Rote Jägerin

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Es war einmal ein kleines süßes Mädchen, das wohnte in einem Haus im Wald, bis es auszog, um zu jagen.

Ich schlang den dunkelroten Samtumhang enger um mich und stapfte durch den eisigen Schnee.
Er war auffällig, keine Frage. Und doch war es genau das, was sowohl mein Meister als auch ich so schätzten.
Der Umhang war mein Markenzeichen. Ich war bekannt als die rote Jägerin.
Zahlreiche Legenden ragten sich um mich und die Gilde, der ich angehörte.
Man nannte uns brutal. Grausam.
Genau das war es, was sie an uns Wolfsjägern schätzten.
Die Präzision, mit der wir die gefürchteten Halbwesen töteten, die in Gestalt von jungen Männern die Frauen verführten, war berüchtigt.
Ich war das einzige weibliche Wesen der Jägergilde.
Nicht nur deswegen hatte ich diesen Ruf. Ich hatte mehr Bestien getötet, als jeder Andere in meinem Alter. Ich war der perfekte Köder und stellte daher die besten Fallen.
Man könnte mich auf den ersten Blick für ein unschuldiges Mädchen halten.
Das war ich schon lange nicht mehr.
Als meine Großmutter von diesen Kreaturen getötet wurde, während sie versuchte meine Schwester zu schützen, hatte ich Rache geschworen.

Die dunkle Gasse wurde nur von einer einzigen Laterne erhellt, die im Wind leicht flackerte.
Es war zunehmender Mond. Schon beinah taghell. Nicht mehr lange bis die weiße Scheibe wieder unverdeckt sein würde.
Wolfszeit.
Der Grund, weshalb Nair al Saif mich herbestellt hatte.

Bedrohlich baute sich das imposante Gebäude vor mir auf.
Ohne zu zögern, griff ich nach dem Klopfer und schlug ihn dreimal gegen das Ebenholz.
Nur wenige Augenblicke später öffnete einer der Bediensteten die Tür und ließ mich eintreten.
Ich machte mir gar nicht die Mühe meine braunen, geschmeidigen Lederstiefel, die mir beinah bis zu den Knien reichten, auszuziehen.
Stattdessen lief ich geradewegs durch den Korridor auf den Raum zu, in dem sich das Ratszimmer verbarg, wo die oberen Jäger zusammenfanden.
Stimmen schlugen mir entgegen, als ich die Klinge herunterdrückte und sie Tür aufzog.
Sofort lagen alle Blicke auf mir.
„Heka, gut, dass du da bist", begrüßte mich der dunkelhäutige Mann am Kopfende der runden Tafel, den ich sofort als den Anführer der Gilde erkannte.
Nair al Saifs Erscheinung wirkte im Schein der Kerzen noch gruseliger als am Tag. Die schwülstigen Narben, die seine gesamte rechte Gesichtshälfte entstellten, wurde noch mehr hervorgehoben und seine Augenklappe erschien dunkler als sowieso schon.
Die neuen Lehrlinge munkelten immer, wie entstellt das Auge dahinter wohl sein mochte.
Es gab kein Auge dahinter. Der Wolf, der ihm auch die Narben zugefügt hatte, hatte es herausgerissen.
Und dann hatte Nair ihn getötet. Langsam und qualvoll.

„Der Vollmond naht. Was haben deine Männer über den Aufenthaltsort der Gestaltwandler in Erfahrung gebracht?", wollte ich wissen und ließ mich auf den Platz zu seiner Rechten fallen. Beiläufig schlug ich die Kapuze nach hinten und legte so meine zu zwei Zöpfen geflochtenen braunen Haare frei. Die Kette um meinen Hals, an der von jeder Bestie, die ich getötet hatte, ein Zahn hing, klapperte leicht.
Auch ich besaß Narben. Nicht nur im Gesicht. Überall auf meinem Körper.
Verletzungen durch Werwölfe verheilten nie vollständig. Man war für immer gezeichnet.
„Das Rudel der Canis hält sich im Wald von Vora auf", erklärte ein Mann vom anderen Ende des Tisches.
Ich überlegte. Dieser Wald lag drei Tagesreisen von hier entfernt. Nah genug, um es bis zum Vollmond zu erreichen.
„Wisst ihr genaueres über das Ziel ihres Angriffes? Steht es schon fest?", verlangte Nair zu erfahren und nahm beiläufig einen Schluck seines Rotweines.
„Nein. Allerdings gibt es nur drei Siedlungen in der Nähe, die infrage kommen." Der rothaarige Mann, der anscheinend die meisten Informationen hatte, kratze sich an seinem Bart und trank ebenfalls etwas.
„Das Rudel ist groß", gab ich zu bedenken. „Wir können es uns nicht erlauben uns aufzuteilen."
„Wir können es uns auch nicht erlauben falsch zu liegen", entgegnete er und bedachte mich mit einem unzufriedenen Blick.
Ich wusste, woher dieser rührte. Es lag daran, dass ich in den Augen der Meisten mit meinem siebzehn Jahren noch ein Kind war. Dieser Illusion gab ich mich schon seit Jahren nicht mehr hin. Meine Kindheit hatte mit dem Tod meiner Familie geendet.

Die rote Jägerin - KurzgeschichteWhere stories live. Discover now