Zum tänzelnden Einhorn (1)

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Ein bisschen wundere ich mich über mich selbst, als ich wenige Minuten später hinter der Frau durch die dunklen Straßen Edinburghs eile.
Normalen Leuten rät ihr gesunder Menschenverstand,  nicht mitten in der Nacht in einer fremden Stadt zwielichtigen Personen nachzulaufen, die aussehen, als kämen sie aus einer dämonenbeschwörenden Sekte. Aber wenn man erst kurz zuvor selbst von einem Dämonenvieh angegriffen wurde...Wer weiß? Vielleicht macht der Verstand dann ja Pause.

Meiner tut es jedenfalls.

Die Frau bringt mich zurück in die Altstadt, zwischen grau gemauerte Häuserzeilen, die so hoch sind, dass sie den Vollmond verdunkeln. Skyscraper des Mittelalters hat unser Guide sie heute Mittag genannt, weil sie für ihre Zeit ungewöhnlich viele Stockwerke haben und fast auf moderne Art und Weise aneinanderkleben. Dutzende Tore zu versteckten Passagen durchbrechen das Mauerwerk. Sie führen in ein riesiges, teils unterirdisches Netz aus Gassen, die Closes genannt werden und sich durch die ganze Altstadt ziehen. Durch so einen Close, dunkel, ohne Laternen und fast so eng, dass wir seitwärts laufen müssen, führt mich die Frau auf die Royal Mile.

Aus einem Pub in der Ferne höre ich gedämpftes Klatschen und Tanzmusik. Offenbar ist die Frau aber nicht in Feierstimmung. Nach ein paar Metern biegt sie in eine Seitenstraße ein und stoppt vor der Schwelle eines  grauen Steinhauses mit viktorianischen Fenstern und grüner Tür. Eine Mischung aus kleinen weißen Flechten und den Hinterlassenschaften von Möwen sprenkelt die Fassade wie Altersflecken. Auf dem Messingschild über uns, das der Herbstwind hin und her pendeln lässt, ist ein Einhorn abgebildet. Darunter steht in goldenen Buchstaben The prancing Unicorn.

„Soll das eine Anspielung auf The prancing pony  aus dem Herrn der Ringe sein?", frage ich.

Wieder könnte ich schwören, dass die Frau lächelt.

Ich habe sie keinen Schlüssel benutzen sehen, aber mit einem Mal schwingt die grüne Tür auf und sie winkt mich ins Innere.

Das Prancing Unicorn ist kein Pub, wie ich zunächst vermutet habe, sondern ein Café. Bevor ich einen genaueren Blick in den Gastraum werfen kann, schließt die Frau die Tür hinter uns und scheucht mich eine schmale Treppe zum ersten Stock hinauf.

„Warte hier", sagt sie, oben angekommen. Sie entzündet eine Kerze auf dem runden Tisch vor dem Kamin, bevor sie sich in einen Nebenraum zurückzieht. Kurz darauf höre ich das Brummen einer Kaffeemaschine.

Die hat vielleicht Nerven, denke ich und schaue mich um. Auch der erste Stock ist ein Gastraum. Die Einrichtung lässt darauf schließen, dass es sich beim Prancing Unicorn um ein richtiges Hipster-Café handelt. Antike Tische stehen wild durcheinander, über jedem hängt eine übergroße nackte Glühbirne. Die Wände sind zur Hälfte holzvertäfelt und von einer Fototapete im Stil mittelalterlicher Wandteppiche bedeckt. Mythische Bäume, Frauen in altertümlichen Kleidern, Einhörner und Drachen verschlingen sich über die Länge des Raums zu einer Szene, die aus der Arthus-Sage stammen könnte. Mit Sicherheit ist das Prancing Unicorn ein beliebter Treffpunkt der Studenten Edinburghs. Zumindest der Studenten, die ihr Akademiker-Dasein gerne in Form eines Schreib-oder Lernclubs zelebrieren. Ich kann sie schon vor dem Kamin sitzen sehen, die abgewetzten Ledertaschen unter die Stühle geschoben und die Füller hinter den Ohren über ihren Texten brütend, während ihnen Einhörner und Elfen über die Schultern schauen. 

Am besten gefällt mir der dunkelgrüne Ohrensessel mit Samtbezug vor dem offenen Kamin. Als ich mich vorsichtig auf die Kante setze, merke ich wieder wie sehr meine Beine zittern. Die Begegnung mit der Katze steckt mir noch in den Knochen. Und mir ist kalt. Der Kamin scheint nur zur Deko da zu sein, also reibe ich meine Hände aneinander, während ich warte. Feine rote Krümel rieseln auf die dunklen Holzdielen. Das Wachs des Grablichtes hängt noch immer an meinen Fingern. Vorsichtig zupfe ich mir die Fetzen von der Haut und meine nervösen Nerven sind dankbar für die Beschäftigung.

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