Um mich herum war alles weiß. Ich stand einfach nur, regungslos, still, und ich hatte keinen blassen Schimmer, wer ich war, und was ich hier machte. Keine Erhebung, keine Unregelmäßigkeit kreuzte meinen Blick, als ich ihn schweifen ließ. Überall gab es nur dieses reine, blendende Weiß, das dennoch kalt wirkte, und mich an Schnee erinnerte. Woher ich mir so sicher war, dass ich stand, obwohl ich weder sehen noch spüren konnte, wo oben und wo unten war? Ich hatte keine Ahnung.
Dann tauchte lautlos, aus dem nichts, ein Funken Dunkelheit vor mir auf. Ich beugte mich vor, und der Funke wirbelte spielerisch um mich herum. Ich lächelte und streckte eine Hand danach aus, und ich wunderte mich nicht über die plötzliche Brise, die mein Haar durcheinanderwirbelte und zwischen meine normalen, menschlichen Finger strich. Der Funke schien sich jedoch zu zieren, wich meinem Griff aus und entfernte sich ein Stück, nur um kurz darauf wieder. Wieder hob ich ihm die Finger entgegen, und diesmal berührte er meine Fingerspitze. Sofort schoss ein unglaublicher, stechender Schmerz tief in meine Brust und nahm mir den Atem, zwang mich in die Knie und füllte meinen Kopf mit wilden, roten Blitzen. Verstört wankte ich hin und her, krachte zu Boden und krümmte mich. Mein gesamter Körper schien sich mit Säure zu überziehen. Der Schmerz ging ins unerträgliche, verschlang mich, verätzte mich mit seinem Feuer... dann war alles mit einem Schlag vorbei. Verwirrt blinzelte ich, und starrte das verschwommene Etwas über mir an. Nach mindestens einer Minute konnte ich dann erkennen, auf was ich da blickte. Es war ein ziemlich abgenutzter Dielenboden, der schon bessere Tage gesehen hatte. Moment mal... Boden? Meine Pupillen weiteten sich, und hastig blickte ich an mir herunter. Ich lag, in mir unbekannter Kleidung, auf einem Bett mit rotem Bezug.
Alles lag richtig herum, und ich hatte auch das Gefühl, der richtige Boden wäre unter mir. Aber warum war dann die 'Decke' über mir so abgenutzt? Die Antwort sollte sich mir später offenbaren, doch jetzt hörte ich das letzte, was ich erwartet hätte: "Ah, die Hoheit ist wach. Wie geht es Euch?"
Ich blinzelte überrascht, und starrte das dunkle Gesicht mit den leuchtend lilanen Augen an, das sich über mich gebeugt hatte. 'Glühende Augen' kam mir in den Sinn, doch diese Augen waren lila, nicht blau. Erst blieb ich ungläubig liegen, dann setzte ich mich ruckartig auf. Dabei hätte ich sicherlich den Kopf des Schwarzen ziemlich hart getroffen, hätte er sich nicht rechtzeitig in winzige, lilane Partikel aufgelöst, und ein Stück entfernt wieder aufgetaucht. Die große, tiefschwarze und doch dürre Gestalt schüttelte den Kopf. "Ihr solltet sich nicht überanstrengen. Ihr seid noch schwach..."
Ich runzelte die Stirn und sah ihn an, dann öffnete ich den Mund und brachte die krächzenden Worte heraus: "Ich- ich bin doch tot!"
Wieder schüttelte der Schwarze den Kopf. "Nein, das seid Ihr nicht. Aber Ihr wäret es fast gewesen... oder seid es gewesen, je nachdem."
"Je nach was?" Fragte ich, dann kam mir etwas anderes in den Sinn:
"Wieso sprichst du meine Sprache?"
Er antwortet schon fast empört, mit klarer Stimme: "Also, mich würde es schon sehr wundern, wenn ich meine eigene Sprache nicht sprechen würde! Ihr dagegen könnt die Sprache sprechen, ohne Mitglied meiner Art zu sein. Es ist nicht Eure Sprache, Majestät, sondern die der Erlan."
Ich schwieg erstmal, von seiner schnellen Antwort überrumpelt, und dachte nach. Nicht meine Sprache? Was sollte das bitte heißen? Dass ich, ohne vorher je auch nur von 'Erlan' gehört zu haben, nun die Sprache nicht nur beherrschte, sondern mir nicht mal mehr bewusst war, dass ich sie sprach? Unmöglich.
"Aber wo sollte ich die Sprache denn gelernt haben? Ich meine, ich kenne dich nicht..."
Ich sah ihn erst verwirrt an. Nichts in dieser Welt machte Sinn. Nicht die Monster, die Welt, die Blöcke, der Junge der mich töten wollte... Der mich getötet hatte.
Einen Moment lang regte ich mich nicht, dann riss ich mir hastig das Shirt das ich trug halb hoch. Doch keine Wunde, keine Narbe oder auch nur ein Kratzer befanden sich dort, wo sich meiner Erinnerung nach das Schwert in mich gebohrt hatte. War... war es am Ende nur ein Traum gewesen? Aber... der Schmerz war echt. Solchen Schmerz konnte man sich nicht einfach so vorstellen. Ich atmete kurz ein und aus, dann blickte ich zum 'Erlan' auf.
"Mein Name ist Sheno, Majestät," kam er mir zuvor.
" M-mein Name ist Stefanie. W-wissen sie, was mit mir passiert ist?"
Hoffnungsvoll blickte ich ihn an, doch er schüttelte nur wieder den Kopf und trat einen Schritt näher.
"Ich habe kein Wissen von dem was euch wiederfuhr. Das einzige was ich weiß, ist dass Euch eine Gruppe von Wächtern fand, die eine Explosion in den Waldländern überprüfen sollten. Sie fanden einen riesigen, in Flammen stehenden Krater vor, von dessen Mitte ein Leuchten ausging. In ihren Berichten sind sie, selbstverständlich, ohne zu Zögern hingegangen, aber ich vermute, das sie irgendeinen armen Niedrigeren vorgeschickt haben." Er schnaubte verächtlich.
"Auf jeden Fall erzählten sie, dass das Licht sie so sehr blendete, dass sie die Augen schließen mussten. Als sie sie wieder öffneten, war das Licht verschwunden, und nun lag ein Player an seiner Stelle. Nun, das wart Ihr. Sie haben Euch mir übergeben, damit ich bei ihnen nach dem Rechten sehe, obwohl ich sagen muss, das das nicht nötig gewesen wäre. Ihr seid sogar mehr als gesund, wenn auch noch schwach... Bemerkenswert für einen frischen Respawn."
"Respawn."
"Gestorben und in unseren Landen wieder auferstanden, Majestät."
Luft. Ich brauchte dringend frische Luft.
Wortlos schwang ich meine Beine über die Bettkante und hielt kurz inne, bevor ich mit einem kleinen Ächzen hinstellte. Schwankend kämpfte ich kurz um mein Gleichgewicht, dann stand ich. Zwar mit schwachen Beinen, aber ich stand. Aus dem Augenwinkel sah ich den Erlan, der mich neutral musterte. Schließlich hatte sich auch mein galoppierender Herzschlag wieder so weit beruhigt, dass ich mir den ersten Schritt zutraute. Vielleicht war es albern oder einfach nur verrückt, aber es fühlte sich trotzdem so an, als ob ich zum ersten Mal auf meinen beiden Beinen laufen würde. Dann stolperte ich, sah den Boden schnell auf mich zukommen und schloss erschrocken die Augen, doch dünne, dunkle Arme fingen mich auf.
"Vielleicht wäre es besser wenn eure Hoheit sich noch nicht großartig anstrengen würden."
Der Schwarze klang etwas entrüstet, und ich sah, wie seine Augen funkelten, während er mich aufrichtete und stützte.
"Ich muss raus... ich - ich brauche frische Luft."
Er schnaubte nur.
"Da werdet Ihr aber einen weiten Weg gehen müssen, was Euch in eurem geschwächten Zustand herzlich schwer fallen sollte. Schließlich befinden wir uns hier tausende Blöcke unter der Oberfläche."
Ich schnappte hörbar nach Luft.
Tausende Blöcke! Wenn, wie ich vermutete, ein Block ein Meter lang war... War das nicht ein wenig übertrieben? Oder, noch schlimmer, tatsächlich die Wahrheit?
Noch so eine Sache, die schwer zu verarbeiten war...
Noch war ich nicht vollständig zufrieden mit den Antworten die ich bekommen hatte, und Unmengen weiterer Fragen lagen mir auf der Zunge. Ich wählte die erste, die mir in den Sinn kam.
"Was ist aus dem Jungen geworden?"
Der Schwarze verengte unheilverkündend die Augen.
"Meint Ihr einen Player?"
Jetzt war seine Stimme scharf und eiskalt.
Ich runzelte nur die Stirn.
"Was hast du... gegen ihn? Ich bin doch auch einer!"
Er starrte mich erst noch finster an, dann ging er schneller als ich gucken konnte zu einem frostigem Lächeln über.
"Ihr seid kein Player, Hoheit, egal was die Patrouille als erstes dachte." meinte er knapp und bestimmt.
Ich öffnete verwirrt meinen Mund, aber kein Laut erklang, schließlich schloss ich ihn wieder und schüttelte nur den Kopf. Wenn ein Player ein Mensch war...
"Oh doch. Wenn Sie es mir nicht glauben..."
Er machte eine Handbewegung zu einem Behälter auf einem winzigen, hölzernen Tischchen, nicht weit von mir. Ich sah ihn unentschlossen an. Er erwiderte den Blick regungslos. Ich seufzte, von ihm war kein Erbarmen zu erwarten. Dann gab ich mir einen Ruck, schob mich aus dem stützenden Griff des Schwarzen und schwankte zu der Schüssel, klammerte mich an den Rand. Zögerlich beugte ich mich über die glatte, spiegelnde Flüssigkeit, sah das Bild, das sie von mir zeigte -und schrie, als wäre mir der Teufel höchstpersönlich erschienen.
Doch ich reagierte nicht wegen den leicht eckigen Locken meiner Haare so, und auch nicht wegen der viereckigen Form meines Gesichtes, sondern wegen meinen Augen.
Sie leuchteten vollkommen weiß.