Keyla
„Hey, Keyla", hörte ich eine mir bekannte Stimme nach mir rufen. Neugierig drehte ich mich in alle Richtungen, bis Remi in mein Blickfeld geriet. Ich begrüßte ihn genauso herzlich, während er mich in seine Arme schloss, bedacht darauf, dass mein Getränk im Becher blieb. Ich hatte ihn eine Ewigkeit nicht mehr gesehen, was daran lag, dass er für zwei Wochen in Amerika war. Seine Klasse, meine leider nicht, hatte sich für einen Austausch angemeldet, sodass die Amerikaner zu uns kamen und umgekehrt. Remi war so etwas wie mein bester Freund. Er war immer für mich da, trocknete meine Tränen, wenn Roi mich ärgerte und nahm mich in seine Arme, wenn ich schlechte Noten schrieb.
„Na, du Amerikaner", wir wussten, dass unsere Mütter keine geborenen Franzosen waren, doch waren wir es. Wir liebten Paris. Unsere Heimat.
„Ey, nenn mich nicht so, Sweetheart" Ich pikste ihm in den Bauch, was ihn belustigt zur Seite springen ließ. Remi war groß, knappe 1,90 m, schwarzes Haar, was die beiden Brüder definitiv von ihrer Mutter geerbt hatten. Seine grünen Augen waren fast die gleich, wie die seiner Mutter, jedoch leuchteten seine ein klein wenig mehr. Besonders, wenn er Burger oder den Eiffelturm sah. Beim Schmunzeln wurde sein perfekt geformtes Gesicht von Grübchen geziert. Remi trug häufig lässige Sachen, was eine Jogginghose und Shirt bedeuteten, auch wenn er Sport eigentlich hasste. Er war faul, obwohl man es ihm und seine Bauchmuskeln nicht ansah.
„Zoe wartet auf mich. Komm, wir spielen ein Trinkspiel", unsere Finger verhakten sich ineinander. Gemeinsam schlenderten wir durch den Sand bis hin zu meiner besten Freundin, welche mit zwei Gläsern und einer Flasche Tequila auf mich wartete. Remi und ich hielten an dem Stehtisch.
„Was spielt ihr?"
„Ansprechen oder trinken. Willst mitmachen, Williams?", er hasste es, wenn sie ihn so nannte und doch ignorierte er es gekonnt. Stattdessen legte er ein Grinsen auf und stimmte zu. Wir erklärten ihm die Spielregeln und begannen die ersten Runden, wo wir uns absichtlich die falschen Ansprechpartner auswählten, um die kleinen Gläser ansetzen zu können. Erst eine Handvoll Runden später begannen wir damit, uns ernsthafte Kandidaten herauszufiltern.
„Wie wäre es mit dem, Zoe?"
„Da verzichte ich gerne auf meinen Drink", flötete sie und ging auf dem Absatz kehrt zu Josh. Einen Mitschüler und neuerdings ihr Crush.
„Und du, Remi ..." Ich wollte gerade mit dem Finger auf eine von mir ausgewählte Dame zeigen, da nahm er mein Finger in seine Hand und bildete eine Faust. Mit leichtem Druck zog er mich zu sich, sodass ich seinen alkoholisierten Atem riechen konnte.
„Lass uns schwimmen gehen"
„Was? Aber -", stotterte ich.
„Komm, Sweetheart. Zoe ist beschäftigt. Mach einmal etwas Spontanes", er wusste, er würde einen wunden Punkt treffen, sodass mir nicht mehr die Möglichkeit blieb Nein zu sagen. Ich war organisiert. Genoss die Kontrolle über Dinge, weshalb ich alles plante. Donnerstagabends saß ich an meinen Schreibtisch und verfasste einen groben Plan über das Wochenende. Meine Kleidung war farblich in meinem Schrank einsortiert oder die Schuhe nach Anlass.
Ich trottete Remi hinterher und ignorierte dabei den Kloß im Hals, was spontane Aktionen bei mir auslösten. In mir schlummerte irgendwo aber auch die Lust auf das kühle Wasser, was ich auf den Alkohol schob. Ich streifte meine Sneaker ab, legte die Socken sorgfältig hinein und schaute auf zu Remi. Er stand bereits kniehoch im Wasser und sah hinauf zu den Sternen. Er hatte schon als kleines Kind eine Vorliebe für die kleinen funkelnden Punkte am Himmel, weshalb seine Mutter, als er vier Jahre alt war, Sterne an die Decke malte.
„Worauf wartest du, Sweetheart?", hörte ich seine raue Stimme, während ich mich in den Gedanken verloren hatte. Ich zuckte mit den Schultern, denn was genau hielt mich auf? Also ging ich einen leichten Schritt vor, berührte zaghaft mit meinen Zehen das Wasser und zuckte schreckhaft zusammen.
„Das Wasser ist arschkalt, Remi", rief ich in seine Richtung und entfernte mich noch einen Schritt weiter von dem Wasser. Allerdings machte ich diesen Rückzieher ohne Remi, denn dieser kam aus dem Wasser gerannt, folgte mir durch den Sand, als ich versuchte zu entkommen und packte mich von hinten mit seinen Armen um meine Taille. Wie ein Fliegengewicht hob er mich hoch und trug mich, obwohl ich wie ein Fisch ohne Wasser zappelte, ins Wasser. Es wäre nicht Remi, wenn er mich in diesem Moment nicht einfach fallen gelassen hätte, sodass ich unerwartet komplett unter Wasser tauchte. Erschrocken von der Aktion, aber auch von der Kälte stand ich sofort auf und wollte die erneute Flucht ergreifen, als mir ein viel witzigerer Gedanke kam. Ich schmiss mich auf Remi. Wir beide stürzten erneut ins Wasser, tauchten auf und kabbelten uns nochmal. Es entstand ein kleiner Kampf im Wasser mit einer Wasserschlacht, was uns nichts mehr ausmachte, da wir bereits durchnässt waren. Irgendwann als uns noch kälter wurde, gingen wir zurück an den Strand, genauer gesagt zum Lagerfeuer. Wir erwärmten uns an dem glühenden Ruß, welches von der Hitze in rot-orangen Tönen erstrahlte.
„Omg, KeyKey. Ich habe dich überall gesucht. Du weißt nicht, was gerade passiert ist, aber Josh hat mich ernsthaft gefragt, ob wir beide morgen ins Kino wollen. Du hättest dabei seine Augen sehen sollen. Sie haben in Schein des Feuers so unfassbar schön geleuchtet. Und sein Lächeln. Omg, eigentlich war alles an ihm perfekt", sie sprach schnell. Sehr schnell, weshalb ich lachen musste, was sie nicht dabei unterbrach.
„Okay, okay, mach mal halblang. Ich habe verstanden. Er ist perfekt", lachte ich, wobei mein Atmen einen Nebelschleier hinterließ.
„Hab ich schon erwähnt, dass er perfekt ist?" Zoe legte ihren Arm um meine Schulter und musterte mich belustigt, während ich den Kopf schüttelte. Meine beste Freundin wunderte sich nicht einmal, warum meine Kleidung feucht war, so sehr war sie gerade in ihren Gedanken gefangen.
„Und, wen habt ihr so angesprochen?", stellte sie die Frage an mich und Remi gewandt, nachdem die Musik uns für einen Moment umhüllt hatte.
„Niemanden", meinte Remi und zuckte unbedeutend mit den Schultern. Er schenkte mir ein kleines Lächeln, was darauf beruhte, dass wir Besseres zu tun und den Spaß unseres Lebens hatten.
„Gut, dann such' ich euch beide jetzt jemanden aus und es gibt kein Nein, denn sonst verderbt ihr das Spiel", sie zog ihre untere Lippe hervor, was mir keinen Spielraum zum Dagegensprechen gab und doch versuchte ich es.
„Die Spielregeln besagen, Ansprechen oder Trinken und nicht das ich, wenn ich ablehne, dass spiel verderbe!"
„Ich habe sie soeben geändert. Williams, siehst du die kleine dort drüben? Das ist deine!" Zoe löste sich von mir, deutete auf das Mädchen und klatschte freudig in die Hände, als sich Remi auf den Weg machte.
„Jetzt du, KeyKey", sie sah sich um und stoppte. Ich folgte ihrem Blick und urplötzlich gefror mir das Blut in den Adern.