Mein Kopf fühlt sich an, als würde ein Helikopter darin seine Kreise ziehen. Seine vier Rotorblätter krachen bei jeder Umdrehung schmerzhaft gegen meine Stirn. Ich liege auf der Seite, der Untergrund unter mir ist weich, also bin ich hoffentlich in meinem Bett. Auch wenn mir nicht ganz klar ist, wie ich dahin gekommen bin. Ich saß doch eben noch mit Shane an der Cocktailbar.
Meine Hand liegt auf etwas Heißem. Es ist weich und darunter fest. Und es bewegt sich irgendwie. Verflixt, es fühlt sich an wie ... nackte Haut!
Ich reiße die Augen auf, aber das grelle Licht blendet so stark, dass ich sie sofort wieder zusammenkneife. Der Hubschrauber in meinem Kopf stürzt ab, die Rotoren drehen sich immer schneller und mein Magen dreht sich mit. Ich schlucke krampfhaft und schaffe es im letzten Moment, die aufsteigende Übelkeit hinunterzuschlucken.
Mein Herz rast. Ich muss sofort wissen, wo ich bin und was passiert ist. Ganz vorsichtig blinzle ich.
»Oh mein Gott!« Die Worte verlassen meine Lippen nur wie ein schwacher Hauch.
Wie kommt dieser verflixte Rapper in mein Bett? Was ist gestern passiert? Was um Himmels Willen haben wir getan?
Ich liege eng an seinen nackten, tätowierten Oberkörper geschmiegt, den Kopf auf seine Schulter gebettet, und plötzlich flackert ein Bild in meiner Erinnerung auf. Das Bild, wie ich in seinen Armen liege, seine Brust anstarre und mir nichts sehnlicher wünsche, als mir die Tattoos darauf genauer anzusehen. Die Erkenntnis, wie sehr ich mich ihm an den Hals geworfen habe, lässt mich schwer schlucken. Meine Wangen fühlen sich an wie frisch flambiert.
Ich bin nicht in meinem Bett, sondern in seinem. Von der Hüfte abwärts sind wir in eine leichte Decke gehüllt, doch unsere Oberkörper sind nackt. Auch meiner. Offenbar hat er sich genommen, was ich ihm so schamlos und leichtsinnig angeboten habe, nur leider weiß ich nicht mehr das Geringste davon.
Es ist meine eigene Schuld, das ist mir klar, und doch. Beim Gedanken daran, wie gnadenlos er die Situation ausgenutzt hat, zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Gleichzeitig steigt wieder Übelkeit in mir auf. Ich bin mir sicher, dass er mich zu nichts gezwungen hat, aber ich habe ihm vertraut und er muss gemerkt haben, dass ich zu viel getrunken hatte.
So, wie es passiert ist, war es nicht richtig. Ich fühle mich schmutzig. Irgendwie ausgenutzt. Benutzt.
Vorsichtig winde ich mich aus seinem Arm. Ich bin so furchtbar dumm. Genau, wie sie es immer sagt. Gutgläubig und dumm. Rhonda nennt es vertrauensselig und naiv.
Langsam richte ich mich auf und schiebe meine Beine aus dem Bett. Auf dem Nachttisch liegt ein weißes Shirt. Hat er es hier hingelegt? Damit ich leichter aus seinem Zimmer verschwinden kann und es für mich nicht ganz so peinlich wird? Wenn sogar seine echte Freundin Jodie immer gleich morgens gehen musste, dann wird er das wohl auch von mir erwarten. Ich bin schließlich nur ein Fake.
Meine Tränen drängen mit Macht an die Oberfläche und ich schniefe leise. Ich muss hier weg, bevor er aufwacht, sonst sterbe ich vor Scham. Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, ihm jemals wieder unter die Augen zu treten.
Hektisch ziehe ich mir das Shirt über meinen nackten Oberkörper. Dass es nach seinem Waschmittel duftet, macht alles noch viel schlimmer. Die Übelkeit wird unerträglich und ich presse krampfhaft die Lippen zusammen. Ich werde alles tun, damit die Horrorvorstellung, mich hier in seinem Zimmer übergeben zu müssen, nicht wahr wird.
Nur am Rande registriere ich, dass ich meinen Slip noch trage. Oder habe ich ihn danach wieder angezogen? Vielleicht haben wir es doch nicht getan? Aber wieso war ich dann in seinem Bett? Nackt bis auf dieses Höschen?
Tränenblind taumle ich durch die Tür, taste mich an der Wand entlang, bis ich endlich in meinem Zimmer stehe und sofort ins Bad stürze. Vor der Toilettenschüssel zwingt mich die Übelkeit in die Knie. Erst als ich rein gar nichts mehr im Magen und es irgendwie geschafft habe, mir die Zähne zu putzen, wanke ich zurück in mein Zimmer.
Mein rosa Abendkleid liegt als zerknitterter Haufen auf dem Boden. Ein Sinnbild dafür, wie ich mich fühle und ein Glück, dass sie das nicht sieht. Ich hebe es auf und hänge es auf einen Bügel, während in meinem Kopf eine Erinnerung Gestalt annimmt. Wys Körper dicht an meinem Rücken, seine Finger am Reißverschluss meines Kleides. Die Sehnsucht nach ihm, die mich überschwemmt wie eine gewaltige Flutwelle und mich völlig aus der Bahn wirft. Wie er sich umdreht und geht.
Ist er noch einmal zurückgekommen? Was ist danach nur passiert?
Mein Blick fällt auf die Digitalanzeige meines Weckers und mir stockt der Atem. »10.28« blinkt mir in roten Ziffern wie Spott und Hohn entgegen.
Das Rot brennt sich schmerzhaft in meine Netzhaut und ich schlage mir die Hände vors Gesicht. Jeden Morgen um neun Uhr holt mich ein Fahrer ab, um mich zu den Terminen des Tages zu bringen. Heute Vormittag war ein Tanztraining für die Tournee angesetzt, die in drei Monaten startet. Ein Training mit vier Tänzern, die jetzt umsonst auf mich warten.
Noch nie habe ich einen Termin verpasst, aber in Wys Zimmer konnte ich natürlich den Wecker nicht hören. Noch nie habe ich verschlafen, noch nie war ich krank. Mein Leben ist völlig aus den Fugen geraten. Sie und Rhonda werden mich meine Unzuverlässigkeit bereuen lassen. Sie finden immer eine Möglichkeit, das zu tun. Mit wackeligen Armen und Beinen und mit letzter Kraft krabble ich auf mein Bett, falle bäuchlings auf die weiche Matratze, vergrabe mein Gesicht im Kissen und lasse den Tränen freien Lauf.
Ich muss eingeschlafen sein, denn als ich ein energisches Klopfen höre, blinken mir die Ziffern »13.39« entgegen. Die Übelkeit ist verflogen, auch wenn meine Stirn nach wie vor so schmerzhaft pocht, als würde ein Specht seine Höhle hineinhacken wollen.
»Wie geht es dir, Chava?« Rosa betritt mein Zimmer, in den Händen ein Tablett mit einem Glas Wasser, einer gelben Dose und einem Teller, auf dem ein mit roter Marmelade bestrichenes Brötchen liegt. Meine Antwort ist nur ein leises Stöhnen, während ich mich im Bett aufsetze und meine Handflächen auf die Stirn presse. Sie lächelt leicht und nickt.
»Nimm die hier, dann geht es dir bald besser. Wy braucht sie leider öfters mal und er schwört darauf.« Nachdem sie das Tablett auf meinen Nachttisch gestellt hat, schüttelt sie eine weiße Pille aus der Dose und reicht sie mir zusammen mit dem Wasser.
»Danke«, murmle ich, schiebe mir die Tablette in den Mund und stürze das Wasser in einem Zug hinterher. Mir war gar nicht bewusst, wie durstig ich bin.
»Ich habe diesem Fahrer heute Morgen gesagt, dass du krank bist, Tia. Du hattest eine lange Nacht. Weiß der Himmel, weshalb sie dir am nächsten Tag nicht frei geben. Das ist nicht richtig, jeder braucht mal eine Pause.«
Sie legt ihre warme Hand auf meine und blickt mich mit ihren braunen Augen an. »Möchtest du darüber sprechen? Ich sehe an deinen Augen, dass du geweint hast. Viel geweint.«
Ich schüttle den Kopf. Ich mag Rosa. Ich mag sie sogar sehr. Aber ich will auf keinen Fall das gute Bild zerstören, das sie von mir hat.
»Du musst nicht, aber wenn du es dir anders überlegst, dann bin ich da. Iss etwas, und dann komm nach unten. Du hast mir erst neulich gesagt, dass du so gerne einmal einen freien Tag hättest und den dann am Pool mit Schwimmen, Lesen und Schlafen verbringen würdest. Heute kannst du es tun.«
Rosas Vorschlag klingt verlockend, doch da gibt es ein Hindernis.
»Weißt du, was Wy heute macht? Ist er ... ist er zu Hause?«
Rosa kneift ihre Augen zusammen und mustert mich eindringlich. »Nein, er ist vorher weggefahren. Was hat der Junge getan? Ist er dafür verantwortlich?«
Trotz allem huscht ein Lächeln über meine Lippen, weil sie ihn so liebevoll »Junge« nennt.
»Ich bin selbst schuld, Rosa.« Jedenfalls zum größten Teil.
»Aber er hat etwas damit zu tun«, bohrt sie nach.
Ich betrachte für einen Moment meine Fingernägel. »Ich habe zu viel getrunken, mich vor ihm blamiert und das ist mir jetzt peinlich.« Ich will Rosa nicht belügen, aber eigentlich tue ich es ja auch nicht. Ich habe nur einen Teil der Wahrheit für mich behalten.
»Rede mit ihm darüber, Tia. Reden ist wichtig. Ich sage es ihm immer wieder, aber Männer brauchen meistens länger, bis sie die Dinge verstehen. Er läuft lieber weg, so wie heute.« Sie verdreht ihre ausdrucksstarken braunen Augen zur Zimmerdecke. »Und wenn er sich schlecht benimmt, sag mir Bescheid. Dann bekommt er es mit mir zu tun.« Rosas energische Kampfansage entlockt mir ein weiteres Lächeln.
»Dann möchte ich nicht in seiner Haut stecken.«
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Gerade hab ich total viel Spaß mit der Geschichte. Das nächste Kapitel ist fast fertig, vielleicht schaffe ich es ja morgen schon ... Es sei denn, sie stellen sich am Ende wieder quer. 😂