Ich hatte keine Ahnung, wie lange genau wir in diesem Krankenhaus blieben, da ich durch viel zu viel Schlaf und erschreckend kurze Wachzeiten jegliches Zeitgefühl verloren hatte.
Aber irgendwann verschwanden die piepsenden Maschinen um mich herum und die zahlreichen Nadeln der Infusionen wurden mir aus den Unterarm gezogen, sodass mir lediglich der Gips am Bein, die Schiene an der Hand und der Verband um den Kopf blieben.
Die Ärztin, die ich bei ihrem letzten Besuch so ungehalten angefahren hatte, kam kein zweites Mal zu uns in Zimmer - vermutlich aus Angst, die Situation könnte ein weiteres mal eskalieren - sondern schickte stattdessen eine ihrer Kolleginnen.
Die Rothaarige, die sich nun mehr oder weniger unfreiwillig mit dem Metallarmigen und mir herumschlagen musste, war uns beiden aber um einiges sympathischer.
So sympathisch, dass ich mir von ihr die ganze Geschichte - mitsamt der ziemlich übel klingenden Diagnose - noch einmal erzählen ließ und mich dabei lange genug zusammenriss, um ihr aufmerksam zuzuhören.
Dass mich Rogers Angriff hart getroffen und einiges an Schaden angerichtete hatte, war eigentlich von vorne herein klar gewesen, aber dass mir sein Schild tatsächlich den Schädel gebrochen hatte - und das gleich mehrmals - hätte ich dennoch nicht erwartet, auch wenn es die höllischen Kopfschmerzen erklärte.
Hinzu kamen noch ein ganzer Haufen weiterer, nicht ganz so schlimmer Verletzungen.
Darunter ein gebrochenes Bein, das nun in einen unbequemen Gips gehüllt war, Frakturen an Schulter und Unterarm, ein verstauchter Fuß, drei gebrochene Rippen, schmerzhafte, aber eigentlich harmlose Verbrennungen am Rücken und unzählige Prellungen, die sich von meinen Beinen, über den Oberkörper bis hin zum Hals zogen.
Kein Wunder also, dass ich mich fühlte, als wäre mein Körper von einem zentnerschweren Bus überrollt worden.
Laut der neuen, wesentlich freundlicheren Ärztin würden all diese Verletzungen Zeit brauchen, um wieder zu verheilen, aber ich würde keine bleibenden Schäden davontragen - abgesehen vielleicht von ein paar Narben - und wäre in wenigen Wochen oder Monaten wieder größtenteils gesund.
Der Silberarmige hatte bei diesen Worten erleichtert ausgeatmet und man hatte förmlich sehen können, wie das letzte bisschen Angst von ihm abgefallen war.
Ich hingegen - die ich mir nie wirklich Sorgen um mein Überleben oder meine Gesundheit gemacht hatte - hatte nur ungeduldig genickt, damit die Frau im weißen Kittel weitersprach und mich mit wichtigeren Informationen versorgte.
Zum Beispiel, wann uns diese nervtötenden Fesseln endlich abgenommen wurden oder wann wir gehen durften.
Darüber jedoch hatte die Frau kein einziges Wort gesagt und auch als ich am Ende dieser langen, einseitigen Unterhaltung nachgefragt hatte, war sie nicht bereit gewesen, mir etwas anderes als "Sie werden sich gedulden müssen, Miss!" zu sagen.
Irgendwann hatte ich meine Versuche, an eine anständige Antwort zu kommen, dann einstellen müssen, wenn auch gezwungenermaßen, denn einer ihrer Kollegen hatte den Kopf durch die Tür gesteckt und ihr gesagt, dass zwei Zimmer weiter ein Notfall auf sie warten würde.
Daraufhin hatte die Frau mir einen entschuldigenden Blick zugeworfen und war dem Mann hinterhergeeilt, um sich um den angeblichen Notfall zu kümmern.
Ich hatte dennoch in Erfahrung gebracht, wann wir freigelassen werden sollten, wenn es auch nicht die Ärztin gewesen war, die es mir gesagt hatte, sondern ein etwas in die Jahre gekommener Mann in Polizeiuniform, der - als ich nach einer ordentlichen Portion Schlaf die Augen aufschlug - keinen Meter neben mir saß und mich mit ernster Mine ansah.
"Ma'am, ich bin Theodore Thompson! Ich leite die Ermittlungen, die gegen Sie und Ihren Partner eingeleitet wurden und bin hier, um Ihnen beiden einige Fragen zu stellen! Wenn Sie sich körperlich und geistig also dazu in der Lage fühlen, mit mir zu reden, wären da einige Dinge, über die ich gerne mit Ihnen sprechen würde!"
Die Müdigkeit war schneller verflogen, als ich es für möglich gehalten hätte und hastig richtete ich mich auf, um unter dem bedeutungsschweren Blick des Beamten nicht ganz so erbärmlich zu wirken, mit all den Verbänden und Schrammen.
"Ermittlungen?!" kam es verwirrt von dem Silberarmigen, der sich nun ebenfalls aus den Kissen hochzustemmen versuchte. "Was für Ermittlungen?"
Thompson zog die Augenbrauen in die Höhe und musterte den Braunhaarigen im benachbarten Bett mit einem Ausdruck in den Augen, der die Worte "können Sie sich das nicht denken?" nur allzu deutlich widerspiegelte.
"Glauben Sie allen Ernstes, dass es kein Nachspiel für Sie haben wird, wenn Sie Morddrohungen an mehrere hundert Menschen richten und eine Krankenschwestern handgreiflich angehen?"
Stimmte ja, da war diese kleine Ungeschicklichkeit seinerseits gewesen, die dazu geführt hatte, dass wir nun wie geisteskranke Psychopaten an den Betten festgeschnallt waren - sein Angriff auf die blonde Ärztin und das Versprechen, jeden in diesem Gebäude zu töten, sollte man mir nicht auf der Stelle helfen.
Das hätte ich mit Sicherheit schon wieder vergessen, wären da nicht die Gurte gewesen, die meinen Körper zurückhielten und mich damit jede Sekunde an sein unüberlegtes, impulsives Verhalten erinnerten.
"Haben Sie irgendwelche Beweise dafür?!" fragte ich, in dem schwachen Versuch, die kommende Katastrophe abzuwehren und den Kopf des Metallarmigen aus der Schlinge zu ziehen.
"Zeugenaussagen und Videoaufnahmen!" meinte Theodore Thompson knapp und ich konnte förmlich spüren, wie das letzte bisschen Selbstbewusstsein daraufhin der Nervosität wich.
Das hörte sich überhaupt nicht gut an!
Ganz von selbst huschte mein Blick zur Seite und hinüber zu meinem Begleiter, als würde ich erwarten, dass er mich beruhigend anlächeln und sagen würde, dass alles in Ordnung sei, doch auch auf seinem Gesicht sah ich den Anflug von Verunsicherung und damit verbundener Angst.
"Und was soll das jetzt bedeuten?", wollte er wissen und obwohl er versuchte, gelassen zu klingen, konnte man den angespannten Unterton in seiner Stimme hören. "Wollen Sie mich einsperren lassen oder was?"
Die Mine des Polizisten wurde noch ernster als zuvor, als er zu einer Antwort ansetzte:
"Vorerst noch nicht, nein! Allerdings wird bereits ein Gerichtsverfahren wegen schwerer Körperverletzung, Drohung und Erpressung gegen Sie in die Wege geleitet und sollten Sie das verlieren... nun, dann könnte es durchaus sein, dass Sie einige Jahre hinter Gittern verbringen müssen!"
Erschüttertes Schweigen machte sich nach diesen Worten im Raum breit und als ich meinen Kopf abermals zu dem Silberarmigen wandte, konnte ich die selbe Panik sehen, die sich auch in mir breit machte.
Mein erster Instinkt sagte mir, so schnell wie möglich aufzuspringen, mir den Mann mit den blau-grauen Augen zu schnappen und abzuhauen, bevor dieser uniformierte Mann ihn für das harmloseste Verbrechen der letzten Jahrzehnte in irgendeinem Gefängnis werfen und dort verrotten lassen konnte.
Doch natürlich ging das nicht, denn wir waren beide für eben die Dummheit, die ihn nun vor ein Gericht bringen sollte, festgekettet worden und somit vollkommen unbeweglich und unfähig irgendetwas zu unternehmen.
"Aber... a-aber das können Sie nicht machen!" platze es aus mir heraus, als der Schock überwunden war und die Angst wieder die Oberhand gewann.
Theodore Thompsons Augenbrauen wanderten noch weiter nach oben, sodass sie beinahe unter seinem Haaransatz verschwanden.
"Oh doch Ma'am, das kann ich durchaus und Sie können mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dass ich es auch tun werde! Ihr Partner hat kein Recht darauf, aus irgendwelchen Gefühlsausbrüchen heraus Menschen anzugreifen! Das ist eine Straftat und wird auch wie eine solche behandelt!" sagte er.
"Aber ich habe dieses Mal niemanden umgebracht! Ich habe doch nur versucht..." begann der Mann mit den blau-grauen Augen wütend, doch kaum hatte er angefangen dem Polizisten noch mehr Informationen zu geben, die alles schlimmer machten, fuhr ich ihm dazwischen.
"ER HAT NIEMANDEM ETWAS GETAN!" übertönte ich seine Stimme mit meiner eigenen, wesentlich lauteren, doch da war es schon zu spät, denn im selben Moment schien der Beamte neben mir den Sinn der Worte zu verstehen.
Seine Augen weiteten sich erschrocken.
"Dieses Mal haben Sie niemanden umgebracht?!"
Nun begriff auch der Mann zu meiner Seite, was die wenigen, unüberlegten Worte angerichtet hatten und dass er seinen Fehler irgendwie wieder ausbügeln musste, wenn er das Ganze nicht noch mehr ausarten lassen wollte, denn er setzte hastig zu sprechen an:
"Nein... n-nein natürlich nicht! Ich habe noch niemals irgendjemanden..."
"Was soll das bedeuten dieses Mal haben Sie niemanden umgebracht?!" unterbrach der Uniformträger ihn mit erhobener Stimme.
Von seiner ernsten, beherrschten Maske war nichts mehr zu sehen, stattdessen standen ihm nun Schock und Entsetzten im Gesicht.
"Wen... w-wen um alles in der Welt haben Sie getötet?!" wollte er wissen und gerade als der Silberarmige zu einer Antwort ansetzten wollte, schaltete ich mich wieder ein - fest davon überzeugt, dass seine Versuche das Alles ungeschehen zu machen, es nur noch verschlimmern würden.
"Niemanden!", sagte ich und warf meinem Begleiter dabei einen Blick zu, der nur allzu deutlich sagte: "Halt dich zurück!"
"Er hat absolut niemanden getötet!"
Diese Lüge ging mir wesentlich leichter und überzeugender von den Lippen, als es eigentlich der Fall sein sollte - immerhin verleugnete ich gerade Dutzende von Morden und Attentaten.
"Und woher genau...", das Funkeln in den Augen von Theodore Thompson nahm einen triumphierenden Ausdruck an. "... wollen Sie das wissen, Ma'am? Nach allem was mir zu Ohren gekommen ist, stehen sie beide sich weder nahe noch kennen sie sich sonderlich gut!"
Verwirrt und überrascht runzelte ich die Stirn.
"Wie bitte, was?"
"Laut Aussagen der Ärzte wusste ihr Partner noch nicht einmal Ihren Namen! So lange und so gut können sie sich da ja wohl kaum kennen!" erklärte mir der Polizist und ich konnte förmlich spüren, wie mir das bisschen Farbe, das ich in den letzten paar Tagen wieder dazugewonnen hatte, aus dem Gesicht wich.
"Das ist absolut nicht wahr!" mischte sich nun auch der Braunhaarige ein, die Aufmerksamkeit des Beamten damit auf sich ziehend.
"Ach nein?" hakte dieser nach und auch ich hob den Blick, um auf den Mann auf dem anderen Bett ansehen zu können - misstrauisch und neugierig zugleich auf das, was jetzt kommen würde.
"Nein!", antwortete der Silberarmige und sah mit einem kaum merklichen, vollkommen unangebrachten Lächeln zu mir hinüber. "Ihr Name ist Liv!"