Ohne es zu Ahnen lief ich in mein Verderben. Mit erhobenen Haupt und einem Lächeln auf dem Gesicht, was sich so echt anfühlte, dass ich für einen kurzen Moment dachte, dass alles gut werden würde.
Ohne eine leise Stimme in meinem Kopf, die mich davor warnte, was auf mich im Dunklen lauerte. Wie ein naives Kind lief ich genau die Arme meines Albtraumes, der schon viel zu lange auf mich wartete.
,,Wir sehen aus wie ein Clan. Eine Einheit", kommentierte Gideon fast schon stolz, als wir uns zum letzten Mal in unserem Meetingraum versammelten. In wenigen Minuten würden wir mit dem Fahrstuhl nach unten fahren und unsere Gäste begrüßen. Die Gäste, die das Geschäft des Jahres mit uns machten.
An diesem Deal hing alles. Unsere Firma. Unsere Reichtum. Unsere Familie.
Mein Blick schweifte über meine Brüder, die sich um den dunklen Holztisch platziert hatten. In ihren weißen Anzügen mit den creme farbenden Hemden sahen sie aus wie Marmorsäulen. Schön und stark. Die Säulen, die das Vermächtnis unserer Familie auf ihren Schultern trugen.
,,Ich hätte es eher als Sekte beschrieben", warf Ethan ein, was mich zum Lächeln brachte. Ethan stand neben mir. Seine Hände hatte er locker in die Hosentasche seiner weißen Stoffhose gesteckt, während seine blonden Haare etwas wild von seinem Kopf abstanden. Vermutlich hatte er sich nicht mal Mühe gemacht, sie irgendwie zu bändigen.
,,Pass auf, dass wir heute nicht noch jemanden opfern, damit uns der Allmächtige gnädig ist", entgegnete Silas mit einem teuflischen Lächeln, bevor er sich etwas nach vorne lehnte. Seine blauen Augen strahlten schelmisch, während er sich vermutlich gerade noch einen weiteren Kommentar überlegte, der dazu passen könnte.
,,Wenn das so ist, würde ich gerne meine Präferenzen äußern", meinte sein Zwillingsbruder und sah ihn dabei unmissverständlich an. Landon hatte seine Haare in einen tiefen Zopf zusammen gebunden, was ihn viel älter erscheinen ließ. In nicht einmal sechs Monaten würde er ein verheirateter Mann sein und ja vielleicht änderte dies rein gar nichts, aber irgendwie fühlte es sich für mich so an, dass es alles ändern würde. Alles was wir gewöhnt waren.
,,Sag ja nicht, dass du jetzt noch sentimental wirst, Schwesterchen", raunte mir Ethan zu und zwang mich den Blick von Landon zu reißen. Ein großer Kloß hatte sich in meiner Kehle gebildet und ein Druck baute sich hinter meinen Augen auf.
,,Das heute könnte alles verändern", erklärte ich und sah Ethan an. Sein Blick wurde weich, während er mir eine meiner blonden Locken hinter das Ohr strich.
,,Und das ist gut so. Das heute beendet alle unsere Sorgen mit einem Schlag", versuchte er mich aufzumuntern und lächelte mich dabei warm an. Er legte beide Hände auf meine Schultern, bevor er sich zu mir vor lehnte.
,,Wenn das heute vorbei ist, dann haben wir uns wirklich mal eine Pause verdient", murmelte er, bevor er mir einen Kuss auf den Scheitel hauchte, was mir erst recht Tränen in die Augen schießen ließ.
Wenn heute alles klappte, dann würde der normale Alltag wieder einkehren. Landon würde wieder nach Südamerika fliegen, um dort seine Stiftungen weiter zu leiten. Dad würde vielleicht endlich wieder seine Stelle als CEO fortführen, während wir anderen uns wieder unseren Aufgaben widmen. Es könnte alles wieder normal werden.
Der ganze Druck würde von mir abfallen. Ich könnte frei sein.
Meine Gedanken glitten ganz automatisch zu Fynn. Gestern Nacht ist etwas zwischen uns passiert. Etwas viel intensiveres als ich es je für möglich gehalten hatte.
Wir waren nicht zwei Menschen, die sich über ihr Leid beklagten und alten Träumen hinterher hingen. Wir waren so viel mehr. In wenigen Stunden waren wir uns so nahe gekommen, wie ich es noch nie jemanden gewesen war, so als hätte ich Fynn in meine Seele blicken lassen und er mich in seine. So als hätten wir gegenseitig in einen Spiegel gesehen.
Und der Gedanke, dass Fynn so viel mehr war als ein Assistent, geschweige denn ein Freund, hat mich gestern aus der Bahn geschmissen. Aber vielleicht war es auch ein weiteres Puzzleteil, was seinen richtigen Platz im großen Ganzen gefunden hat.
,,Wo warst du eigentlich heute nacht?", fragte Landon interessiert und riss mich dabei gänzlich aus meinen Gedanken. Wie ein Eimer kaltes Wasser ergoss sich die Realität über mir.
,,Ähm...ich war noch ziemlich lang in der Galerie. Schließlich hat sich ja niemand von euch gedacht, auf mich zu warten", antwortete ich eine Spur zu spät, sodass Ethans Mundwinkel leicht nach oben zuckten, so als wüsste er ganz genau, wo ich diese Nacht gewesen war.
Aber er war selbst nicht zuhause. Als ich in den frühen Morgenstunden zurück zur Villa fuhr, wollte ich in sein Zimmer und ihm alles sagen, was diese Nacht passiert war. Schließlich musste ich mich irgendjemanden anvertrauen und Ethan war für mich mehr als nur ein Bruder.
Er war mein bester Freund, mein Partner in Crime. Aber auch das hatte sich die letzten Wochen geändert, seit...ja seit wann eigentlich?
,,Ethan war auch nicht zuhause", warf ich ein, woraufhin die Aufmerksamkeit auf Ethan gerichtet wurde. Dieser hob nur unschuldig die Arme und lächelte wissend.
,,Ein Gentleman genießt und schweigt", flötete er, bevor er rückwärts den Meetingraum verließ.
,,Es ist bestimmt der Football Kapitän", vermutete Silas, während er sein Jackett anzog und dann zu mir aufsah. ,,Ach komm, Phia, als ob du die beiden gestern nicht beobachtet und diese Blicke gesehen hast", fuhr er fort und lächelte mich dabei an.
,,Naja...ich hatte andere Dinge zutun", gestand ich und spielte dabei eigentlich auf die anderen Gäste an, jedoch interpretierte mein Bruder da etwas ganz anderes hinein. Während wir zur Tür liefen, legte er mir einen Arm um die Schulter und sagte: ,,Tut mir leid, ganz vergessen, dass du in bester Gesellschaft warfst"
,,In bester Gesellschaft? Wieso passiert so viel in der Villa und ich bekomme rein agr nichts mit?", hinterfragte Landon, als er zu uns aufschloss und nun auf meiner anderen Seite lief.
,,Tja, vielleicht solltest du einfach mal deine Prioritäten ändern. Schließlich haben wir gleich zwei frisch verliebte Leute in unserem Haus", fuhr Silas fort mit seiner Neckerei und betätigte den Fahrstuhlknopf.
,,Vielleicht sollte ich meine Aufgaben als Ältester doch etwas ernster nehmen", stieg nun auch Gideon ein, welcher sich bisher rausgehalten hatte. Ich drehte mich empört um, da ich mir eigentlich von ihm etwas mehr Beistand erhofft hatte.
,,Also um eins klar zu stellen, ich bin nicht frisch verliebt", sagte ich, woraufhin meine drei Brüder breit lächelten.
,,Red dir das nur ein, Phia", kommentierte Silas fast schon mitleidig und tätschelte meine Schulter.
Ich verdrehte nur genervt meine Augen und zählte im Inneren die Sekunden, bis wir unten auf dem Hof ankamen.
***
Auf unserem Firmenhof waren mehrere Stehtische, sowie Heizstrahler verteilt, um welche wir uns in kleinen Grüppchen verteilten. Sie waren alle so angeordnet, sodass man eine perfekte Sicht auf die große Lagerhalle hatte, von welcher dass Rolltor noch geschlossen war. Dahinter verbarg sich der Prototyp des neuen Flugzeuges, was die Mannschaft geordert hatte.
,,Wir probieren bei diesem Modell einen ganze neuen Motor aus, mit umweltfreundlichen, fast CO2 neutralem Antrieb...", erklärte Silas aufgeregt den Investoren der Washington Commanders. Das war genau sein Element. Man konnte von Silas halten was man wollte, aber er war intelligent, vielleicht sogar der intelligentes unserer Familie, wenn es um Wissenschaft ging.
Während meine anderen Brüder an der Uni eher wirtschaftliche Fächer belegt hatten, hatte Silas einen Abschluss in Chemie.
,,Hört er auch irgendwann auf zu reden?", fragte Landon, als er sich zu mir an den Stehtisch stellte und seinen Zwillingsbruder betrachtete, der gerade stark gestikulierend erklärte, wie er auf diese bahnbrechende Idee kam.
,,Lass ihn doch etwas seine Show genießen...gib ihm noch so eine Stunde", antwortete ich schmunzelnd, bevor ich an meinem Sekt nickte. ,,Wenn er doch nur auch in anderen Bereichen mit solch einer Intelligenz glänzen würde", seufzte Landon. Erst jetzt wurde mir klar, dass seine Augen ziemlich tief in seinen Augenhöhlen saßen und von dunklen Schatten gezeichnet waren.
Er sah nicht nur wegen seinem Outfit und seiner Frisur älter aus, sondern auch wegen seinen Sorgen, die sich klar in seinem Gesicht abzeichneten. ,,Wieso ist Lou heute nicht hier?", fragte ich und sah zu meinen Bruder herunter, welcher sich auf den Tisch stütze, sodass er etwas kleiner war als ich. ,,Sie ist mit ihrer Mutter unterwegs um Locations für die Hochzeit anzugucken", erklärte er mit einem leicht genervten Unterton.
,,Du weißt, dass dich niemand dazu zwingt. Wenn du noch nicht bereit bist, dann blaß die Sache ab...ihr seid noch so verdammt jung", begann ich und legte eine Hand auf seine Schulter.
Landon richtete seinen Blick auf mich und in seinen Augen lag etwas unergründliches. Ein Schmerz, den ich viel zu gut verstand. Er zog das nicht nur für sich und Lou durch, sondern für uns alle. Wir alle brachten Opfer...und Landon vielleicht das Größte von uns.
,,Lou ist schwanger", sagte er leise, es war fast schon ein Flüstern. Mein Blick schnellte sofort zu Silas, welcher immer noch in seinem Monolog vertieft war.
,,Die Antwort auf deine Frage ist, dass ich es selbst nicht weiß. Ich kann nur hoffen, dass es nicht so ist", kommentierte er meinen Blick, bevor er sich von dem Tisch abstieß.
Er legte seine Hand auf meinen Unterarm, bevor er noch einmal kurz zu mir herunter sah. ,,Lass das meine Sorge sein. Du hast genug um die Ohren", mit diesen Worten verabschiedete er sich von mir. Ich sah ihm noch kurz hinterher, wie er zu einem anderen Tisch lief, an dem Gideon gerade mit dem Vereinsleiter redete.
,,Ich dachte mir, vielleicht ist dir kalt", ertönte eine mir viel zu bekannte Stimme neben mir. Mein Bauch zog sich kurz für einen kleinen Moment sanft zusammen. Ich war diesem Mann erlegen, besonders nach gestern nacht. Und ich wusste nicht, ob es mich ins Paradis brachte oder in die Hölle schickte.
Fynn legte mir eine helle Wolldecke um dei Schulter, wobei seine Finger ganz unschuldig die meine nackte Haut an meinem Nacken streiften. ,,Danke", sagte ich, als Fynn sich neben mich stellte.
,,Du siehst aus als hättest du die Nacht kein Auge zugemacht", meinte ich, als ich seine müden Augen betrachtete. Er schmunzelte und schüttelte kurz den Kopf. ,,Genau so ein Kompliment wollte ich heute von dir hören, Prinzessin, wo ich mir doch größte Mühe dabei gegeben habe, dass es niemanden auffällt", entgegnete er scherzhaft, was mich ebenfalls zum Schmunzeln brachte.
,,Da muss ich dich leider enttäuschen, es hat rein gar nicht geholfen", konterte ich, was sein Lächeln nur breiter werden ließ.
,,Die Nacht war...intensiv. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn ich noch ein Auge zubekommen hätte, nachdem du gegangen bist", erklärte er nun ehrlich, wobei er seinen Blick kurz über die Tische um uns herum schweifen ließ. Jedoch waren sie alle in ihre eigenen Gespräche vertieft, sodass niemand mit anhörte, was wir redeten.
,,Ich hab auch nicht mehr geschlafen...wir sollten darüber reden, was das gestern war", begann ich und sah Fynn dabei direkt in die Augen. ,,Was das zwischen uns verändert hat", fügte ich hinzu, woraufhin Fynn nickte, jedoch unterbrach er den Augenkontakt fast schon sofort.
,,Das denke ich auch...aber nicht hier", meinte er und trat fast schon unauffällig einen Schritt näher zu mir. ,,Hier gibt es zu viele Ohren", fuhr er flüsternd fort, wobei sich mein Körper nach seiner Nähe sehnte. Es war ein komisches Gefühl, dass eine Nacht so viel verändern konnte. Besonders die Worte, die gefallen waren und die Tränen, die den wahren Fynn offenbart hatten.
Für einen kurzen Moment sahen wir uns stumm in die Augen, so als würden wir an dem gleichen Gedanken hängen.
Für einen kurzen Moment waren wir wieder zurück in seiner Wohnung, zurück in unserer Glaskugel und blendeten alles um uns herum aus.
Bis dieser Moment von einem ohrenbetäubenden Knall zerstört wurde.
Binnen weniger Augenblicke ging die Welt in Feuer auf, mit ihr mein Gefühl von Hoffnung, welches mich heute durchströmte.
Mein Körper schlug hart auf dem Boden auf, während ich von Fynn nach unten gedrückt wurde. Seine Arme lagen über meinem Kopf und vor meinem Gesicht, sodass ich mich bewegen konnte. Blut benetzt meine Lippen und Tränen brannten mir in den Augen.
Was um Himmels Willen passierte hier?
,,Phia, wir müssen hier weg. Schnell", befahl mir Fynn, als dieser hastig von mir aufstand und mich vom Boden zog. Um uns herum war das Chaos ausgebrochen. Schreiende Menschen, die wild durcheinander liefen und versuchte von dem Gelände zu fliehen und dabei weder Rücksicht auf Gegenstände, noch auf ihre Mitmenschen machte.
Ich wurde hart angerempelt, woraufhin mich Fynn an sich zu zog und die Arme um mich schloss. Die pure Panik hatte besitz von mir ergriffen, sodass ich weder klar denken konnte, noch wusste wie ich mich bewegen sollte. Mein Körper war erstarrt, verwirrt über das, was gerade passierte.
Fynn umklammerte mein Handgelenk, bevor er mich von den Tischen wegzog. Meine Füße folgten ihn, ohne dass ich Zeit hatte zu hinterfragen wohin wir rannten.
Dann machte ich den Fehler und sah über meine Schulter. Das Blut in meinen Adern gefror und ein erstickter Schrei kam aus meiner gereizten Lunge.
Das Lagerhaus brannte lichterloh und dunkle Wolken stiegen in den blauen Himmel. Für einen kurzen Moment gehorchten mir meine Beine nicht und knickten weg.
Fynn fing mich zwar auf, aber ich spürte rein gar nichts mehr. ,,Wo sind meine Brüder?", krächzte ich und sah mich um, in der Hoffnung irgendwo weiße Anzüge zu sehen.
,,Phia wir müssen hier weg!", sagte Fynn energisch, jedoch ließ ich mich diesmal nicht so einfach wegziehen. Im Kopf überlegte ich, wo ich meine Brüder das letzte Mal gesehen hatte. An welcher Position sie standen und ob sie somit eine Chance hatten weg zu rennen. Silas stand bei den Investitoren. Landon stand erst bei mir und dann bei Gideon am Tisch der Leitung. Ethan stand...
,,Ethan!", brüllte ich, was einen Schrei purer Hysterie glich. ,,Wo ist Ethan?!", mein Körper begann zu zittern und ich riss an meinem Arm, um ihn aus Fynns Griff zu lösen.
Ich sah ihn an und sein Blick sagte mir, dass was ich dachte. Er wusste es auch nicht. In seinen dunklen Augen trat ein Blick, des Erschreckens...so als dachte er...
,,Nein", flüsterte ich bevor ich den Kopf schüttelte. ,,Nein...Nein. Nein!", ich wurde immer lauter und immer hysterischer, als mir klar wurde, dass Ethan eben nicht bei uns stand. Aber er war hier auf dem Gelände. Ich sah zu der Halle, während Tränen über mein Gesicht liefen.
,,Ethan!", brüllte ich schmerzverzerrt, als der Gedanke immer mehr Form annahm, und krümmte mich, während meine Lunge immer mehr schmerzte durch den Rauch, der uns umgab. Es fühlte sich an als würde ich von innen heraus verbrennen.
Das kann nicht sein. Das durfte nicht sein. Fynn umschloss meinem Bauch mit seinen Armen, um mich davon aufzuhalten nicht in Richtung Halle zu rennen.
Der Schmerz, der sich in meinem Körper breit machte hatte nur noch Platz für ein Gefühl, für das Gefühl, dass ich hart auf dem Boden aufschlug.
Die letzten Wochen hatten sich angefühlt wie im freien Fall.
Das hier war der Aufschlag auf dem Boden. Ob ich daran zu Ende gehen würde, wusste ich bis dahin nicht, aber ich wusste, dass das hier alles ändern würde.
Vergiss das ☆ nicht, wenn es dir gefallen hat.