»Hör endlich auf so zu tun, als würde Marlon noch leben, Jamie. Er ist tot! Bist du so verzweifelt, dass du dir vorstellt die perfekte Beziehung deiner besten Freunde, wäre in Wahrheit deine eigene?«, ertönte die Stimme von Tyler in mir wieder.
»Nein, das glaube ich nicht. Marlon lebt! Dennoch hatte es einen Grund, dass du mir diese Uhr gegeben hast, oder?«
»Allein, dass wir darüber reden müssen, bedeutet, dass du es nicht akzeptiert hast.«
Mir liefen erneut Tränen über die Wangen. »Ich will doch endlich wissen, was die Realität ist.«
»Wenn du das wirklich wissen wolltest, dann würdest du nicht ständig in der Zeit umher springen.« Ich wusste, dass Tyler Recht hatte.
»Wenn du anfängst seinen Tod zu akzeptieren, Jamie, erst dann kannst du in der Realität leben.«
Ich schreckte hoch. Wieder hatte ich schlecht geträumt.
»Schatz? Was hast du denn?«, fragte Marlon und gähnte ausgiebig neben mir. »Wieder schlecht geträumt? Ich dach-te, die Stunden bei der Psychiaterin würden sich auszahlen.«
»Tut mir Leid. Nur was, wenn das hier nicht real ist? Dass sich dein Tumor wie durch ein Wunder zurückgebildet hat, hört sich für mich eher nach einer Fantasiegeschichte an.«
Er seufzte. »Ich weiß. Manchmal denke ich immer noch, dass ich mir das alles nur einbilde. Dass ich in Wirklichkeit tot bin und du mir den Aufenthalt im Himmel versüßt.«
»Wie kannst du damit leben? Ich denke mir jedes Mal, dass mein Leben viel zu abgedreht ist. Du hast wie durch ein Wunder überlebt, während Joey von uns ging, obwohl es nie danach aussah. Er hätte eigentlich leben müssen.«
Ich wusste, dass er es nicht mochte, wenn ich Joey an-sprach. Aber ich konnte einfach nicht anders. »Ich weiß, ich sollte Ashley akzeptieren...«
»Du akzeptierst Ashley, schon vergessen?« Ach stimmt, meinen Hass hatte ich ja inzwischen überwunden.
»Aber ich denke einfach immer zu daran... was wenn die beiden nicht füreinander bestimmt sind?«
Klar, Caroline liebte Ashley. Doch auch ich hatte Tyler geliebt. Trotzdem war Marlon meine wahre Liebe, oder?
»Joey hat Caroline geliebt. Doch er hatte nie die Chance ihr das zu sagen. Er starb einsam. Nicht mal für ein kurzes für immer hatte es gereicht.«
»Jamie. Du weißt ganz genau, dass Caroline schon seit eh und je lesbisch ist. Sie hätte Joey eh nie gewollt, selbst wenn er es ihr gesagt hätte.« In einem anderen Leben hätte sie das vielleicht. Doch, gab es dieses andere Leben überhaupt? Wurde ich langsam wirklich verrückt? Immerhin hatte ich bereits eine persönliche Psychiaterin.
Hatte ich Joeys Leben zerstört? »Du musst endlich über seinen Tod hinwegkommen, Jamie. Du hast jetzt mich.«
Was redete er da? »Was hat das denn jetzt damit zu tun?«
»Du kannst mir nichts vormachen, Jamie. Das mit deiner Schwester erzählst du doch nur, um dich selbst zu schüt-zen.« Nein, das ist nicht wahr. Verdammt, Joey war nie mehr als mein Fakefreund. Alles geriet aus dem Ruder, nur wegen diesem blöden Zeitumkehrer!
Niedergeschlagen ließ ich meinen Kopf über das Bett bau-meln. Da lag sie, die Uhr. Ich weiß, dass sie der Auslöser für all meine Probleme war. Aber wenn ich ein letztes Mal zurückspringen würde, nur um Joey sein Happy End zu gewähren. Dass sich Marlons Tumor wie durch ein Wunder zurückbilden würde, wusste ich ja jetzt.
»So einfach ist das nicht!« Geist-Marlon, oh mein Gott! Was machte der denn hier? »Hast du etwa vergessen, dass eine kleine andere Bewegung des Rades, ein ganz anderes Schicksaal bedeuten könnte? Vielleicht habe ich dieses Mal nicht so viel Glück...«
»Ich will doch nur wissen, was real ist! Denn wenn Marlon in Wirklichkeit sterben sollte und nicht Joey, dann ist das alles meine Schuld! Dann habe ich Joey getötet.«
»Wenn du dich jetzt gegen die Uhr entscheidest, dann nehme ich sie mit und komme nie wieder.«
»Aber... es gibt noch so vieles, was hätte besser laufen sollen.«
Dieses Mal antwortete nicht Geist-Marlon, sondern der neben mir: »Stimmt. Im Leben kann so vieles besser laufen. Aber so ist das nun mal. Wir müssen einfach versuchen aufzustehen und weiterzumachen.«
Dann war Geist-Marlon samt Uhr verschwunden. Einfach, weil ich es so wollte. Ich hatte ihn mir weggewünscht.
»Wie schaffst du das nur, Marlon? Ich weiß, dass Geist-Marlon ein Teil von dir ist. Seitdem du gestorben bist, ist er das. Du weißt über all die Dinge Bescheid, die so eigentlich nicht funktionieren sollten. Dass sich dein Tumor zurückgebildet hat, passiert so gut wie nie in der Realität. Das ist ein Wunder, einfach Fantasie. Also... Wie kannst du mit dem Gedanken leben, dass du eigentlich tot sein solltest?«
Er zog mich jetzt fest an sich und drückte mir einen tiefen Kuss auf den Mund. Auch wenn ich es mittlerweile ge-wohnt sein sollte, es war jedes Mal ein unbeschreibliches Gefühl. »Deshalb. Weil es sich real anfühlt, weil du dich real anfühlst. Eigentlich glaube ich nicht an Wunder oder Zeitreisen. Habe ich nie, zumindest bis jetzt. Unser Leben ähnelt wirklich einer Fantasiegeschichte. Und wenn schon. Die habe ich sowieso lieber gelesen. Wunder passieren, so wie Kummer und Leid. Aber warum heißt das, dass es nicht trotzdem real ist?«
Da hatte er Recht. Diese Lippen konnte man sich einfach nicht einbilden. Und ab diesem Moment fing die Fantasie an Wirklichkeit zu werden. Dieses Mal für immer.