Mein Körper zitterte. Die Erinnerungen umhüllten mich wie ein Tsunami und ertränkten mich. Bilder schossen an mir vorbei, doch jedes mal, wenn ich versuchte, sie festzuhalten, verschwand sie wieder so schnell, wie sie gekommen war. Aber etwas war in diesen Erinnerungen immer gleich. Dieser eine Junge. Der mit den langen Harren, die zu einem Zopf geflochten waren. Er war immer dabei. Und ich, denn es waren ja meine Erinnerungen.Und noch jemand. Ein Kind... Sie hatte fast weißliche Haare und schien sich sehr gut mit dem Jungen zu verstehen. Jemand rüttelte an mir, ich hörte verzweifelte Stimmen, die mich riefen und die mich aus dieser Qual herauszuholen versuchte. Mein Körper wurde unsanft hin und her gerüttelt, und dann spürte ich, wie starke Hände nach mir griffen und mich irgendwo hintrugen. Ich wollte protestieren, doch ich hatte keine Kontrolle mehr über meinen Körper. Dunkelheit bahnte sich an den Rand meines Blickfelds und drang immer weiter vor. Ich atmete scharf aus, als mich die Ohnmacht einholte und verschlang.
Der Wind verwehte meine Haare. Ich stand vor dem alten Monstadt, wo der korruptierte Dvalin nun lebte. Neben mir stand dieser Junge und sah entschlossen die Windbarriere an, die vor uns lag. Flankiert von Jean und Diluc sahen wir auf die Windbarriere, die uns den Weg abschnitt. Meine Finger fingen wie von selbst an, eine Melodie zu spielen. Hinter mir ertönte ein Geräusch. Jean wirbelte herum und rief „Achtung! Hillichurle in Sicht!" während der fremde Junge sich auf die Gegner stürzte und sie gekonnt zurücktrieb, von wo sie hergekommen waren. Von ihm ging eine Aura aus, die ich nicht identifizieren konnte. DOch auch wenn ich keine Anemeo-Vision an seinem Körper sah, verwendete er unverkennbar Anemeo-Kraft! Wie konnte das sein? Doch seine Kleidung war auch ganz anders als die in Monstadt. Er musste ein Reisender sein. Aber aus welchem Land? Natlan bestimmt nicht, die Anhänger des Pyro-Archons trugen mehr rot und schwarz und waren vom Character aus weither aggressiver. Fontaine aber auch nicht, ebenso wie Shnezneya oder aus den andern Reichen. Er kam... aus einem anderen Universum?! Ich wollte aufkeuchen, doch mein Körper gehorchte mir nicht. Das musste eine Erinnerung sein. Doch... wie konnte das sein? Ein Archon vergaß nichts. Ich mochte zwar über tausend Jahre alt sein, doch jeder einzelne Tag erschien mir so klar, als wäre es gestern. Ich durchforstete noch ein mal meine Gedanken, und da fiel mir etwas auf, was eigentlich gar nicht sein dürfte. Eine Erinnerungslücke. Je mehr ich darüber nachdachte, desto logischer erschien es mir. Sie war zwar nicht so gross, ein paar Wochen oder Monate vielleicht, aber trotzdem war sie da. Der Junge mit den langen blonden Haaren hatte sich mittlerweile wieder zu uns gesellt und starrte auf die Windbarriere. Meine Finger hörten langsam auf zu spielen und die Wand aus Luft - verschwand. Einfach so! Mein Körper bewegte sich, und alle anderen taten es auch. Ich schluckte. Vor mir erstreckte sich das Alte Monstadt. Das vor dem Brand. Ich zitterte leicht. Ich durchforstete meine Erinnerungen weiter. Da entdeckte ich etwas. Noch eine Erinnerungslücke. Sie war fünfhundert Jahre alt! Wie war mir das noch nie aufgefallen?!
„Venti!" rief eine Stimme. Ich wollte mich umdrehen, doch ich hatte keine Kontrolle übe meinen Körper. Natürlich. Dachte ich. Das ist eine Erinnerung, Dummkopf. Doch die Farben der Erinnerung verblassten langsam und alles um mich wurde weiss.
Ich schlug die Augen auf. Stöhnend wollte ich mich aufsetzen, doch ein Schmerz schoss wie eine Messerspitze durch mich hindurch. Zischend sog ich die Luft durch die Zähne ein. Mein Körper gehorchte mir nicht. Ist das wieder eine Erinnerung? Dachte ich. Nein das war real. Das merkte ich, als eine sehr besorgt aussehende Barbara ins Zimmer stürmte und mich erleichtert ansah, wie ich im Bett lag und mich selbst bemitleidete. Ich konnte mich nicht mal AUFSETZEN! Es war so als hätte ich mich mehrere Wochen nicht bewegt. Aber es waren doch nur ein paar Minuten, höchstens ein bis zwei Stunden vergangen? Doch als Barbara mich ansah, merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Meine Stimme war rau, tief und kratzig, als ich fragte: „Wie lang? Wie lang liege ich hier schon?"
Barbara schluckte. Zögerlich murmelte sie: „Zwei Wochen."
ZWEI WOCHEN?! Dachte ich aufgebracht.
„Wir haben schon gedacht, du würdest nie wieder aus deinem Koma aufwachen."
KOMA?! WIE BITTE?! WAS ZUM TEUFEL SOLL DAS?! Meine Gedanken schlugen Kopf. Ich versuchte panisch, sie zu ordnen, bevor ich einen Satz herausbrachte, der nicht ganz so intelligent wirkte. „Ich war im Koma. Wie ist dass passiert?"
Barbara nestelte an ihrem Rock herum, bevor sie murmelte: „Ich weiss es nicht. Ehrlich. Ich habe alle meine Heilungskünste angewendet, die ich kannte, doch ich konnte dir nicht helfen. Dein Körper hat meine Hilfe nicht angenommen. Ich konnte nichts tun, als dir zuzusehen, wie dein Körper sämtliche Muskelzuckungen hatte, wie bei Epilepsie, ausser dass es viel, mindestens doppelt so schlimm war."
Ich ignorierte die Schmerzen in meinen Gelenken und setzte mich mühsam auf. Ich fühlte mich alt. Naja, genau genommen war ich dass auch, aber nicht in dem Sinne alt. Alt wie ein Rentner. Und dass war ich nicht. Ich sah aus wie ein 21-jähriger! Ich sollte eigentlich keine Gelenkschmerzen haben. Doch die normalen Regeln sprachen mir sowieso nicht zu.
„Deine Kleidung liegt da drüben." sagte Barbara und zeigte mit dem Finger auf eine Kommode, auf der - tatsächlich - meine Kleidung ordentlich zusammengefaltet lag. Ich hörte die Überraschung in ihrer hohen Stimme, so las wäre sie verwundert, dass ein Junge nach zwei Wochen Koma schon wieder so fit sein konnte. Ich grinste in mich hinein und dachte schelmisch: Tja, was kann ich sagen? Ich bin eben Barbatos.
Barbara verliess das Zimmer und schloss mit einem leisen Klicken die Tür hinter sich, sodass ich alleine war. Ich streifte das weisse T-Shirt und die Hose aus. We hat mich eigentlich umgezogen? Fragte ich mich, doch ich schüttelte den Gedanken ab. Darüber wollte ich jetzt nicht nachdenken. Ich zog meine türkis-grünen Kleider an und setzte den dazupassenden Hut auf. Dann öffnete ich die Tür und spähte hinaus. Barbara war verschwunden und so mache ich mich auf den Weg, die Kirche zu verlassen. Ich spürte das Gewicht der Anemeo-Vision an meiner Hüfte und schlug die Tür auf. Die kühle Abendluft schlug mir ins Gesicht und ich atmete auf. Ich sprang die Treppe hinunter und spürte ein Gewicht in meiner Hosentasche. Ich zog - die Schnapsflasche hervor. Verdattert blinzelte ich das warme Glas in der Hand an. Dann seufzte ich. Die war bestimmt schlecht geworden. Schweren Herzens trotte ich zu dem Abfalleimer in der Nähe. Dann schmiss ich die Glasflasche in den Eimer. Ich hasste es, Löwenzahnschnaps zu verschwenden. Dieses Ding hatte mich 75 Mora gekostet! Ganz schön teuer, wenn ihr mich fragt. Ich finde, als Schnaps-Liebhaber, sollte jede Schnapsflasche um mindestens die Hälfte reduziert werden. Aber was soll's. Achselzuckend lief ich die Gassen entlang, bis ich am Marktplatz ankam. De Brunnen plätscherte regelmässig, und um diese Uhrzeit, abends, war der Hirschjäger gut besucht. Ich wollte zu meinem Haus laufen, als ich an der Haustür jemanden sah und ein Klirren hörte. Da machte sich jemand an meiner Haustür zu schaffen!