Sana und ich gingen nebeneinander durch den Wald. Wir beide trugen wegen dem frischen Wetter eine Jacke über der üblichen Kleidung. Die Sonne schien zwar, aber der Wind war kalt.
Unter unseren Stiefel raschelten die bereits toten Blätter. Ich versuchte so leise wie möglich aufzutreten, weil das Rascheln in meinen Ohren nervte. Allerdings machte das kaum einen Unterschied, da Sana laut genug für uns beide durch den Wald marschierte.
Ich spürte das Kribbeln von Magie und in dem Moment erklärte Sana: „Wir passieren jetzt Myalos Barriere. Er weiß Bescheid, also können wir ungehindert durch."
Für einen Moment schien mein ganzer Körper elektrisiert, dann war es nur noch ein leichter Schauer im Rücken.
Wir waren jetzt auf ungeschütztem Gelände. Das bedeutete hier könnten Hunter sein.
Sofort spitze ich die Ohren und suchten den Wald mit den Augen ab. Vielleicht reagierte ich ein bisschen über, aber ich hatte nicht vor mich nochmal von den Huntern gefangen nehmen zu lassen. In dieses Lager würde ich nie wieder einen Fuß hineinsetzen.
Sana neben mir war auch ein wenig aufmerksamer geworden, aber längst nicht so wie ich.
„Was für ein Kraut ist das überhaupt?", fragte ich etwas gedämpft, „Wie sieht es aus? Dann kann ich dir beim Suchen helfen."
Sana hüpfte über einen Baumstumpf, während ich ihn lediglich umrundete.
„Ich kenne ihn unter den Namen Nachtstern. Eine kleine Pflanze mit schwarzen Blüten."
Ich nickte als Zeichen, dass ich verstand hatte und sah mich erneut um.
Es hatte Angriffe auf die Dörfer im Umkreis gegeben. Die Hunter waren an sich also nicht weit weg. Auch wenn ich nicht wusste, wo diese Dörfer waren.
„Ich hatte schon gesagt, dass es ein selteneres Kraut ist, aber Gottseidank müssen wir nicht lange suchen. Ich weiß genau, wo es ist.", Sana zwinkerte mir zu, „Keine Sorge, wir gehen schnell hin und zurück. Das langweilige Kräutersuchen dauert höchstens nur bis Mittag. Danach wenden wir uns interessanteren Sachen zu."
Ich zuckte nur die Schultern und meinte: „Ach ich finde es nicht schlimm. Einfach nur mal im Wald spazieren tut vielleicht auch ganz gut."
Das einzelne Zwitschern eines Vogels, das sanfte Rauschen der Blätter und die Geräusche im Unterholz waren irgendwie beruhigend. Dazu sah der Wald eigentlich ganz schön aus, es war nur etwas frisch.
Sanas Locken wurden von einer Windböe aufgewirbelt, als sie lächelnd sagte: „Dachte ich mir schon."
Bevor ich aus ihren Kommentar schlau werden und nachbohren konnte, hielt sie an und zeigte auf einen Felsen Steine: „Wir sind da."
Also blieb ich ebenfalls stehen und sah mir die Felsformation an.
Vor uns ragte eine ganze Feldwand aus dunkelgrauen Stein auf. Sie war zerklüftet und Moos wuchs zwischen den Ritzen.
Sana ging direkt darauf zu und schien garnicht anhalten zu wollen. Gerade wollte ich sie davon abhalten gegen den Stein zu laufen, da verschwand sie plötzlich.
Verwirrt blinzelte ich und trat näher.
Da schoss schon eine Hand aus den Fels hervor und zog mich in eine Spalte, die man sonst nicht sah.
Sie war so gelegen, dass man sie leicht mit einem Schatten verwechseln konnte. Im Inneren war sie groß genug dass unsere Schultern Platz fanden. Es war trotzdem ein enger Gang und wir mussten hintereinander gehen.
„Komm schon!", Sana ging voraus und ich folgte ihr schnell. Meine Atmung ging etwas schneller, ich hasste ja enge Räume. Aber ich wusste wo der Ausgang war, ich war nicht eingesperrt, deswegen hielt sich die Angst noch in Grenzen.
Doch dann machte sich die Kälte breit, als der Dunkle Mond meine Gefühle wieder blockierte und die Angst verschwand.
Wir liefen den steinernen Gang entlang. Er wandte sich nach links und nach recht, aber da es nur diesen Weg gab, konnten wir uns nicht verirren.
Die Höhle war zwar nicht nass aber kühl und ich zog die Jacke enger um mich, während ich Sana folgte. Ihre dunklen Locken wippten vor mir auf und ab.
Dann endete der Gang und öffnete sich in einer Art Grotte. In der Mitte war ein kleiner Teich und um ihn herum lagen Felsen verstreut. Wieder mit Moos bewachsen, aber mit Pilzen und Blumen dazwischen.
Staunend sah ich mich um. Durch ein Loch in der Decke fiel Licht direkt auf das Wasser und sorgte für ein magisches Glitzern.
„Schön nicht?", Sanas Stimm prallte an den Wänden ab und wurde zu uns zurück geworfen.
Ich nickte ehrfürchtig und griff mir an die Brust. Dieser Ort... er war so friedlich. Außer unserem Atem war alles ruhig. Jeglichen Geräusche von oben wurden abgeschnitten.
Seufzend setzte ich mich auf einen etwas größeren Felsen und vergrub die Finger im Moos. Von einer angenehmen Ruhe erfüllt sah ich auf den kleinen See.
Sana grinste und begann ihre Stiefel auszuziehen. Darauf krempelte sie die Hose bis zum Knie hoch und begann ins Wasser zu waten.
„Was machst du da?", fragte ich verwirrt.
Ohne sich zu mir umzudrehen bückte sie sich und griff ins Wasser. Als sie ihre Hand herausnahm, hielt sie eine Blume in der Hand. Mir schwarzen, Sternenförmigen Blüten.
Sie hielt das Kraut in die Höhe und sagte: „Da haben wir's."
Jetzt winkte sie mich zu sich: „Na los, du auch! Vier Hände tragen mehr als zwei."
Also streifte auch ich mir die Stiefel ab und schob die Hose hoch. Als ich dann den ersten Schritt ins Wasser machte, schnappte ich nach Luft. Es war eiskalt!
„Ach hab dich nicht so!", Sana packte mein Handgelenk und zog mich weiter rein. Dass ich dabei zusammenzuckte, merkte sie nicht.
So stand ich dann neben ihr und pflückte das Kraut vom Grund. Das Wasser war erstaunlich klar, sodass wir gut erkennen konnten, wo die Pflanze wuchs.
„Wie wusstest du, dass er hier wächst?", fragte ich und richtete mich kurz auf. Es war anstrengend die ganze Zeit gebückt zu stehen.
„Ich habe einen Moment für mich gebraucht und bin blind losgelaufen.", jetzt hielt auch Sana inne und stellte sich aufrecht hin, „Durch Zufall bin ich auf die Felsen gestoßen und habe mich für eine Pause angelehnt. Stattdessen bin ich nach hinten gefallen und ehe ich mich versah, lag ich im Gang."
Sie zuckte die Schultern und sah sich um.
„Ich bin rein gegangen um habe die Grotte gefunden."
Ich nickte und griff mach dem nächsten Kraut, doch Sana hielt mich auf: „Das reicht. Wir haben genug."
Das Mädchen drehte sich um und watete wieder ans Ufer. Ich folgte ihr und wir beide setzten uns auf einen Felsen.
Sana griff bereits nach den Stiefeln, da sagte ich: „Warte kurz"
Ich öffnete meine Handflächen und trocknete ihre Füße mit meiner Magie. Dann tat ich dasselbe bei mir. So viel Magie schaffte ich noch aus mir hervorzuholen.
Sana wackelte mit den Zehen und zog jetzt die Stiefel an: „Das ist das erste Mal, dass ich dich mit deiner Magie umgehen sehe."
Schulterzuckend krempelte ich auch die Hose runter und stand auf.
„Ich kann sie nicht wirklich kontrollieren."
Sana sah mich von der Seite an und nickte. Sie bohrte nicht weiter nach und das fand ich gut so.
Also verließen wir die Höhle wieder. Das Kraut hatten wir in Sanas Tasche gesteckt. Gerade wollten wir den Wald wieder bertreten, da hörte ich das verräterische Geräusch von Schritten.
Sofort packte ich Sana am Arm, riss sie in den nächsten Busch und schmiss uns auf den Boden.
„Was.."
Ich hielt ihr den Mund zu und legte ernst einen Finger an die Lippen.
Sana verstummte und folgte meinen Blick zu den Felsen. Gerade kamen von rechts zwei Hunter. Ein blondes Mädchen und ein dunkelblonder Junge.
Ich erstarrte.
Das waren John und Ellie! Was taten sie hier?
Ellie hielt ihren Bogen in der Hand und hatte einen Pfeil schussbereit angelegt. John lief neben ihr und hielt zwei Hasen in den Händen.
„Hier gibt es kaum Tiere, das weißt du doch.", brummte John und blieb stehen, „Lass uns zurück gehen."
Ellie funkelte ihn an: „Ich habe Stimmen gehört!"
„Ich nicht."
„Tja, dann solltest du dir mal die Ohren sauber machen!", Ellie nickte auf den Boden, „Denn da sind Fußabdrücke."
Sana und ich tauschten alarmiert einen Blick. Ich spannte meine Muskeln an und Sana tat es mir mit ängstlicher Miene gleich.
Ellie folgte unseren Spuren und sah direkt zu unserem Busch. Sofort fuhr sie herum und richtete ihren Bogen auf uns.
Hastig sprang ich auf und riss Sana mit. Gleichzeitig schoss ich einen Windböen auf Ellie und lenkte ihren Pfeil, den sie gerade abschoss, ab.
Ohne zu zögern, wirbelte ich herum und sprintete los. Sana hielt ich immer noch am Arm, aber als sie selber mitlief, ließ ich sie los.
Geraschelt hinter uns verriet mir, dass sie die Verfolgung aufnahmen. Fluchend sprang ich über den Baumstumpf, aber Sana übersah ihn. Mit einem leichten Aufschrei fiel sie der Länge nach hin.
Ich zerrte sie hoch und lief weiter.
„Zum Lager geht es da lang", keuchte Sana und zeigte in die entgegengesetzte Richtung.
Ich nickte und lief unbeirrt weiter.
„Sollen wir sie zu den anderen führen oder was?", entgegnete ich und zog sie hinter mir zwischen den Bäumen durch.
Sana verstummte und sah ängstlich nach hinten. Sie konnte nur den blonden Schopf von Ellie erahnen. Ich hörte die Schritte von beiden.
„Renn du da lang zurück zum Lager", ich schubste Sana in die Richtung, „Ich locke sie weiter weg."
„Was wenn sie dich fangen? Oder mir folgen?"
Mein Lächeln war grimmig: „Sie werden mir folgen. Ich schaffe das schon. Jetzt los!"
Sana sah mich ein letztes Mal unsicher an, dann lief sie los.
„Wenn du bis heute Abend nicht zurück bist, suchen wir dich!"
Jetzt würden sogar normale Ohren John und Ellie hören, also nahm ich die Beine in die Hand.
Flink schlängeltet ich mich durch die Bäume durch, sprang über Wurzeln und lief im Zickzack. Falls Ellie vor hatte mit ihren Pfeilen auf mich zu schießen.
Meine unendliche Ausdauer war da ganz schön praktisch.
Du könntest sie stellen. Mit deiner Magie besiegst du sie locker.
Du weist, dass ich das nicht kann. Du selbst hast gesagt, meine Magie ist komplett aus der Ruhe gebracht.
Nicht wenn ich übernehme.
Nein. Keine Chance.
Ein Pfeil kündigte sich an und ich sprang zur Seite. Er surrte an meinem Ohr vorbei und traf den Baum rechts von mir.
Ich erhöhte mein Tempo.
Ich konnte nicht sagen, wie lange ich lief. Aber irgendwann hörte ich weder Ellies noch Johns Schritte.
Langsam blieb ich stehen und lauschte. Meine Muskeln waren angespannt und bereit erneut zu flüchten.
Aber der Wald war ruhig. Abgesehen von den normalen Geräuschen, hörte ich nichts.
Mein Herz schlug etwas schneller und ich spürte meine innere Anspannung.
Ellie und John. Sie waren beide hier.
Gerade wiegte ich mich in Sicherheit, da hörte ich das Geräusch von Wasser. Ich drehte mich um und wich ihrer Magie aus, aber da stürzte sich schon Ellie auf mich. Ehe ich mich versah lag ich auf den Boden und Ellie über mir. Ihr Fuß drückte sie unangenehm auf meine Brust, während sie ihren Bogen schussbereit auf mich richtete.
„Lillith", grüßte sie mich. Ihre Augen waren zusammengekniffen und ihr Körper angespannt. Als fürchtete sie jeden Moment, dass ich sie angreifen würde.
Aber ich bewegte mich nicht. Ich sah nur stumm auf die Spitze des Pfeils und dann zu ihr.
Ihr Blick wanderte einmal an mir hoch und runter. Die neue Kleidung und der kleine Dolch, den Sana mir geliehen hatte.
„Du hast die Saver gefunden.", realisierte sie und sah sich um.
„Ich bin allein."
Jetzt sah sie wieder zu mir und schnaubte: „Ich habe die zweite Person gesehen, die du mit dir gezerrt hast."
Jetzt sah ich mich um und für einen kurzen Moment stieg Sorge in mir auf: „Wo ist John?"
Ellie sah über die Schulter und grinste leicht: „Irgendwo hinter mir. Er war noch nie so flink."
Doch jetzt spannte sie den Boden weiter an und drückte stärker auf meine Brust. Ich verzog leicht das Gesicht.
„Warum ist Devon mit dir mitgegangen? Hast du ihn verzaubert?"
Verblüffte über die Frage blinzelte ich. Aber als sie nur noch fester auf meine Brust drückte, antwortete ich schnell: „Nein! Er hat mich von sich aus befreit."
Ellies Augen verengten sich: „Warum?"
Ich schnappte nach Luft. Ihr Gewicht drückte auf meine Brust und erschwerte das Atmen.
Als ich den Mund auf machte, um ihr zu antworten, kam kein Ton heraus. Ich schloss ihn und blinzelte.
Ja... warum hatte er mich befreit? Wie sollte ich das erklären, wenn ich es selbst kaum verstand.
„Also?", knurrte sie ungeduldig.
„Ich... ich weiß es nicht.", gestand ich leise, „Ich verstehe es selber nicht. Er... er sieht in mir kein Monster und er... er findet, dass ich nichts für das Geschehene kann. Für ihn... bin ich ein Mädchen, kein Monster, keine Mörderin."
Es kam nur zögernd über meine Lippen, weil ich es selber nicht nachvollziehen konnte. Aber das war, was er wiederholt zu mir gesagt hatte.
Ellie schwieg kurz dann sagte sie: „Ich vertraue ihm."
Sie nahm das Bein von mir runter und senkte den Bogen.
„Devon handelt nicht einfach so, er muss einen Grund haben. Um ehrlich zu sein, habe auch ich in einigen Moment das Mädchen gesehen, das er retten wollte."
Völlig verblüfft richtete ich langsam meinen Oberkörper auf. Ellie mache keine Anstalten mich aufzuhalten oder die Waffe erneut auf mich zu richten.
Langsam stand ich auf und starrte sie dabei an. Sie verschonte mich?
Ellie verzog missmutig den Mund: „Mach keine große Sache draus. Du hast mir das Leben gerettet in den Bergen, wir sind jetzt quitt. Ich kenne Devon und ich vertraue ihm mit seiner Entscheidung."
Ich machte noch den Mund auf, um etwas zu sagen, da raschelte es im Gebüsch. John würde jeden Moment hier sein.
Ellies Kopf sah erschrocken zu den Bäumen, dann befahl sie an mich gewandt: „Schlag mich."
„Was?"
„Schlag mich", wiederholte sie, „Dann sieht es so aus, als hättest du mit mir gekämpft. Lass es echt aussehen."
Sie wappnete sich und sah mich abwartend an.
„Ich werde dir jetzt nicht eine reinhauen!"
Ellie machte eine ungeduldige Handbewegung: „Jetzt mach schon!"
Ohne mein Zutun schoss mein Arm nach vorne und mit ihm ein heftiger Luftstoß. Ellie wurde von den Füßen gerissen und gegen den nächsten Baum geknallt. Sie schrie auf und sowohl Bogen als auch Pfeil fielen ihr aus der Hand.
Dann hüllte sich mein Blickfeld in violetten Rauch, ehe ich vor Myalos Grenze landete.
Kurz brauchte ich einen Moment, um die Situation zu erfassen. Dann wurde mir klar, was passiert war.
Du hast mich wieder gelenkt!
Ich habe uns gerettet.
Ellie hat uns geholfen. Du hättest sie nicht angreifen sollen.
Sie hat mich drum gebeten!
Ich zischte und verspürte den Drang etwas kaputt zu machen. Das war nicht der Punkt. Er hatte unfreiwillig meine Körper übernommen. Genauso wie er es an Blutmond und bei den anderen Kontrollverlusten getan hatte.
Tu das nie wieder!
Ich werde es tun wann immer es nötig ist. Wenn du es verhindern willst, musst du dafür sorgen, dass ich nicht mehr auf dich aufpassen musst.
Ich brauche keine Babysitter.
Das wage ich zu bezweifeln. Ohne mich wärst du schon tot.
Ohne dich wäre ich gar nicht erst hier.
Ich spürte seine Empörung und kurz darauf stürzte die Kälte auf mich ein, wie ein Schlag ins Gesicht.
Der Ärger verschwand und ich ging kalt wie eh und je Richtung Saver. Dabei dachte ich an Ellie und ihre unerwartete Hilfe.
Jetzt waren es schon zwei Hunter, die an etwas in mir glaubten. Ich wünschte ich könnte sehen, was sie sahen. Ich wünschte es wirklich.