Day 1.2

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Langsam rutschte ich zum Rand meines Boxspringbettes und stand daraus auf. Baloo hob seinen Kopf. Seine eisblauen Augen blickten mich neugierig an. Obwohl er genau wusste, was mein Aufstehen bedeutete, dauerte es, bis er elegant aus dem Bett sprang und zur Wohnungstür tapste. Nachdem ich mir meine Klamotten angezogen hatte, die ich den vorherigen Abend achtlos neben das Bett geschmissen hatte, leinte ich ihn an. „Bis später."

„Bis später, Cole." Ezra trat in den Türrahmen zum Wohnzimmer und schaute uns nach, wie wir die Wohnung verließen.

Ich ging mit Baloo den Fußweg entlang, der aus dem Dorf hinaus führte. Knappe hundert Meter danach trat ich auf das weitläufige Feld. Wie immer war dort nichts los. Keine Menschenseele war dort zu sehen. Nicht einmal eine Katze, Kaninchen oder ein Eichhörnchen. Es schien beinahe, als hätten die Tiere auch eine Ausgangssperre.

Ehrlich gesagt war ich ziemlich fertig, auch wenn ich vor Ezra versuchte stark zu sein.

Es war zu viel. Plötzlich tauchte ich bei Ezra auf. Ausgerechnet bei meinem Ex und demjenigen, der mich so, wie niemand anders verstand. Dabei wusste ich nicht mal warum. Es musste irgendwas Dramatisches gewesen sein. Etwas, was meine alten Muster wieder hervorgerufen hatte: Dinge die mir schaden konnten, wurden in den hinteren Teil meines Gehirns zu verbannt und dort verschlossen. Ich verdrängte die Geschehnisse und konnte mich bewusst nicht daran erinnern. Es war etwas, was ich mir vor Jahren angewöhnt hatte und seitdem nicht mehr wusste, wie ich es vermeiden konnte.

Ein Bellen riss mich aus meinen Gedanken und ehe ich mich versah, wurde ich direkt von Baloo angesprungen. Seine Vorderpfoten berührten meinen Bauch.

„Is ja gut, ich komme."

Kurz ließ ich meine Hand durch sein weiches Fell gleiten, dann schob ich ihn von mir und löste ihn von der Leine. Das Feld war riesig und weit und breit war hier kein Verkehr, nicht einmal eine Straße. Selbst Trecker fuhren hier sehr selten. Baloo liebte es frei zu laufen, obwohl wenn er immer bei mir bleib. Diesmal blieb er so nah bei mir, dass er beinahe auf meine Schuhe trat. „Geh schon", murmelte ich. Trotz meiner Versuche wich er mir nicht von der Seite. Ich stapfte über das Feld, während er nebenher schlich.

Gefühlt ging die Zeit gar nicht rum und ich kam mir vor, als seien wir gerade rausgegangen. Um Ezra so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen, musste ich mir hier eine Beschäftigung suchen.

Ich wollte ihm wirklich aus dem Weg gehen. Zwischen uns hatte sich vieles verändert und irgendwie ist er mir momentan mehr fremd als vertraut. Und dann war da noch die Tatsache, dass Jack nicht da war.

Ein Vibrieren riss mich aus meinen Gedanken. Ich blieb stehen und zog mein Handy aus der hinteren Hosentasche.

Ezras Name leuchtete auf meinem Display auf.

>>Wann bist du wieder da?<<

>>Keine Ahnung<<, tippte ich schnell zurück. >>Baloo weicht mir nicht von der Seite.<<

Ich schaute zu ihm hinunter, welcher gleichzeitig zu mir rauf blickte. „Jetzt geh schon pinkeln", brummte ich. Ich war genervt davon, dass er nichts tat, was ein Hund normalerweise tat, wenn er Gassi geht.

>>komm zurück. Zur Not gehen wir, du oder ich später nochmal mit ihm.<<

>>Nein, er muss eigentlich immer.<<

>>Cole, komm schon! Ich hab Frühstück gemacht... das ist schon fast kalt.<<

Innerlich fluchte ich. Ich hasste es, dass er genau wusste, was er sagen musste, damit ich komme. „Komm, wir gehen nach Hause. Du machst eh nichts sinnvolles..."

Es falsch war den Hund dafür zu verurteilen, dass ich schlechte Laune hatte. Jack hatte mir immer gesagt, dass Hunde aus einem wichtigen Grund streiken würden. Aber ich war so genervt, dass ich nicht anders konnte.

Er blinzelte zu mir herauf. Dann, als ich mich umdrehte und den Rückweg antrat, lief er freudig voraus. Es wirkte, als hätte er die ganze Zeit nichts anderes gewollt. Ich stapfte mit ihm über das Feld, zwischen den Häusern entlang und leinte ihn am Fußweg wieder an. Noch immer war die Straße wie leer gefegt. Der Rückweg verging wesentlich schneller. Ich hatte gerade erst das Feld verlassen und stand bereits vor meiner Wohnungstür. Dabei war meine Wohnung vierhundert Meter vom Feld entfernt.

Ich kramte meinen Wohnungsschlüssel aus der Hosentasche, als die Haustür aufgerissen wurde. „Na endlich. Man du warst zwei Stunden weg!"

„Sorry... hab die Zeit vergessen..."

„Das war kein Vorwurf Cole. Ich hab mir nur Sorgen gemacht."

Ich nickte und trat wortlos an ihm vorbei. Meine Schuhe stellte ich in das Schuhregal gegenüber der Haustür und ging anschließend in die Küche rechts daneben. Sie war klein und mit anthrazit farbenen Schänken ausgestattet. Zusätzlich hatte ich mir eine L-förmige Barecke dort hingebaut. Mit einem Kaffeevollautomaten. Der schmale Tisch war tatsächlich reichlich gedeckt. Mit vielen Kleinigkeiten. Aber eine Kleinigkeit stimmte mich traurig. Es standen keine Himbeeren auf dem Tisch. Dabei war es das, was uns immer ausgemacht hatte. Wir hatten uns ständig damit aufgezogen.

„Cole? Jetzt setz dich endlich hin." Bestimmend legte er seine Hände auf meine Schultern und dirigierte mich zu dem Barhocker. Erst als ich saß, ging er herum und setzte sich mir gegenüber.

„Danke für das Frühstück."

„Selbstverständlich. Cole, ich weiß, dass du nicht ohne Grund bei mir warst und du weißt, dass du immer mit mir reden kannst. Egal, was gerade mit uns los ist. Es ist unser zweiter Lockdown. Du kennst mich besser, als ich mich selbst kenne und andersrum wahrscheinlich ebenso."

„Weiß ich Ezra."

Er musterte mich, ehe er wieder zum Sprechen ansetzte.

„Also ich bin dafür, dass wir uns eine Lockdownserie aussuchen. Stranger Things?"

„Muss das sein?"

„Muss. Nach Stranger Things könnten wir Supernatural schauen."

Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Dieser kurze Moment war fast wie früher. Ezra gab nie schnell auf. Er hörte erst auf, wenn ich nachgab. „Meinetwegen. Aber ich darf mir auch etwas aussuchen."

„Deal. Aber vorher zeigst du mir deine Wohnung mit all deinen geheimen Plätzen."

Everything hopeless [Everything 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt