....kleine Wunder

By MaikeWillmer

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John und Mia sind glücklich. Dieser Ansicht war John zumindest. Aber Mia hat sich verändert und zieht sich im... More

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By MaikeWillmer

Es war ein wunderschöner Tag und John genoss ihn in vollen Zügen.

Die Sonne schien und Mia lief neben ihm.

Sie hatten beide keine Eile und schlenderten von Gehege zu Gehege. Manchmal erstarrten sie regelrecht vor Ehrfurcht vor Größe der Tiere und manchmal lachten sie gemeinsam über die kleinen Mätzchen, welche die Tiere veranstalteten.

Als er gestern von der Begehung zurückgekommen war, hatte er sie wieder schlafend vorgefunden. Wieder war er neben ihr ausgeharrt, bis sie aufwachte.

Er konnte es sich nicht erklären, warum sie immer so müde war.

Aber kaum war sie wach, wurden sie beide schon von der Familie in Beschlag genommen. Nein, das war eigentlich falsch ausgedrückt. Sie wurden in die Familie aufgenommen. James, der derzeitige Zoodirektor hatte sie zum Abendessen eingeladen. Aber es war ein eher zwangloses Essen.

Jeder hatte geholfen und sie wurden davon nicht verschont. Sei es beim Tischdecken oder auch beim Essen auftragen. Es war laut und lustig. Aber John mochte es.

Auch Mia schien sich wohl zu fühlen. Sie wirkte nicht mehr ganz so erschöpft, wie noch bei ihrer Ankunft. Sie scherzte mit den Frauen, half mit, wobei John bemerkte, dass die Frauen aufpassten, was sie ihr zumuteten.

Nach dem Essen waren sie alle wieder auf der Terrasse gesessen und hatten Kaffee getrunken. 

Mia war kurz weg gewesen, doch als sie wiederkam, hatte sie sich zu John gesetzt und er hatte ihr den Arm um die Schulter gelegt. Sie lauschten den Geschichten, die ihnen die Familie erzählte und nach einer Weile hatte John bemerkt, dass Mia wieder eingeschlafen war. Aber dieses Mal war es nicht der unruhige Schlaf, den sie sonst immer hatte. Sie war ruhig in seinen Armen eingeschlafen und war nicht einmal mehr aufgewacht, als er sie hoch in das Zimmer getragen hatte.

Wieder war ihm aufgefallen, wie leicht sie war. Doch am heutigen Morgen war sie erfrischt aufgewacht, als ob sich nichts geändert hatte. Mehr noch, sie war unternehmungslustig wie schon lange nicht mehr. Und sie lachte! Selbst jetzt lächelte sie, obwohl sie wieder erschöpft aussah.

John nahm ihre Hand und küsste leicht ihren Handrücken.

Am liebsten hätte er sie gefragt, was sie vor ihm verheimlichte, doch er wollte diese Stimmung nicht vermiesen. Deswegen hielt er lieber den Mund.

Claire hatte ja auch angedeutet, dass Mia von sich aus kommen musste. Er konnte nur zeigen, wie sehr er sie liebte.

Claire hatte ihnen eine Decke und einen Korb mitgegeben. Und John fand, dass nun die beste Zeit für ein Picknick sei.

„Sollen wir uns ein schattiges Plätzchen suchen?"

Mias Augen begannen zu leuchten.

„Das wäre wunderbar. Meine Füße tun etwas weh!"

Er lächelte sie an und führte sie zu einer großen Eiche.

Schnell war die Decke ausgebreitet und das Essen darauf verteilt.

Sie hatten wirklich Spaß und als er nach dem Essen alles wieder in den Korb geräumt hatte, blieb er am Baum gelehnt sitzen und nahm Mia zwischen seine Schenkel. Sie lehnte sich gegen seine Brust und er spielte mit einer Strähne ihres Haares.

„Das machen wir viel zu wenig!", begann er nach einer Weile.

Sie sah zu ihm hoch.

„Du bist ein viel beschäftigter Mann, John!"

Es lag kein Vorwurf in ihrer Stimme, aber trotzdem fühlte er sich schuldig.

„Das ist keine Entschuldigung. Ich sollte es einrichten, dass ich mehr Zeit mit dir verbringen kann."

Er beugte sich hinunter und küsste sie sanft.

„Weißt du was? Ich werde wirklich etwas kürzertreten. Es gibt so viel Schöneres als Arbeit!"

Einen Moment konnte er einen Schatten auf ihrem Gesicht erkennen, aber sie verbarg es sofort wieder.

„Das ist nicht nötig, John. Ich wusste, worauf ich mich einließ, als du mich gefragt hast, ob ich  mit dir zusammen sein will. Du bist jetzt zweiunddreißig und deine Karriere geht steil bergauf. Ich muss das akzeptieren."

Er schüttelte den Kopf.

„Nein! Das musst du nicht akzeptieren! Ich kann auf die Schauspielkarriere verzichten, aber nicht auf dich!"

Wieder war da dieser verdammte Schatten.

Und wieder überspielte sie es gekonnt, als ob sie in der letzten Zeit nichts anderes getan hatte. Warum war ihm das nie aufgefallen? War er wirklich nur mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass er nicht bemerkte, wie sehr sie sich immer verstellen musste?

„Ich verspreche dir, dass ich mich zurücknehmen werde. Ich muss nicht jedes verdammte Angebot annehmen."

Sie sah wieder in die Ferne.

„Das solltest du aber nicht wegen mir machen. Wie ich schon sagte, ich habe gewusst, worauf ich mich einlasse. Auch wenn es nicht meine Welt ist, in der du dich tagtäglich bewegst, so bin ich gerne bei dir."

Er unterdrückte ein Seufzen.

Das Thema hatten sie schon so oft diskutiert.

„Es ist auch nicht meine Welt. Ich komme aus einem kleinen Kaff in Vermont. Ich hatte einfach nur Glück und bin deswegen in Kalifornien. Meine Eltern haben immer noch die Farm und am liebsten bin ich an Weihnachten dort. Und du auch!"

Sie lächelte.

„Oh ja. Ich liebe es bei deinen Eltern. Und Weihnachten ist dort immer etwas Besonderes. Ich mag den Schnee und ich liebe es, wenn ich dich beim Schneeschippen und Skifahren beobachten kann. Ich würde es gerne wieder erleben."

Den letzten Satz flüsterte sie nur, aber John hatte es gehört.

Sollte er darauf eingehen? Es hörte sich endgültig an. Als ob sie nie mehr die Möglichkeit hätte nach Vermont zu fliegen.

Dann kam ihm eine Idee. Er wusste, was sie nach diesem Wochenende vorhatte, doch vielleicht konnte er es hinauszögern. Und vielleicht würde sie es sich anders überlegen und ihm endlich sagen, was sie belastete.

„Ich habe die nächsten zwei Wochen frei, bis die Werbeaufnahmen hier anstehen."

Sie sah zu ihm hoch.

„In Vermont liegt jetzt zwar kein Schnee, aber was hältst du davon, wenn wir nach dem Besuch hier zu meinen Eltern fliegen? Mom hat sich doch erst vor kurzer Zeit beschwert, dass sie uns kaum zu Gesicht bekommt. Und du solltest Vermont auch mal in einer anderen Jahreszeit kennenlernen."

Zumindest kam dieser Schatten nicht. Das war schon einmal ein Lichtblick.

Aber sie überlegte lange. Doch dann lächelte sie wieder.

„Das wäre wirklich sehr schön. Aber ich will deine Eltern nicht stören!"

Er schnalzte mit der Zunge.

„Das werden wir schon nicht. Ich denke, wir können beide die Ruhe gebrauchen."

Sie lachte.

„Das ist richtig. Du siehst müde aus."

Er runzelte die Stirn, was sie aber nicht bemerkte.

Er sah müde aus? Was war denn mit ihr? Er hatte diesen Satz eigentlich auf sie gemünzt, doch sie kümmerte sich wieder nur um ihn. Er sollte sich doch um sie kümmern.

Aber wieder war er ruhig. Zumindest war ihm noch einige Zeit mit ihr vergönnt.

„Ich werde Mom und Dad anrufen, sobald wir wieder in der Villa sind!"

Sie lächelte und schloss die Augen. Er küsste sie auf die Stirn.

„Ruhe dich aus, Darling. Ich passe auf dich auf. Immer!"



„Wir werden heute nicht in der Villa essen. Floyd und James haben sich etwas Tolles überlegt. Es ist ein Teil der Kampagne, die du bewerben wirst, John. Ihr sollt bitte zum Tigergehege gehen. Es ist zwar etwas weiter weg, aber es lohnt sich!"

Mia stöhnte innerlich.

Der Zoobesuch heute war wunderbar, aber sie war wieder erschöpft. Eigentlich hätte sie sich lieber noch etwas hingelegt, aber wenn sie zum Tigergehege sollten, dann mussten sie gleich losgehen.

Deswegen nickte sie lächelnd.

John reichte ihr die Hand und sie gingen wieder den Weg zurück, den sie eigentlich erst vor einer halben Stunde gekommen waren.

„Ich habe meine Eltern angerufen. Sie freuen sich auf uns. Obwohl..."

Sie sah ihn skeptisch an.

„Ich wusste doch, dass wir sie stören würden!"

Er lachte laut aus, so dass die Vögel erschreckt davonflogen.

„Nein! Aber es ist Apfelernte. Das heißt, dass sie mich einspannen werden!"

Sie musste grinsen.

„Dann sehe ich dich so richtig in einer typischen Arbeiterkluft?"

Er nickte.

„Ja, Darling! Ich werde aussehen wie ein Farmer. Ich werde Traktor fahren und auf meinen Vater fluchen, weil er der Meinung ist, dass ich viel zu verweichlicht und zu langsam bin!"

Johns Eltern liebten ihren Sohn. Trotzdem konnte es sein Vater nie lassen, ihn liebevoll zu ärgern. Mia lächelte leicht.

„Dann habe ich endlich die Gelegenheit mit deiner Mutter einen Apfelkuchen zu backen. Egal, wie oft ich einen Kuchen backe, sie schmecken nie so gut wie die, welche deine Mutter backt. Ich will hinter ihr Geheimnis kommen!"

John lachte.

„Das Geheimnis wird sie dir erst verraten, wenn sie im Sterbebett liegt. Oder wenn sie dich für würdig hält."

Mia wurde traurig.

Dieser Satz war nur so daher gesagt, aber für sie hatte es zweierlei Bedeutungen.

Johns Mutter Diana war ihrer eigenen Aussage nach, gesund wie ein Pferd. Man sah ihr nicht an, dass sie schon fünfundfünfzig war und sie würde noch sehr lange leben. Im Gegensatz vielleicht zu ihr. Die Ärzte hatten ihr zwar versichert, dass der Krebs noch nicht weit fortgeschritten war, aber Mia musste sich auch mit dem Sterben auseinandersetzen.

Und was das würdig anging...sobald sie sich von John trennte, würde Mia diese wunderbare Frau wahrscheinlich nie wiedersehen.

Aber John hatte ihr unwissentlich noch etwas Zeit verschafft. Zeit, die sie mit ihm genießen konnte.

Doch dann...

Sie wollte gar nicht daran denken, dass sie ihn verlassen würde.

Auch wenn dieser Tag wunderschön gewesen war, stand ihr Entschluss immer noch fest. Es würde sich nichts ändern. Nur dass ihr noch etwas gemeinsame Zeit geschenkt wurde.

Es dauerte noch einige Zeit, doch dann kamen sie beim Tigergehege an.

Die Familie war schon versammelt und gleich wurden Mia und John wieder behandelt, als ob sie zur Familie gehörten.

Sie wurden zu einem überdachten Platz gebracht.

„Seht euch das an. Ist das nicht wunderschön? Floyd hatte die Idee und James fand es gleich sehr gut." Mary, Floyds Frau klatschte begeistert in die Hände. „Es ist heute erst fertig geworden. Ich bin so stolz auf meinen Mann!"

Floyd legte ihr lachend einen Arm um die Schulter.

„Meine Idee ist es, dass man hier auch Partys organisieren kann. Der Platz ist perfekt. Man kann feiern, ohne die Tiere zu stören. Und trotzdem hat man eine besondere Location. Ich habe schon mit mehreren Eventmanagern gesprochen und sie waren alle begeistert. Man könnte hier Geburtstage feiern. Egal ob Kind oder Erwachsener. Und mit Dekoration kann man hier sogar Hochzeiten veranstalten."

Mia erstarrte.

Hochzeiten?

„Ich hoffe, wenn ihr soweit seid, werdet ihr an uns denken und hier feiern!"

Floyds Worte waren wie Messerstiche. Jedes einzelne tat ihr in der Seele weh.

John sah lächelnd zu ihr hinunter.

„Das wäre wirklich schön, oder Darling?"

Sie lächelte gezwungen.

„Das wäre es...wirklich."

Sie bekam beinahe keine Luft mehr. Die Traurigkeit schnürte ihr die Kehle zu. Sie würde John nie heiraten, auch wenn es ihr größter Wunsch war.

Sie dankte Gott, dass das Thema gewechselt wurde.

„Aber heute weihen wir es mit einer Grillparty ein. Komm, John. Wir sollten eine Zigarette rauchen, bevor es richtig losgeht."

Zigaretten waren Johns einziges Laster. Aber er rauchte nur noch zwei Zigaretten am Tag. Floyd wusste das und hatte am Abend zuvor schon eine Zigarette von John geschnorrt, denn er rauchte noch seltener.

John klopfte sich auf die Hose und machte dann ein erschrockenes Gesicht.

„Verflixt. Ich habe die Schachtel im Zimmer liegen gelassen. Ich gehe sie schnell holen!"

Mia schüttelte den Kopf.

„Nein! Ich werde sie holen."

Sie musste hier weg.

Das Gerede von einer Hochzeit hatte sie trauriger gemacht, als sie dachte. Außerdem war ihr eingefallen, dass sie ihre Tabletten immer noch nicht genommen hatte. Wenn sie die Zigaretten holte, würde sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sie konnte sich beruhigen und die Tabletten nehmen.

John sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Ich kann auch gerne darauf verzichten, Mia. So dringend ist es nicht."

Sie küsste ihn leicht.

„Nein! Ich weiß doch, dass du heute noch nicht geraucht hast. Ich hole sie schnell."

Bevor er noch etwas erwidern konnte, lief sie davon.



Der Zoo war menschenleer.

Wieder bemerkte sie, wie Ruhe und Frieden über sie kamen.

Seltsam.

Warum empfand sie hier nur so?

Sie blieb am Gehege der Wildpferde stehen und beobachtete diese schönen Tiere.

Obwohl die Besuchszeit schon vorüber war, waren sie immer noch auf der Weide. Aber das war ein Konzept dieses Zoos. Wenn es das Wetter zuließ, konnten die Tiere frei entscheiden, ob sie lieber draußen bleiben wollten oder in den Stall gingen.

Die Pferde hatten wohl entschieden, dass sie heute draußen bleiben wollten.

Es war herrlich, wie sie erst ruhig grasten und dann, wie auf ein stilles Kommando los galoppierten. Sie waren so wild und doch so wunderschön. Am liebsten wäre Mia mit ihnen gerannt. Weit weg von allem, was sie belastete.

„Wunderschön, nicht wahr?"

Mia drehte sich erschrocken um.

Sie hatte den alten Mann, der nun neben ihr stand, gar nicht bemerkt. Er hatte einen Arbeitsoverall an, also gehörte er wohl zu den Tierpflegern.

Mia nickte traurig.

Wahrscheinlich würde sie der Mann bald wegschicken, weil sie eigentlich nichts hier zu suchen hatte. Doch der Mann machte keine Anstalten. Stattdessen lehnte er sich gegen den Holzzaun und beobachtete mit ihr die Pferde.

„Wussten sie, dass der Gründer dieses Zoos mit Mustangs angefangen hat?"

Mia schüttelte den Kopf. Das hatte sie nicht gewusst. Sie hatte zwar viel über den Zoo gelesen, aber das war nirgends erwähnt worden.

Der Mann lächelte leicht.

„Er hatte gehört, dass sie erschossen werden sollten. Das konnte er nicht zulassen. Er fand, dass diese majestätischen Tiere es nicht verdient hatten, nur weil der Mensch auf ihrem Gebiet Häuser bauen wollte. Also kaufte er die Herde den Indianern ab. Damals war es zwar nicht üblich den Indianern etwas ab zu kaufen, aber auch da unterschied er sich von den anderen Menschen. Er war der Meinung, dass wenn er jemand Geld bezahlen sollte, dann den Indianern."

Er lachte leise.

„Der Gründer hat auch Indianer eingestellt. Das war damals ein Affront, das können sie mir glauben."

Das glaubte Mia sofort.

Auch das hatte sie nicht gewusst.

„Dann war es erst nicht als Zoo gedacht?"

Der Mann schüttelte lächelnd den Kopf.

„Nein. Aber irgendwie hat es sich verselbstständigt. Floyd hatte sehr viel Geld, aber er war unruhig und wollte der Welt etwas hinterlassen, wenn er mal sterben sollte. Ich sollte vielleicht auch dazu sagen, dass er zu dem Zeitpunkt noch nicht verheiratet war. Ein junger Kerl, der einfach Glück gehabt hatte und nicht wusste, was er mit dem ganzen Geld anstellen sollte."

So etwas Ähnliches hatte John ihr heute auch über sich erklärt. Seltsam.

„Er rettete also diese Mustangs. Er kaufte ein riesiges Gelände und zäumte ein Teil davon ein. Er wohnte in einem Zelt, damit er morgens gleich damit anfangen konnte und abends fiel er müde in seinen Schlafsack. Aber er war glücklich. Dann hörte er von Büffeln, die auch zum Abschuss freigegeben waren. Und wieder rettete er die Tiere."

Mia seufzte leise.

„Er war ein guter Mann!"

Der Mann lachte.

„Oh nein! Er war ein Schlitzohr. Die Geschäftsleute, welche die Büffel erschießen wollten, hatten von ihm gehört und wollten es dieses Mal nicht zulassen, dass er diese Tiere rettete. Er machte ihnen aber ein Angebot, dass sie kaum ablehnen konnten, doch als es zum Geschäftsabschluss kommen sollte, drohte er ihnen, alles der Presse zu erzählen. Ihr Ruf wäre ruiniert gewesen. Also überließen sie ihm die Büffel für einen Bruchteil des vereinbarten Preises. Mehr noch. Sie spendeten ihm sogar Geld, damit er noch mehr Land kaufen konnte, nur damit er sie in Ruhe ließ."

Mia lachte.

„Dann hat er Geld für die Büffel bekommen, die er eigentlich abkaufen sollte!"

Der Mann gluckste.

„Ich sage es ja. Er war ein Schlitzohr. Und er trieb es weiter so. Irgendwann war es durchgedrungen, dass er sozusagen ein Reservat für Wildtiere geschaffen hatte. Es gab viele Leute, welche die Tiere sehen wollten. Und die bezahlten dafür."

Mia spürte, wie ihr die Knie nachgaben. Und auch der Mann bemerkte es.

„Oh je. Ich langweile sie mit meinem Gerede."

Mia schüttelte den Kopf.

„Oh nein! Ich höre ihnen gerne zu. Sie erzählen mir Sachen, die ich nicht wusste."

Er sah sich um und führte sie dann zu einer Bank.

„Setzen sie sich, Kindchen." Dann schlug er sich gegen die Stirn. „Wie unhöflich von mir. Ich habe mich gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Floyd."

Mia sah ihn erstaunt an.

„Der Sohn des jetzigen Zoodirektors heißt auch Floyd!"

Der Mann nickte.

„Ja, wusstest du, dass er nach dem Gründer benannt wurde?"

Mia schüttelte den Kopf.

„Nein, das wusste ich nicht!"

Floyd setzte sich zu ihr.

„Doch. Es ist so eine Tradition. James wurde nach Floyds Vater benannt. Diese zwei Namen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Familie. James der Erste war nämlich der Vater von Floyd den Ersten. Und dieser James war genauso ein Schlitzohr, wie Floyd. Aber ein liebenswertes. Er war dafür bekannt, dass er den Indianern geholfen hat. Vielleicht war es auch deswegen nicht verwunderlich, dass Floyd eine Indianerin geheiratet hatte."

Mia riss die Augen auf.

„Ja? Das wusste ich auch nicht."

Floyd lächelte.

„Ja. Ich habe dir ja von den Mustangs und den Büffeln erzählt. Und das die Leute zu Floyd stürmten, um diese Tiere zu beobachten. Aber es wurden ihm auch Wildtiere gebracht, wenn sie verletzt waren. Sie wurden gepflegt und wieder freigelassen, wenn es möglich war. Eines Tages brachte eine Frau einen Weißkopfseeadler, der sich den Flügel gebrochen hatte. Floyd hatte keine Ahnung von diesen Tieren. Aber die Frau, die Mia hieß, umso mehr."

Mia riss ihre Augen auf.

„Sie hieß wie ich?"

Floyd nickte.

„Eigentlich hieß sie Miriam, aber sie mochte den Namen nicht. Also nannte sie sich kurz Mia."

Er sah in die Ferne und seufzte.

„Floyd wollte das Tier gar nicht aufnehmen, weil er eben nicht wusste, wie man den Adler behandeln sollte. Doch er hatte sich sofort in Mia verliebt und alles getan, dass sie bei ihm blieb. Und das war schwierig!"

Mia setzte sich aufrecht hin und kreuzte ihre Arme vor ihrer Brust. Die Sonne war untergegangen und es wurde merklich kühler. Aber sie wollte Floyd weiter zuhören.

„Warum das?"

Floyd hob einen Finger und verschwand in eines der Gebäude. Nach einer Weile kam er wieder mit einer Decke heraus und legte sie über Mias Schulter.

„Du solltest nicht frieren, Mia. John macht sich schon genug Sorgen!", murmelte er.

Mia sah ihn erstaunt an. Er kannte John?

Doch bevor sie fragen konnte, woher er denn John kannte, setzte er sich wieder neben sie und erzählte weiter.

„Wie ich schon sagte, war Mia eine Indianerin. Floyd wurde zwar von den Indianern akzeptiert, aber sie hätten es nicht gebilligt, wenn er eine von ihnen geheiratete hätte. Und von den Weißen war nicht mehr Verständnis zu erwarten."

Er seufzte.

„Mia hatte sich zwar auch in Floyd verliebt, aber sie zeigte es ihm nicht. Sie fürchtete sich vor den Schwierigkeiten und wollte es Floyd nicht zumuten, dass er an Ansehen verlor, nur weil sie auf ihr Herz hörte. Deswegen ging sie ihm immer aus dem Weg."

Nun seufzte auch Mia.

Das war beinahe so, wie bei ihr und John. Auch sie wollte nicht, dass er seine Träume wegen ihr aufgab.

Floyd erzählte einfach weiter.

„Als der Adler geheilt war, packte sie ihre Sachen und ging fort, ohne sich von ihm zu verabschieden."

Er sah wieder in die Ferne, als ob er in Erinnerungen schwelgte. Das konnte natürlich nicht sein. Aber er erzählte alles so lebendig, als ob er dabei gewesen wäre.

„Floyd war entsetzt. Einen Monat lang ließ er sich gehen, kümmerte sich um nichts mehr. Er trauerte um die Frau, die ihn verlassen hatte. Auch ihm waren die Gründe bewusst, aber er war sich sicher, dass sie zusammen alles meistern konnten. Doch nun war sie nicht mehr da und er fühlte sich unvollständig und sah keinen Sinn mehr darin, seine Zeit für etwas zu opfern, an dem er ohne Mia keine Freude mehr hatte."

Er faltete die Hände zusammen, als ob er beten wollte.

„Doch dann hörte er, dass Mia genauso litt, wie er selbst. Und er beschloss, dass er handeln musste. Er fragte sich durch, bis er das Reservat fand, in dem Mia lebte."

Er grinste.

„Habe ich schon erwähnt, dass er ein Schlitzohr war?"

Mia lachte.

„Das ein oder andere Mal."

Nun lehnte er sich entspannt zurück.

„Er ging nicht sofort zu Mia, obwohl sie die Erste war, die ihm zufälligerweise begegnete. Sie wollte ihn aufhalten, aber er lief mit hocherhobenem Haupt zum Haus des Häuptlings, der auch noch Mias Vater war. Er stellte sich vor und sagte dem Häuptling, dass er seine Tochter heiraten wollte. In dem Moment sah man ihm nicht an, dass seine Knie vor Angst schlotterten. Er hatte Schiss!"

Mia lachte wieder.

„Aber er liebte Mia!"

Floyd nickte bedächtig.

„Das half ihm. Natürlich war der Häuptling alles andere als begeistert. Er verbot Floyd, Mia jemals wieder zu sehen. Und da kam das Schlitzohr wieder hervor. Er schaute den Häuptling so böse an, wie er nur konnte. Und dann erklärte er, dass er dann alles aufgeben würde. Er würde die Mustangs und die Büffel wieder dahin bringen, wo er sie herhatte. Und er würde Geld dafür verlangen. Und zwar von den Indianern, die ihm das schließlich eingebrockt hätten."

Mia kicherte.

„Aber das haben sie doch gar nicht!"

Floyd grinste frech. Einen Moment sah er sehr jung aus und Mia war sich sicher, dass auch er ein Schlitzohr sein konnte.

„Das war Floyd auch bewusst, aber er sah so entschlossen und wütend aus, dass die Stammesmitglieder ihm glaubten. Sie hätten ihn nie im Leben bezahlen können. Also gaben sie zähneknirschend die Erlaubnis. Floyd war überglücklich, aber er hatte nicht mit Mias Sturheit gerechnet."

Sie hielt sich eine Hand vor dem Mund.

„Oh nein. Sie weigerte sich trotzdem?"

Er nickte traurig.

„Sie hörte wieder auf ihren Verstand und der sagte ihr, dass Floyd alles verlieren konnte, weil er sich für sie entschieden hatte. Also schickte sie ihn weg. Floyd war am Boden zerstört. Es war ihm egal, ob er alles verlieren würde. Er wollte Mia! Doch dann bekam er Hilfe von unerwarteter Seite."

Mia zog die Decke enger um sich. Sie fror etwas, aber sie wollte das Ende der Geschichte unbedingt hören.

„Floyd hatte sich mit einem Indianer angefreundet, der für ihn arbeitete. Er hatte keinen westlichen Namen. Er nannte sich Büffelheiler. Wahrscheinlich hieß er ganz anders, aber Floyd hatte ihn von Anfang an Büffelheiler genannt. Er war in Floyds Alter und ihm tat sein Freund leid. Also beschloss er zu helfen. Mit anderen Indianern zähmten sie einen der Mustangs und brachten Floyd bei, ihn ohne Sattel zu reiten. Und dann machten sie sich auf den Weg."

Mia hob eine Augenbraue.

„Wie meinst du das?"

Floyd lachte.

„Damals gab es noch nicht viele Autos. Und von Lastern konnte man nur träumen. Also ritten etwa zwanzig junge Indianer und eben Floyd zum Reservat. Sie entführten Mia einfach."

Mia schlug sich wieder die Hand vor dem Mund. Sie musste lachen.

„Und das hatte sie beindruckt?"

Floyd schüttelte den Kopf.

„Aber nein! Sie wehrte sich wie eine Wildkatze und irgendwann wurde es Floyd zu bunt. Er hielt seinen Mustang an und hielt sie an beiden Armen fest. Du sagst mir jetzt sofort ins Gesicht, dass du mich nicht liebst und ich werde dich zurückbringen! Wenn du das nicht kannst, dann bist du jetzt ruhig! Ja, das waren seine Worte."

Er lachte leise.

„Sie konnte es nicht."

Mia freute sich. Sie konnte es sich nicht erklären, warum es so war, aber sie freute sich für Floyd, der sein Glück damals gefunden hatte.

„Sie heirateten!"

Er nickte.

„Ja, das taten sie. Und trotz ihrer Bedenken, wurde Floyd immer erfolgreicher. Neun Monate nach ihrer Hochzeit kam ihr Sohn James zur Welt. Und das Wildtierreservat wuchs. Irgendwann übernahm es James und sorgte auch dafür, dass andere Tiere hinzukamen, deren Lebensraum gefährdet war. Sein Sohn Floyd brachte dann exotische Tiere. Und so ging es immer weiter. Jeder brachte seine eigenen Ideen in diesen Zoo, aber Floyds Grundgedanke blieb über die ganzen Jahre erhalten."

Mia sah Floyd fragend an.

„Hatten Mia und Floyd wirklich nicht mit Schwierigkeiten zu kämpfen?"

Floyd drehte den Kopf zu ihr.

„Selbstverständlich hatten sie das. Aber sie schafften es. Gemeinsam."

Er stand auf.

„Überlege es dir noch einmal, kleine Mia. Ich habe dir die Geschichte von Floyd und Mia erzählt, weil es viele Parallelen zu dir und John gibt. Verlasse John nicht, nur weil es dir vernünftig erscheint. Rede mit ihm und du wirst sehen, dass ihr es gemeinsam schafft. Gib ihm wenigstens die Chance dazu!"

Sie öffnete verblüfft den Mund. Woher wusste Floyd von ihr und John.

„Mia! Wo bist du?"

Sie drehte den Kopf zu der Stimme ihres Freundes.

„Ich bin hier, John."

Sie sah, wie er auf sie zu rannte und erhob sich.

Dann drehte sie sich zu Floyd und erstarrte.

Der alte Mann war verschwunden!

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