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Ihr Entschluss stand. Sie hatte längst damit abgeschlossen.

Sie wollte sterben. Mit Tränen in den Augen nahm sie fest entschlossen ein Blatt Papier und einen Stift zur Hand.
Sie fing an zu schreiben.

"Liebe Mum, lieber Dad,
Es tut mir leid."

Sie starrte auf die Worte die nun in schwarzer Tinte vor ihr standen. Sie hatte eigentlich noch mehr schreiben wollen, doch sie wusste nicht wo sie hätte anfangen sollen. Sie hielt das Blatt in ihrer Hand. Immer wieder las sie die Worte durch.

Ihre letzten Worte.

Wieder und wieder liefen ihr die Tränen über das Gesicht. Eine davon fiel auf ihre Abschiedsworte. Die Träne landete genau auf dem Punkt und ließ ihn verlaufen. Unter ihm bildete sich nun ein langer Strich, der an ein Komma erinnerte. Sie blinzelte. Da wo sie gerade noch einen Punkt gesetzt hatte, war nun ein anderes Schriftzeichen zu erkennen. Er sah jetzt aus wie ein Strichpunkt.

Ein Semikolon, kam es ihr in den Sinn. Was hatte ihr Deutschlehrer nochmal über dieses Zeichen gesagt? "Das Semikolon ist ein Zeichen dafür, das ein Satz noch nicht zu Ende ist. Er zeigt das eine Geschichte weiter geht und steht für das kurze Verweilen an einer Stelle. Leider nutzt kaum einer heute noch dieses außergewöhnliche Zeichen. Viel zu oft setzen die Menschen stattdessen einen Punkt, ohne lange darüber nachzudenken, obwohl manchmal ein Semikolon tatsächlich die bessere Wahl gewesen wäre."

Wieso dachte sie jetzt wieder daran? Sie starrte das Tränen-Semikolon an. Inzwischen hatten die Tränen aufgehört zu fließen und sie sah wieder etwas klarer. Hatte ihr Lehrer seine Worte damals wirklich nur auf geschriebene Sätze bezogen? Irgendwie klang die Bedeutung des Zeichens so...so lebendig. Als würde das Zeichen selbst mehr sein, als nur ein kleiner Punkt mit einem Strich darunter.

Noch immer saß sie da und hatte das Blatt in der Hand. Die Gedanken an die Worte ihres Lehrers hatten etwas in ihr ausgelöst.
Gerade eben hatte sie noch einen Punkt unter ihr Leben setzen wollen. Die letzten Monate waren zu viel für sie gewesen. Voller Schmerz, Leid und Unglück.
Und keiner hatte ihr Helfen können.
Doch nun fragte sie sich, ob es sich bei diesen Monaten nur um Abschnitte, um kleine Satzabschnitte ihres Lebens handelte.
War es wirklich richtig den Punkt zu setzen?

Das Semikolon vor ihr brachte ihre ganzen Ansichten ins Wanken. Es brachte sie ins Wanken. Dieses Zeichen hatte wirklich etwas geheimnisvolles und sie musste immer und immer wieder an die Worte ihres Lehrer denken. Sie konnte nachvollziehen was er meinte.
Es war besonders. Und es war auf ihren Abschiedsworten gelandet.
War das vielleicht ein Zeichen?
Hatte sie den Punkt zu früh setzen wollen?

Vielleicht war ihr Leben doch nicht vorbei, vielleicht hatte sie tatsächlich zu früh ans Aufgeben gedacht.
Sie nahm den Stift nochmal zur Hand und schrieb nun hinter die Worte "Es tut mir leid" und das ;

"dass es solange gedauert hat, aber nun habe ich begriffen, dass ihr Recht hattet. Alles kann besser werden. Ich hoffe es. Ich hoffe das dieses Zeichen nicht zu viel versprochen hat und es die richtige Entscheidung war aus dem Punkt einen Strichpunkt zu machen und somit den Satz nicht vorzeitig zu beenden."

Dann fuhr sie mit ihrem Stift die Linie unter dem Punkt nach, um ihn besser kenntlich zu machen, da er ja nur aus verlaufener Tinte und ihrer Tränenflüssigkeit bestand.

Dabei lächelte sie. Sie lächelte wirklich. Sie hatte schon seit Monaten nicht mehr so gelächelt.
Ihr Lächeln war echt.

'Was so ein Satzzeichen eigentlich ausmachen konnte.
Gerade wollte ein junges Mädchen noch ihr Leben beenden. Sie war dabei ihre Abschiedsworte zu verfassen, als ein kleines Zeichen sie innehalten ließ und ihre Abschiedsworte schließlich in Worte der Hoffnung verwandelten.
Das Zeichen das ihr Leben veränderte, war das Semikolon.
Es hatte es zum Zeichen der Hoffnung für eine jungen Frau geschafft.
Vielleicht solltest auch DU das nächste mal darüber nachdenken, bevor du den Punkt setzt. 

Vielleicht wäre stattdessen ein Semikolon die richtige Wahl.'

SemikolonWhere stories live. Discover now