„Was?!", brüllt Franny am nächsten Morgen entsetzt in ihr Handy. „Du hast gestern einem Mann das Leben gerettet und hattest abends ein Date mit einem schnuckeligen Tauchlehrer?! Scheiße, Maila, warum erfahre ich erst jetzt davon?"
Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Franny gerade unruhig durch die Wohnung tigert. Ihre roten Locken stehen sicherlich wirr in alle Richtungen ab und lassen sie wie eine verrückte Professorin aussehen.
In gewisser Weise tut es mir natürlich leid, dass ich meine beste Freundin nicht schon früher angerufen habe, aber gestern war ich einfach zu erschöpft. Außerdem musste ich erstmal selbst verarbeiten, was alles an meinem ersten Tag in Sunhaven passiert ist.
„Milli? Bist du noch dran oder ertrinkst du schon in deinen Schuldgefühlen?", hakt Franny nach, als ich ihr nicht antworte.
Oh man, sie weiß ganz genau, wie sie mir ein schlechtes Gewissen machen kann.
„Hör zu, Fran", versuche ich meine Freundin zu besänftigen, indem ich ihr eine Notlüge auftische. „Ich hatte gestern Abend keinen Akku mehr. Deshalb konnte ich dich erst heute Morgen anrufen."
„Ist doch total egal!", behauptet Franny nun. „Erzähl mir lieber von deinem Tauchlehrer! Wie heißt er? Wie alt ist er? Wo wohnt er? Was-"
Wie immer, wenn Franny in ihrem eigenen Fragenhagel zu ersticken droht, unterbreche ich sie. „Ganz ruhig", lache ich. „Sein Name ist Landon und er ist 24 Jahre alt. Er ist total lieb, bodenständig, einfühlsam und verständnisvoll. Ich kann mich richtig gut mit ihm unterhalten und fühle mich sehr wohl in seiner Nähe." Während ich spreche, merke ich, wie Hitze in meinen Wangen aufsteigt.
Höre ich mich etwa gerade wie ein verliebtes Teenagermädchen an? Hoffentlich nicht, denn von Liebe ist noch lange nicht die Rede!
„Gott, ist das kitschig und süß!", seufzt Franny verträumt. „Du hast es verdient, glücklich zu sein, Milli! Ich freue mich wahnsinnig für dich!"
Damit ist Franny bereits die zweite Person, die mir das innerhalb von nur zwölf Stunden sagt. Wahrscheinlich sollte ich also wirklich damit anfangen, meine eigenen Bedürfnisse an die oberste Stelle zu setzen.
Die nächste Viertelstunde unterhalten wir uns über belanglose Themen. In der Zwischenzeit ziehe ich mir ein weißes T-Shirt und eine Latzhose an und mache mich auf den Weg zum Strand.
Da ich jede einzelne Sekunde in Sunhaven auskosten möchte, fällt es mir auch überhaupt nicht schwer, schon um sechs Uhr morgens den neuen Tag willkommen zu heißen.
Wie sagt man immer so schön? Ach ja, richtig: Der frühe Vogel fängt den Wurm.
Draußen ist es angenehm warm. Die ersten Sonnenstrahlen kämpfen sich durch die Wolkendecke und tauchen die Welt in einen magischen Lichtschimmer aus roten und orangefarbenen Tönen. Das Meer glitzert und die Wellen rauschen leise.
Es ist faszinierend, wie ruhig und leer es am Strand ist. Weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen.
Wie von selbst tragen mich meine Beine in die Richtung des Lost. Franny redet gerade über irgendeinen neuen Nagellack, den sie sich unbedingt kaufen möchte, als meine Augen plötzlich an einem jungen Mann hängen bleiben, der es sich im Schneidersitz auf einem Handtuch bequem gemacht hat und meditiert.
Die schwarzen Wuschellocken verraten mir sofort, dass es sich um Landon handelt.
Was für ein schöner Zufall!
„Du, Franny?", unterbreche ich meine beste Freundin mitten im Satz. „Kann ich mich später nochmal melden? Landon ist am Strand und na ja, ich würde echt gerne mit ihm sprechen."
Kurz ist es still am anderen Ende der Leitung. Dann quietscht Franny begeistert und mindestens drei Oktaven zu hoch: „Dein Landon? Oh man, das ist ja voll romantisch! Lass mal bitte den Anruf laufen, dann kann ich hören, worüber ihr euch so unterhaltet."
„Vergiss es!", erwidere ich sofort. „Schon mal was von Privatsphäre gehört?"
„Nö."
Lachend schüttele ich den Kopf. Keine Ahnung, welche Sicherungen bei Franny durchgebrannt sind, aber so langsam entwickelt sich das zu einem Totalschaden.
„Ich lege jetzt auf. Bis später, Franny."
„Wehe, Milli! Du bist-" Böse, wie ich manchmal sein kann, beende ich das Telefonat, schalte mein Handy aus und verstaue es in meiner Handtasche. Ich atme noch einmal tief durch, bevor ich mich wieder in Bewegung setze und Landon ansteuere.
Er sitzt unverändert auf seinem Handtuch und meditiert. Irgendwie sieht es süß aus, wie seine Lippen zu einem sanften Lächeln verzogen sind und sich ein Rotschimmer über seine Wangen legt.
Da ich Landon nicht erschrecken möchte, bleibe ich etwa fünf Meter entfernt von ihm stehen. Ohne dass er seine Augen öffnet oder seinen Kopf in meine Richtung dreht, säuselt er auf einmal: „Guten Morgen, Maila. Wie hast du geschlafen?"
Überrascht halte ich die Luft an. „Wo-Woher ...?"
„... ich weiß, dass du mich beobachtest?", vervollständigt Landon meine Frage, nachdem seine Lider aufgeflattert sind. „Du bist die einzige Frau, die ich kenne, die nach Holunderblütentee riecht."
„Oh." Das ist alles, was ich sage.
Scheinbar hat Landon eine verdammt gute Nase. Besser, ich benutze regelmäßig mein Deo ...
„Setz dich doch zu mir", bietet mir Landon nun an und klopft auf die freie Stelle neben sich. Für den Bruchteil einer Sekunde zögere ich, doch dann komme ich seiner Aufforderung nach und hocke mich ebenfalls auf das Handtuch.
„Du bist aber ganz schön früh wach", stelle ich fest.
„Du doch auch", erwidert Landon grinsend. Seine braunen Augen halten mich gefangen, als er hinzufügt: „Ich gehe jeden Morgen an den Strand und meditiere hier. Es hilft mir dabei, meine Gedanken zu sammeln und mit positiven Gefühlen in den neuen Tag zu starten."
Wow, das klingt schön. Vielleicht sollte ich das auch mal versuchen, denn oft neige ich zum Pessimismus.
„Und warum bist du so früh wach, Maila?", erkundigt sich Landon neugierig bei mir.
Kurz bin ich versucht mit einem „Um meine beste Freundin auf den neusten Stand der Dinge bezüglich meines nicht vorhandenen Liebeslebens zu bringen" zu antworten, aber stattdessen sage ich ehrlich: „Ich möchte endlich die Sachen tun, die mir Spaß machen und die ich als wichtig empfinde. Für meine Träume will ich keine Zeit verschwenden, sondern den ganzen Tag ausnutzen."
Bei meinen Worten formt sich Landons Mund zu einem Lächeln. „Warst du schon mal tauchen?"
Was? Woher kommt plötzlich sein Themenwechsel?
„Äh", stammele ich verwirrt. „Nein."
Landons Grinsen wird breiter; als könnten seine Mundwinkel jeden Moment reißen. „Und wäre das Tauchen eventuell etwas, was dir Spaß machen könnte?"
Noch immer verstehe ich nicht, worauf er hinausmöchte. Normalerweise bin ich echt nicht auf den Kopf gefallen, aber jetzt gerade herrscht gähnende Leere in meinem Oberstübchen.
Wieder kann ich nur knapp antworten und gebe ein „Ja" von mir.
„Sehr gut!" Voller Euphorie und Energie springt Landon auf die Beine. Er klopft sich den Sand von der Kleidung und streckt mir danach seine Hand entgegen, um mir beim Aufstehen zu helfen.
In der Sekunde, in der sich unsere Finger berühren, zucken mehrere Blitze durch meinen Körper. Kurzzeitig habe ich das Gefühl, auf Wolken zu schweben, bevor sich mein rasender Herzschlag wieder reguliert und die Stromstöße verebben.
So viel zum Thema verliebtes Teenagermädchen ...
Um mich von den Gedankenkreiseln in meinem Kopf abzulenken, frage ich Landon verwirrt: „Was hast du vor?"
Keine Ahnung, wie das möglich ist, aber sein Grinsen wird noch breiter. Dann offenbart er mir: „Ganz einfach, Maila: Ich gebe dir deine erste Tauchstunde!"