Kapitel 11 – Vertrauen
Eigentlich sollte ich erleichtert sein, dass dieser Tag bald zu Ende ist und wir nur noch zwei Stunden Schule haben. Mein Bruder nimmt mich nachher mit nach Hause und ich habe keine Hausaufgaben auf. Klingt ja eigentlich ganz gut, wenn man von der Tatsache absieht, dass wir Sport mit der Klasse über uns haben, was bedeutet, dass ich zwar meinen Bruder, aber leider auch die anderen Trottel sehen werde. Und dazu kommt noch, dass wir Vertrauensübungen machen. Wir sollen Paare bilden und dem einem werden dann die Augen verbunden. Man soll dann zu zweit den aufgebauten Parcours bewältigen, vom jeweils anderen geführt. Wir haben das schon ein mal gemacht, dort musste ich mit einem Jungen zusammenarbeiten, der scheinbar noch nie ein Mädchen angefasst hat, so sehr hat seine Hand in meiner geschwitzt.
Leider weiß auch der Sportlehrer, dass Hoseok mein Bruder ist, weshalb er uns verbietet zusammen zu arbeiten, auch, wenn eine Vertrauensübung bei uns auch mal lustig wäre.
„Gut, wärmt euch auf, wenn ich pfeife, dann sucht ihr euch einen Partner, immer Junge und Mädchen und stellt euch zusammen hin, sodass wir sehen, wer noch keinen Partner hat.", ruft unser Lehrer laut und wirft mir beim letzten Teil seines Satzes einen unauffälligen Blick zu. Auf sein Zeichen hin beginnen wir alle zu laufen und ich bemühe mich möglichst weit weg von meinem Bruder und seinen Freunden zu laufen, nicht, dass sie mich jetzt auch noch beim Sport volllabern.
Nach genau zehn Minuten pfeift der Lehrer und sofort finden sich alle zu Paaren zusammen. Ich bleibe einfach stehen um zu warten bis sich herausstellen wird, wer auch keinen Partner hat und somit mit mir zusammen machen muss. Dann allerdings spüre ich jemanden neben mir, weil der Arm der Person meinen leicht streift. Ich drehe meinen Kopf und sehe Namjoon neben mir stehen. Leicht lächelnd sehe ich zu ihm hoch.
„Du musst nicht-" - „Ich will aber."
Ich spüre überraschte und teilweise auch fiese Blicke auf mir, logisch, einer der beliebtesten Jungen der Schule macht freiwillig mit mir im Sportunterricht zusammen.
Sogar von meinem Sportlehrer ernte ich einen ungläubigen Blick und grinse innerlich. Auch er hätte wahrscheinlich nicht gedacht, dass ausgerechnet Kim Namjoon eine Vertrauensübung mit mir bewältigen will. Aber ich hätte auch niemals damit gerechnet, dass er vor allen anderen zeigt, dass wir uns vertragen haben. Kim Namjoon, du überrascht mich immer wieder.
„Gut, dann teilt euch auf, sodass jede Gruppe an einer Station ist. Ihr habt ungefähr immer 3 Minuten um die Aufgabe zu bewältigen, dann pfeifen wir und ihr geht im Uhrzeigersinn eine Station weiter. Hier vorne könnt ihr euch eine Augenbinde holen. Und nicht schummeln.", erklärt unser Lehrer dann noch und setzt sich mit dem Sportlehrer der anderen Klasse in den Geräteraum. Namjoon läuft los und holt die Augenbinde, während ich schon mal an eine Station gehe, wo noch niemand steht. Nach einer halben Minute kommt Namjoon dazu und sieht mich fragend an.
„Vertraust du mir, oder soll ich mir zuerst die Augen verbinden?", fragt er dann. Ich überlege einen Moment. Mein erster Instinkt sagt mir, dass er anfangen sollte, aber ich besinne mich eines besseren. Ich habe mir wirklich vorgenommen ihm zu vertrauen, jetzt ist der beste Moment dazu.
„Ich vertraue dir.", sage ich dann, ignoriere seinen leicht überraschten Blick und lasse mir von ihm die Augen verbinden.
„Zu fest, oder ist das gut so?", fragt er dann vorsichtig und ich sage ihm, dass es gut so ist.
An der ersten Station müssen wir auf einer runden Holzstange balancieren, während der andere uns festhält und uns stützt. Ich grinse, als Namjoon mich fragt ob er mich dafür anfassen darf, denn wie soll er das denn sonst machen? Allerdings weiß ich, dass er nur aus Höflichkeit fragt. Als ich ihm also bestätige, dass er mich dafür anfassen darf, überlegt er scheinbar einen Moment wo und wie er das am besten macht, er entscheidet sich dann aber scheinbar für die Oberarme.
„Okay, bereit.", versichert er mir dann und ich beginne auf der Stange zu balancieren. Nach ungefähr der Hälfte ändert er seine Position und hält mich an der Hüfte fest – ich spüre die Blicke förmlich durch die Augenbinde – aber solange er mich nicht fallen lässt ist mir das gerade egal.
Am Ende der Stunden haben wir fast jede Station mit Bravour gemeistert und umarmen uns in einem Anflug von Freude, weil beide Lehrer uns gelobt haben.
Als die Lehrer uns verabschieden, verlassen sie die Halle und ich will auch gerade gehen, als mir einfällt, dass ich meine Sweatshirtjacke noch auf der Bank liegen habe. Deshalb laufe ich schnell zurück und will sie holen, als mich plötzlich zwei Leute an den Armen festhalten.
„Hey!", beschwere ich mich laut und versuche mich loszureißen, allerdings klappt das nicht im Geringsten.
„Wie viel hast du Namjoon bezahlt, dass er sich mit dir abgibt? Oder bedrohst du ihn?", fragt mich Lideya und ich sehe sie perplex an.
„Bitte?"
„Du hast mich schon verstanden. Halt dich von den Jungs fern, die sind weit oberhalb deiner Liga.", droht sie mir, während ich immer noch versuche mich loszureißen.
Ich sehe erschrocken auf, als ich sehe, dass sie sich einen der Basketbälle schnappt und sich bedrohlich vor mir aufbaut, während die anderen beiden ihren Griff um meinen Arm verstärken.
„Sag mal tickt ihr-" Mein Satz wird unterbrochen, als sie mir den Ball mit voller Kraft gegen den Kopf wirft. Ich unterbreche mich selber und fasse mir, sobald die Mädchen mich loslassen, an die Nase, welche fast augenblicklich anfängt zu bluten.
„Hey! Sag mal tickt ihr noch richtig? Was ist denn falsch mit euch?!", ertönt eine laute Stimme und mehrere Fußstapfen ertönen. Meine Augen füllen sich mit Tränen, aber ich erkenne, dass es Hoseok ist, welcher die Mädchen anmeckert. Ich bekomme gar nicht mit, dass er sie immer noch weiter anschreit, denn ich spüre, dass jemand vorsichtig mit der einen Hand meinen Hinterkopf festhält und mir mit der anderen Hand ein Taschentuch unter die Nase hält. Meine Sicht klärt sich etwas und ich erkenne Jimin vor mir. Gerade, als ich ihn anmeckern will, was ihm denn einfällt mich anzufassen, zuckt wieder ein stechender Schmerz durch meine Nase und die Tränen in meinen Augen werden wieder stärker.
„Du brauchst wegen meiner Anwesenheit doch nicht vor Freude weinen.", grinst Jimin provokant und ich nehme all meine Kraft zusammen, dann schubse ich ihn von mir weg, sodass er nicht mehr vor mir hockt, sondern auf seinen Hintern fällt. Hätte ich keine Schmerzen würde ich das ganze extrem lustig finden, so stehe ich allerdings nur auf und laufe an ihm vorbei. Hoseok ist jetzt scheinbar auch damit fertig die Mädchen anzuschreien, denn er kommt zu mir und nimmt mich in den Arm.
„Geht's dir gut? Soll ich dich ins Krankenhaus bringen?", fragt er sofort besorgt und ich schüttele nur mit dem Kopf.
„Ich will einfach nur noch nach Hause, bitte.", meine ich dann.
„Hey, Luna!", ruft Jimin dann noch und ich drehe mich zu ihm um. Stumm wirft er mir die Packung Taschentücher zu und ich zwinge mich zu einem dankbaren Lächeln, was wahrscheinlich eher wie eine Grimasse aussieht.
Hoseok und ich gehen zusammen zur Mädchenumkleide – ich kann ihn nicht mehr aufhalten – dann spaziert er geradewegs in die Umkleide, schnappt sich meine Sachen und kommt mit ihnen wieder heraus. Ungläubig sehe ich ihn an. Er zuckt nur die Schultern, nimmt seine Sachen von Jimin entgegen und wir verlassen gemeinsam die Sporthalle.