❦ Kane ❦
Zwanzig Minuten, ganze zwanzig Minuten.
Es ist Montag morgens und ich bin zwanzig Minuten zu spät dran.
Montag, der erste Schultag nach den Sommerferien.
Und ich bin verdammt nochmal zu spät!
Als ich auf dem Parkplatz aus meinem Auto springe, bin ich nur froh, dass meine Eltern nicht gesehen haben, wie ich gefahren bin. Rote Ampeln zehn Stundenkilometer zu schnell zu passieren ist nicht unbedingt der Fahrstil den Eltern befürworten würden.
Ich schüttle den Kopf um den Gedanken und das damit verbundene schlechte Gewissen loszuwerden und sprinte auf den Eingang der Highschool zu. Die Gänge sind leer und meine Schritte hallen unangenehm laut von den Wänden wieder.
Einen Fuß vor den anderen setzend, stelle ich fest, dass mir diese Schule eindeutig zu vertraut ist, mit ihren roten Spinden und den vergilbten weißen Wänden.
Nur noch dieses Jahr. Dann bin ich hier raus.
Vor einem der Kursräume bleibe ich schließlich stehen. Wie wird es sein, da jetzt reinzuplatzen?
Meine Freunde werden mich auslachen. Mr. Houston, unser Geschichtslehrer, wird mich für den Rest des Schuljahres auf der Schippe haben. Und ich werde rot anlaufen.
Peinlich. Einfach nur peinlich.
Ich atme noch ein letztes Mal tief durch, bevor ich meine Faust zum Klopfen anhebe und, ohne auf eine Reaktion zu warten, die Tür öffne.
Hinter dem wuchtigen Pult aus Holz steht Mr. Houston, hat die Arme vor seiner breiten Brust verschränkt und sieht mir mit hochgezogener Augenbraue entgegen.
"Wir freuen uns, dass Sie sich dazu entschlossen haben, dem Unterricht doch noch beizutreten, Mr. Wyatt."
Mist.
Ich spüre bereits wie meine Wangen heiß werden.
„Entschuldigen Sie die Verspätung, Sir."
Mit eingezogenem Kopf weiche ich seinem Blick aus und steuere, an meinen sichtlich amüsierten Mitschülern vorbei, einen freien Platz in der letzten Reihe an. Dort sitzt bereits Jase, mein bester Freund, der mir kichernd auf die Schulter klopft, während ich mich auf den Stuhl setze.
„Dass du mal zu spät kommst", flüstert er mir amüsiert zu.
Ich verdrehe nur die Augen und krame Stift und Block aus meinem Rucksack.
Fängt ja schonmal gut an.
~❦~
Noch nie war ich so glücklich, dass die Schulglocke läutet.
Mr. Houston tötete mich mindestens fünf Mal mit seinen Blicken, weshalb ich mich auch nicht traute etwas zum Unterricht beizutragen.
Befreit aufatmend flüchte ich durch den Gang zu meinem Spind.
Jase schließt nach einigen Minuten zu mir auf und lehnt sich an das Schließfach neben meinem. Desinteressiert starrt er auf das Display seines Smartphones und macht keine Anstalten mit mir zu reden.
Mit zwei Büchern auf dem Arm schließe ich die Metalltür und werfe ihm einen auffordernden Blick zu.
Kurz sieht er mir in die Augen, bevor er sich wieder auf das leuchtende Display konzentriert und mir nach kurzem Zögern eine betont bedeutungslose Antwort gibt.
„Stress mit Kylie."
Warum bin ich nicht selbst daraufgekommen?
Ich verkneife es mir mit den Augen zu rollen.
Kylie ist Jase' Freundin. Zumindest alle zwei Monate. Ich habe aufgehört mitzuzählen, als sie sich zum vierten Mal getrennt haben.
Sie können nicht miteinander, aber eben auch nicht ohne den anderen.
Schließlich steckt Jase das Smartphone wieder in seine Hosentasche und vergräbt seine Hände darin.
„Lass uns gehen."
Wir tauchen in die Masse an Schülern ein und drängeln uns voran in Richtung des nächsten Unterrichtsraums.
Der Tag hat bereits so beschissen angefangen, schlimmer kann er ja eigentlich nicht mehr werden, oder?
Ich male mir mögliche Szenarien aus, die dagegen stimmen könnten, bis ich plötzlich ein bekanntes Lachen höre. Dieses Lachen. Es ist das ehrlichste, was ich je gehört habe, und ich drehe meinen Kopf automatisch in die Richtung, aus der es kommt.
Morgan Rhett.
Und nicht zum ersten Mal stelle ich fest, wie schön dieses Mädchen ist.
Nicht diese Art von Bilderbuch-Schönheit.
Morgans Haut ist von Sommersprossen übersät, ihr Nasenrücken ist zu gerade und ihre Ohren liegen zu eng am Kopf an.
Und doch ist sie für mich die Definition von Schönheit.
Es ist nicht ihr Aussehen, es ist ihre Ausstrahlung, die mich wie magisch anzieht. Diese pure Fröhlichkeit und Sorglosigkeit. Etwas, was bei mir nie lange andauert und mich deshalb mehr fasziniert als es wahrscheinlich sollte.
Ihre Augen strahlen mit ihren makellosen Zähnen um die Wette, während sie im Kreis ihrer Freunde steht und noch nicht einmal mitbekommt, dass ich sie ansehe.
Ich wende meinen Blick ab, als ich eine Faust zwischen die Schulterblätter bekomme und einen Schritt nach vorne taumle.
Erst jetzt bemerke ich, dass ich scheinbar stehengeblieben bin.
„Für was war das denn?", wende ich mich verärgert an Jase, der neben mir aufgetaucht ist und nur mit den Schultern zuckt, um mich dann mit einem weiteren Stoß vorwärts zu schieben.
„Vielleicht für deine ungesunde Obsession mit Morgan Rhett? Mal im Ernst, sobald du dieses Mädchen siehst tauchst du in irgendeine Phantasiewelt ein. Ich will gar nicht wissen was sich in deinen kranken Gedanken abspielt, Wyatt."
Die Lippen aufeinanderpressend verkneife ich mir einen Kommentar und steuere die Tür zum Kursraum an.
Ich weiß ja selbst nicht, was das ist.
Nur, dass ich nicht besessen von Morgan bin.
Glaube ich.