Am nächsten Morgen wurde ich ziemlich unsanft geweckt und
- natürlich - war es Damians Schuld. Er stand plötzlich mitten in meinem Zimmer und brüllte rum. Da war es doch wohl logisch, dass ich mit einem Satz aus dem Bett war. Meine Haare standen in alle Richtungen ab und ich trug noch mein Nachtgewand. Hätte ich geahnt, dass er mich wecken wollte, hätte ich mir was anderes angezogen oder wäre einfach zu Jayden abgehauen, aber so? Keine Chance.
Ich stand also, nur mit einem Nachthemd bekleidet in meinem Zimmer und Damian mir gegenüber und - wie konnte es anders sein - vollständig angezogen.
"Guten Morgen Prinzessin! Ich hoffe du hast gut genächtigt.", begrüßte er mich und ließ seinen Blick über meinen Aufzug wandern. Mir schoss die Röte in die Wangen, aber ich schaffte es dann doch noch ihm einen Spruch entgegen zu werfen.
"Danke habe ich. Was man von dir ja mit Sicherheit nicht annehmen kann."
Sein Gesicht verfinsterte sich augenblicklich und er versuchte sich unauffällig am rechten Oberschenkeln zu kratzen, doch das fiel mir natürlich auf und ich zog spöttisch die Augenbrauen in die Stirn. "Damian juckt es dich etwa? Hat man dir nicht beigebracht, dass man sich in Anwesenheit einer Prinzessin nicht kratzten darf?", fragte ich gespielt empört um ihn noch ein wenig mehr zu provozieren.
Ein Muskel unter seinem Kiefer zuckte, als er die Zähne aufeinander biss und mich böse anstarrte.
"Du bist keine Prinzessin.", zischte er dann. "Du bist ein hinterlistiges Miststück."
"Wenn ich eines nicht bin, dann hinterlistig! Wie kannst du es wagen, dir ein Bild von mir zu machen, wenn du mich nicht kennst?", fauchte ich dann und warf ihm einen so Bösen Blick zu, dass es mich nicht wundern würde, wenn er gleich tot umfallen würde.
Seine Miene wurde weicher. Jetzt hatte ich ihn.
"Das stimmt. Ich bitte um Verzeihung. Ich wollte euch nicht beleidigen.", sagte er dann und senkte den Blick.
Ich hatte ja mit vielem gerechnet, nur nicht! dass er sich entschuldigen würde. Klar fand ich es gut. Immerhin hatte er ja angefangen, aber ich wollte seinen Worten noch nicht ganz glauben. Damian war nicht der Typ Mann, der sich einfach so entschuldigte und dann war alles wieder gut.
"Angenommen. Das Gleiche kann ich über dich ja auch sagen. Ich habe ebenfalls kein Recht mir ein Urteil über dich zu bilden.", gestand ich dann. "Das gilt aber nur für persönliche Dinge! Ansonsten herrscht Krieg zwischen uns!", stellte ich dann doch noch schnell klar.
Damian lächelte. "Verstanden. Und aus diesem Grund hast du jetzt genau zwei Minuten, dich anzuziehen und dich fertig zu machen."
Geschockt starrte ich ihn an. Zwei Minuten?! Das schaffte ich doch niemals!
Als ich es noch immer nicht geschafft hatte mich aus meiner Starre zu lösen, seufzte er und begab zu zählen: "120, 119, 118, 117..."
"Ist ja gut! Ich hab's verstanden!", rief ich und stürmte in mein Kleiderzimmer. Schnell schloss ich die Tür hinter mir, schlüpfte in neue Unterwäsche und zog danach eine graue enge Hose und einen viel zu großen schwarzen Pullover von Jayden an. Vor der Türe zählte Damian unerbittlich weiter: "98, 97!" Bei jeder Zahl die er sagte, klopfte er einmal gegen die Tür.
"Ich beeil mich ja!", antwortete ich und pustete mir genervt eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ein schneller Griff ins Schuhregal und schon stand ich in den ebenfalls schwarzen Halbstiefeln.
Keine Sekunde später riss ich die Türe auf und fing Damians Hand ab, die gerade wieder gegen die Tür klopfen wollte. Noch bevor er etwas sagen konnte, rannte ich an ihm vorbei ins Bad.
"Ich hab noch 50 Sekunden!", brüllte ich und putzte in Rekordgeschwindigkeit meine Zähne, kämmte meine Haare und band sie mir zu einem unordentlichen Dutt.
Gerade als ich erhobenen Hauptes zurück in mein Zimmer ging, zählte Damian die letzten Zahlen.
"Fertig!", sagte ich etwas außer Atem und holte tief Luft.
"Gut gemacht! Sieht... ähm gut aus.", meinte er in deutete auf mein Outfit. Überrascht blickte ich auf. "Was? Achso! ja danke!"
"Gut, dann können wir jetzt ja los.", entschied er und marschierte aus dem Raum.
"Wohin?", fragte ich und lief hinterher.
"Zum Unterricht. Du hast 'klassische Tänze' in der ersten Stunde." In seiner Stimme schwang ein wenig Ironie mit. Allerdings hörte man sie nur, wenn man darauf achtete.
"Klassische Tänze?", echote ich ungläubig.
Als er nickte wurde mir bewusst in was für ein Schlamassel ich da gerade geriet.
"Bitte nicht! Damian! Bitte! Keine klassischen Tänze! Madame Marchand hasst mich!", flehte ich ihn an.
Er jedoch zeigte sich nur amüsiert und grinste.
"Sie hasst dich bestimmt nicht! Warum sollte sie denn auch?", wollte er wissen.
"Doch! Sie HASST mich! Weil ich immer ihren Unterricht schwänze. Und dann lässt sie mich ständig diese hässlichen Schuhe mit dem Absatz anziehen zum Tanzen! Bitte tu mir das nicht an! Damian! Bitte!" Ich war sogar fast bereit vor ihm auf die Knie zu fallen, nur damit ich abhauen konnte. Aber nach Madame Marchands Unterricht konnte ich meine Füße nicht mehr spüren vor Schmerzen. Außerdem bekam ich überall Blasen an den Zehen. Nur wegen diesen blöden Schuhen.
"Alleine das du mich so anflehst, ist für mich Grund genug um mir deinen Tanzunterricht anzusehen. Nicht das ich etwas anderes vorhatte, aber das lass ich mir nicht entgehen. Jolin die sonst mit Pfeil und Bogen kämpft soll mit geradem Rücken tanzen! Ich pack's nicht!", lachte er und in dem Moment drehte ich mich einfach um und rannte weg. Doch leider bemerkte er es und lief mir mit einem lauten "Hey!" hinterher. Viel zu schnell hatte er mich eingeholt und zwei starke Arme legten sich um meine Mitte. Ich stolperte und fiel. Weil er mich dabei nicht losließ, konnte ich mich nicht richtig abrollen und so stieß ich mir mein linkes Knie schmerzhaft an einer der Stufen an. Er zog mich hoch und warf mich über seine Schulter.
"Lass mich sofort runter!", tobte ich, als er begann sich Richtung Tanzsaal zu bewegen und trommelte mit meinem Fäusten gegen seinem Rücken.
Er ächzte. "Könntest du das bitte lassen?"
"Du meinst DAS?" Erneut schlug ich mit meiner Faust neben seine Wirbelsäule.
"Genau!", sagte er und drehte seinen Kopf ein Stück zu mir. Ich lächelte fies und zischte: "Ich denk gar nicht dran!" Danach massakrierte ich mit meinen Händen praktisch seinen Rücken. Ganz ehrlich, mich wunderte es dass er mich noch halten konnte. Okay ich war nicht schwer, aber trotzdem!
Tja und dann sah ich sie. Die Hölle. Mit jedem von Damians Schritten näherte ich mich ihr unfreiwillig.
"Bitte Damian. Es tut mir leid. Die Ameisen, das Hagebuttenpulver. Alles! Nur lass mich nicht mit diesem Teufel da drinnen alleine.", probierte ich ihn zum letzten Mal zum Umkehren zu bewegen, aber er blieb hart. "Vergiss es! Das lass ich mir nicht entgehen!"
"Damian bitte!"
Er schüttelte nur den Kopf und dann war es zu spät. Er stieß die Tür zu dem großen Raum dahinter auf und ich erschlaffte auf seiner Schulter. Der Punkt ging an ihn. Damit stand es 1:1. Gleichstand. Wenn man davon absah, wie er mich gestern zurück und Schloss geführt hatte. Würde ich ihm diesen Punkt geben, würde er führen. Aber da ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste wer er war, zählte es nicht und somit hatten wir Gleichstand. Noch, wohlgemerkt!
Allerdings konnte ich nicht weiter über den aktuellen Punktestand nachdenken, denn in diesem Moment setzte Damian mich ab und knallte die Türen zu, ehe ich hinausflüchten konnte. Er verschränkte die Arme vor der Brust und grinste mich fies an.
Ich kam nicht mehr dazu ihm eine Beleidigung an den Kopf zu werfen, denn just in diesem Moment hallte Madame Marchands schrille Stimme durch den mit spiegeln gefüllten Saal.
"Ahhh Fräulein Jolin hält es also doch für nötig mal wieder zum Unterricht zu erscheinen. Welch Freude."
Madame Marchand war eine dürre alte Dame mit knochigen Fingern und grauem Haar. Letzteres trug sie immer streng zurückgebunden, so dass ihre eckigen Wangenknochen noch besser zur Geltung kamen. Kurz: Sie sah aus wie eine alte Hexe.
Fehlte nur noch der Besen und die Warze auf der Nase. Aber die hatte ich bereits vergeblich gesucht.
Aber man durfte sie trotzdem nicht unterschätzen. Die Frau hatte Augen wie ein Adler. Trotz ihres Alters. Sie sah jeden falschen Schritt. Jeden nicht angespannten Muskel. Einfach alles!
Tja und mit diesen Augen musterte sie mich jetzt von oben bis unten. Gerade wollte ich etwas erwidern, da schimpfte sie schon weiter.
"Und wie siehst du überhaupt aus? Ich hab dir doch gesagt, dass du dich in MEINEM Unterricht vernünftig zu kleiden hast. Nicht mit solchen... Lumpen!"
"Ja Madame.", antwortete ich ergeben und senkte den Kopf, dann kam mir eine Idee wie ich den Zorn der alten Hexe auf Damian lenken konnte.
"Das nächste Mal kommst du in dem Kleid, dass dein Vater extra für den Unterricht hat anfertigen lassen. Hast du mich verstanden?", giftete sie weiter.
"Ja Madame.", wiederholte ich die übliche Anrede.
"Gut! Und was ist dieses Mal deine Ausrede für erstens: Deine Verspätung und zweitens: Deine Kleidung?", erwartete sie zu erfahren und genau darauf hatte ich gewatet.
"Madame Marchand, ich bitte vielmals um Verzeihung, aber ich möchte zu meiner Verteidigung erwähnen, dass meine Kleidung nicht meine Schuld war. Damian hat mir nicht die nötige Zeit gelassen, damit ich mich für Ihren Unterricht passend kleiden konnte. Ich meine mich sogar zu erinnern, dass er mich zu spät geweckt hat und dann, um seinen Fehler wieder auszubügeln, mit lediglich zwei Minuten Zeit ließ mich fertig zu machen.", erklärte ich und lachte innerlich. Im Spiegel neben mir konnte ich sehen, dass Damian alle Farbe aus dem Gesicht wich, als Madame Marchand sich ihm zuwandte.
"Ist das wahr, junger Mann?", wollte sie wissen. Damian starrte sie an, als hätte er den Teufel gesehen. Was ja auch in etwa stimmte...
"Was? Ich... Nein... Ja...", stotterte er und ich prustete los. 2:1 für mich!
"Nun gut... Damian. Ich werde Ihnen diesen Fehler nachsehen, da sie noch nicht lange hier sind. Aber ich waren Sie! Sollte so etwas nochmal an meine Ohren dringen, erfährt der König schneller davon als Ihnen lieb sein sollte. Und du...", fuhr sie herum als sie bemerkte, dass ich die Szene laut lachend beobachtet hatte.
"... Eine Dame lacht nicht wie ein besoffener Schankwirt! Erst recht keine Prinzessin! Hast du das verstanden?" Ihre scharfen Augen musterten mich feindselig.
Schwer atmend senkte ich den Blick und brachte ein halbwegs verständliches "Ja Madame." hervor.
Sie wandte sich an Joseph unseren Klavierspieler und nickte ihm freundlich zu.
"Gut dann wären wir ja komplett. Fehlt nur noch Ja...." Der Rest ihres Satzes ging im Knallen der Türen unter, denn Jayden flog praktisch in den Raum.
"Tut mir leid! Dein Vater wollte mich noch sprechen, Jolin.", entschuldigte sich mein bester Freund und stellte sich neben mich.
"Wenn der König mit Ihnen sprechen wollte, hat das natürlich oberste Priorität, Jayden. Sie hätten nicht extra hetzten müssen." Madame Marchand warf Jay ein steifes Lächeln zu und ich hätte fast wieder losgelacht. Selbst Damian musste sich das Lachen verkneifen. Es war kein Geheimnis, dass Madame Marchand Sympathien für Jayden hegte und das brachte mich dann doch das ein oder andere Mal ziemlich zum Lachen. Die Vorstellung, dass die alte Hexe und Jay... Oh Gott nein! Tief durchatmen Jolin, sonst kollabierst du gleich noch vor Lachen.
"Dann wollen wir nun beginnen. Joseph wärest du so freundlich?", erteilte sie mein Todesurteil. Damian schloss die Türen und setzte sich davor. Jay und ich stellten uns in Tanzhaltung in die Mitte des Raumes und Joseph spielte die ersten Töne auf dem großem schwarzen Flügel. Doch dann unterbrach Madame Marchand ihn. "Ahh! Einen Moment. Jolin deine Schuhe! Komm her und zieh die Tanzschuhe an. Komm! Hopp Hopp!" Sie klatschte und winkte mich zu sich. Ich stöhnte. Mist.
Dann löste ich mich von Jay und ging zu Madame Marchand.
Auf dem Weg zu meinem persönlichen Albtraum warf ich Damian einen Blick zu der so viel sagte wie: 'Ich hab's dir ja gesagt!'
Er zog eine Augenbraue hoch und betrachtete die Schuhe mit sieben Zentimeter Absatz skeptisch.
Ich konnte darin durchaus laufen. Ich wollte es nur nicht!
Es war unbequem und mir schmerzten die Füße danach immer. Ausnahmslos!
Aber hatte ich eine Wahl? Nein!
Also zog ich meine Boots aus und schlüpfte in die Tanzschuhe. Schon nach wenigen Schritten spürte ich meinen kleinen Zeh nicht mehr. Als ich an Damian vorbeiwackelte pfiff er mir hinterher und erntete von Madame Marchand und mir einen Bösen Blick. Sofort war er still.
Ich nahm meinen Platz wieder ein und Joseph spielte erneut einen langsamen Walzer. Aber wir kamen nicht sehr weit. Nach wenigen Takten unterbrach Madame Marchand und wieder.
"Nein! Nein! Nein! Jayden was ist denn heute los mit dir? Du hängst total hinterher? Außerdem hängst du mehr als sonst! Streck den Rücken durch!", verlangte sie und sah ihn aufmunternd an. Mit mir würde sie so etwas niemals machen.
"Es tut mit leid Madame Marchand. Aber ich habe zur Zeit Probleme mit meinem Rücken. Wahrscheinlich hab ich ihn mir beim Jagen irgendwie geprellt.", erklärte Jayden sich und ich sah ihn mit großen Augen an. Er zwinkerte mir zu. Wenn es gut lief würde Madame Marchand uns jetzt freigeben! Aus Mitleid mit dem armen Jayden.
Ich biss mir auf die Lippe um nicht zu lächeln.
"Oh! Das hört sich nicht gut an. Dann setzt dich lieber hin und ruh dich aus.", bemutterte sie ihn und Jay ging von der Fläche und setzte sich in einiger Entfernung zu Damian auf den Boden.
"Und was machen wir jetzt mit dir?", fragte sie und drehte sich durch den Raum.
Dann blieb ihr Blick plötzlich an Damian hängen. Ich ahnte etwas schlimmes. Etwas echt schlimmes!
Schnell tauschte ich einen Blick mit Jayden. Er dachte das gleiche.
Und dann sagte Madame Marchand mit einem Lächeln auf den Lippen die Wörter, dich gehofft hatte nicht zu hören.
"Können Sie tanzen, Damian?"
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Das Herz der Kriegerin
FantasyJolin ist anders. Sie hat ihren eigenen Kopf und lässt sich nicht gerne etwas sagen. Konflikte mit ihrem Vater, dem König des Reiches sind also unumgänglich. Aber er will einfach nicht verstehen, was Jo daran gefällt gemeinsam mit ihrem besten Freun...