Kapitel 36

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„Was macht dich da so sicher, dass es die anderen sind?" Lukas Blick war starr auf Ellas Rücken geheftet. „Es erscheint mir logisch.", sagte er mit Grabesstimme. „Er liebte seine Roboter, weil sie so sind wie er. Als er bemerkt hat, dass er stirbt, wollte er sie nicht allein zurücklassen und sie stattdessen mit in den Tod nehmen." Die Grausamkeit seiner Schlussfolgerung erschreckte Ella zutiefst. Aber auch die Bestimmtheit, die Sicherheit, mit der Lukas diese Worte gesagt hatte, machte ihr etwas Angst. Sie schluckte schwer und schaffte es endlich, den Blick von Marks Leiche abzuwenden. „Können wir . . . weitergehen? Bitte.", fragte sie leise. Ihr Freund tat ihr den Gefallen. Nun war Franziska ihre einzige, noch lebende Gefahr. Ella hoffte, dass es Marko ebenfalls noch gut ging und sich ihre Wege noch einmal kreuzen würden. Die Gedanken an das Massaker in dem Raum versuchte sie, so gut es ihr möglich war, beiseite zu schieben. Das wurde einfacher, je weiter sie sich von der Tür, die das Schrecken verdeckt hatte, entfernten. Eine bedrückte Stimmung ließ sie und Lukas wieder schweigen und sie liefen beide tief in Gedanken versunken weiter den Gang entlang. Über das Gesehene wollten sie nicht sprechen und daran denken erst recht nicht. Aber beiden war klar, dass sie das Bild der Toten nie mehr vergessen würden. Ella war noch immer schlecht. Nur wusste sie nicht, ob das nun von dem Geschehen in dem Raum kam, oder von etwas anderem ausgelöst wurde. Sicher war eins, inzwischen war ihr Magen vollkommen leer. Das Wasser aus der Pfütze hatte zwar etwas Abhilfe geschaffen, aber trotzdem bei Weitem nicht ausgereicht. Sie war sich sicher, dass es Lukas ähnlich ging. Er sah fast genauso aus, wie sie sich fühlte – hundeelend. Die Ereignisse, die bereits hinter ihnen lagen, zerrten noch immer an ihren Nerven. Ella hoffte, dass das Ganze bald wirklich ein Ende finden würde. Konnten sie nicht noch ein letztes Mal Glück haben und etwas finden, was sie hier rausbringen würde? Das sie noch ein zweites Mal heil aus dem Wald rauskamen bezweifelte sie. Sicherlich war es purer Zufall gewesen, der sie zurück zu dem Gebäude geführt hatte. Oder eine glückliche Fügung. Wie auch immer man es betrachtete, ihr Weg hatte hier drinnen begonnen – vielleicht würde er auch hier enden. Ella wollte zwar unter keinen Umständen ihr Ende hier im Gebäude finden, aber wenn es so sein musste? Sie schüttelte den Kopf über ihre wirren Gedanken. Vielleicht verlor sie gerade auch einfach den Verstand. Der psychische Druck, die Unfähigkeit ihren Körper selbst bewegen zu können, all das drückte ziemlich auf ihr Gemüt. Und es war auch anstrengend, Lukas immer anzuschweigen. Ihr Freund tat zwar dasselbe, aber je länger die Stille zwischen ihnen anhielt, des do mieser fühlte sie sich. Ella hatte zwar nicht die geringste Ahnung, was man für ein Gesprächsthema wählen könnte, dass Ablenkung genug war, um für einen Moment alles um sie herum zu vergessen. Nur für ein paar Minuten, nur ein banales, langweiliges Thema, über das jeder locker und entspannt sprechen konnte und das die Situation weniger angespannt machen würde. Aber ihr Kopf war leer. Lukas trottete neben ihr, den Blick auf den Boden geheftet. Im Moment fiel ihm nicht einmal ein, sich vorsichtig oder leise zu bewegen, als würde Franziska gar nicht mehr als potenzielle Gefahr für sie existieren. Er war in Gedanken bei den anderen Robotern. Es war Markos Wunsch gewesen, dass er sie alle hier rausbrachte. Er hatte es ihm versprochen. Und er hatte versagt. Diese Erkenntnis war hart. Sein Ziel war es vor allem gewesen, sich und Ella hier rauszubringen. Und jetzt? Standen sie praktisch wieder am Anfang, wieder nur sie beide allein in dem Labyrinth aus gefliesten Gängen. Mit dem Unterschied, dass es jetzt weder einen Mark, der sie jagte, noch andere Roboter, die sie retten konnten, gab. Wieder irrten er und Ella völlig ohne einen Plan, welchen Weg sie einschlagen mussten, durch das Gebäude. Mit jeder Abzweigung, die sie einschlugen, wurde es schwieriger, den Weg, über den sie hergekommen waren, im Kopf zu behalten. Und wenn sie nicht bald etwas Essbares fanden, dann waren sie geliefert. Er war sich zwar relativ sicher, dass Franziska und Mark ihr eigenes Überleben, und das der anderen Roboter, irgendwie abgesichert hatten, aber vor ihnen lagen noch so viele unerforschte Gänge und verschlossene Türen, zu denen sie keinen Schlüssel besaßen. Die Chance, dass sie etwas fanden, was ihnen weiterhalf, war erschreckend klein. Aber es war eine Chance. Er musste optimistisch bleiben. Wenn er schwarz sah, würde das sie auch nicht weiterbringen. Obwohl es Lukas mit jedem weiteren Schritt immer schwerer fiel, hoffnungsvoll in die Zukunft zu sehen. Sie hatten immer wieder gehofft und die Hoffnung auch bereits schon aufgegeben, aber dieser Wechsel zwischen beidem wurde anstrengend. Überhaupt war alles anstrengend. Vom vielen laufen und rennen und flüchten schmerzten seine Beine und seine Finger verkrampften sich das ein ums andere Mal schmerzhaft, weil er die ganze Zeit über die Fernbedienung in der Hand hielt. Er wünschte, er könnte sich einfach irgendwo hinsetzten, die Augen schließen und einschlafen. Und wenn er erwachte, dann war der Alptraum vorbei. Lukas hasste sich selbst dafür, als er sich eingestand, dass er sich hier nicht in einem Alptraum befand, sondern in der bitteren Realität. Wie oft musste er diese Einsicht noch treffen, um sich endgültig davon zu überzeugen? Es war an der Zeit, endlich aufzuwachen und sich bewusst zu machen, dass ein Entkommen zwar unmöglich erschien, aber deshalb nicht unmöglich sein musste. Neue Wege taten sich vor ihnen auf und vielleicht würde irgendwann einer zurück in das Leben führen, das sie vor all dem hier gehabt hatten. 


Robot - Glasaugen und Metallknochen ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt