Kapitel 72

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,,Und auch, wenn ich es nicht will, ist es jetzt nunmal so. Ganz ehrlich, denkt ihr, ich will hier gerade stehen?Denkt ihr, ich mach das freiwillig? Nein, alles andere aber nicht freiwillig." Laut lachte ich einmal auf, obwohl es doch gar nicht lustig war.

,,Warum denkt ihr, habe ich so lange gebraucht, bis ich auf die Bühne kam? Weil ich das nicht will. Weder will ich dieses Leben, noch diese Kräfte und schon gar nicht diese Macht." Ich musste einmal tief Luft holen.

,,Aber ich muss das tun. Zu eurem Wohl." Ich stoppte. Sah, dass sich einzelne Personen erhoben.

,,Und wenn wir das nicht wollen?!", schrie einer.
Verwundert ließ ich die Wasserwand verschwinden. Näherte mich dem Ende der Bühne und blickte den Mann an, aus dessen Mund diese Frage kam. Er war nicht alt, höchstens 25 und trotzdem hatte er eine Autorität. Wirkte so wissend. Seine kurzen roten Haare waren ordentlich gegelt.
Seine markanten Gesichtszüge betonten seine grünen Augen, die aussahen als würden sie gleich Gift sprühen. Sein lockeres blaues Hemd hing an manchen Stellen aus der schwarzen Hose.

,,Was meinst du?" Immer mehr näherte ich mich dem Volk.

,,Ich meine, dass Euch doch niemand von uns gezwungen hat, die Königin zu sein, oder?"
Tatsächlich nein, niemand vom Volk hatte mich gezwungen.

,,Nein, natürlich nicht. Ihr habt doch keine Wahl. Ihr könnt soetwas doch nicht einfach entscheiden."
Das wussten sie auch. Alle. Sie wussten, dass wenn sie sich widersetzen würden, es Aufstände geben würde. Und trotzdem würden sie all das in Kauf nehmen, um mir endlich meinen Wunsch erfüllen zu können.

,,Ihr dürft entscheiden, Majestät. Wollt Ihr Königin sein oder nicht, Madam? Es liegt an Euch."
Ich schaute zu den Anderen.
Zustimmend wurde genickt.
Sah zu Enno. Seine Augen waren groß und schienen mich am liebsten tot zu sehen. Unglauben spiegelte sich deutlich in ihnen ab.

Mein Herz klopfte schnell, schien mir aus der Brust zu springen. Meine Hände schwitzen. Auch meine Augen wurden riesig. Auch in meinen war Unglauben zu sehen.

Sofort wollte ich bejahen. Bejahen, dass ich von nun an keine Macht mehr hätte. Sofort wollte ich das Amt der Königin verlassen.
Und als ich meine Entscheidung aussprechen wollte, war meine Kehle plötzlich so trocken, dass ich nichts herausbrachte. Aus dem Blickwinkel erkannte ich, dass Enno den Wachen zunickte. Erkannte, dass die Wachen sich langsam den Stühlen näherten.
Erkannte, wie der erste plötzlich fiel.
Kein Schrei verließ seinen Mund.
Er blickte mich wieder an.
Ich sah das Blut, das von seinem Bein tropfte. Sah die Wache, die ihm einen Feuerball ins Bein geschossen hatte.
Ihm. Dem Mann, der für das Volk gesprochen hatte. Ihm hatten sie ins Bein geschossen.
Ich erkannte, dass dies nicht ihr einziger Angriff sein würde. Erkannte, dass es noch weitere geben würde.
Die Wachen verteilten sich weiter.
Langsam, in der Absicht, dass ich all das nicht sah.
Doch ich tat es.
Ich sah jede Bewegung.
Beobachtete jeden Schritt.
Las ihnen jedes Wort von den Lippen.
Sah, wie sich immer mehr vom Volk erhoben.
Bis fast jeder stand.
Sah, dass sie alle mir zunickten.
Erkannte, dass sie alle hinter mir standen.
Merkte, dass Enno den Befehl gegeben hatte.
Den Befehl des Kampfes.

Ich war erstarrt.
Sah immer mehr fallen.
Immer mehr Blut.

Bis ich in Zayns Gesicht blickte.
Sah ihn an.
Erkannte, was er sagen wollte.
Und er hatte recht.

Und so tat ich es. Ich schrie einmal laut auf.

,,Stopp!" Die Wachen stoppten. Trotz des Geräusches einzelner verzweifelter Schreie war meine Stimme zu hören.

,,Ich werde Königin." Sofort verschwanden die Wachen wieder.
Einzelne Gesichter blickten mich an.

,,Wollt Ihr das auch wirklich?", fragte der Mann von eben. Derjenige, der mir gerade schon eine Frage gestellt hatte. Dem gerade Blut vom Beim tropfte.

Wollte ich das auch wirklich?
Nein.
Aber es war das einzigst richtige.
Es war notwendig.
Und es musste sein.
Es zählte nicht, ob ich es wollte oder nicht.
Darum ging es einfach nicht.

,,Ja", hatte ich gelogen.

Glücklich hatte ich Enno klatschen sehen.

,,Na super! Dann lasst uns endlich feiern und unsere Königin krönen."

Plötzlich war das Kleid vergessen.
Plötzlich war vergessen, dass ich ein Zeichen des Todes trug.
Plötzlich merkte ich, dass das Volk den Grund nie erfahren würde. Den Grund, weshalb ich dieses Kleid trug.
Und es war das Beste.
Für alle.
Das hatte ich nun endgültig akzeptiert.
Hatte nun endgültig akzeptiert, dass das meine Zukunft sein würde.
Mein Leben.
Meine Bestimmung.

Und so feierten wir. Feierten bis alle Ärzte verschwunden waren und alle Wunden verheilt waren.
Die ganze Zeit lächelte ich.
Und trotzdem war ich unglücklich. Wie immer.

***************

Eine Woche war seit der Krönung vergangen.
Das Amt der Königin war nicht leicht.
Es gab viele Pflichten. Viele Aufgaben.
Und doch war ich, denke ich, glücklicher als im Waisenheim.
Zufriedener.
Vielleicht war ich das auch nicht.
Vielleicht bildete ich mir das nur ein.
Doch selbst wenn es so war, fühlte ich mich besser.
Ich fühlte mich wertvoll.
Wurde für etwas gebraucht.
Und auch, wenn es schwierig werden würde, würde ich das durchziehen.
Würde dieses Leben leben bis es vorbei war. Und ich würde es nicht beenden.
Denn endlich hatte ich meine Bestimmung akzeptiert.
Hatte akzeptiert, dass ich einfach nicht glücklich werden durfte, so wie ich es wollte.
Vielleicht würde ich auf diese Weise glücklich werden.

Immerhin spürte ich schon jetzt, nach einer Woche, dass meine Selbstzweifel minimal verschwanden.

Würde ich so nutzlos sein, wäre ich dann hier? Nein.

Nein, das wäre ich nicht.

Und mit diesen Worten im Kopf stellte ich mich Ennos Gemecker.
Stellte mich den Wünschen des Volkes.
Den Sorgen.

Mit einem unechten Lächeln.
Doch wer wusste schon, ob es echt werden würde?
Vielleicht würde ich irgendwann ehrlich lächeln.
Vielleicht auch nicht.
Vielleicht würde ich irgendwann der Meinung sein, dass der Tod nicht der einzige Weg zum Glück ist.
Vielleicht aber auch nicht.

Prinzessin der ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt