Kapitel 1 - Auf den Straßen von Avize

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Es wäre eigentlich ganz einfach gewesen

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Es wäre eigentlich ganz einfach gewesen. Ich hätte mich nur unter das Volk von Avize mischen, mit der aufgeregten Menge verbinden und die Straße entlangtreiben müssen. Und wenn niemand darauf geachtet hätte – mir ein paar funkelnde Taler aus den goldbestickten Geldbeuteln des gutbetuchten Bürgertums nehmen sollen.

Die Menschen waren gehüllt in glänzende Tücher und aufwendig bestickte Kleider, trugen Masken, die wie Diamanten in der Nacht leuchteten, angestrahlt von den zwei Monden und den Lichtern der Stadt. Sie waren überall. Auf den Straßen. Auf den Dächern der Häuser, die auf Pfählen errichtet worden waren. Auf den Brücken über den Flüssen und Kanälen, die Avize in tausend kleine Inseln teilten. Die Luft war durchtränkt mit Ausgelassenheit und sie versuchte auch mich betrunken zu machen, bis ich mich ebenfalls den Feierlichkeiten hingeben würde.

Gerade als ich meine Hand ausstrecken wollte, um sie unbemerkt in eine der prall gefüllten Taschen zu versenken, schob sich ein Mann mit einem tropfenförmigen Saiteninstrument durch die Menge und warf mir ein zahnloses Lächeln zu. Er war unverkleidet, ein armer Schlucker, von dem ich nichts holen konnte.

»Es lebe Avize!«, rief er mir zu und mit seiner freien Hand machte er Anstalten, nach meiner zu greifen. Das war nicht gut, nein. Obwohl ich weiße Handschuhe trug, wusste ich, was er unter dem weichen Stoff spüren würde: die harten Kiele der Federn, die durch meine Haut stachen. Er würde mich ansehen, als wäre ich von den Toten auferstanden, und dann – dann würde er schreien.

»Es lebe Avize«, beeilte ich mich zu sagen. Meine Hände hinter dem Rücken versteckend, lächelte ich unter meiner Maske. Er würde es nicht sehen, doch er könnte es in meiner Stimme hören. »Der König Elyes soll Euch gnädig sein.«

Der Mann strahlte. »Euch auch, Mylady. Es lebe Avize!«, wiederholte er euphorisch und um uns herum echoten die Worte über den Platz, immer und immer wieder. Es lebe Avize.

Jemand rempelte mich an und ich nutzte die Gelegenheit, um mich von der Menschenmasse verschlucken zu lassen. Es war wichtig, dass sich niemand an mich erinnerte, nur so konnte ich mich unerkannt zwischen all den Menschen bewegen. Das Pflaster unter meinen Füßen war vom abendlichen Regen und den Überresten der verschiedenen Getränke, mit denen sich das Volk von Avize zuprostete, nass.

Federn flogen durch die Luft, begleitet von Glitzerstaub, Musik und Stimmengewirr. In einer Lücke blitzte der prächtige Anzug von Alarig auf und mit ihm das Funkeln von Gold. Es war so kurz, dass es auch eine optische Täuschung hätte sein können. Ein Funkelteilchen, das sich auf seinem Flug durch die Luft im Schein einer Laterne gedreht und gespiegelt hätte. Aber ich wusste es besser, denn ich hatte es schon oft gesehen. So oft und trotzdem wohnte dem Moment noch immer ein Zauber inne.

Als hätte Alarig meinen Blick bemerkt, drehte er sich in meine Richtung und erstarrte für einen Moment. Wie er zwischen den Feiernden stand, wirkte er wie gemalt. Ein Bild für die Unendlichkeit.

Dann neigte er den Kopf und tippte sich an die Hutkrempe. Innerhalb eines Wimpernschlages war er fort und ein anderer Mann stand an seiner Stelle, begleitet von einer Frau in einem Kleid, von dem ich nur träumen konnte. Wellen aus blutrotem Stoff, mit prunkvollen Verzierungen und – oh, eine Handtasche, die wahrscheinlich nur so klimperte. Auf dem Kopf der Frau thronte ein schwarzer Hut mit breiter Krempe, der in einem Rosenbouquet aus Silber und Gold explodierte. Als sie sich drehte, sah ich, dass ihre weiße Maske ebenfalls mit goldener Spitze bestückt war.

Ein Himmel aus Lavendel [Leseprobe]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt