nach dem Schichtwechsel an, doch als er die große Fahrzeughalle betrat waren bis auf die Notarzteinsatzfahrzeuge noch alle Wagen da. In der Halle herrschte geschäftiges Treiben, sowohl die Feuerwehr wie auch der Rettungsdienst schienen bereits ihr Equipment zu prüfen und einige Sekunden musste Henning sich orientieren. Doch dann sah er wie Marion Fröhlich aus einen der RTWs kam und ihn verwundert ansah.

„Henning, hallo."

Begrüßte sie ihn und mit einem Lächeln auf den Lippen ging Henning zu der sympathischen Sanitäterin.

„Hallo Marion, schön dich zu sehen."

Kurz sah er sich um, die anderen RTW Crews schienen bereits fertig zu sein und waren nicht mehr an den Fahrzeugen zu sehen.
Er erklärte Marion und auch ihre jüngere Kollegin mit dem eher asiatisch klingenden Rufnamen Lee, was er und seine beiden Jungs hier zu suchen hatten. Das Marion auch in der Nachtschicht dabei war, begeisterte ihn absolut aber er versuchte natürlich das nicht allzu sehr zu zeigen. Er war schließlich hier um zu arbeiten.
Marion führte sie zum Aufenthaltsraum und stellte die anderen Crews vor, die sie neugierig betrachteten.
Kurz erklärte Henning wie er den heutigen Einsatz aus seiner Sicht geplant hatte und teilte dann seine beiden Kollegen für die anderen RTWs ein. Er würde natürlich bei Marion und Lee mitfahren, schließlich wollte er sich die Gelegenheit etwas Zeit mit der netten Frau zu verbringen nicht entgehen lassen.
Bisher hatte sie ihm keine Nachricht über ihr Handy geschrieben, weshalb er sich schon Gedanken gemacht hatte. Womöglich lag es aber auch an den stressigen Schichten oder daran das sie ihn ja kaum kannte. Darauf ansprechen würde er sie ganz bestimmt nicht.
Kaum das der RTW frei gemeldet war, mussten sie auch schon los und Henning eilte hinter Marion in die Fahrzeughalle. Die öffnete ihm die Seitentür des RTW und zeigte auf den Stuhl am Kopfende der Trage.

„Setz dich am besten dahin, dann kannst du zwischendurch durch das kleine Schiebefenster nach vorne sehen. Anschnallen aber nicht vergessen."

Henning zeigte ihr den Daumen hoch und sprang schnell in den RTW. Marion schloss die Tür und stieg selber auf dem Beifahrersitz ein.
Gedämpft konnte Henning hören wie sie etwas von einem Kind mit Handverletzung berichtete, anscheinend konnte sie die Einsatzmeldung irgendwo ablesen. Marions machte ihrer nicht vorhandene Begeisterung für Feuerwerkskörper und die vielen dadurch verursachten Verletzungen etwas Luft, bevor sie nach nur wenigen Minuten am Einsatzort waren. Etwas überfordert folgte Henning den beiden Frauen in das fremde Haus. Ein junger Mann hatte sie draußen erwartet und war sichtlich aufgelöst. Lee und Marion hatten sich sofort jeweils einen Rucksack und zwei schwere Geräte gegriffen, noch bevor auch Henning irgendwas hätte nehmen können. Sie wurden in eine Küche gefühlt wo eine junge Frau mit einem weinenden Kind am Küchentisch saß.
Als Lee das Handtuch wegnahm das um die Hand des Jungen gewickelt war, fuhr es Henning kalt den Rücken runter und sein Magen verkrampfte sich. Die Hand sah schrecklich aus, es schienen Fingerteile zu fehlen und einige Hautstücke hingen in Fetzen ab. Schnell wandte Henning sich ab und sah lieber woanders hin, für so etwas war er dann doch nicht abgebrüht genug. Für Lee und Marion schien das ganze überhaupt nichts besonderes zu sein, mit einer störrischen Ruhe behandelten sie den Jungen und redeten dabei sanft mit dem aufgelösten Kind. Auch die beiden Verwandten beruhigten sie dabei, als wäre eine solche schwere Verletzung das Alltäglichste der Welt.
Zwischendurch funkte Lee mit der Leitstelle da sie anscheinend für die Gabe von Medikamenten einen Arzt vor Ort brauchten.
Nach langen hin und her, gab die Leitstelle Lee die Freigabe die Medikamente ohne Notarzt zu geben. Zu Henning Verwunderung schien dies für Lee eine Erleichterung zu sein, die genau zu wissen schien welche Medikamente in welcher Dosis das Kind benötigte. Eher Henning sich versah saß er neben Lee auf dem Beifahrersitz und sie fuhren mit dem Patienten in die Uni Klinik. Die Eltern würden ebenfalls dort hin kommen, schließlich musste das Kind sofort operiert werden.

„Meinst du die Hand ist zu retten?"

Fragte Henning leise während Lee konzentriert mit Blaulicht durch die belebte Innenstadt fuhr.
Sie machte eine Mischung aus Kopfschütteln und Nicken, gab aber nur ein „Schwierig" dazu. Henning tat der kleine Junge leid, der nun vermutlich den Rest seines Lebens mit einer verkrüppelten Hand leben musste und das nur wegen ein paar Sylvesterböller.
Lee brachte den Patienten auf der Trage in die Uni Klinik und Marion begann den RTW mit Desinfektionstüchern zu reinigen. Schnell kletterte Henning hinein und half ihr, damit er endlich auch mal etwas zu tun hatte.

„Ich hoffe mal ich bin heute nur zum putzen hier, das würde immerhin eine ruhigere Schicht für euch bedeuten."

Scherzte er und Marion schenkte ihm ein Lächeln.

„Das wäre mir auf jeden Fall auch recht. Aber mal sehen, Lee zieht das Unglück meistens an, daher haben wir wohl schlechte Karten."

Sie lachte und Henning konnte nicht anders als in das sympathische Lachen mit einzusteigen. Als Lee mit der Trage wiederkam, säuberten sie auch diese und schoben das große Gestell dann wieder in den RTW zurück.
Marion bestand darauf das sie nun fahren würde, da Lee schliesslich die Freigabe hatte den Rest der Nacht als Notärztin zu agieren und deshalb nach hinten zu ihren Patienten gehörte. Lachend stimmte die Frau mit der flotten Kurzhaarfrisur ein und warf Marion die Schlüssel zu.
Als Marion gerade aus der Einfahrt der Uni Klinik auf die Straße biegen wollte, kam auch schon der nächste Einsatz. Henning gab sein bestes nicht ganz so unnütz neben den beiden Frauen zu stehen, auch wenn er zum größten Teil keine Ahnung hatte was zu machen war. Er hatte sofort gemerkt das Marion und Lee ein eingespieltes Team war, das nicht einmal mit einander reden musste um zu wissen was der andere wollte. Es war faszinierend den beiden zuzusehen. Obwohl Marion die Ältere der beiden war und vermutlich einige Jahre mehr Berufserfahrung aufwies, schien Lee ein ungemein hohes medizinisches Fachwissen zu besitzen. Sie wusste genau welche Medikamente in welcher Dosis sie für ihre Patienten brauchte und schien auch recht schnell zu erkennen was der betreffenden Person eigentlich fehlte. Als sie das nächste mal an einem Krankenhaus hielten, waren sie schon über einer Stunde unterwegs.
Da Henning den beiden etwas gutes tun wollte fragte er Marion ob die Krankenhauskantine für einen Kaffee geöffnet hatte.

„Die Kantine hat sich zu aber neben dem Eingang zur Kantine ist ein kleiner Raum, da können wir und das Personal uns jederzeit einen Kaffee holen."

Erklärte sie.

„Für euch mit Milch oder Zucker?"

Fragte er und Marion zwinkerte ihm verschwörerisch zu.

„Schwarz wie unsere Seelen."

Henning lachte und beeilte sich um für die beiden und sich selber einen Kaffee zu holen. Den tranken sie auch erst einmal in Ruhe, bevor sie sich frei meldeten und zum nächsten Einsatz los mussten.

„Schlägerei in der Innenstadt. Ich glaub da wird deinem ruhiger Dienst ein Strich durch die Rechnung gemacht."

Erklärte Marion als sie am Einsatzort ankamen. Tatsächlich war ziemlich viel los, mehrere Polizisten waren bereits vor Ort und hatten die streitenden Parteien getrennt. Sie bekamen von zwei jungen Streifenbeamten einen Mann mit kaputtem Auge und dicken Cut an der Augenbraue übergeben.
Der Kerl machte direkt einen aggressiven Eindruck und mit Argwohn beobachtete Henning ihn. Als Marion die dicke Platzwunde an der Augenbraue untersuchen wollte, schlug der Mann ihre Hand weg und sprang auf. Aufgeregt begann er sie wüst zu beschimpfen.
Marion trat ein paar Schritte zurück und Henning nahm stattdessen ihren Platz ein. Böse starrte er den jungen Mann an der deutlich kleiner als er war. Bedrohlich richtete Henning sich zu seiner vollen Größe auf, wodurch der renitente junge Bursche ein wenig in sich zusammen zu sacken schien.

„Du kannst dir jetzt aussuchen, ob du dich von den beiden netten Damen vom Rettungsdienst behandeln lassen, oder lieber die Nacht in der Ausnüchterungszelle bei der Polizei verbringen möchtest. Ich lass dich hier auf jeden Fall nicht den Affen machen, verstanden?"

Der junge Mann nickte und sah Henning ein wenig ängstlich an.

„Schon gut."

Murmelte er und setzte sich wieder auf die Stufen des RTWs.
Marion zwinkerte Henning lächelnd zu und kümmerte sich dann wieder um die Platzwunde des jungen Mannes. Der zuckte zwar etwas zurück und zischte schmerzerfüllt, doch er hielt brav den Mund und benahm sich. Sie fuhren den Patienten zu einem kleinen Krankenhaus am Stadtrand, da die Kliniken in der Innenstadt bereits ziemlich überfüllt waren.
Da die beiden Frauen nun erstmal zur Wache zurück mussten um das Equipment im RTW nachzufüllen, nutze Henning die Zeit um kurz mit Korvo und Bastian zu telefonieren.
Bastian begleitete Manfred und Florian, die drei schienen ebenfalls gut zu tun zu haben. Bisher war es aber friedlich verlaufen und Bastian langweilte sich eher. Henning wies ihn an trotzdem aufmerksam zu bleiben und rief als nächstes Korvo an. Der Osteuropäer war dank seines russischen Dialekt am Telefon meisten schlecht zu verstehen, doch Henning konnte heraushören das er mit Karin und Nick recht viel zu tun hatte. Einige Männer hatten versucht die Sanitäterin anzugreifen, da diese ihnen keine Medikamente geben wollte. Doch Krovo hatte die Lage schnell unter Kontrolle gebracht und die drei Halbwüchsigen der Polizei übergeben. Zufrieden legte Henning auf und kehrte zu Marion und Lee zurück. Die beiden wollten noch schnell eine Kleinigkeit essen, bevor sie weiter mussten. Die Kameraden der Feuerwehr hatten für alle etwas zum Essen vorbereitet und sie bedienten sich bei den kalten Speisen.

Der nächste Einsatz mitten in der Innenstadt, bereitete Henning schon bei ihrer Ankunft Sorgen. Sie mussten ein gutes Stück zu Fuß gehen um durch die gut besuchten Fußgängerzone zum Einsatzort zu kommen. Ein kleiner Schock war der Streich von ein paar Jugendlichen, die einen großen Böller zwischen sie warf der mit einem lauten Knall explodierte. Während Lee extrem schnell reagierte und in Deckung hechtete, sprang Marion erschrocken Beiseite und landete dabei mit einem Fuß im Rinnstein. Zum Glück stand Henning gleich daneben und konnte sie gerade noch auffangen bevor sie ihren Fuß richtig umknickte und womöglich auch noch stürzte. Besorgt sah er Marion an die ihren Fuß rieb und schaute dann zu Lee die angespannt hinter einer Bank hockte. Über ihre extreme Reaktion wunderte er sich ein wenig, fragte aber nur ob es allen gut ging. Die beiden bejahten und schnell gingen sie weiter um den gemeldeten Patienten zu erreichen. Henning nahm das EKG das Marion bei ihrem Sprung in den Rinnstein heruntergefallen war. Ein kleiner Riss zierte nun das Plastikgehäuse, doch ansonsten schien das Gerät noch in Ordnung zu sein.
Der Patient entpuppte sich als junge Frau, die ziemlich hysterisch vor sich hin schluchzte. Henning verstand kein Wort das sie von sich gab, war aber auch darauf konzentriert die Umgebung im Auge zu behalten. Sie waren auf einem kleinen Platz der durch Kneipen und Restaurants gesäumt wurde. Viele Menschen befanden sich hier und große Gruppen junge Männer nährten sich ihnen neugierig.

„Am besten nehmen wir den Tragestuhl."

Schlug Lee vor und nickte Marion zu.

„Lass das EKG bitte mal sicherheitshalber hier."

Hennig stellte das Gerät neben Lee und begleitete Marion zurück zum RTW. Die humpelte nach den Vorfall mit dem Böller leicht und machte einen verärgerten Eindruck. Sie beeilten sich um Lee mit der Patientin so schnell wie möglich in den RTW zu bekommen, auf dem überfüllten Platz wollten sie ganz sicher nicht lange bleiben.
Als er mit Marion und dem auf Rollen stehenden Stuhl zurückkam, hatte die Menschenmenge einen dichten Kreis um Lee und die Patientin gebildet. Henning bat die Personen Platz zu machen, aber die jungen Männer lachten nur. Kurzerhand schob er die im Weg stehenden einfach beiseite und traute seinen Augen kaum, als er sah das wenige Meter vor Lee ein Mann ohne Hose stand. Lee versuchte die junge Patientin zum Aufstehen zu bewegen, aber die hysterische Frau schrie als ob Lee ihr gerade das anderen Bein brechen würde.
Der halbnackte Mann sprach Lee an und verlangte, dass sie ihn gefälligst bei einem körperlichen Problem helfen sollte. Dabei zeigte er auf sein entblößtes Geschlechtsorgang und Henning kam nicht umher angewiedert das Gesicht zu verziehen. Wie kam man dazu sich einfach vor einer fremden Frau zu entblößen und sich dafür auch noch zu feiern.
Schnell stellte Henning sich zwischen den Mann und Lee, die noch immer vor der Patientin hockte.

„Wie eine Krankheit sieht das wirklich aus, mein Beileid. Da werden die beiden dir aber ganz sicher nicht helfen können."

Meinte Henning mit angewidertem Gesichtsausdruck zu dem Perversen. Er wusste das er sich gerade nicht sehr professionell benahm, aber das unverschämte Benehmen des Mannes machte ihn wirklich wütend. Der reagierte ziemlich sauer auf Hennings Beleidigung, doch bevor Henning auch nur weiter reagieren konnte ertönte ein lauter Knall neben ihnen. Er wirbelte herum und sah wie eine Feuerwerksrakete auf sie zuschoß. Ohne lange nachzudenken griff er nach Marion die ihm am nächsten Stand und zog sie in die Kneipe die neben ihnen lag. Laut explodierten immer mehr Feuerwerksraketen vor dem Laden und er zog Marion in Deckung. Die sah panisch vor Angst nach draußen und rief nach ihrer jüngeren Kollegin. Henning nahm sein Diensthandy heraus und drückte auf den roten Notfallknopf an der Seite des Gerätes. Der Disponent in der Leitstelle konnte ihn kaum verstehen, da das laute Knallen die Kommunikation fast unmöglich machte.

„RTW 1/23! Brauchen dringend Arnold!"

Rief Henning überdeutlich sprechend in sein Handy. Zum Glück war ihm der Rufname des RTWs wieder eingefallen, den er Lee bei ihrem ersten Einsatz sagen gehört hatte. Die Leitstelle würde wissen wo der RTW aktuell war und sofort Verstärkung durch die Polizei schicken.
Doch es verging eine gefühlte Ewigkeit bis man draußen Blaulicht und Taschenlampen erkennen konnte. Durch ein Megafon machte die Polizei sich bemerkbar, was die Angreifer die weiterhin mit Feuerwerkskörpern auf die Menschen schoßen allerdings überhaupt nicht interessierte.
Die Polizei reagierte bald mit einem Gegenangriff und schoss Tränengaskartuschen in die Menge. Das auch die unbeteiligten Personen dadurch in Mitleidenschaft gezogen wurden, war dabei ein leider notwendiges Übel.
Nach einigen Minuten hörte das Geknalle durch die Feuerwerkskörper auf und Henning richtete sich auf. Er sah wie Polizisten ausgerüstet mit Atemschutzmasken dabei waren, die auf den Boden kauernden Personen fortzuführen. Einigen hatten sie bereits Handschellen angelegt, dadrunter auch den noch immer halb nackten Mann der nun mit verheultem Gesicht bei weitem nicht mehr so cool wirkte wie er sich aufgeführt hatte.

„Alles in Ordnung bei ihnen?"

Fragte der Kneipenwirt besorgt und lugte hinter seinem Tresen hervor.
Henning betrachte kurz Marion die zwar sichtlich geschockt, aber unverletzt wirkte.

„Alles gut. Ihre Fenster haben zum Glück gehalten."

Da der Rauch der durch die Feuerwerkskörper und die Tränengaskartuschen entstanden war sich verzog, waren Rußspuren an den großen Fenstern zu erkennen. Nicht vorzustellen wenn eine der Raketen die Fenster zerstört hätten und weitere in das Gebäude geflogen wären. Es wär vermutlich ziemlich schnell zum Brand gekommen und der sichere Unterschlupf wäre für Henning und Marion zur Falle geworden.

„Ich muss nach Lee schauen."

Erklärte Marion mit zittriger Stimme und stand auf.

„Warte noch kurz bis das Tränengas abgezogen ist."

Bat Henning und ging mit ihr zu Tür. Ein leichter Wind hatte die Gasse bereits etwas gereinigt, wodurch sie nun auch erkennen konnten das mindestens hundert Polizisten der Bereitschaftspolizei in voller Montur draußen standen. Ein Polizist entdeckte sie und öffnete die Tür. Misstrauisch sah er Henning an, als er Marion in ihrer Einsatzkleidung entdeckte wurden seine Gesichtszüge unter dem Helm aber wieder weicher.

„Ist hier sonst noch jemand drin?"

Henning nickte und zeigte auf den Wirt der sich leicht blass an seiner Bar festhielt.

„Ansonsten keiner, wenn das okay ist würden wir auch erstmal nach ihrer Kollegin und der Patientin suchen. Die beiden müssen hier vor dem Laden gewesen sein."

Der Polizist deutete in die Richtung aus der sie die Gasse betreten hatten.

„Wir haben eine Sanitäterin in diese Richtung gebracht. Hat ordentlich Tränengas abbekommen, aber trotzdem gekämpft wie ein Bär als ich sie mir greifen wollte."

Er lachte kurz und nickte dann zum Abschied.
Kurz sah Henning sich im Chaos welches auf dem Platz herrschte um. Eine Bank und eine Mülltonne brannten und mehrere Personen lagen mit blutenden Wunden oder weinend auf dem Boden. Andere lagen mit Handschellen gefesselt auf dem Boden aufgereiht zwischen einigen Polizisten. Die ersten Rettungskräfte und die Feuerwehr waren ebenfalls schon abgerückt und kümmerten sich um den Brand und die Verletzten. Henning atmete tief durch und begab sich mit Marion zurück zum RTW.
Zum Glück war Lee bereits wieder auf den Beinen, außer ihren Augen die ziemlich rot und verquollen waren, schien sie zum Glück unverletzt. Da ihre Patientin wegen der sie eigentlich hier waren bereits wo anders hingebracht worden war, bekamen sie einen jungen Polizisten mit Kopfverletzungen zugeteilt den sie in die nächste freie Klinik brachten.

Anschließend entschied Marion das sie erst einmal zur Wache fahren und eine Pause machen sollten. Wiederwillig stimmte Lee ihr zu, die eigentlich einen absolut fertigen Eindruck machte. Die Situation schien ihr noch mehr zugesetzt zu haben, als Henning oder Marion.
Als sie zusammen am Küchentisch auf der Wache saßen, brach Henning das schweigen und erzählte wie er die Situation empfunden hatte. Aus seiner Ausbildung zum Polizisten kannte er ähnliche Einsätze von Fußballderbys, doch ihn entsetzte diese Gewaltbereitschaft gegen den Rettungsdienst.
Marion sprach sich nun ebenfalls die Angst und die Sorge vom Herzen, die sie während der beklemmenden Minuten in der Kneipe gehabt hatte. Auch Lee fühlte sich anscheinend nun dazu genötigt sich zu öffnen. Zu Hennings Verwunderung erklärte sie das die Situation für sie Erinnerungen und Flashbacks ausgelöst hatte, die sie in Einsätze im Kriegsgebiet erleben musste. Was sie erzählte war schrecklich und Henning verstand das alleine diese Erinnerung ihr ziemlich zusetzten. Er schloss aus ihrer Erzählungen, das die junge Frau vermutlich vorher bei der Bundeswehr als Sanitäterin gedient hatte, das erklärte auch ihr enormes medizinisches Fachwissen. Nachdem sie fertig berichtet hatte, ging Lee sich noch einmal die Augen auswaschen und legte sich anschließend auf die Couch um sich ein wenig auszuruhen.
Derweil unterhielt Henning sich mit Marion über die bunte Kneipenszene in Köln. Er ging gerne mal mit Freunden aus, auch wenn er nur wenig Alkohol trank da er sehr hohen Wert auf einen gesunden Körper legte.
Mit Marion konnte er sich wirklich gut unterhalten und bald war der Schrecken des Einsatzes bei Marion gar nicht mehr zu bemerken. Sie lachte wieder fröhlich und machte auch sonst einen entspannten Eindruck.

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