Liebe ist egoistisch. Zumindest gibt es viele Leute, die das behaupten, aber ich habe eine andere Meinung. Man kann Liebe zu etwas egoistischem machen, sicher, aber dann liegt es an der Weise wie man denkt, und nicht an der Emotion selbst.
Für mich ist Liebe bedingungslos. Wenn ich jemanden liebe, dann erwarte ich nicht, dass er etwas zurück gibt. Ich erwarte nicht mal, zurück geliebt zu werden, auch wenn es wehtut wenn es nicht so ist.
Wenn ich jemanden liebe, dann will ich das Allerbeste für ihn. Und manchmal bin das nicht ich, auch wenn es mich zerreißt.
Und das ist der Grund, weshalb es mir vor dem Gespräch, das ich gleich führen werde, graut.
Mercenario ist bei Jel, so wie ich ihn gebeten habe, und beide unterbrechen ihr Gespräch als ich den Raum betrete. Ich wünschte, dass mein Commander mich vor dem beschützen könnte, was gleich kommt, aber das ist kein Kampf in dem er mir beistehen kann, also bitte ich ihn zu gehen.
Er sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, aber tut was ich sage.
Jel kommt auf mich zu und innerhalb von Sekunden ist sein Körper an meinen gepresst, seine Arme um meinen Hals, seine Lippen auf meinen. Es ist alles was ich brauche, alles was ich will, aber trotzdem brennt jede Berührung wie Feuer in dem Wissen, was ich gleich tun muss.
"Ich hoffe, dass das alles bald vorbei ist," murmelt Jel und vergräbt sein Gesicht in meiner Halsbeuge. "In Filmen folgt auf Krieg immer Frieden, aber in Wirklichkeit ist es Chaos."
Ich schlucke, suche nach den richtigen Worten. "Jel, wir müssen reden," ist das Einzige, was ich herausbringe.
Er tritt ein Stück zurück und sieht mir in die Augen, die Stirn gerunzelt. "Dieser Satz heißt in der Regel nichts Gutes. Noch mehr schlechte Nachrichten?"
Sind es schlechte Nachrichten? Ich weiß es nicht. Aber es ist das Beste was ich tun kann. "Setz dich." Wir lassen uns beide auf dem Sofa nieder, auf dem Mercenario und er zuvor gesessen haben.
Er nestelt an einem Kissenzipfel herum. "Was ist los?"
Ich atme noch einmal tief durch, dann beginne ich. "Jel, als ich dich hierher gebracht habe, hast du mich für ein Monster gehalten."
"Das war...", hebt er an zu protestieren, aber ich schüttele den Kopf und unterbreche ihn.
"Lass mich ausreden. Es ist viel Zeit vergangen und vieles hat sich geändert, wir haben uns besser kennengelernt und viele erste Eindrücke waren nicht ganz richtig."
"Und jetzt sind wir hier. Also worauf willst du hinaus?"
Jels Hand wandert zu meiner und ich bemerke, dass es mir schwerer fällt zu schlucken. Meine Kehle fühlt sich zu trocken an, wie zugeschnürt. "Wir mögen uns besser kennengelernt haben, aber es gib vieles, was ich dir nicht gesagt und was du noch nicht entdeckt hast und das ist nicht fair dir gegenüber. Du musst für dich entscheiden, ob du mit mir als Person zusammen sein willst, und dir Teile dieser Person vorzuenthalten wäre Betrug."
"Ich habe mich längst entschieden", erwidert er, und das blinde Vertrauen in dieser Aussage bringt mich halb um.
"Du hast dich für das entschieden, was du kennst," antworte ich und betrachte unsere Hände. "Aber du weißt nicht alles, du kennst nicht alles. Es mag sein, dass ich nicht das Monster bin, für dass du mich gehalten hast, aber das macht mich nicht weniger zu einem solchen."
"Du bist kein Monster, Alvaro," wispert er und sieht mich aus diesen großen, weiten Augen an. Ich werde es nie verstehen, wie er nach all dem Grauen, das er durchmacht hat, immer noch so weltoffen sein kann, als könnte nichts und niemand ihn verletzen. Wie kann er nur immer noch Gutes in anderen sehen?
"Das kannst du nicht beurteilen. Du kennst die ganze Geschichte nicht."
"Dann erzähl sie mir. Aber ich kann dir versprechen, dass sich meine Meinung nicht ändern wird."
Oh, ich wünschte das wäre wahr. "Ich werde es dir erzählen, alles, weil ich will, dass du weißt auf was du dich eingelassen hast. Unser Deal ist abgelaufen, das ist dir sicher bewusst. Es steht dir frei zu gehen wann du willst, und wenn du alles gehört hast werde ich es dir nicht übel nehmen, wenn du genau das tust."
Er sieht mich an, als hätte ich gerade vorgeschlagen ein Krankenhaus anzuzünden. "Du glaubst, ich wäre wegen diesem Deal geblieben? Alvaro, ich bin hier weil ich dich liebe und ich werde nirgendwo hin gehen, egal was es ist, dass du mir erzählen willst."
Aber er liebt nur, was er kennt. Ich habe ihm nie diese dunkle, dunkle Seite von mir gezeigt, habe ihn immer abgeschirmt von dem Dämon in mir. Denn er ist da, der Dämon, und es ist nichts Schönes. Es ist pure Wut und Hass und Blutlust.
"Vielleicht bin ich nicht der Mann, für den du mich hältst."
"Ich weiß genau, was für eine Art Mann du bist", erwidert er. "Du bist der Mann, der eher gestorben wäre, als sein Volk zu opfern. Du bist der Mann, der den Scheiterhaufen gewählt hat, als die andere Option war seinem Bruder wehzutun. Du bist der Mann, der alles aufgeben würde für die Leute, die er liebt."
Ich lächele, aber es ist eine leere Reaktion. Kein Funken Freude in mir, kein warmes Gefühl bei Jels Worten, weil ich die hässliche Wahrheit kenne.
"Und würdest du mir glauben", hebe ich leise an "wenn ich dir sagen würde, dass dieser Mann derselbe ist, der morgen ein Schwert durch Harrowby bohren wird? Ein Mann, der Todesurteile nicht nur ausspricht, sondern auch vollstreckt? Ein Mann..." Ich schlucke. "Ein Mann, der seine eigenen Eltern getötet hat?"
Die Stille, die folgt, erschlägt mich. Ich kann Jel nicht ansehen, was er denkt, die Augen weit aufgerissen, stockstarr. Kein Ton dringt über seine Lippen, kein Muskel bewegt sich. Und meine Welt fängt an zu bröckeln.
"Es ist der Moment des Sieges", murmele ich. "Und die Leute vergessen die dunkeln Seiten ihrer Helden unter Schichten über Schichten aus goldenen Ruhms. Ich bin ein Dämon, Jel, und wir sind nie die Guten in der Geschichte. Ich habe Blut vergossen und ich werde es wieder tun."
Ich ziehe meine Hand aus seiner, nicht ruckartig, aber bestimmt. "Ich habe dir diese Seite vorenthalten, aus Angst, du würdest das Monster, das du anfangs gesehen hast, wiederentdecken. Aber es ist nicht fair. Du solltest es sehen dürfen, du musst."
Es hat genug Monster in seinem Leben gegeben. Er verdient etwas Besseres.
"Willst du mir sagen, du schickst mich weg?" Seine Stimme ist rau und aufgewühlt.
Ich schüttele den Kopf. "Ich gebe dir die Möglichkeit zu gehen."
Innerhalb von Sekunden ist er auf den Beinen und starrt mich an, die Wut flackert in seinen Augen. "Ich kann nicht glauben, dass du so etwas auch nur denken kannst. Habe ich dir nicht oft genug bewiesen, dass ich alles für dich geben würde?"
"Darum geht es hier doch gar nicht."
"Oh wirklich? Um was geht es dann? Für mich hörte es sich nämlich so an, als hättest du nicht genug Vertrauen in mich um zu glauben, dass ich bleiben will. Dass du denkst, ich wäre noch immer der Menschenjunge, der vor allem davonrennt."
"Das habe ich nie..."
"...gesagt, ich weiß," unterbricht er mich. "Aber du gibst mir die Möglichkeit zu gehen! Nach allem was wir durchgestanden haben und du denkst immer noch ich bräuchte eine Fluchtmöglichkeit! Was erwartest du von mir, dass ich froh bin, dass du mich anscheinend loshaben willst?"
"Jel!" Auch ich stehe jetzt auf. "Ich will nicht, dass du gehst, natürlich nicht! Aber du solltest die Möglichkeit dazu haben."
"Okay, mentale Notiz ist gemacht, können wir es jetzt vergessen?"
"Nimmst du das überhaupt ernst?"
"Ob ich es ernst nehme?" Er lacht humorlos. "Du bist derjenige, der gerade versucht unsere Beziehung in den Sand zu setzen."
"Das ist nicht wahr!"
"Was soll ich sonst von all dem halten? Was genau war dein Ziel mit diesem Gespräch, Alvaro, denn so wie ich es sehe, dachtest du ich würde aufspringen und wegrennen. Also zweifelst du entweder an mir, oder du hast kalte Füße bekommen und suchst einen einfachen Weg, das alles zu beenden."
Er versteht es nicht. Er versteht nicht, dass nicht er es ist, an dem ich zweifle, sondern ich an mir selbst.
"Mein einziges Ziel war, dir die Wahrheit zu zeigen. Damit du entscheiden kannst, ob du es erträgst, mit jemandem wie mir zusammen zu sein, ob du damit leben kannst, dass ich ein Dämon bin und bleiben werde. Ich wollte dir begreiflich machen, was es tatsächlich heißt, dass meine Seele an die Hölle gebunden ist, damit du diese dunkle Seite nicht irgendwann von alleine entdeckst und dich fragst, was du getan hast als du dich entschieden hast bei mir zu bleiben."
Jel sieht auf einmal sehr müde aus. "Wenn du sagst, Dämonen sind von Grund auf böse... aber Menschen und Engel sind beides Tyrannen... wo ist dann das Gute in der Geschichte? Was ist es, dass ich deiner Meinung nach wählen soll? Was ist es, dass so viel besser ist als du?"
"Ich kann dir nicht sagen, wo das Gute liegt," sage ich leise. "Ich weiß nur, wo es nicht ist."
Es ist nie in mir gewesen. Das ist mir schmerzhaft bewusst geworden, als Leandro und Ricarda unter meinen Händen ihr Leben verloren.
"Ich weiß nicht, was dich dazu bringt, so etwas zu sagen," erwidert er. "Ob es deine Zweifel an mir sind oder etwas anderes. Also frage ich dich jetzt, dieses einzige Mal: Glaubst du, es wäre besser, wenn ich gehe?"
Alles in mir wehrt sich dagegen. Mein Dämon schreit und brüllt und tobt, kämpft gegen den menschlichen Teil, der ihn seinen Gefährten kosten könnte. Es tut weh, mehr als ich es mir jemals erträumt hätte.
Aber ich würde Jel nicht anlügen.
Er hat etwas Besseres verdient, niemanden der ihn ständig in Lebensgefahr bringt, niemanden mit Blut an den Händen.
Es gibt nur eine ehrliche Antwort auf seine Frage, und als ich sie ausspreche zerbricht etwas in mir.
Und trotzdem ist es da, dieses kleine, tödliche Wort.
"Ja."
Mein Dämon tobt in mir, als ich zusehe, wie Jel zurück zuckt. Wie dieser verletzte, verständnislose Ausdruck in seine Augen schleicht.
Er weicht zurück, und mein Inneres tobt.
Dämonenliebe ist etwas anderes als menschliche. Dämonen haben einen Gefährteninstinkt; das Mal auf unserer Haut gibt uns eine Verbindung, die uns in Kontakt hält, wenn wir nicht bei dem anderen sein können.
Aber Dämonenliebe ist egoistisch. Und das ist auch der Grund dafür, dass mein Dämon tobt und brüllt und kämpft, als Jel aus der Tür verschwindet. Er will hinterher, will seinen Gefährten zurückholen, ihn bei sich haben um jeden Preis.
Und als ich ihn nicht lasse, mache ich mich selbst zum Hindernis.
Es heißt, man solle sich niemals zwischen einen Dämon und seinen Gefährten stellen, und es gibt gute Gründe dafür. Und auch wenn es mein eigener Dämon ist, wenn ich niemanden als mich selbst zurückhalte, es ändert nichts daran, dass ich einem Dämon seinen Gefährten verweigere.
Es ist ein innerer Kampf, der mich beinahe zerreißt, denn mein Dämon ist stark und stur, genau wie ich. Wir sind eins, aber er ist trotzdem ein Teil von mir, und deshalb kann er sich gegen mich stellen genau wie er es jetzt tut.
Er will zu seinem Gefährten, um jeden Preis, und er kämpft mit Zähnen und Klauen und allem was er hat.
Ich höre nicht, wie die Tür aufgeht. Erst als sich jemand auf mich stürzt, erst als flammenfarbene Flügel in meinem Sichtfeld erscheinen und ein tiefes Knurren meinen Dämon zwingt, sich unterzuordnen, erst als jemand meine Handgelenke packt und mich gegen die nächste Wand wirft um mich davon abzuhalten die Wunden in meinen Armen weiter aufzureißen, erst da erkenne ich Mercenario.
Er ist voll verwandelt und das Feuer lodert in seinen Augen, ganz der Sohn des Teufels, der selbst Lord Blackbourne zur Unterwerfung zwingen kann. Mein Dämon knurrt und tobt, aber er weiß, dass er verloren hat. Also zieht er sich zurück, heulend vor Wut und Schmerz über den Verlust.
"Alvaro." Die Flammen verblassen genau wie mein Dämon, und plötzlich sind es nur noch er und ich, Mercenario der mich festhält und das Blut, das über meine Arme rinnt. "Was ist passiert?"
Was ist nicht passiert? Wieso verliere ich noch immer alles was ich habe? Ich will etwas sagen, irgendetwas, aber alles was meine Kehle verlässt ist ein Laut irgendwo zwischen Knurren und Schluchzen. Und es hört nicht auf.
Mercenario fragt nicht weiter, er zieht mich nur fester an sich und lässt mich weinen. Es ist ein verzweifeltes Weinen, ohne Luft zum Atmen, keine Trauer, nur Schmerz.
Liebe ist egoistisch, sagt man.
Ich wünschte, es wäre wahr. Aber die Realität beweist mir das schmerzhafte Gegenteil.
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Hallo ihr Lieben und Grüße aus dem kalten, aber stundenweise sonnigen Island! (Weit weit weg, damit niemand mich für dieses Kapitel lynchen kann. Und nein, das wenige Sonnenlicht ist nicht der Grund für dieses düstere Kapitel)
Zuerst danke an die Kommentatoren aus dem letzten Kapitel:
#SingingMyHeart, #ButterflyEffekt, #Aescha-07, #momoho, #minnicat3, #Leserin2623, #Rockylovesbooks, #xxdark_angel7705x, #alibiheart, #animedraw354, #see_on, #Meyara01, #Neko-Kurumi und #xxvessaliusxx
Ihr seid die Besten!
Kommianreger für dieses Mal:
~ In diesem Kapitel gibt es einen tieferen Einblick dazu was es tatsächlich heißt ein Dämon zu sein. Gedanken dazu? Segen oder Fluch? Macht es Alvaro zu einem Monster?
~ Liebe ist egoistisch? Ja? Nein? Teilweise?
~ War es die richtige Entscheidung, Jel gehen zu lassen? (Ich kann mir eure Antworten darauf schon vorstellen, aber hättet ihr in Alvaros Position vielleicht ähnlich gedacht?)
Genießt das Wochenende bei hoffentlich wärmerem Wetter als unseren -10°C!
Go back to reality. Stay yourself.
Eure StreetSoldierin