Kaseia Paste Portion 2

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"Neben dem Fächer ist der Schleier das wohl nützlichste Stück unserer Mode. Er verbirgt Meinungen, Gedanken oder ästhetische Makel und schenkt stattdessen Anonymität für weniger damenhafte Unternehmungen."- Madame Acó
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         Zwei Tage vergingen leer und aus irgendeinem Grund drehte sich die Erde immer noch weiter. Ich hätte erwartet, dass Kaar wisse, wenn jegliche Mühe überflüssig wurde.

Zwei Tage, in denen man mich befragt und bemitleidet hatte. In denen ich keine Ruhe fand und keinen vernünftigen Gedanken. Ich hatte eine neue Hochform darin entwickelt, Madame Acó oder Alam Catròz aus dem Weg zu gehen, doch dadurch verrauchte meine Wut auch nicht.
Am dritten Tag hielt ich es nicht mehr aus. Ich brauchte meinen Schlaf und wenn ich jemals wieder mein Bett genießen wollte, musste ich tätig werden. Wo es Nevanam gab, gab es bekanntlich auch Wunder. Jetzt wo sie ausgestorben waren, musste ich eben ohne auskommen.

„Henric!"
Mein Ruf ließ ihn neben seinem Pferd erstarren. Es war ein eindrucksvolles Tier, schneeweiß, mit schmalem Kopf und leichtem Bau. Keines dieser bulligen Streitrösser, auf denen der König die Paraden ritt und die dir drei Zehen brachen, wenn sie dir versehentlich auf den Fuß stiegen.
Henric hatte auf die aufwendigen Trensen, Troddeln und bunten Decken verzichtet, was bedeutete, dass er in eines der weniger ansehnlichen Stadtteile aufbrach.

Seine vier Reiter saßen bereits auf ihren Tieren, alle mit polierten Harnischen und aufgerichteten Lanzen. Sie gaben sich Mühe, nicht in meine Richtung zu sehen, die Blicke respektvoll ins Leere gerichtet, als ich über den sandigen Innenhof auf ihren Anführer zueilte.

Henric, kaum da er mich erkannt hatte, übergab seinen Zügel zurück an einen bereitstehenden Stallburschen und kam mir entgegen, um sich vor mir zu verneigen. Auch heute trug er diesen Ausdruck zur Schau, eine Mischung aus Mitleid und Spannung, als wolle er mich gleichzeitig loswerden und in den Arm nehmen. Doch er tat nie auch nur eines von beidem. So viel Glück hatte ich nicht.
„Was kann ich für Euch tun, Eure Hoheit?" Er sah nicht fort, wie die anderen Männer. Doch es wäre zu viel gesagt, dass er über den Zustand glücklich wirkte, in dem ich mich hielt. 

Heute konnte ich ihm da leider nicht helfen. Er wäre nicht weniger misstrauisch gewesen, wenn ich einen Schleier getragen hätte. 
„König Dieuchosit schickt dich aus, um jemanden festzunehmen?", übersprang ich alle Höflichkeitsformen, Henrics Zusammenzucken ignorierend. Das Gefühl von Schuld ließ mich forscher werden, als ich es beabsichtigte. Es füllte meine Gedanken wie eine Sanduhr.
Bestimmt hatte Isabellas Vater ihn bereits vor mir gewarnt.

„Ich soll Informationen einziehen", korrigierte Henric mich, die Brauen fest zusammengedrückt. Das war eindeutig kein Wissen, das er mit mir teilen sollte. König Dieuchosit war diesbezüglich auch bei meinen letzten drei Bitten sehr direkt gewesen. Ich war eine Frau und hatte damit nichts in den Untersuchungen verloren. Aber anscheinend hatte der König bisher selten mit nichtadeligen Frauen zu tun gehabt. Was er Regeln nannte, bezeichnete ich als Vorschläge.

Das Licht der Frühlingssonne fiel auf Henrics Haare und hob die unterschiedlichen Goldtöne darin hervor, doch sie konnte nicht die Schatten im Gesicht erhellen. Seine ganze Erscheinung schrie förmlich Edelmann, selbst wenn er nur ein aufgestiegener Soldat ohne eigenen Grundbesitz war. Ich hatte diesen Gegensatz immer besonders faszinierend gefunden.

Und an einem anderen Tag hätte mich der Anblick sämtliche zusammenhängenden Gedanken gekostet, doch das Nagen in meinem Körper drängte sich immerzu in den Vordergrund.
„Dann wollt ihr zu Neya reiten, um etwas über das Gift zu erfahren?"
Es machte durchaus Sinn. Moira hatte mich mit allen Giften betraut, die wir in unserem Land herstellten. Wenn ich es nicht kannte und auch in keinem von Moiras Büchern fand, kannte es vielleicht die Kräuterfrau vor den Stadtmauern, die Lieferungen aus den acht Königreichen und Föderationen in ihrem Laden sammelte.
Instinktiv fanden meine Finger Jacs Ring in meiner Rocktasche.

Die letzte NevanamWhere stories live. Discover now