"Also Ale pass auf. Es gibt hier eine Rangordnung okay? Niemand spricht mit den Sportlern. Sie sind ganz oben. Du kannst nur mit ihnen sprechen, wenn sie dich ansprechen.", plapperte Leroy, während wir duch die Gänge liefen. Er hatte ein ausgewaschenes, graues Shirt der Yankees an und eine Jeans, die nicht so tief saß wie bei den meisten anderen Menschen. Dennoch schienen seine Gliedmaßen ausgesprochen lang zu sein. Er sah einfach nrur wie eine schlaksige Marionette aus. "Pass auf ich zeigs dir.", noch ehe ich ihn aufhalten konnte, schließlich hatte ich verstanden, was er meinte, war er schon zu einer Gruppe von Jungen mit breiten Schultern und Collegejacken gelaufen. Es waren fünf und irgendwie hatte ich das Gefühl, als wären die fünf Kopien einer Person. Sie sahen alle gleich aus und wären wohl nur durch ihre verschiedenen Gesichtsformen aufgefallen.
"Hey Cancer!", rief Leroy schon von weitem und einer aus der Collegejackenmasse wannte sich zu ihm um, "Guter Schlag gewesen." Leroy kniff ein auge zusammen, streckte den Daumen in die Höhe und den Zeigefinger in die Richtung dieses Cancer, sodass seine Finger die Form einer Pistole annahmen. Dazu machte er noch ein klackendes Geräusch mit der Zunge. Cancer schien das weniger witzig zu finden. Er runzelte die Stirn und sah Leroy verständnislos an. "Was?", fragte er gedehnt, als hätte er einmal zu tief ins Glas geschaut, "Redest du mit mir?" Leroy wank nur ab und verschwand wieder zu mir. Ich musste kichern, als er so grinsend auf mich zu kam:"Siehst du, Ale. Das meinte ich. Wir sind für die nur Luft." Er schlenderte weiter und ich folgte ihm.
"Neben den angehimmelten Sportlern gibt es hier noch die unnahbaren Schauspieler", damit deutete er auf eine kleine Gruppe von Jugendlichen, die sich vor dem Abstellraum versammelt hatten, "Die nerdigen Wissenschaftler", diesmal nahm er zur Aufzählung seine langen dünnen Finger, "Die Parademusikanten, die Jazzband Mitglieder, die Rockband Mitglieder, die Leseratten, die Mathematiker, die Musicalstars, die Dichter und Denker, die Songwriter, die Kiffer, die Skater und nicht zu vergessen uns." Bei deinem letzten Wort hatte er sich umgedreht und wedelte mit der Hand zwischen sich und mir hin und her. "Wir sind die, die nirgends reinpassen. Darum nennen sie uns Loser. aber das sind wir ganz und garnicht.", er grinste wieder, drehte sich einmal auf den Hacken im Kreis. Erstaunt schaute ich seine Füße an, die in recht rutschigen Sneakers steckten. Diesen Tanzschritt kannte ich. Nein nicht ich, die alte Ale. Die alte Ale kannte diesen Tanzschritt, hatte ihn schon mehrere Male ausgeführt. Ich schluckte. Ich durfte nicht tanzen. Ben hatte es verboten. Mein Lebenslauf verbot es. Die neue Ale tanzte nicht. Aber eine Leidenschaft lässt sich nicht so einfach einsperren. Erinnerungen werden nicht einfach aus dem Kopf eines Menschen radiert, nru weil er in ein neues, fremdes Leben schlüpfen muss.
Noch einmal schluckte ich. Es waren nur zwei Herzschläge vergangen. Leroy grinste mich wieder an. "Gibt es hier auch Tanzgruppen?", fragte ich leise und musste dabei Lächeln. Ich durfte vielleicht nicht mitmachen, aber ich durfte danach fragen. Leroy schaute mich überrascht an. Er ließ die Hände sinken und schüttelte dann den Kopf:"Nein. Nicht das ich wüsste. Tanzt du?" Ich überlegte kurz, zuckte dann die Schultern:"Nur so auf Parties." Er nickte und zog mich dann weiter. "Das erste Klingeln ist das Warnklingeln. Danach haben wir noch 5 Minuten Zeit, uns in unseren Klassenraum zu begeben.", plapperte Leroy weiter und da klingelte es auch schon. "So hier sind die Chemie- und Biologieräume. Das da", er deutete auf eine offene Türe, "Ist unser Chemiekurs. Willkommen bei den Schachtellosen." "Schachtellosen?", fragte ich verwirrt nach, während ich Leroy zu einem Labortisch folgte, "So nenne ich uns. Wir passen nirgends richtig rein, also nennen sie uns Loser. Aber ich finde, wir sind einfach nur Schachtellos." Ich nickte. Das klang logisch und irgendwie netter als Loser.
Unschlüssig schaute ich auf den Labortisch. Ich brauchte einen Laborpartner. Aber wer wollte schon der Laborpartner der Neuen sein? Doch während ich schon langsam der Verzweiflung entgegen ging, schnappte Leroy mir die Bücher aus der Hand. "Laborpartner.", er hielt mir die Hand zum Einschlagen hin und legte die Bücher auf den Tisch. Ich grinste und schlug ein:"Laborpartner." Der Chemielehrer kam herein und ich brachte ihm brav meinen Zettel.
Wenn Ben hörte, wie schnell ich einen Freund gefunden hatte, wäre er sicher glücklich. Allerdings würde es ihn auch darin bestärken, dass ich ohne das Tanzen besser zurecht kam und so lange ich in der Loserkaste blieb, unauffälliger war. Ich seufzte in Gedanken. Vielleicht würde ich Ben so schnell nichts von Leroy sagen. Nicht, bevor ich mich richtig hier eingewöhnt und mir einige wenige Freiheiten erkämpft hatte.

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Was bedeutet schon ein Herz?
Mystery / ThrillerEin Dämon. Ein gefrorenes Herz. Ein falsches Leben. Alles verloren und doch nicht in Sicherheit ist Ale Loner, die in Stillwater ein neues Leben beginnen soll. Doch sie will auffallen, sie will das Monster finden, denn nur wenn sie sich rächen kann...