S A R A
Emma stolpert keine Stunde später durch die Haustür und vervollständigt somit unsere Truppe. Jaden, der nebenbei bemerkt Romina's Cousin ist, ist schon vor einpaar Minuten eingetroffen und wartet auf der Couch im Wohnzimmer auf uns, bis wir komplett fertig sind, was wahrscheinlich nicht mehr lange dauern wird.
Gottseidank haben wir uns alle beim anziehen, schminken und frisieren beeilt. Ich muss sogar zugeben, dass es ziemlich viel Spaß gemacht hat. Endlich konnten Em, Romina und ich wieder unbeschwert lachen und Spaß haben. Wir haben gesungen, uns gegenseitig beraten und sehen letztendlich toll aus.
"Die heutige Nacht werden wir niemals vergessen." Romina dreht sich einmal um ihre eigene Achse und ich kann nicht anders, als zu lachen. Sie sieht wunderschön aus. Das Kleid das sie an hat sitzt eng, aber ist einwenig länger geschnitten und strahlt in einem atemberaubenden rot.
Emma ist eher schlicht gekleidet. Sie hat sich geweigert ein Kleid anzuziehen, da sie meinte das es nicht warm genug wäre und hat sich letztendlich für eine enge Jeans und ein luftiges rosa Shirt entschieden, dass schulterfrei ist und ihrer Figur unheimlich schmeichelt.
"Du siehst wirklich toll aus, Sara. Das letzte mal als ich dich in einem Kleid gesehen habe ist so lange her... ich kann es einfach nicht glauben.", kommt es von Romina, die mich überglücklich anlächelt.
Ich blicke belustigt an mir herunter und muss zugeben, dass ich mich zum ersten Mal seit langem wieder schön fühle. Ich trage ein weißes Sommerkleid, das ich mir mal in einem Urlaub in Madrid gekauft habe. Dort hatte ich es ziemlich oft an und ich verbinde so viele schöne Erinnerungen damit, dass ich nicht anders kann, als mich wohl darin zu fühlen. In Kombination mit meiner Lieblingslederjacke und den schwarzen Overknees sieht es noch besser aus.
"Danke. Ihr seht beide auch wunderschön aus.", entgegne ich dann ehrlich und schenke beiden ein warmes Lächeln, dass sie sofort erwidern.
Vielleicht war es ja doch garnicht so schlecht, Romina zugestimmt zu haben. Ein bisschen Zeit zusammen mit meinen Freunden kann nicht schaden und ich glaube ich kann mal wieder ein bisschen Ablenkung gebrauchen. All der Stress letzter Zeit, verbunden mit der Schule, meiner Mutter und dem arroganten Keksdieb scheint einfach zu viel für mich zu werden.
Und da ich nichts kenne, dass besser gegen Kummer hilft als tanzen und Zeit mit Freundinnen zu verbringen, ist eine Party doch genau das richtige.
Gut, ein schnulziger Liebesfilm am Abend, eingekuschelt in einer warmen Decke und mit meinen Heiligen Keksen in der Hand wäre vielleicht noch besser, aber da ich zum einen alle guten Filme schon geschaut habe und zum anderen keine Kekse Zuhause habe, fällt das wohl oder übel ins Wasser.
"Ich glaube wir sollten langsam runter, der arme Jaden hat genug gewartet."
Mit offenen Mündern starren Romina sowie ich zu Emma, die sichtlich verwirrt zwischen uns hersieht. "Was?", fragt sie dann lachend.
Romina und ich tauschen einen schnellen Blick aus, ehe ich ungläubig zum Sprechen ansetzte. "Hast du gerade tatsächlich Mitleid mit Jaden gehabt? Mit einem lebendigen Lesewesen? Ich glaub meinen eigenen Ohren nicht..."
Romina grinst und steigt in mein Spiel mit ein. "Ja, ich kann es auch nicht glauben! Vielleicht befinden wir uns gerade in einer parallel Welt, in der alles verkehrt ist. Oder..."
"Oder die Liebe Emma steht auf unseren süßen Jaden!", beende ich Romina's Satz und kann mir nur schwer ein kreischen verkneifen.
Das scheint Romi genauso zu sehen, denn sie schlägt sich voller Entsetzen die Hände vor den Mund. "Nein, dass.. dass kann doch nicht wahr sein... - Emma! Wieso wissen wir erst jetzt davon Bescheid?!"
Emma, die ziemlich überfordert wirkt, zeigt uns beiden nacheinander den Vogel. "Ich glaube ihr versteht da was falsch! Nur weil ich einmal Mitleid mit jemanden empfinde, heißt das nicht direkt, dass ich auf diese Person stehe! Das ergibt doch keinen Sinn."
"Und was für einen Sinn das ergibt!", schießt es gleichzeitig von Romi und mir zurück, was uns abermals zum glucksen bringt.
Emma verzieht beleidigt ihr Gesicht. "Hört auf sowas zu sagen, denn es stimmt nicht."
"Aber natürlich." Romina versucht angestrengt ihre überaus gute Laune zu verbergen, denn wir beide sind gerade zu geschockt, als das wir uns so richtig freuen könnten. Emma hat nämlich noch nie in irgendeiner Form Interesse an einen Jungen gezeigt. Und auch wenn sie es nicht konkret gesagt hat, die minimale Röte in ihrem Gesicht spricht Bände.
Romina klatscht sich begeistert in die Hände und checkt sich kurz noch einmal im Spiegel ab, ehe sie meine Zimmertür öffnet. "Okay, lasst uns gehen."
Lachend folgen wir ihr die Treppen runter ins Wohnzimmer, wo wir Jaden vorfinden, der eine Flasche Wein in der Hand hält und damit in der Luft rumwedelt. "Schaut mal, was ich zum vorglühen gefunden habe!"
Ich ziehe irritiert die Brauen zusammen, ehe ich auf Jaden zusteuere und ihm die Flasche aus der Hand nehme. "Wo hast du die gefunden?" Meine Stimme überschlägt sich und allmählich verstehe ich gar nichts mehr.
Seit wann trinkt meine Mutter Wein?
Er deutet mit einem Kopfnicken auf einen Schrank in der Ecke, den meine Mutter seit unserem Einzug für sich beansprucht hat. Bisher dachte ich immer, dass sie dort ihre ganzen Formulare und Sachen für die Arbeit aufbewahrt, doch was hat da dann diese Flasche zu suchen gehabt?
"Ihr seht übrigens echt heiß aus. Wenn ich euch nicht so gut kennen würde, dann wäre mindestens eine von euch heute Abend mein."
Während Romina und Emma über Jaden's Spruch lachen, laufe ich langsam auf den Schrank zu. Ich bücke mich und atme tief durch, ehe ich die Schrank Tür langsam öffne. Irgendwie kommt es mir vor wie ein Vertrauensbruch gegenüber meiner Mutter, doch ich tue hierbei doch nichts verbotenes, oder?
"Ach du scheiße..."
"Was um alles in der Welt..."
Die Kommentare der anderen drängen sich in den Hintergrund, denn meine ganze Aufmerksamkeit ist auf den wahren Inhalt des Schrankes gerichtet. Ein fetter Klos bildet sich in meinem Hals und mir steigen mit einem Mal Tränen auf.
Was ist das?...
"Hey Sara, es muss nicht das sein, wonach es aussieht..", höre ich Emma's gedämpfte Stimme im Hintergrund, doch es scheint, als wäre sie Lichtjahre von mir entfernt. Ihre Worte erreichen zwar meine Ohren, doch sie prallen an meinem Verstand ab, der versucht zu verarbeiten, was meine Augen gerade zu sehen bekommen.
Meine Hände verkrampfen sich, während ich meinen Blick die einzelnen Regale hinunter gleiten lasse.
Überall Flaschen. Wein, Bier, Wodka, Whiskey und so vieles mehr. Viele Flaschen sind halbleer, die anderen umgekippt und manche noch randvoll. Mein Herz schlägt immer schneller und lauter gegen meine Brust, denn ich fange allmählich an, zu verstehen, was das hier ist.
Oder viel mehr was meine Mutter abends so macht, wenn ich am schlafen bin.
"Ich.. ich..." Meine Stimme bricht bevor ich es schaffe, überhaupt einen richtigen Satz hervorzubringen. Meine Brust bebt und auch als ich eine schwache Berührung an meiner Schulter wahrnehme, bleibe ich nach wie vor wie angewurzelt stehen und starre mit leeren Augen auf die ganzen Glasflaschen.
"D-das...", versuche ich es erneut, werde aber unterbrochen, indem ich sanft an den Schultern gepackt und umgedreht werde. Nun blicke ich wieder zu meinen Freunden, die alle ziemlich aufgelöst wirken.
"Sara... es ist okay, wenn du dich erstmal sammeln musst.." Jaden ist der erste, der es schafft, einen vollen Satz zu sagen und doch scheint auch er ziemlich erschrocken.
"Nein... ich.." Ich halte erneut inne, da meine Stimme den Geist aufgibt. Langsam bewege ich mich auf die Couch zu und lasse mich kraftlos auf diese sinken. Meine Sicht verschwimmt unter den ganzen Tränen und ich schaffe es nicht, meinen stoßartigen Atem unter Kontrolle zu bekommen.
Ich kann es nicht glauben...
In meinem Kopf reihen sich all die verstecken Deutungen an. Es ist als wenn viele Puzzleteile ihren Platz finden und zusammen ein klares und doch so bitteres Bild ergeben.
Zum ersten Mal verstehe ich, warum meine Mutter sich in der letzten Zeit so stark verändert hat. Warum sie so trostlos wirkt und warum mich jeden Abend Geräusche von klirrendem Glas in den Schlaf verfolgen. Ich verstehe, warum sie oftmals so zittert und warum sie sich immer so komisch verhalten hat, als ich mal ganz alleine für längere Zeit im Wohnzimmer war.
Nun verstehe ich alles..
...Fast alles jedenfalls.
Denn diese eine Frage bleibt noch offen. Die Frage, die immer wieder durch meinen Kopf hallt und auf die ich einfach keine Antwort finde. Die Frage, Warum? Warum hat sie das getan?
Und was verdammt verheimlicht sie mir noch?
A/N:
Guten Abend❣️
Wie fandet ihr das Kapitel?
Dramatisch? Mindestens ein bisschen?
Was denkt ihr, wird Sara nun tun?
Gute Nacht euch allen🌌