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Kapitel 5
Tyler ging unter die Dusche, während ich mich in die Küche wagte, die einem Traum entsprungen schien.
Ich liebte diese kleine Bar jetzt schon, und da ich noch Zeit hatte, meinen grausamen Plan in die Tat umzusetzen, wollte ich Tyler erstmal mit meinen Kochkünsten stärken. Würde ja keinen Spaß machen, wenn er nach zehn Minuten Tüten tragen schon anfangen würde, zu jammern.
Huahaha.
Als ich das Wasser laufen hörte, sah ich mich im Kühlschrank nach was Essbarem um.
Es gab weder Käse, Butter oder Eier. Stattdessen standen Bier, Energy-Drinks und Jogurt ganz oben.
Wie konnte er durch diese Nahrung so viel Kraft haben. Das rührte bestimmt nicht davon her, dass er ein Werwolf war.
Oder etwa doch?
Ich stellte mir Tyler als hageren Jungen vor, blass und halb so groß.
Unmöglich.
Seine Bräune rührte auf Genen her und selbst wenn er kein Werwolf wäre, würde er ohne das Training ins Fitnessstudio gehen.
Da war ich mir sicher.
Es musste so sein!
Ich blickte mich nochmal im Kühlschrank um, der genauso leer zu sein schien, wie mein neuer Kleiderschrank.
Ich seufzte und schloss die Tür, als der Kühlschrank piepte, um mir zu zeigen, dass ihm langsam zu heiß wurde.
Wir könnten auch noch in der Stadt essen.
Ich setzte mich auf das gigantische Sofa und ließ mich in die Kissen sinken.
Unsicher biss ich mir auf die Lippen, als ich darüber nachdachte, ob es wirklich gut wäre, mit dem Geld eines anderen, zu shoppen.
Sicher, er war mein Mate und Tyler würde mir im schlimmsten Fall alles schenken, nur um mich glücklich zu machen, aber ich kam mir sehr egoistisch vor, als ich daran dachte, wie viel er einstecken musste.
Das war ihm nicht fair gegenüber.
Andererseits war es aber auch nicht fair, dass er mich nicht gehen ließ und...Moment mal. Tyler wusste nichts von meinen Absichten.
Vielleicht würde er mir ja diesen Wunsch gewähren, wenn ich ihn bat.
Aber bis er endlich aus dem Badezimmer kam, quälte mich eine andere Frage.
Es war schon spät, ich hatte mindestens eine Stunde unter der Dusche gestanden, auch wenn es sich viel zu kurz anfühlte.
Die meisten Werwölfe männlicher Existenz hätten wie verrückt an die Wand gehämmert, anstatt seelenruhig auf einen Sack Sand einzuschlagen.
Wieso war Tyler nur so anders?
Hatte er bereits genug von mir?
Ich konnte nichts dagegen machen, dass mein Magen sich verknotete und sich meine Kehle zusammenschnürte.
Es tat mir im Herzen weh, auch nur daran zu denken, dass er mich nicht wollte. Obwohl es genau das war, was ich beabsichtigte.
Ach, es war ja alles so kompliziert.
»Willst du Netflix schauen? Oder was wollen wir machen?«
Ich sah zu Tyler der mit feuchten Haaren und einem T-Shirt -endlich- sich an den Kamin lehnte.
Es zuckte mich in den Finger, die Haare zu richten, da sie ihm in die Stirn hangen, doch ich weigerte mich strickt.
Er hatte sich rasiert, der leichte Bartschatten war verschwunden. Stattdessen gaben sie sein kantiges Kinn frei. Seufz.
»Eigentlich wollte ich mir was zum anziehen besorgen.«, murmelte ich und stand auf.
Tyler runzelte die Stirn.
»Wieso denn? Am besten wäre es doch, wenn du nackt wärst.«
Ich schnaubte empört. Manchmal konnte er echt ein Arschloch sein.
»Willst du wirklich, dass mich dein ganzes Rudel angafft?«, konterte ich und stellte zufrieden fest, wie sein Kiefer begann zu mahlen.
Eins zu null für mich.
Auch, wenn er nicht wusste, wie sehr mich dieser Gedanke schockte. Nicht nur, dass er mich nackt sehen wollte war beängstigend, sondern der Gedanke auf seine Reaktion, wenn er meine Narben sehen würde.
Er würde fragen stellen und ich würde ihm alles anvertrauen. Meine Vergangenheit, mein Vertrauen, mein Herz.
Und dann würde er mich hintergehen.
So eine Art Typ war er. Sobald es ihm zu sentimental wurde, suchte er sich eine Neue. Daran würde diese Werwolf-Mate-Sache nichts verändern.
Tyler rieb sich das Kinn.
»Guter Punkt. Aber wer sagt denn, dass das Rudel dich sehen muss.« Und schon stand es unentschieden.
Mir wurde heiß und kalt zugleich, während ich versuchte, mein Blut davon abzubringen, in meinen Kopf zu wandern.
Er war ja so eingebildet, scharf, arrogant, scharf -Moment, das hatte ich schon gesagt- und einfach so...argh!!
Ich ging auf ihn zu und knurrte.
»Weist du was? Ich habe Hunger. Und du hast wirklich überhaupt nichts essbares in deinem Kühlschrank.«
Dieser arrogante Mistkerl lachte, sodass meine Knie weich wurden.
Dann sah er zu mir und irgendwie wirkten seine Augen dunkler.
Wie in Zeitlupe fuhr er sich durch die Haare und murmelte heiser:
»Wenn du willst kannst du auch mich vernaschen.«
Ich fasste es nicht.
Wie konnte man so ein Arschloch und gleichzeitig so sexy sein?
Bestimmt rührte das wegen der Mate-Sache her, sonst wäre ich ihm nicht so verfallen.
Oder?
Ich versuchte mit einem Lachen zu überspielen, wie kalt mich das nicht ließ und suchte verzweifelt nach einer schlagfertigen Antwort.
»Vielleicht in deinen Träumen.«
Blöd, blöd, blöd!
»Süße, wenn du wüsstest, wovon ich Träume, würdest du nicht hier so seelenruhig vor mir stehen.«
Oh, verdammte Kacke.
Ich war ja sowas von am Arsch.
»Damit deine Träume war werden, müsstest du mich erstmal küssen. Aber das wirst du nicht, weil ich dich nie lassen werde. Und genau das ist der Grund, warum ich diese Wette gewinne!«, zog ich ihn mit unserem kindischen Theater auf.
In seine Augen blitzte Schalk auf.
»Okay. Machen wir es so. Ich wette mit dir, dass ich dich in zwei Monaten dazu bringe, mich zu küssen. Wenn ich gewinne, gehen wir die Bindung ein.«
Ich wurde kalkweiß im Gesicht.
Die Bindung konnten zwei Mates eingehen. Dies passierte, wenn sie wild miteinander rumfummelten und dann der Mann in den Hals der Frau reinbiss.
Mir persönlich war das viel zu Vampirmäßig mit dem Hals-beißen.
»Und wenn nicht, dann darfst du ein Fordern äußern. Also, was willst du bekommen?«
Er meinte das mit dieser Wette wirklich ernst.
Ich wollte eigentlich nur eines:
Nach Hause. Ohne ihn. Auch wenn mich dieser Gedanke über alles sehr schmerzte.
»Ich will wieder zurück nach Hause.«
Jetzt war es an seinem Gesicht, so weiß wie der Schnee auf diesen Bergen zu werden.
Er schluckte, sodass sein Adamsapfel kurz anfing, zu tanzen.
»Nein.«
»Wieso denn nicht?« Ich wusste, dass ich mich wie ein patziges Kind anhörte, dass Süßigkeiten an der Kasse wollte, aber ich wollte wirklich wissen, wieso er dieses Risiko nicht eingehen wollte.
»Weil Mates nicht lange ohne ihren Seelenpartner überleben.«
Daran hatte ich gar nicht gedacht. Perplex stoppte ich in dem, was ich sagen wollte. Vielleicht konnten sich meine Wolfsinstinkte ein Leben ohne ihn nicht vorstellen, aber ich...konnte es eigentlich auch nicht, wie ich feststellte.
Ein Leben ohne seine blöden Antworten oder ihm selbst, wäre...unmöglich.
Verdammt, so sollte ich nicht denken. Ich wollte nach Hause, ohne ihn, also musste ich auch ohne ihn auskommen.
Meine Kehle schnürte sich zusammen, als ich mir vorstellte, wie Tyler mich nach Hause bringen würde und ich ihm durch das Fenster zusehen würde, wie er in den Rang Rover stieg und nie wieder kam. Aber schließlich hatte ich die vergangenen siebzehn Jahre auch ohne ihn ausgehalten.
»Das ist doch totaler Bullshit. Schließlich habe ich es die letzten siebzehn Jahre ohne dich ausgehalten.«, sprach ich meine Gedanken laut aus.
Sein Kiefer fing wieder an sich zu bewegen, während er die buschigen Augenbrauen zusammenzog und tief knurrte.
»Du weist, dass es nicht dasselbe ist. Meine Antwort bleibt bei nein.«
Mich schüchterte seine dunkle Aura ein, die ihn in diesem Moment umgab, doch das ließ ich mir nicht anmerken. Ich wollte unbedingt diese Wette eingehen.
Eines meiner vielen Probleme. Sobald ich mir was in den Kopf gesetzt hatte, ging es nur noch heraus, wenn ich es getan hatte.
»Wieso nicht? Du weist doch ganz genau, dass ich dir nicht widerstehen kann. Schließlich wollte ich dich vor der Tür küssen.«
Jedes Wort fühlte sich so falsch und doch so richtig an. Ich hasste es, jemandem Honig ums Maul zu schmieren, doch dies hier war eine Ausnahme. Wenn mich sonst jemand etwas fragte, sagte ich immer meine ehrliche Meinung.
»Du wolltest mich also küssen?« Tylers Stimme triefte nur so vor Genugtuung und ich wurde automatisch rot.
»Lenk nicht vom Thema ab. Also. Gilt die Wette jetzt, oder nicht?«
Mein Mate rieb sich das Kinn während sein Blick nachdenklich auf mir lag.
Es schien mir, als würde er mir in die Seele sehen und plötzlich kam ich mir so nackt vor. Physisch wie Psychisch.
»Na gut.«
Ich quietschte und sprang in die Luft. Ich würde nach Hause kommen. Zu meinem Dad, meinem Rudel, meinem alten Leben.
Gewiss, fünf Monate waren eine lange Zeit, aber diese würde ich durchstehen.
»Unter einer Bedingung.«
Meine Adern gefroren zu Eis, als ich Tyler hörte.
Seine Stimme klang auf einmal müde und unendlich traurig.
»Diese Wette bleibt unter uns. Die anderen sollen nichts davon erfahren.
Und noch was. Wenn du nicht willst, dass ich taub werde, dann lass dieses Quieken.«
Sein Tonfall wurde weicher, doch mir entging nicht, dass seine Augen verdächtigt schimmerten.
Er wandte sich von mir ab und ging zu Tür.
»So, du willst also shoppen.«
Ich ging hinter ihm her, als er die Tür zu unserem Zimmer verschloss und die Treppe runter joggte. Ich nickte.
»Eigentlich schon, aber ich fühle mich irgendwie unwohl dabei, dein Geld auszugeben.«
Wir kamen am Fuße der Treppe an und mir stockte der Atem.
Heilige...
»Außer dem Wald und der Perrie gehört uns noch der See und...«
Ich hörte Tyler nicht mehr. Alles was ich wahrnehmen konnte war ein See, der in einem Fluss mündete und durch die Berge floss. Zwei Berge, einmal rechts und links kesselten den See ein, der die ganze Landschaft spiegelte. Es war wunderschön.
Hinter der Treppe, hinter der Fensterwand, war eine Terrasse und steinige Stufen, die ans Seeufer führten. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und spiegelte sich im See wieder.
Eine bunte Baumpracht umgaben die Berge.
Es war so schön, dass ich dachte, weinen zu müssen.
Wie hypnotisiert ging ich auf die Terrasse und atmete die frische Luft ein.
Es war, als wäre der See ein Spiegel und das Wasser ließ die Sonnenstrahlen glitzern.
»Hast du schonmal was vom Twinlake gehört?«
Ich schüttelte benommen den Kopf und drehte mich zu Tyler, der mir gefolgt war.
»Da hinten, wo der See in einem Fluss mündet, ist ein anderer See, ein oder zwei Meilen weiter weg. Da ist ein anderes Tal und der zweite See.«
»Gehört der auch noch zu deinem Rudel?« Himmel, ein Rudel, das Wald, Grasland und See besaß war sehr mächtig und sehr Reich. Aber zwei Seen? Das war unmöglich!
Tyler Miene verdüsterte sich und er schüttelte den Kopf.
»Nein. Der gehört dem North-Rudel.«
Ich hatte mich noch nie mit Wolfkunde befasst, deshalb sagte mir der Name auch nichts.
»Und welches Rudel bist du?«, fragte ich dümmlich. Ich glaube, ich würde jetzt immer bei Versammlungen aufpassen.
Tyler schmunzelte.
»Wir sind vom South-Rudel.« Ich verdrehte die Augen, als er im Plural sprach und gluckste gleich darauf.
»Aha. Und die Rudel neben uns heißen East und West-Rudel? Dein Ernst Tyler?« Mein Stimme war gefüllt mit Ironie und ich riss mich von diesem atemberaubendem Blick ab.
»Irgendwann wirst du erfahren, warum wir so heißen. Aber bis dahin werde ich es dir nicht sagen.», murmelte er so leise, als ob er mit sich selbst sprach. Aber ich hörte es und wurde mit einem Schlag neugierig.
Er wandte sich von mir ab und stapfte nach draußen.
»Was meinst du damit?«
Ich versuchte ihn einzuholen und stolperte in ihn hinein, als er abrupt stehen blieb. Er drehte sich zu mir um. Seine Augen waren tiefgefrorenes Eis, die im Wasser schimmerten.
»Nichts. Gar nichts.«
Ich wusste, das da nicht nichts war, aber ich biss mir auf die Zunge, da sein Gesicht einen verletzten Ausdruck annahm.
Wir gingen nach draußen und schon von weitem konnte ich wieder die Schönheit der Natur ausmachen.
Das Rudelhaus stand auf einen erhöhten Hügel und wie auch bei der Terrasse führte eine Steinige Treppe nach unten. Jedoch nicht an einem See.
Wie auch beim See grenzte der Berg eine riesige Lichtung ein. Auf der Lichtung verteilt waren mehrere Häuser, um die zehn Stück. Sie alle waren wie in Tylers Haus im Alpenstil gebaut worden. Vor dem Rudelhaus war ein Lagerfeuer mit Bänken und links neben dem Haus war ein langes dreistöckiges Gebäude und davor stand der Range Rover. Der Kies war wie eine Art Straße und führte den Berg hinunter.
»Kommst du? Die Läden haben nicht ewig auf.«, rief Tyler. Ich grummelte und lief zum Auto, um einzusteigen.
Der männliche Werwolf startete den Motor und wir fuhren los.
~•~
Madison war eine wunderschöne Stadt. Auf dem Weg in die Innenstadt erkannte ich meine neue Schule, die -wie es auch anders sein sollte- die Madison-Highschool war. Ein großes, weißes längliches Gebäude, das fünf Stockwerke hoch war. Viele Fenster wären angebracht und dahinter konnte man große Klassenzimmer erkennen.
Doch ich wusste, egal wie Schulen aussahen, die Schüler konnte diese Fassade ruinieren.
Ich selber war nie ein Opfer von irgendwelchem Mobbing gewesen, doch ich war einer derjenigen, die weggesehen haben, als jemand runtergemacht wurde.
Wahrscheinlich war es einfach meine bedrohliche Ausstrahlung, da die meisten Menschen sich vor Wölfen fürchteten und einer in mir war. Oder besser gesagt, er war ein Teil von mir und ich konnte auch in seiner Erscheinung aus dem Haus gehen.
Tyler und ich fuhren in ein Parkhaus und parkten im obersten Geschoss. Die Sonne blendete meine Sicht, als ich von oben Madison in Augenschein nahm. Eine kleine Stadt, doch eigentlich ganz süß. Wie fast überall in Amerika sah ich die Schilder von Fastfood-Ketten und mehrere Einkaufsläden.
Weiter hinten konnte ich eine düstere Gegend ausmachen und wandte schnell den Blick ab.
Ich drehte mich zu Tyler um und erblickte das riesige Kaufhaus.
Ich hätte nicht gedacht, dass das solche Städte hatten.
Wir gingen in den Fahrstuhl und drückten auf das Erdgeschoss, während die Türen sich schlossen.
Ich sah noch zwei Männer, die versuchten den Fahrstuhl zu erreichen. Sie waren mindesten zehn Meter von uns entfernt, aber in der nächsten Sekunde quetschte der eine der beiden seine Hand zwischen die Tür und trat gleich darauf in den Aufzug.
Der war aus Spiegelwänden, sodass ich mich hundert mal sah.
Was im Moment allerdings nicht so wichtig war.
Denn ich wusste genau, wer mit uns im Aufzug war.
So schnell konnte unmöglich ein Mensch sein.
Und der Geruch eines billigem Parfüms trug auch nicht jeder.
Geschweige denn von der blassen Haut und den Engelsgleichen Gesichtszügen.
Beide waren ein wenig kleiner als Tyler und hatten goldblonde Locken, die ihnen bis zur Schulter fielen. Das waren eindeutig Zwillinge. Die Karamell-Augen blickten konzentriert auf die einzelnen Nummer und drückten auf die zwei.
Ich atmete durch dem Mund, um dem Gestank zu entkommen und bemerkte, wie Tyler sich unauffällig vor mich stellte. Süß. Doch ich wusste, dass mit diesen Männern nicht zu spaßen waren. Das hier waren Vampire. Und wir, ihr größter Feind, waren ein paar Zentimeter hinter ihnen.
Ich sah den einen Vampir im Spiegel lächeln.
»Spencer, weist du, was es heute zum Nachtisch gibt?«, fragte er seinen Bruder und blickte provokant zu uns.
Ja, wir waren zum Teil Mensch und wollten in unserem Innerem die Menschen beschützen, doch zu welchem Preis?
Dass sie uns entdecken, umbringen und wir den ewigen Krieg zwischen Werwölfen und Vampiren von neuem anfingen?
Da mussten dafür ein paar ins Gras beißen.
Auch, wenn wir einen Vertrag mit den Vampiren abgeschlossen hatten. Jedenfalls war es bei meinem Rudel so.
Die Blutsauger durften nur alte, schwache oder kranke Leuten den Tod bringen. Das hatte ganz gut funktioniert, da wir immer ein überfülltes Krankenhaus hatten.
Was hier abging, war mir jedoch völlig fremd.
»Ich weis nicht, Bruder. Wie wäre es mit dem jungen Frischfleisch da hinter uns?«
Sie wollten mir entweder Angst einjagen, oder mich provozieren. Ich tippte auf zweites. Ich wollte sie ignorieren, doch Tyler hatte eben seinen eigenen Verstand und knurrte bedrohlich.
Der eine der beiden grinste schelmisch und stieß seinem Bruder mit dem Ellenbogen an die Seite. Sie tauschten einen Blick aus und drehten sich zu uns um.
In genau diesem Augenblick öffneten sich die Fahrstuhltüren und beide Vampire verbeugten sich vornehm.
Sie hatten ihre Augenfarbe in das violett gewechselt, was ihr Wesen kennzeichnete.
»Keine Sorge, junges Hündchen. Deine Mate würde uns nicht schmecken. Dennoch könnten wir sie für andere Zwecken benutzen.«
Ich zuckte zusammen, während ich versuchte, meinen Magen davon zu überzeugen, keine Kunststücke zu üben. Sonst würde ich gleich kotzen.
Tyler fletschte die Zähne und seine Krallen wuchsen. Doch bevor er auf die beiden Brüder losgehen konnte, wurden die Türen auch schon wieder geschlossen.
Der Werwolf raufte sich die Haare.
»Was war das denn bitte?«, fragte ich hysterisch. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, dass ich dachte, es würde mir gleich rausspringen.
Ich hatte keine Angst vor den Vampiren gehabt, nicht bis sie ihre Drohungen ausgesprochen hatten...oder besser gesagt ihre kranken Ideen.
Sowas sollte mich eigentlich kalt lassen, nach den vielen Therapiestunden, doch das tat es nicht.
Bilder der Vergangenheit drängte sich in mein Blickfeld.
Ich hielt die Luft an und zählte langsam von zehn runter.
10
9
»Normalerweise sind sie nicht so...provozierend.«
8
7
6
»Rose? Alles okay?« Tyler nahm meine Hände in seine. Doch ich spürte diese rauen Kerben nicht. Die Händen waren weich wie ein Babypopo und verdammt stark. Und schneeweiß, wie die Haut eines Vampirs.
5
4
3
»Rosalie...« Eine engelsgleiche Stimme, wie sie nur Justin Bieber besaß, doch so verrückt klang.
Früher war sie nicht so. Früher war sie warm, weich und sehr verführerisch. Doch jetzt nicht mehr.
2
1
Ich blinzelte, als wäre ich in meinen Gedanken versunken und würde erst jetzt wieder in der Realität sein.
Die Hand bekam eine Bräune verpasst, die Finger wurden lang und schmal und ich spürte die raue Haut mit den Kerben auf meiner.
Verwirrt schüttelte ich den Kopf, genau indem Moment, wo die Fahrstuhltüren sich öffneten.
Tyler hatte mich an den Schultern gepackt und an die Wand gedrückt.
Seine Augen musterten mich ängstlich. Ängstlich und besorgt.
Er war mir so nah, dass ich seinen Atem spüren konnte und schluckte laut.
»Ist alles in Ordnung?«
Ich nickte registriert.
Sein Blick huschte zu den Leuten, die anscheinend ich den Aufzug steigen wollten.
Er packte mich am Handgelenk, lief mit mir aus dem kleinen Fahrautomat und drückte mich gleich darauf wieder an die Wand.
»Rose, ich habe gefragt, ob alles verdammt nochmal in Ordnung ist und ich will eine ehrliche Antwort. Als dein Mate kann ich zwar nur deinen physischen Schmerz spüren, doch ich sehe, wenn jemand in Panik verfällt. Also was war los?«
Deshalb war er nicht so besorgt, als ich so lange geduscht hatte. Wäre mir etwas passiert hätte er es gespürt. Eine Frage weniger.
Ich sah über Tylers Schulter hinweg und schaute den Leuten zu, wie sie eilig von einem Geschäft zum anderen liefen. Ein paar hatten Kinder dabei, die nicht erfreut guckten. Ich musste an den Tag denken, wo meine Mutter -endlich mal nüchtern- mit mir neue Kleidung ausgesucht hatte. Als ich endlich zuhause war, hatte ich das Gefühl, dass ich nie wieder laufen könnte. Damals war ich vierzehn oder so. Ab da war ich immer alleine shoppen.
Es ging viel schneller, war praktischer und man musste nicht ständig auf eine Freundin warten.
»Rosalie!«
Mein Blick wurde wieder standhaft und fixierte sich auf den jungen Mann vor mir. Eisberge die mit Silber überzogen waren blickten mich an. Ich spürte seinen heißen Atem an meiner Schläfe und stellte fest, dass uns viele Leute kritisch beobachteten. Wie bei der Versammlung würde es jetzt jede Minute peinlicher werden, wenn ich mich nicht zusammenriss.
Meine Hände wanderten zu Tylers Oberarmen um ihn wegzudrücken.
Er war mir mal wieder viel zu nah, sodass ich Angst hatte, mein Hirn würde den Verstand verlieren. Meine Haut prickelte, als mein Mate eine Hand auf meine Wange legte. Oh Gott, er wollte mich wieder küssen. Zumindest nahm ich das an.
Stattdessen zog sich Tyler zurück. Wenn auch minimal.
»Was war das da grade?«, fragte er sanft, während seine rauen Finger kleine Kreise auf meinem Hals malten, genau dort, wo sich die Pulsschlagader befand. Mir wurde heiß und gleichzeitig kalt, während sich meine Lippen ein wenig öffneten.
»Ich weiß nicht. Anscheinend reagiere ich auf blöde Anmachen ziemlich extrem.« Es überraschte selber mich, wie leicht die Lüge über meine Lippen glitt. Ich wusste nicht, ob das gut oder schlecht war, schließlich wollte ich nicht, dass Tyler sich unnötig sorgen machte.
»Es ist alles gut. Wir...« Ich brach ab, als sein Daumen begann, meine Unterlippe zu streicheln. Mein Mund schien Feuer zu fangen. Ein Feuer welches sich durch meine Adern in meinem ganzen Körper ausbreitete, während kleine Blitze Meine Haut begrüßten.
Tyler beugte sich näher zu mir heran, sein Blick starr auf seinen Daumen. Er wollte mich doch tatsächlich küssen. Das war nicht gut. Ich musste diese beschissene Wette gewinnen, auch wenn mir eine Innere Stimme sagte, dass dies falsch war.
Ich drehte meinen Kopf zu Seite.
»Stopp.«
Er erstarrte. Dann räusperte er sich und fragte: »Geht es dir gut?«
Ich zuckte mit den Schultern.
Sein Blick verdüsterte sich.
»Ich werde diese Scheißkerle umbringen.« Ich rollte mit den Augen und tauchte unter seinem Arm hindurch. Mein Magen war immer noch ein einziges Chaos.
»Das kannst du gerne machen, aber erst, nachdem wir essen und einkaufen waren.« Wie zu Bestätigung kam ein wirklich gruseliges Geräusch aus meinem Magen. Tyler lachte tief und nickte.
»Wenn die junge Lady essen will, dann gehen wir essen.«, sagte er höflich, als wäre er ein Hofmarschall. Ich grinste.
Trotzdem entging mir nicht, dass seine Augen dunkel und besorgt schimmerten.
Uuuund...was meint ihr ist ihr widerfahren?