„Sofa oder Luftmatratze?", fragt Gina mich und hebt eine eingepackte Luftmatratze hoch. „Sofa", sag ich wie aus der Pistole geschossen und betrachte das moderne Teil, welches eigentlich ganz einladend aussieht. Aber auch wenn es unbequem wären, würde ich darauf schlafen. Ich möchte auf jeden Fall vermeiden, dass sich unnötig Arbeit wegen mir gemacht wird. „Schwesterchen, das war ein Scherz!", erwidert Gina und sieht mich tadelnd an. Ich schaue fragend zurück. Wahrscheinlich wird sie jetzt sagen, dass ich hier nichts zu suchen habe und gefälligst wo anders hingehen soll. „Hier schläft niemand auf dem Sofa oder einer Luftmatratze! Ehlia hat genug Gästezimmer und ich weiß auch schon, welches wir für dich nehmen. Deine Lieblingsfarbe ist doch olivgrün, nicht war?" Verdutzt blinzele ich ein paar Mal. „Ehm...ja?", antworte ich dann schließlich und werde sogleich von Gina die marmorne Treppe hinaufgezogen.
Kurz darauf haben wir den ersten Stock erreicht, durch dessen breiter Gang sich ein flauschig aussehender, beigefarbener Teppich zieht. Landschaftsaufnahmen zieren die weißen Wände, an dessen Decken teuer aussehende Lampen hängen. Immer mal wieder tauchen Türen auf, doch Gina zieht mich immer weiter nach hinten, weiter in den Gang hinein. Ich allerdings realisiere das nicht wirklich. Viel zu sehr bin ich von der Schönheit dieses Hauses fasziniert.
Urplötzlich bleibt sie stehen, sodass ich einen gegen sie knalle, was sie mit einem Lachen quittiert. „So, da wären wir!", ruft sie schließlich und reißt euphorisch die mit weißem Lack verzierte Holztür auf. Bei dem Anblick, welches sich mir bietet, bliebt mir die Spucke weg. „Holy Shit, Ehlia muss ja ein Vermögen besitzen!", rutscht es mir heraus, als mein Blick auf das überdimensionale Bett wirft, welches mitten im Raum steht. Kissen in allen möglichen Grünfarben stapeln sich darauf, ebenso eine weich aussehende Decke. Getoppt wird das Ganze jedoch von einem grünen Baldachin, welcher über dem Bett hängt und mich beim schlafen sicher an einen Wald denken lässt. Ich fühle mich in meine Kindheit zurückversetzt, als Mum und ich einkaufen waren. Damals waren wir in einem Bettengeschäft und ich habe mich sofort in das große Ungetüm aka das pinkfarbene Prinzessinnenbett am Eingang verliebt. Mum hat es mir damals nicht gekauft, worüber ich ihm Nachhinein froh bin, doch damals habe ich deswegen ein ziemliches Theater gemacht.
Jetzt, über zehn Jahre später, stehe ich in einem Zimmer mit genau einem solchen Bett, nur mit einer viel schöneren Farbe. „Naja, er ist auf jeden Fall reicher als wir", gesteht Gina und reißt mich somit aus meinen Erinnerungen. Mein Blick schießt zu ihr, während sich langsam ein Verdacht in mir zusammenbraut.
Könnte es vielleicht sein, dass Gina nur wegen dem Geld mit Ehlia zusammen ist?
Gina, welche meine Gedanken wohl erraten hat, schaut mich geschockt an. „Nein. Nein, deswegen bin ich nicht mit ihm zusammen. Wirklich nicht!", verteidigt sie sich, doch ich weiß nicht so recht, ob ich ihr glauben soll oder nicht. Allerdings setzte ich ein beruhigend Lächeln auf, um ihr zu zeigen, dass ich ihr glaube - oder um sie das zumindest glauben zu lassen.
Gina atmet erleichtert auf. „Puh gut. Also, dann lasse ich dich mal alleine. Wir sind unten, wenn du was brauchst", zwinkert sie mir zu und verlässt den Raum. Ich blicke ihr schweigend nach. Zum ersten Mal seit ihrer plötzlichen Veränderung fällt mir auf, dass sie keine MakeUp oder sonstige Schminke trägt. Auch ihre aufreizenden Klamotten sind bequemen Jeans und T-Shirts gewichen. Und ich muss zugeben, dass sie damit viel hübscher und freundlicher aussieht.
Ob sie wirklich nur bei Ehlia ist, weil sie ihn liebt?
„Hey Gina!", rufe ich ihr aus einem plötzlichen Impuls nach. Gerufene dreht sich fragend zu mir um. „Ja?" „Kann ich vielleicht kochen?" Wenn ich schon hier bin, kann ich mich wenigstens nützlich machen und für uns Abend essen kochen. Außerdem bekomme ich dann vielleicht noch mehr über Gina und den Grund, warum sie mit Ehlia zusammen ist, heraus.
„Na klar! Sehr gerne doch!", antwortet diese und wirkt ehrlich erfreut über mein Angebot. „Okay, super" Langsam nickend setzte ich mich in Bewegung und laufe mit Gina zusammen die Treppen wieder runter. Etwas unsicher, ob ich mein zugeteiltes Zimmer wieder finde, bin ich schon. Aber zur Not frage ich eben Gina oder Ehlia, wobei mir letzterer etwas unheimlich ist, so wenig Worte, wie er bisher gesprochen hat.
„Hey Schatz. Stell dir vor, Summer will heute für uns kochen", begrüßt Gina Ehlia, welcher auf dem Sofa sitzt, einen PC vor sich, auf dessen Bildschirm bis gerade eben noch seine Augen gehaftet haben. Nun schaut er auf und lächelt mich freundlich an. „Danke dir", bedankt er sich, wortkarg wie immer und wendet sich dann Gina zu, um diese auf seinen Schoß zu ziehen. Spätestens, als die beiden anfangen zu knutschen, stehe ich in der Küche und durchforste die Schubladen nach Essen und Kochutensilien.
Fünf Minuten später schäle ich ein paar Süßkartoffeln und summe dabei eine Melodie vor mich hin, dessen Lied mir Mom immer zum einschlafen vorgesungen hat. Langsam trieften meine Gedanken ab, während mein Körper alle nötigen Bewegungen automatisch macht. Zu meinem Glück habe ich das Gericht, welches ich kochen will, schon mehrmals gekocht und kann es beinahe auswendig.
So kommt es, dass sie Süßkartoffeln im Ofen rösten, während meine Gedanken in Spanien sind. Lucia und Laya, die beiden Zwillingen meiner Gastfamilie, haben mich gleich am ersten Tag herzlich aufgenommen. Auch für ihre Eltern war ich wie ein eigenes Kind. Ich glaube, diese Familie war die beste, die ich hätte bekommen können. Zumal ich zu der zeit, als ich dort ankam, eine lehre Hülle mit gebrochenem Herzen war. Aber die Familie hat es mit ihrer Lebensfreude und der unglaublichen guten Laune, welche in jedem Winkel des Hauses herrschte, wieder zusammen geflickt. Manchmal vermisse ich die Familie schon. Klar, ich liebe meine Familie auch, doch das kann man nicht mit einer Gastfamilie vergleichen, welche in nur einem Jahr deine zweite Familie wurde.
Mit einem schmunzeln erinnere ich mich daran, wir mich die Zwillinge morgens immer geweckt haben. So kreativ war ich nie. Ich wünschte, ich wäre mit dreizehn auch noch so voller kindlicher Freude gewesen, statt versucht zu haben, beliebt zu sein. Auch der kleine Sergio, welcher mich mit seinen fünf Jahren sehr an Jane erinnert hat, lies mein Herz aufglühen.
Das blubbern der Zitronensoße, welche gerade dabei ist, überzukochen, bringt mich zurück ins hier und jetzt. Mit einem kleinen, wehmütigen Seufzen stecke ich die Erinnerungen an mein Auslandsjahr wieder zurück in die Kiste, aus der ich sie zuvor gelassen habe.
„Ehm Gina? Ehlia?", rufe ich vorsichtig Richtung Wohnzimmer. Prompt folgt ein „Ja?" von Gina und ich beeile mich, meine Frage zu stellen, um die beiden nicht noch länger zu stören. „Weißt du, ob Ehlia frische Petersilie hat?" „Neben dem Gartenhaus", ertönt nun Ehlias ruhige Stimme und ich eile mit einem schnellen „Danke" nach draußen. Vor der Trassentür empfängt mich die ruhige Stille der Nacht. Es ist angenehm lau und der helle Vollmond spendet mir genug Licht. Mein Blick wandert kurz über den Garten vor mir, welche wie nicht anders zu erwarten riesig und zudem wunderschön angelegt ist. Meine Augen realisieren ein kleines Gebäude, relativ weit hinten im Garten. Das müsste dann wohl das Gartenhaus sein.
Das Gras kitzelt angenehm an meinen Fußsohlen, während ich zum Gartenhaus laufe und die klare Luft einziehe. Keine fünf Meter neben dem Gartenhaus befindet sich ein Zaun, hinter dem wiederum eine Hecke hinauf ragt. Dahinter müsste dann wohl ein anderes Grundstück liegen.
Mein Blick schweift wieder auf den Weg vor mir, als meine Augen etwa auf dem Boden realisieren. Ich brauche geschlagene drei Sekunden, um zu realisieren, was genau das ist. Keuchend Atme ich ein, während sich meine Atmung verschnellert und mein Herz heftig gegen meine Rippen pocht.
„Summer? Alles okay?", fragt jemand hinter mir. Doch ich reagiere nicht. Mein Blick wird von dem Mädchen vor mir gefangen genommen. Dem Mädchen, dessen Haut unnatürlich blass ist. Dem Mädchen, dessen Körper schlaff am Boden liegt. Dem Mädchen, dessen Brustkorb eine große Wunde ziert aus der noch vor wenigen Tagen Blut gedrungen sein muss. Ich keuche auf, während sich mein Magen umzustülpen droht. Vor mir liegt eine Leiche.
***
Und der das zweite Kapitel der Lesenacht! Mal schauen, wer es als erster bemerkt....
Was haltet ihre davon? Und was hat das alles mit Summer zu tun? Wer ist wohl diese Person, die Summer anspricht?
Und ganz wichtig: Wer hofft auf ein paar Sulex Momente?
Bis in 20 Minuten 😁