17. Nachtschwarz
Die Tage bis zu Ginnys Geburtstag vergehen in einem Strom von teils guten und teils schlechten Neuigkeiten sowie gleichermaßen spannenden wie verstörenden Szenen.
Es gelingt dem Widerstand, zwei weitere Exit-Kandidaten gefangen zu nehmen. Adrian Pucey ist letztendlich der erste Todesser, der dem Prozedere zum Opfer fällt. Als Potter mir mitteilt, dass Lovegood es nicht geschafft hat, sein Dunkles Mal zu entfernen, muss ich feststellen, dass es mir nicht um ihn leid tut, sondern ausschließlich um sie.
Irgendwann gebe ich dem inneren Drängen nach und besuche Lovegood im Schockraum. Sie ist blass und wirkt, als hätte sie überhaupt nicht geschlafen. Ich rede ihr gut zu, erinnere sie daran, worüber wir in Vorbereitung auf den Exit gesprochen haben, und überwinde mich sogar dazu, ihr eine Hand auf die Schulter zu legen. Doch sie bleibt stumm, nachdenklich und traurig, also lasse ich sie nach ein paar Minuten des sinnlosen Monologs wieder allein.
Ich ärgere mich darüber, dass ausgerechnet Lovegood für die Aufgabe ausgewählt wurde. Und einmal mehr spüre ich, wie sich die Faust der Schuld um mein Herz schließt, immerhin habe ich maßgeblich dazu beigetragen, dass sie nun in dieser Situation steckt. Ich wünschte, ich könnte ihr einen Teil ihrer Last abnehmen.
Bei der zweiten Probandin, die den Rebellen fast schon unterwürfig in die Arme gelaufen ist, wie Blaise beim Mittagessen erzählt, handelt es sich um Daphne Greengrass. Das wiederum ist wirklich fantastisch, denn im Gegensatz zu Pucey hat Daphne den Exit überstanden.
Mich erleichtert diese Nachricht aus drei Gründen.
Erstens, weil Daphne durch ihre arrangierte Ehe mit Mulciber Junior stets hervorragende Verbindungen in den engsten Kreis des Dunklen Lords hatte, was uns bei ihrem anstehenden Verhör sicherlich zugute kommen wird. Zweitens, weil man sie, wie ich ebenfalls von Blaise erfahre, nach der Befragung mit ihrer Schwester vereinen wird, was tatsächlich mein kleines, schwarzes Herz erwärmt. Und drittens, weil Daphnes Quasi-Taumeln in die Arme eines Widerstandskämpfers die Vermutung aufkommen lässt, dass sich innerhalb der Riegen der Todesser allmählich das Gerücht verbreitet, dass es möglich ist, unbeschadet überzulaufen.
Letzteres spielt uns durchaus in die Karten. Sobald die Todesser erst einmal begriffen haben, dass sie weder Folter noch Tod fürchten müssen, sofern sie sich mit guten Absichten ausliefern, wird es nicht mehr nötig sein, Probanden gefangen zu nehmen. Wenn wir Glück haben, dann kommen sie bald freiwillig.
Daphne, für ihren Teil, hatte wohl einfach nichts mehr zu verlieren, immerhin hat Blaise Mulciber Junior bei unserem Angriff auf den Unterschlupf in Sheffield kaltgemacht. Ohne Ehemann und Schwester hat sie vermutlich nichts mehr bei den Todessern gehalten. Auch sie konnte sich ihre Seite in diesem Krieg nicht aussuchen und hat dem Dunklen Lord dementsprechend nicht aus Überzeugung gedient. Allem Anschein nach war die Hoffnung, ihre Schwester lebend wiederzusehen, der maßgebende Grund dafür, dass Daphne sich so gut wie widerstandslos hat abführen lassen.
Ergo, wir brauchen mehr Daphnes.
Und vielleicht habe ich mich geirrt. Eventuell ist der Umstand, dass meine Tarnung aufgeflogen ist, doch nicht das Schlechteste, das uns passieren konnte. Ich muss Potter unbedingt sagen, dass er auch die anderen überlebenden Exit-Kandidaten an der Front zeigen sollte, sobald er sich sicher ist, dass er ihnen vertrauen kann. Das wäre eine hervorragende Botschaft. Und ein kühner Schachzug, mit dem der Dunkle Lord sicherlich nicht rechnet.
***
Die gleichermaßen spannenden wie verstörenden Szenen ereignen sich dann einen Tag später, am Mittwoch, und somit zwei Tage vor Ginnys Feier.
Blaise ist für die Wacht eingeteilt, weshalb ich mich mit einem ewig plappernden Creevey auf den Weg zum Sporttraining mache. Seitdem er gehört hat, dass eine Geburtstagsfeier ansteht, ist er dermaßen aufgedreht, dass ich mich nicht entscheiden kann, ob ich ihn nach wie vor amüsant oder nur noch anstrengend finde.
„Kann ich dich mal etwas fragen?", erklingt seine Stimme, als wir nacheinander den Sportraum betreten. Er hüpft aufgeregt auf und ab.
„Aber natürlich", sage ich gedehnt und ergebe mich in mein Schicksal, indem ich mich seufzend an eine Wand lehne.
Wir sind zu früh. Abgesehen von uns ist bisher kaum jemand anwesend. Ich vergewissere mich mit einem kurzen Blick auf meine Armbanduhr, dass ich noch mindestens zehn Minuten lang Creeveys Geschwätz ertragen muss, bevor der Beginn des Trainings ihn unterbrechen wird.
Nun, ich nehme an, ich habe bereits schlimmere Folterqualen überlebt.
„Angenommen, du findest jemanden nett-"
„Ich finde niemanden nett."
„Haha, sehr witzig. Also, angenommen, du findest jemanden nett und vermutest, dass die Person dich auch mag, bist dir aber nicht ganz sicher... wie findest du das heraus?"
Ich hebe eine Augenbraue, verschränke die Arme vor der Brust und wende mich ihm zu.
„Reden wir gerade über eine Frau?", frage ich verschmitzt.
„Ich frage für einen Freund", entgegnet Creevey rasch und wird rot.
„Aber selbstverständlich tust du das. Wer ist sie?"
„Du, ähm, kennst sie nicht."
„Creevey", brumme ich ungeduldig. „Wer?"
Er verdreht die Augen, seufzt theatralisch und läuft sogar noch röter an. Doch dann scheint er zu dem Schluss zu kommen, dass er ohnehin keinen Rat von mir zu erwarten hat, insofern er meine Frage nicht beantwortet, und öffnet erneut den Mund.
„Alicia Spinnet."
Alles klar, Draco, nicht lachen. Nein, du wirst dich nicht über ihn lustig machen.
„Sie ist eine ganze Ecke älter als du, Kumpel", presse ich mit mühsam aufrechterhaltener Neutralität hervor.
„Na und? Es herrscht Krieg. Was spielt das für eine Rolle?", braust Creevey auf.
Ich denke kurz darüber nach und muss ihm schließlich insgeheim recht geben. Ja, was spielt das in diesen Zeiten eigentlich für eine verdammte Rolle?
„Sprichst du denn oft mit ihr?"
„Tsk, ich rede nie mit ihr. Wenn überhaupt sitze ich daneben, wenn sie sich mit anderen Leuten unterhält. Aber sie ist einfach brillant. Klug und talentiert. Beim Kämpfen und so. Sie ist auch super im Quidditch, auch wenn sie es natürlich heutzutage nicht mehr spielt. Und sie hat ein schönes Lächeln, weißt du? Sie lächelt mich ziemlich oft an."
Jetzt kann ich nicht anders - ich muss einfach grinsen.
„Bei Merlins Bart, dann mach eben den ersten Schritt. Sprich sie an. Wenn ihr euch nie miteinander unterhaltet, wirst du auch nie herausfinden, ob sie dich mag."
„Und was soll ich bitteschön sagen?"
Er hebt die Arme in einer Geste der absolut verzweifelten Ahnungslosigkeit und lässt sie dann wieder geräuschvoll an seine Seiten fallen.
„Wie wäre es mit einem Klassiker?", schlage ich schulterzuckend vor.
„Was fällt denn unter Klassiker?", schnaubt Creevey verwirrt.
Ich hebe eine Hand und kratze mich am Hinterkopf, bevor ich mein Haar wieder glatt streiche und mir im Anschluss seufzend das Gesicht reibe. Das ist kein Gespräch, auf das ich vorbereitet bin. Mal ganz abgesehen davon ist es kein Thema, über das ich in den letzten Jahren großartig nachgedacht hätte. Trotzdem bringt mich irgendetwas an Creeveys ernsthafter und vertrauensvoller Miene dazu, nach einer angemessenen Antwort zu suchen.
„Ein lockerer Spruch im Vorbeigehen eben. Sowas wie ‚Ey Spinnet, du siehst heute super aus' zum Beispiel. Mach ihr ein ernstgemeintes Kompliment, aber lass es trotzdem lässig wirken. Es muss nicht unbedingt in einem Smalltalk enden, immerhin willst du fürs Erste nur ihre Aufmerksamkeit wecken. Beim nächsten Mal fragst du sie dann nach ihrer Meinung zu irgendetwas, wenn das Gesprächsthema es hergibt. Das gibt ihr das Gefühl, dass dir wichtig ist, was sie denkt. Sei einfach präsent, weißt du? Und dann schau, wie es sich entwickelt."
Creevey starrt mich an, als wäre ich ein Frauenversteher der ersten Klasse. Was lächerlich ist, weil ich vermutlich das exakte Gegenteil bin. (Oder mich zumindest jahrelang nicht darum geschert habe, einer zu sein.) Doch jetzt arbeitet es in seinem Gehirn, das kann ich deutlich sehen. Ich nehme an, dass er sich gerade vorstellt, wie er die von mir beschriebenen Szenen in die Tat umsetzten könnte.
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich das kann", gibt er schließlich unverblümt zu.
„Wer nicht wagt, der nicht gewinnt", erwidere ich altklug und verlagere mein Gewicht auf das andere Bein. „Ich dachte, es herrscht Krieg? Was hast du also zu verlieren?"
„Aber du wendest deine Ratschläge doch nicht einmal selbst an!", behauptet er schließlich trotzig und verschränkt ebenfalls die Arme.
„Was soll das denn heißen?", frage ich vollkommen entgeistert.
„Naja, ich habe noch nie gehört, dass du Granger ein Kompliment gemacht oder sie nach ihrer Meinung zu irgendetwas gefragt hast. Okay, dieses eine Mal beim Abendessen - da hast du ihr deinen Sitzplatz angeboten. Das war auf eine lässige Art und Weise nett, nehme ich an? Aber ich verstehe nicht, was das hätte bringen sollen, denn immerhin wärst du ja gegangen, wenn sie dein Angebot angenommen hätte, oder etwa nicht? Und dann hättest du dich logischerweise auch nicht mit ihr unterhalten."
Ein paar Galleonen würde ich zahlen, um jetzt mein eigenes Gesicht sehen zu können.
Ich starre Creevey fassungslos an und gebe dabei sogar unbewusst meine lässige Haltung an der Wand auf. Meint er das wirklich ernst? Hat Blaise ihm das eingeredet? Machen die beiden sich vielleicht sogar hinter meinem Rücken über mich lustig? Oder ist es, Merlin hilf mir, wirklich so verdammt offensichtlich, dass Granger mich auf diese verdrehte Art und Weise anzieht? Was ich, nebenbei bemerkt, nicht einmal selbst verstehe. Habe ich tatsächlich unterschätzt, was mein Körper und meine Mimik verraten, wenn ich nicht okkludiert bin?
Es vergehen ein paar Sekunden, bis ich mich so weit gesammelt habe, dass ich ihm eine Antwort geben kann. Und zwar in der Form eines lauten, ungläubigen Schnaubens.
„Granger hasst mich bis aufs Blut", grolle ich abweisend. „Und das beruht auf Gegenseitigkeit."
„Tsk, wenn du das sagst. Aber ich bin nicht blind, weißt du", gibt Creevey zurück und klingt jetzt genauso oberlehrerhaft wie ich selbst noch wenige Minuten zuvor. „Ich habe gemerkt, wie du sie ansiehst. Kann allerdings nicht behaupten, dass ich kapiere, warum du auf sie stehst. Sie ist immer so ätzend zu dir. Aber-"
„Ich stehe nicht auf Granger", unterbreche ich ihn kopfschüttelnd.
Genau in diesem Moment geht die Tür auf. Und wenn man vom Teufel spricht...
Granger betritt den Raum. Sie trägt ihre Sporthose und ein eng anliegendes Lycra-Top. Ihre Haare sind auf ihrem Kopf zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden und sie hat einen, meine Fresse, Kissenabdruck auf der Wange.
Hinter ihr schlüpft Ginny durch die Tür, doch ich beachte sie kaum, obwohl sie die Hand hebt und flüchtig in Creeveys und meine Richtung winkt. Dann folgt sie Granger in die Ecke des Raums, in der diese sich gerade bückt, um ein Springseil aufzuheben. Ich begutachte erst ihren Hintern in der engen Leggings, dann ihren schlanken Nacken, als sie den Kopf hin und herbewegt, um ihre Muskeln zu lockern.
Ein spitzer Ellbogen wird mir spielerisch in die Seite gerammt.
„Mh, du stehst wirklich überhaupt nicht auf sie", feixt Creevey mit seinem breiten, jugendlichen Grinsen, bevor er langsam zu einem der Boxsäcke hinüber schlendert.
„Halt die Klappe, Creevey", knurre ich.
***
Das Sporttraining verläuft vorerst ohne weitere Zwischenfälle. Keine Prügeleien mit Thomas, der ebenfalls hier ist, keine unabsichtlichen (oder absichtlichen) Blicke in Grangers Richtung, keine Provokationen. Abgesehen davon, dass die Rebellen gesprächiger werden, sobald sie sich die Müdigkeit erst einmal aus den Knochen geschüttelt haben, ist es friedlich.
Ich absolviere mein allererstes Training auf dem Lauf-Ding und schwöre mir direkt im Anschluss, es nie wieder zu tun, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt. Meine Ansichten haben sich zwar seit Beginn des Kriegs drastisch geändert, aber auf einer Gerätschaft zu trainieren, die so muggelhaft ist, gibt mir immer noch kein gutes Gefühl. Was zugegebenermaßen hauptsächlich daran liegt, dass ich nicht verstehe, wie sie funktioniert. Die gesamte Zeit über fürchte ich, die Kontrolle zu verlieren und von dem Ding geschossen zu werden.
Das Teil hier aufzustellen, war natürlich (wie sollte es auch anders sein) Grangers Idee. Dass ausgerechnet sie, Miss Kontrolle höchstpersönlich, sich darauf wohl fühlt, erscheint mir äußerst abwegig, aber was weiß ich schon.
Ich gebe mir (unter anderem dank Creeveys dämlichen Bemerkungen) sogar so viel Mühe, nicht in Grangers Richtung zu schauen, dass ich nicht sofort mitbekomme, was sich auf der anderen Seite des Raums abspielt. Erst als Creevey mir ein weiteres Mal den Ellbogen in die Seite rammt, wofür ich ihn eigentlich anranzen will, hebe ich den Kopf. Und meine Beschwerde bleibt mir im Hals stecken.
Es scheint, als wäre Granger gerade in ein ziemlich hitziges Gespräch mit Thomas verwickelt. Ihre Gesichter schweben dicht voreinander und lassen zumindest erahnen, wie böse die Worte sind, die sie sich gegenseitig an den Kopf werfen. Hören können wir sie nicht, dafür sind sie zu weit weg und auch zu leise. Noch. Allerdings verrät mir das Blitzen in Grangers Augen, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sie explodiert. Thomas sieht ähnlich wütend aus. Zumindest ist seine Fresse scharlachrot und er hat schon wieder die Zähne gebleckt.
Als ich einige Schritte in ihre Richtung mache, nehme ich in meinem peripheren Blickfeld wahr, dass Creevey mir folgt. Ginny hat ihre bisherige Beschäftigung ebenfalls an den Nagel gehängt und steht jetzt schräg hinter Granger. Smith nimmt gerade Aufstellung hinter Thomas.
Nun, das könnte interessant werden.
Jetzt, wo wir dem Grüppchen allmählich näher kommen, kann ich auch endlich den Großteil ihrer Diskussion vernehmen. Nein, es ist eigentlich weder ein hitziges Gespräch noch eine Diskussion. Es ist ein handfester Streit.
„-und ich entscheide das", zischt Granger.
„Du kannst ihn mir nicht ernsthaft vorziehen. Wir sind Partner!", presst Thomas hervor. Er muss sich eindeutig am Riemen reißen, um nicht laut zu werden. Sein Adamsapfel hüpft unkontrolliert auf und ab, während er spricht.
„Wir sind schon lange keine Partner mehr. Und zwar in keiner Lebenslage, kapiert?", verhöhnt Granger ihn. „Dafür gibt es Gründe! Du sollst mich verflucht nochmal in Ruhe lassen."
„Klar, beruf du dich wieder auf deine sogenannten Gründe. Das ist echt sowas von bescheuert. Scheiß Gründe sind das! Es ist einfach lächerlich."
„Lächerlich?"
„Ja, lächerlich. Wenn du es nicht alleine in den Griff bekommst, dann such dir verdammt nochmal Hilfe, aber du kannst nicht von mir erwarten, dass ich-"
„-dass du was? Rücksicht nimmst?", lacht Granger ungläubig. Jetzt wird sie doch laut.
„Hermine", sagt Ginny mit beschwörender Stimme. Sie zieht besorgt die Augenbrauen zusammen. Ich bin mir sicher, dass sie gerade versucht, ihre Freundin davor zu bewahren, vor aller Augen eine Szene zu veranstalten.
Ich hingegen bin damit beschäftigt, die Kohärenz zwischen den Aussagen von Granger und Thomas zu erkennen. Mir fehlt der erste Teil des Gesprächs, was den Einstieg ziemlich schwierig macht. Creevey scheint es ähnlich zu gehen, denn er murmelt erst „Hä?" und dann „Oh-oh!", als Thomas ebenfalls die Stimme erhebt.
„Ich habe lange genug Rücksicht genommen!"
„Tsk, ich würde deine Überredungsversuche nicht als rücksichtsvoll bezeichnen."
„Das machst du jetzt zum Thema? Ist das dein Ernst? Ich dachte, wir reden über die Missionen", schnaubt Thomas. An seiner Schläfe pocht eine Ader.
„Schön, reden wir über die Missionen. Du bist nicht mehr mein Partner. Punkt."
„Weißt du was? Meinetwegen. Du kannst mit Blaise gehen, wenn du willst, auch wenn ich nicht verstehe, was er angeblich so viel besser macht als ich, aber nicht mit ihm."
Oh. Ah.
Es geht um mich.
„Die Entscheidungen, die ich für die Auskundschaftungen, den Kampf oder den Widerstand im Allgemeinen treffe, gehen dich einen Scheißdreck an, Dean."
„Und die Entscheidungen, die du für dich persönlich triffst? Gehen die mich etwa auch einen Scheißdreck an?"
„Oh mein Gott, du bist... dieses Gespräch führen wir nicht."
Granger wirbelt herum und schickt sich dazu an, den Raum zu verlassen. Unsere Blicke treffen sich genau in dem Moment, in dem sie ihre Drehung vollendet. Man könnte fast meinen, ich wäre persönlich für diesen Disput verantwortlich, so wütend funkelt sie mich an. Dann macht Thomas einen entscheidenden Fehler.
„Oh nein, wir sind noch nicht fertig", zischt er aufgebracht, greift nach ihrem Handgelenk und zieht sie mit einem Ruck zu sich zurück.
Und dann bricht das Chaos aus.
Blitzschnell zieht Granger ihren Zauberstab und löst damit unbewusst eines meiner heimlichen Rätsel. Da ist eine winzige, kaum sichtbare Tasche direkt an der Naht ihrer nachtschwarzen Sporthose, die man überhaupt nicht sieht, wenn man nicht ganz genau weiß, wonach man Ausschau halten muss.
Sie ist schnell, aber Ginny, die ihren Zauberstab bereits im Anschlag hatte, als hätte sie geahnt, was eventuell passieren könnte, ist schneller. Sie entwaffnet Granger mit einem peitschenartigen Hieb ihres Stabs, was diese aber nicht aus ihrer wutentbrannten Trance reißt. Mit einem gutturalen Schrei windet Granger ihr Handgelenk aus Thomas' Griff und stürzt sich auf ihn.
Sowohl in Ginnys Augen als auch an der Spitze ihres Zauberstabs glimmt bereits der erste Funke eines bevorstehenden Schockzaubers. Aber das wäre eine schlechte Idee, da bin ich mir sicher. Ich weiß instinktiv, dass Granger ihr das nicht verzeihen würde. Ich mache einen Schritt nach vorne und stoppe Ginny mit einer raschen Handbewegung.
„Nicht", wispere ich.
Granger hat unterdessen bereits einen Schlag in Thomas' Gesicht gelandet, aber sie macht nicht den Eindruck, als würde sie in näherer Zukunft von ihm ablassen wollen. Er wiederum greift erneut nach ihr (diesmal, um sie auf Abstand zu halten) und das macht sie natürlich noch rasender.
Es ist unbestreitbar dumm. Vielleicht sogar gefährlich. Aber die Ungläubigkeit über die Situation, in die ich gestolpert bin, und meine Wut auf Thomas, die jetzt vermutlich fast so groß ist wie die von Granger, lassen mich nicht mehr realisieren sondern nur noch reagieren.
Ich mache einen Satz nach vorne, schlinge einen Arm um Grangers Hüfte und klemme sie mir unter die Achsel wie eine Art grangerförmigen Wäschesack. Ich achte zwar darauf, sie nicht mit meinen Handflächen zu berühren, bin mir aber nicht sicher, ob das ausreicht, um nicht gleich die nächste Zielscheibe ihres Zorn zu werden.
Granger strampelt und knurrt, aber ohne Zauberstab ist sie (mit ihrer Körpergröße und ihrem Fliegengewicht) in dieser Position so gut wie handlungsunfähig. Naja, abgesehen davon, dass ihre Fäuste meinen Bauch und meine Brust und ihre Füße meinen unteren Rücken und die Rückseite meiner Oberschenkel treffen. Widerspenstige Hexe.
„Verdammt nochmal", presse ich hervor, während ich sie durch den Raum trage.
Ich ramme die Tür des Sportraums mit meiner Schulter auf und stolpere samt meiner sich windenden Fracht in den Duelliersaal, der Merlin sei Dank aktuell verwaist ist. Als die Tür hinter uns ins Schloss fällt, setze ich Granger ab und atme einmal tief durch.
Eine richtige Verschnaufpause ist mir allerdings nicht vergönnt. Sie stürzt sich sofort wieder auf mich und trommelt fauchend auf meine Brust ein.
„Granger. Schau mich an."
Keine Reaktion.
Ich verschränke meine Hände vorsichtshalber hinter dem Rücken und wappne mich mit meiner bloßen Muskelkraft gegen ihre Schläge, während ich sie mit meinem Körper langsam in eine Ecke des Saals treibe. Mit jedem Schritt, den ich nach vorne mache und den sie dadurch nach hinten machen muss, wehrt sie sich noch ein bisschen mehr.
„Hör auf, verdammt. Ich fasse dich nicht an. Sieh mich an."
Ihr Gesicht ist verzerrt, ihre Augen spucken Feuer, ihre Brust hebt und senkt sich unregelmäßig. Sie wird mir ein paar frische blaue Flecken verpassen. Merlin, steh mir bei.
Zwei weitere Schritte und ihr Rücken trifft endlich eine Wand. Ich bleibe vor ihr stehen und beuge mich vor, damit unsere Gesichter auf derselben Höhe sind, behalte aber dennoch den gebührenden Abstand zwischen unseren Körpern bei.
„Komm zu dir, Granger. Er wird dich nicht mehr anfassen. Sieh mich an. Ich fasse dich auch nicht an. Hier sind meine Hände. Schau."
Ich ziehe besagte Hände hinter meinem Rücken hervor und halte sie gut sichtbar und mit geöffneten Handflächen neben meinen Kopf.
Daraufhin hält sie tatsächlich inne. Ein letzter Schlag ihrer kleinen Faust trifft mein Sternum und ich unterdrücke ein Stöhnen. Stattdessen atme ich durch die Nase und schließe kurz die Augen, um mich zu sammeln. Als ich sie wieder öffne, sieht Granger mir ins Gesicht. Zwischen ihren Brauen hat sich eine steile Falte gebildet. Sie atmet immer noch schwer, aber ihr Blick ist jetzt klar.
„Das kann nicht dein Ernst sein", stößt sie schließlich keuchend hervor und nickt mit dem Kinn in Richtung meiner immer noch erhobenen Hände.
Ich möchte grinsen. Teils aus Erleichterung, teils wegen ihres skeptischen Gesichtsausdrucks. Sie schaut plötzlich drein, als wäre ich derjenige, der verrückt geworden ist. Sogar ihre Nase ist gekräuselt. Es ist irgendwie hinreiß-
Mit einem Schlag wird mir bewusst, dass ich scheinbar tatsächlich dabei bin, verrückt zu werden. Ich verkneife mir jegliche amüsierte Reaktion und begnüge mich stattdessen damit, mir eine Haarsträhne aus der Stirn zu pusten.
„Ah, da ist sie ja wieder", feixe ich und lasse meine Hände langsam sinken.
Grangers Wangen röten sich ein wenig, doch sie mustert mich weiterhin finster.
„Du hättest nicht eingreifen müssen. Ich hatte die Situation unter Kontrolle."
„Na klar, Granger. Du hattest sie sogar so sehr unter Kontrolle, dass Ginny kurz davor war, dich zu schocken", gebe ich schnaubend zurück.
Einige Sekunden lang herrscht eine angespannte Stille, in der sie immer noch damit beschäftigt ist, ihre Atmung zu beruhigen, und ich damit, ihr dabei zuzusehen. Als sie sich gesammelt hat, gleiten ihre Hände suchend an ihrem Körper herab. Sie versteift sich.
„Wo ist mein Zauberstab?", will sie anklagend wissen.
„Ginny hat dich entwaffnet."
„Hat sie das?"
„Heilige Scheiße, das hast du wirklich nicht gemerkt?", vergewissere ich mich mit zuckenden Mundwinkeln.
„Halt's Maul, Malfoy", presst sie durch zusammengebissene Zähne hervor.
„Versteh mich nicht falsch, Granger", beginne ich kopfschüttelnd. „Thomas ist ein Idiot. Und der Schlag, den du ihm verpasst hast, hat mir durchaus gefallen. Vielleicht hast du es geschafft, ihm ebenfalls die Nase zu brechen. Das würde ihm recht geschehen."
Ich tippe mir grinsend an meine eigene Nase.
„Aber", fahre ich fort, „ich hielt es trotzdem nicht für sonderlich klug, dich vor den Anderen weiter auf ihn eindreschen zu lassen. Du bist hier immerhin die Vorzeige-Hexe."
Sie schnaubt ungläubig und funkelt mich angriffslustig an.
„Es war deine Schuld, dass es überhaupt passiert ist", giftet sie.
Herrje, natürlich war es das.
„Aha. Weshalb? Wenn ich es richtig verstanden habe, dann ging es darum, dass du vorhast, mich auf weitere deiner Missionen mitzunehmen, oder etwa nicht? Thomas wird sich wohl kaum auf unseren kleinen Ausflug in Greybacks Unterschlupf bezogen haben. Außer natürlich, du hast ihm tatsächlich davon erzählt, was ich aber ehrlich gesagt stark bezweifele. Also nehme ich an, er meinte andere Pläne, von denen ich bisher noch nichts weiß. Ist das so, Granger? Ich dachte, du wolltest dich von mir fernhalten."
Es ist vermutlich nicht die klügste Idee, sie zu provozieren, nachdem sie gerade erst einen anderen Zauberer körperlich angegriffen hat, aber ich kann einfach nicht anders. So viel Mühe ich mir auch gebe, ich werde einfach nicht schlau aus Granger. Und allmählich bringt das meine mühsam aufgebaute Selbstbeherrschung ins Wanken.
Ehe ich weiß, wie mir geschieht, greift sie nach mir, krallt ihre Hand in mein Trainingsshirt und zieht mich zu sich. Ich muss einen Schritt nach vorne machen, um die Balance zu halten, und außerdem eine Hand gegen die Wand hinter ihr pressen, um mich zusätzlich zu stabilisieren. Unsere Gesichter schweben jetzt dicht voreinander.
„Hast du eben überhaupt zugehört?", zischt sie. Ihre Augen huschen wild zwischen meinen hin und her. „Das, was ich Dean gesagt habe, gilt auch für dich. Ich muss mich vor niemandem rechtfertigen. Jeder von euch kann sich darauf verlassen, dass ich stets das Beste für den Widerstand im Sinn habe. Und wenn ich sage, dass ich mich von dir fernhalten werde und von dir dasselbe erwarte-"
Ihre Stimme wird gefährlich leise. Ich spanne mich unwillkürlich an, als ich spüre, wie ihre Hand mein Shirt freigibt und langsam an meinem Oberkörper hinabgleitet. Da ist ein Flackern in ihren Augen, als sie meine Bauchmuskeln durch den dünnen Stoff spürt. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich behaupten, sie ist überrascht darüber, dass sie mich nicht längst von sich gestoßen hat. Als sich ihre Lippen wieder öffnen, spüre ich ihren Atem an meinem Kiefer. Sie flüstert, also beuge ich mich noch ein bisschen weiter vor.
„-dann meine ich damit alles, das nichts mit den strategischen Planungen, den Trainingseinheiten oder unserer Suche nach Tom zu tun hat", fährt sie fort. „Abgesehen davon werden wir uns voneinander fernhalten, wenn es möglich ist, ja."
„Verstehe", raune ich gespielt nachdenklich. „Also zum Beispiel bei etwaigen Geburtstagsfeiern, bei unabsichtlichen, nächtlichen Zusammenkünften auf dem Dach, bei kleinen Vorbesprechungen in irgendwelchen engen Abstellkammern. Oh und Fahrten mit dem Lift fallen natürlich auch in diese Kategorie außerdienstlicher Aktivitäten, nehme ich an?"
Wir sprechen nicht darüber.
Granger befeuchtet ihre Unterlippe. Mein Blick fällt auf ihren Mund und ich balle die Hand, die immer noch neben ihrem Kopf an der Wand ruht, zur Faust. Es rauscht in meinen Ohren und mein Herz klopft unanständig schnell. Ich atme die Luft ein, die sie ausstößt, und ihr Blick wird dunkel, dunkel, dunkel...
Die Tür des Sportraums wird aufgestoßen und eine ganze Traube Rebellen ergießt sich in den Duelliersaal. Ich stoße mich von der Wand ab und nehme Abstand von Granger.
Als ich mich zurückziehe, pralle ich fast mit Ginny zusammen, die mir auf dem Weg in unsere Ecke entgegenkommt. Sie wirft mir einen kurzen, verwirrten Blick zu, bevor sich an mir vorbeischiebt, um Granger ihren Zauberstab zurückzugeben.
Exakt diesen Moment nutze ich, um die Flucht zu ergreifen.
***
A/N: Nächster Stopp - Geburtstagsparty. ;D