( M e l o d y )
Als hätte ich eine Zeitreise gemacht, lag ich brav auf meinem Bett, eingekuschelt in einen von Silas' Pullovern, schaute einen Film und fragte mich, was unten wohl gerade besprochen wurde.
Der Pullover roch nach ihm, hatte er ihn ein paar Stunden den Tag vor seinem Verschwinden getragen. Mit jedem Tag, der verging, wurde die Angst größer, dass er seinen Geruch verlieren könnte.
Asher und Saint hatten vier Männern eingeladen, die wieder einmal von der Sorte waren, denen ich ungern jemals in meinem Leben begegnen wollte.
Diesmal würde ich nicht den Fehler machen und runtergehen, so viel hatte ich gelernt. Dennoch war es ein komisches Gefühl, zu wissen dass sie im Haus waren.
In den vergangenen Tagen trafen sie sich mit vielen Leuten, hielten die Geschäftsbeziehungen aufrecht und versuchten nach Außen das Bild zu vermitteln, dass alles in bester Ordnung sei - so wie ich es tat, wenn ich diese furchtbaren Meetings betrat.
Gerade als ich den nächsten Film auswählte, klopfte jemand an. Es war Wochenende, bereits nach Mitternacht, als Saint vorsichtig die Tür öffnete.
"Sie sind weg", verkündete er mit heiserer Stimme, betrat mein Zimmer gefolgt von einer intensiven Rauchwolke.
Ich richtete mich ein wenig auf, als er sich zu mir an den Bettrand setzte.
"Wie lief es?", fragte ich und er fuhr sich müde durch sein Haar.
"Es lief gut, sogar besser als erwartet", erzählte er, "und es ging wesentlich länger als erwartet. War bei dir alles okay?"
Ich nickte. "Alles gut soweit"
Für einen kurzen Moment hielten wir den Augenkontakt, dann blickte er in Richtung Fernseher.
"Was schaust du dir an?"
"Monsieur Claude und seine Familie", antwortete ich und Saint lachte. Ich schubste ihn sanft, stieg in sein Lachen mit ein. "Der Film ist total lustig", verteidigte ich einen meiner Lieblingsfilme als er entschuldigend die Hände hob.
"Darf ich?", fragte er und zeigte in Richtung Kopfende. Ich nickte und er setzte sich weiter aufs Bett, direkt neben mich.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, startete ich den Film.
Saint kommentierte ab und zu einige Szenen, schien aber wesentlich interessierter daran zu sein, als er am Anfang zugeben wollte.
"Gib es zu, der Film ist gut", forderte ich als er erneut lachte.
Er legte lässig einen Arm hinter seinen Kopf, leckte sich über die Lippen. "Der Film ist okay", antwortete er mit einem Grinsen.
Ich wollte ihn erneut dafür schubsen, doch er hielt mein Handgelenk mit der freien Hand fest, sah mich an und schüttelte neckisch den Kopf.
"Tu das lieber nicht, Sweetheart", warnte er mich singend. Ich wollte mich lösen, doch er zog nach vorne, brachte mich aus dem Gleichgewicht und ich landete halb auf ihm.
Ich lachte laut auf und er stieg mit ein. "Ich möchte dir wirklich nicht wehtun, sonst würde ich jetzt etwas von dem anwenden, das Asher mir beigebracht hat", behauptete ich, wusste aber dass ich keine Chance gegen Saint hatte.
"Klar", schmunzelte er.
Keiner von uns verlor ein Wort darüber, dass ich in seinem Arm liegen blieb.
Er legte mir seine Hand auf den Rücken, strich immer wieder in beruhigenden Abständen drüber und es wurde ruhiger um uns.
Hier und da lachten wir auf, kommentierten die Szenen seltener, weil die Müdigkeit in uns wuchs und das Reden schwerer machte.
"Ich kann noch bleiben, wenn du möchtest", bot er an, als der Film vorbei war und ich den Fernseher ausschaltete.
Saint in meiner Nähe zu wissen, brauchte gemischte Gefühle in mir hoch. Es war offensichtlich, dass die vergangenen Wochen uns mehr zusammengeschweißt haben.
Ich vertraute ihm blind und wusste, er würde mich immer beschützen, egal was in Zukunft kommen würde.
Doch ich war egoistisch.
Saint gab mir Nähe und Wärme auf eine Art und Weise, die mich verwirrte. Wenn er mich in den Arm nahm, dann waren seine Hände niemals irgendwo, wo sie nicht sein sollten und sein durften.
Er war stets respektvoll und machte nie irgendwelche Anstalten, mehr zu wollen. Das wäre auch absurd, schließlich war ich mit seinem besten Freund verheiratet.
Aber ich konnte den Gedanken nicht abschütteln, dass es falsch war, was hier geschah. Silas würde es sicher nicht gefallen und er war noch viel besitzergreifender als andere.
"Ich kann dich auch alleine lassen, Sweetheart", unterbrach Saint meine Gedanken mit ruhiger, müder und so lieber Stimme, dass ich den Kopf schüttelte.
Ich war egoistisch... doch ich brauchte ihn.
"Nein, bleib gerne", und damit kuschelte ich mich in seinen Arm, fand dort die Ruhe, die meinen Puls wieder zu einem normalen Tempo brachte, mir den Schmerz nahm, den ich tagsüber in meinen Gliedern spürte, als wäre ich auf Entzug und die Übelkeit, die in mir aufkam, wenn ich an das Leid dachte, dass Silas vielleicht ertragen oder sogar selbst verursachen musste.
So...egoistisch...
~
( S i l a s )
"Was sagst du?", fragte Juri und zeigte ihm die Fotos, die sein Detektiv für ihn gemacht hatte. Silas betrachtete die Bilder, musterte die Männer darauf, die in ein tiefes Gespräch verwickelt waren.
"Den einen habe ich in Italien gesehen", kommentierte er und wusste schon jetzt, dass das kein gutes Ende nehmen würde.
"Also noch jemand, der mich hintergehen wollte, so wie du", stellte Juri in nüchternem Ton fest.
Silas antwortete nicht.
"Töte ihn", waren seine letzten Worte, bevor Juri das Büro verließ.
Er schaute ihm nicht hinterher, holte bloß eine Zigarette aus der sowieso schon offenen Packung und dachte daran, wie Melody versuchen würde, ihren verurteilenden Blick zu unterdrücken, könnte sie doch nur sehen, wie viel er mittlerweile pro Tag rauchte.
Genüsslich rauchte er sie auf, ehe er sich auf den Weg machte, um besagtem Mann einen Besuch abzustatten - den letzten, den er je bekommen würde.
~
( M e l o d y )
Mein Geburtstag rückte immer näher und noch nie hatte ich mich so wenig darauf gefreut.
Früher hatte ich mir stets ausgemalt, wie es sein würde, wenn ich 18 werden würde. Wie ich aussehen würde, was ich tun würde, wie mein Leben dann wäre.
Die Realität hatte nichts mit dem zu tun, was ich mir damals erhofft hatte.
Je länger ich draußen auf der Terrasse saß, in der Hand einen warmen Tee und in eine dicke Decke gewickelt, desto klarer wurde mir, dass einige Dinge besser waren, als in meiner Vorstellung.
Es war schmerzhaft gewesen, den Kontakt zu meinen Eltern zu verlieren, doch ich hatte mich auch von den Fäden meines Vaters befreien können, würde nie wieder Angst vor ihm haben und nie wieder darunter leiden müssen, dass er sein eigenes Leben hasst.
Außerdem war ich verheiratet mit einem Mann, den ich über alles liebte. Auch wenn unsere Geschichte überaus kompliziert und nicht ansatzweise so romantisch war, wie man es aus Büchern kannte.
Diese Liebe war echt. So echt, dass jeder von uns für den anderen durch die Hölle gehen würde.
"Du denkst über Silas nach", kommentierte Mattheo, der an dem Haus entlang zur Terrasse gelaufen war.
"Woher weißt du das?", fragte ich mit einem überraschten Blick, trank einen Schluck aus meiner Tasse.
"Weil du dann diesen ernsten, aber trotzdem glücklichen Blick aufsetzt" Er gesellte sich zu mir, nahm auf einem der anderen Stühle platz und rieb sich die Hände.
"Die Beschreibung passt wohl ziemlich gut", bestätigte ich, denn genau so fühlte ich mich.
"Ich habe gerade darüber nachgedacht, dass ich meinen 18. Geburtstag ohne ihn feiern werde", seufzte ich und stellte die Tasse ab.
Mattheo musterte mich und zog nachdenklich die Lippen ein. "Das ist scheiße", kommentierte er und brachte mich damit zum Schmunzeln.
"Ja, nicht wahr?", sagte ich und stützte meine Ellenbogen auf dem Gartentisch ab. "Absolut scheiße"
"Hey", sagte er und lehnte sich vor. "Dafür kommen noch ungefähr 40 andere Geburtstage, die du mit ihm verbringen kannst"
Ich hob eine Augenbraue und legte den Kopf schief. "Willst du damit sagen, ich werde bloß 58 Jahre alt?"
Ein frecher Ausdruck huschte über sein Gesicht, als er sich zurücklehnte und die Arme verschränkte.
"Ich habe nur schon mal die Geburtstage abgezogen, an denen ihr euch mit uns so hemmungslos betrinken werdet, dass ihr euch an nichts erinnert"
Dieser Gedanke wärmte mein Herz ein wenig.