Er sah aus dem Fenster. Nichts. Nichts, außer einer weißen Masse, die wie ein Fluss zur Seite strömte. Der Wind peitschte draußen, die noch lockeren Schneehäufchen durch die Gegend. Heute war kein guter Tag für ihn. Die Lebensmittel waren ihm ausgegangen. Ebenso das Brennholz. Seit acht Stunden zitterte er bereits in einer Ecke, des kleinen Häuschens, in dem er sich befand. Er spürte seine Fingerspitzen nicht mehr. Das Haus war schon sehr alt, und er hatte keine Ahnung, wieso es errichtet worden war. Doch für kurze Zeit war er dankbar dafür. Doch nun bemerkte er, dass der Tod wohl nur ein Spiel mit ihm spielte. Es war Essen und Holz in der Hütte, doch mehr nicht. Kein Bett, keine Decken, kein Licht. Bis auf das vor acht Stunden schwach glimmende Kaminfeuer.
Ein Spiel dachte er. Nun erschien es ihm fast grausam, dass er das Essen gefunden hatte. Er wusste, dass er seinem Schicksal nicht entrinnen konnte. Und diese Notverpflegung hatte sein Leiden nur in die Länge gezogen. Seit einer Woche hockte er nun schon in diesem Verschlag, den man eigentlich kaum als Hütte bezeichnen konnte, fest. Die Dielen waren morsch und die Ziegelsteinmauern kalt und bröckelig.
Er hatte keine Wahl, irgendwie musste er weg. Es sei denn, er wolle sich kampflos geschlagen geben und in dieser Ecke erfrieren. Doch nein! So wollte er nicht sterben. Er erhob sich auf seine schlotternden Beine, die inzwischen dünn geworden waren. Einen Schritt nach dem anderen stapfte er zur Tür. Er berührte die Türklinke. Die rostigen Scharniere gaben nach und die Tür kippte vor ihm in den Schnee.
Er ging hinaus in die eisige Kälte. Sofort ergriff ihn eine erbarmungslose Hoffnungslosigkeit, die der Frost mit sich brachte. Seine Stelzen; auf denen er kaum noch stehen konnte, die früher mal seine Beine gewesen waren, hinterließen kaum Spuren im Schnee. Er umklammerte sich mit beiden Armen, doch er wusste nicht mal, ob die Händen am Ziel angekommen waren. Immer weiter ging er. Er machte sich nichts vor, er hatte kaum eine Chance.
Er kam zu einer Höhle aus Eis. Die Eiszapfen hingen von der Decke. Bei dem Durchzug, der wegen der viele Höhleneingänge herrschte, hatte er Angst, dass sie herunterfallen könnten. Schützend hielt er seine Arme über den Kopf. Er passte nicht auf und rutschte auf dem glatten Eis aus. Er erhob sich. Langsam. Sehr langsam. Er schaute an sich hinunter. Da war was. An seiner Hüfte. Er tastete die Stelle ab. Da war ein Loch. Er sah zum Boden. Ein Zapfen oder ein großer Splitter aus Eis, - er erkannte kaum etwas, aufgrund des Sturms - , doch an der Spitze da war etwas rotes. Er fühlte nichts. Kein Schmerz. Die Wunde blutete kaum.
Da das so war und er kaum Behinderungen durch die Wunde spürte, ging er weiter. Wie hypnotisiert stapfte er durch den Schnee. Inzwischen fühlte er seine Beine nicht mehr. Die dürren Stelzen, die ihn oben hielten. Er hatte das Gefühl, als sie könnten jeden Moment unter ihm zusammenbrechen. Der Sturm peitschte ihn regelrecht aus. Das war alles was er noch spürte.
Er war erschöpft, er konnte nicht mehr. Seine Beine knickten unter ihm ein und er lag im tiefen Schnee. Er kauerte sich zusammen und ließ es zu. Ließ den Tod sein Spiel beenden. Ließ sein Schicksal zu.
Er fühlte nichts mehr außer der Kälte. Die unumgängliche, unbarmherzige Kälte. Er hörte seinen Puls. Langsam. Immer langsamer.
Bis es vorbei war. All die Schmerzen und die Qualen, die er auf sich genommen hatte, nur um hier bedeckt von Schnee, mitten im Nirgendwo zu sterben.
Für einen kurzen Augenblick war er froh, dass es jetzt zu Ende war.
EmP
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Verfrostet
Short StoryDas ist eine Geschichte, die von einem grauenhaften Schicksal berichtet. Etwas für jeden, der zwischendurch etwas Elend zu schätzen weiß.