PROLOG

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Für alle Träumer,

Märchenerzähler,

Geschichtensammler

und Fantasiearchitekten.

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»Der Wolf dachte für sich,

das kleine Ding da werde bestimmt ein

wohlschmeckender Bissen sein.

Er müsse es nur geschickt anfangen,

dann könne er sie in seinen Schlund führen.

Mit Haut und Haar.«


Morgan rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her, während ihre Mutter den Korb packte, den sie Großmama bringen sollte. Sie wirkte schwach auf den Beinen, hustete gelegentlich und presste sich immer wieder ihren Handrücken gegen die Stirn. Vor ein paar Tagen war es ihr noch gut gegangen, dann hatte sich aus einem Schnupfen eine dicke Erkältung und aus einer Erkältung schließlich eine Grippe entwickelt. Allmählich fühlte sie sich besser, doch für den Weg bis zu ihrer eigenen Mutter brachte sie noch immer nicht die nötige Kraft auf, weshalb sie ihre älteste Tochter schickte.

»Ich vertraue dir, Morgan.« Sie schniefte und reichte ihr den geflochtenen Korb, der mit weichem Brot, dem auf dem gesamten Kontinent geschätzten Vinuthwein und tiefroten Äpfeln gefüllt war. »Verlasse nicht den Pfad und laufe zügig.«

»Ja, Mutter«, versprach Morgan, die als Älteste von drei Kindern nicht gerne bevormundet wurde. Tagtäglich verrichtete sie Arbeiten der Erwachsenen, achtete auf ihre kleinen Geschwister und trug große Verantwortung. Sie kümmerte sich stets um deren Wohlergehen und eiferte ihrer Mutter in allem nach. Aber in Momenten wie diesem fühlte sie sich unzureichend. Wieso sah niemand, wie verantwortungsbewusst sie sein konnte, ohne dass man ihr die Regeln jeden Tag vortragen musste?

Sie nahm den Korb an, während ihre Mutter den neuen beerenroten Umhang zurechtzupfte, den Großmama ihr zum Namenstag genäht hatte.

Eilig entzog sie sich ihren fürsorglichen Händen und trat nach draußen in die warme Sonne der blühenden Jahreszeit. Im Türrahmen stehend winkte Mutter ihr zu, bis sich Morgan abwandte. Vom Waldrand rannten ihr schnatternd und mit gespreizten Flügeln drei fette Gänse entgegen, die ihr Vater am vorherigen Tag günstig erstanden hatte. Noch ließen sie sich mit einem lauten Geräusch verscheuchen, aber Morgan wusste, dass die Tiere mit der Zeit mutiger und lästiger werden würden. Hoffentlich schlachtete ihr Vater sie vorher, damit sie sich nicht erneut mit Blessuren herumschlagen musste. Erst letztes Jahr hatte ihr eine andere Gans fast den Daumen abgebissen.

Schließlich öffnete sie die einfache Gartentür, die aus dem ersten Versuch ihres Bruders, Artem, etwas zu zimmern, entstanden war. Ihr Vater war vor Stolz ganz rot angelaufen und hatte ihnen zur Feier des Tages erlaubt, Zucker für einen Brombeerkuchen zu benutzen.

Als Morgan ein paar Wochen später einen Kranz aus bunten Blumen geflochten hatte, hatte er sie mit einem milden Lächeln angesehen und ihre Wange getätschelt. Manchmal hasste sie es, ein Mädchen zu sein.

Entschlossen, ihre Aufgabe zu erfüllen, ließ sie die Tür ins Schloss fallen. Sie ging schwungvoll an den schlanken Birken vorbei und betrat schließlich den riesigen Nadelwald, der sie von der kleinen Holzhütte ihrer Großmama trennte.

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⏰ Last updated: Nov 02, 2017 ⏰

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Der Verwunschene Gott (Von Göttern und Hexen) [Leseprobe]Where stories live. Discover now